I. Die Geschichte der modernen Meeresforschung und ihre Ziele.

Es ist leicht erklärlich, weshalb unter den die Erde bewohnenden Nationen gerade die Küstenvölker, die ihr Leben lang das ewige Meer vor Augen haben, die es kennen in seiner majestätischen Ruhe und seiner alles zerstörenden Macht, die als Fischer oder Seeleute ihm ihren Unterhalt verdanken und in ihm eine nie versiegende Quelle von Wohlstand und Reichtum sehen, vor seiner Allmacht eine tiefe und heilige Scheu haben. Aber es wohnt in diesen Völkern, wie in der Menschheit überhaupt, von jeher neben der tiefen, anbetenden Ehrfurcht vor der Naturgewalt ein unendliches Sehnen nach der Ferne, nach dem Unbekannten. Je größer die Gefahr, desto größer der Reiz. Denn in der Ferne winken mit blendendem Glanz unendliche Werte, die dem Mutigen zufallen, der es wagt, die Hand danach auszustrecken, die ihn tausendfach entschädigen können für alle Mühsal und Gefahr. Diese Selbstsucht, dieses Suchen nach fernen Schätzen ist die Triebseder faft aller Entdecknngsreisen gewesen, von den Meersahrten der kühnen Phönizier bis zu deuen uuserer Zeit. Viele Jahrhunderte lang diente das Meer nur als Wasserstraße nach fernen Ländern und Gestaden. Aber dieselbe Sucht nach Gewinn trieb schon früh die Perlenfischer an den Küsten des Indischen Ozeans auch hinein in die unbekannte Tiefe des Meeres, und die armen Schwammsucher des Mittelmeeres trotzen nur aus diesem Grunde allen Entbehrungen und Gefahren; derselbe Egoismus hat auch die erste Anregung zur heutigen Tiefseeforschung mit ihren überraschenden Erfolgen gegeben.

An Anregungen hatte es bereits im Anfange des 19. Jahrhunderts nicht gefehlt; die moderne Meeresforschung nahm aber erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ihren Anfang. Es war im Jahre 1850. Die noch junge Lehre von der Elektrizität hatte die Erfindung des Telegraphen gezeitigt, der in weiter Ferne wohnende Völker im Augenblick in unmittelbare Berührung zu bringen imstande ist, und in dem genannten Jahre sollte die erste unterseeische Verbindung zwischen England und Frankreich hergestellt werden. Da man das leitende Kabel dem unbekannten Meeresgrunde anvertrauen mußte, war man gezwungen, ihn vorher einer genauen Untersuchung zu unterwerfen, die manche bis dahin geltende Anschauung umwarf und neue und äußerst bemerkenswerte Tatsachen aus dunkler Nacht ans Tageslicht brachte. Weitere Forschungen in dieser Hinsicht im Norden des Atlantischen Ozeans durch das englische Schiff ,,Cyclop“ hatten zur Folge, daß am 21. August 1858 das erste Wort an der Hand des Drahtes die geheimnisvollen Meerestiefen zwischen Irland und Neufundland blitzschnell durchlaufen und die frohe Nachricht von der glücklich vollzogenen telegrafischen Verbindung zweier Erdteile bringen konnte. Zwar sollte die Freude von nur kurzer Dauer sein, denn bald darauf stellte das Kabel für immer seine Tätigkeit ein; die Ursache der Störung konnte nicht mit Bestimmtheit festgeftellt werden. Erst sieben Jahre später brachte der ,,Great Eastern“ eine zweite Verbindung zwischen Europa und Amerika zustande. Heute liegen auf dem Boden der Meere Hunderttausende von Kilometern Kabel. Aber diese aus rein praktischen Beweggründen ins Werk gesetzten Unternehmungen hatten den dabei Beteiligten und vor allem den Gelehrten doch zur Genüge gezeigt, daß die geheimnisvolle Tiefe der Meere ein ganz anderes Bild aufweise als man bislang gemeint hatte. Fand man doch als man im Jahre 1860 das zerrissene Kabel zwischen Sardinien und Algier aus 3.000 m Tiefe heraufholte, daß sich auf ihm in drei Jahren ganze Kolonien bisher unbekannter Tiere festgesetzt hatten! Den Engländern, schon damals dem an solchen Unternehmungen am meisten interessierten Volke, war es dank ihrer Flotte, ihrem Reichtum und ihrem Unternehmungsgeist vorbehalten, in den nächsten beiden Jahrzehnten das meiste zur Erforschung der Meerestiefen beizutragen. Männer wie Carpenter, Thomson, Murray und viele andere stellten ihre ganze Kraft in den Dienst der Tiefseeforschnng, und die Regierung, sowie die das 200. Jahr ihrer Gründung feiernde ,,Royal Society“ gaben die nötigen Mittel in freigebiger Weise dazu her. So wurde 1868 der kleine ,,Lightning“ lediglich für die Tiefseeforschung ausgerüstet; er brachte zum ersten Male den Nachweis, daß in der Tiefe von ungefähr 1.200 m noch ein reiches Tierleben vorhanden ist. Es folgten (1869-1870) die Fahrten des ,,Porcupine“ im Atlantischen Ozean und im Mittelmeer, mit Carpenter und Wyville Thomson an Bord, von denen im Golf von Biscaya die ansehnliche Tiefe von 4.453 m gelotet wurde. Zugleich brachten die Reisen so überraschende Beobachtungen hinsichtlich der Wärme-, Druck-, Boden- und biologischen Verhältnisse der Tiefsee mit, daß die englische Regierung beschloß, unter Aufwendung außerordentlicher Geldmittel - die Kosten der Ausrüstung und Reise beliefen sich auf mehr als 4 Millionen Mark - ein Schiff mit allen der Wissenschaft damals zu Gebote stehenden Hilfsmitteln für die Erforschnng der Meere auszusenden. So wurde die ,,Challenger-Expedition“ ins Leben gerufen. Das Schiff selbst, das ihr den Namen gegeben hat, war das Ideal eines Naturforschers. Da gab es alles und von allem das Beste und Vollkommenste, das Wissenschaft und Technik der damaligen Zeit den unternehmuugsfreudigen Gelehrten mit auf die Reise geben konnte. Von diesen führte der oben genannte Wyville Thomson die Leitung, dem der Geologe Murray, der Physiker und Chemiker Buchanan und die Zoologen Moseley und v. Willemoes-Suhm zur Seite standen; letzterer erkrankte auf der Fahrt und mußte zehn Monate nach der Ausreise nach Seemanns Art auf den Boden des Meeres gebettet werden. Gegen Weihnachten 1872 fuhr der ,,Challenger“ ab, kreuzte den Atlantischen Ozean mehrere Male und dampfte nach kurzem Aufenthalt in Kapstadt in das Südliche Eismeer und nach Australien. Dann ging’s quer durch den Großen Ozean nach der Küste von Südamerika, von da durch die Magelhaensstraße und deu Atlantischen Ozean in die Heimat, wo das Naturforscherschiff im Mai 1876 nach einer Abwesenheit von drei Jahren und vier Monaten glücklich wieder einlief. Und welche Menge von neuen Tatsachen, welche Fülle von überraschenden Beobachtungen, wieviel seltenes Material in Gläsern und Flaschen brachte es von dieser Reise mit! Da die Durchforschung dieser wertvollen Ausbeute von der Arbeitskraft eines einzelnen Forschers geradezu unmögliches verlangt hätte, wurde der Stoff verteilt, und wir dürfen stolz sein, wenn wir hören, daß ein nicht geringer Teil zur Durcharbeitung in die Hände deutscher Gelehrter gelegt wurde, die diese ehrenvolle Aufgabe mit Liebe und Eifern mit deutscher Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit auf das vortrefflichste erledigt haben. Dieser beispiellose Erfolg feuerte nun auch die anderen Kulturvölker zur Nachahmung an, die Vereinigten Staaten von Nordamerika (1873 bis 1880), die Skandinavier (1876-1878) die Italiener (1880) und endlich die Franzosen (1880-1882); alle konnten die Richtigkeit der vom ,,Challenger“ gemachten Beobachtungen bestätigen und brachten eine reiche Ausbeute an neuem Material mit.


,,Aber die Deutschend so höre ich fragen, ,,wir Deutschen, wo blieben denn wir? Hatten wir denn gar keinen Sinn weder für die ideale Seite dieser Untersuchungen, noch für ihren großen praktischen Wert?“ Die deutsche Wissenschaft hegte allerdings schon lange den Wunsch, sich an diesen Forschungsreisen zu beteiligen, und an deutschen Gelehrten, die sich ihnen begeistert gewidmet hätten, fehlte es, wie wir sahen, auch nicht. Aber unsere Reichsflotte war noch klein, und jedes Schiff leider allzu nötig zu anderen Zwecken. Zwar wurde im Jahre 1874 die Kriegskorvette ,,Gazelle“ für die Tiefseeforschung zweckentsprechend ausgerüstet; sie bereiste vom Sommer des genannten Jahres bis zum April 1876 unter der Führung von Kapitän v. Schleinitz den Indischen Ozean und stellte auf ihrer Fahrt nach den Kerguelen die Tiefenverhältnisse der von ihr durchkreuzten Gebiete fest, wobei zugleich physikalische und zoologische Untersuchungen angestellt wurden.

Die erste bedeutendere Fahrt eines deutschen Schiffes zur Erforschung des Meeres war aber die sogenannte ,,Plankton-Expedition“ (1889). Das Wort ,,Plankton“ ist eine Neubildung von Professor Hensen, dem wissenschaftlichen Leiter dieser Unternehmung. Hatte man bei den bisherigen Untersuchungen das Hauptaugenmerk auf die Verhältnisse der Tiefsee gerichtet, die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Tiefenwassers, die Gestaltung des Meeresbodens und die eigenartigen Bewohner der Meerestiefen kennen zu lernen gesucht, so galt bei dieser Fahrt das Interesse in erster Linie den zahlreichen meist kleinen Lebewesen, die die oberflächliche Wasserschichten bevölkern und sich dort schwebend aufhalten, ein Spiel von Wind und Wellen. Hensen hatte darauf hingewiesen, wie wichtig vom praktischen Gesichtspunkte aus eine Kenntnis von diesen Lebewesen des Plankton, von seiner Zusammensetzung nicht nur in qualitativer, sondern auch in quantitativer Beziehung, von seiner Verteilung in den Ozeanen und seiner Abhängigkeit von Wind und Wetter für die Hochseefischerei sei. Bilden doch diese Milliarden von winzigen Algen und tierischen Organismen für alle anderen Meeresbewohner die einzige Nahrung; von ihr leben die zahllosen kleineren Geschöpfe, und diese werden wieder von den größeren verzehrt. Es galt also die Menge dieser Oberflächenfauna und -flora festzustellen und die Gesetze ihrer Abhängigkeit von Wind und Wellen, von Strömungen und Klima zu ergründen. So wurde 1889 auf Anregung Hensens die ,,Deutsche Plankton-Expedition“ ins Leben gerufen. Mitte Juli ging der „National“ von Kiel aus in See. Während der Reise wurden im Atlantischen Ozean viele gut gelungene Schließnetzzüge ausgeführt. Außer den oben angegebenen Aufgaben wurden auch Untersuchungen über Windrichtung und -stärke, über Klima und Passate angestellt, über Farbe und Salzgehalt des Meerwassers und seine Wärmeverhältnisse, über die Meeresströmungen und ihre Abhängigkeit von Wind und Salzgehalt, alles Dinge, die offenbar für Verteilung und Verbreitung des Planktons von der größten Bedeutung sind. Wie überhaupt auf dem Gebiete der Wissenschaften, so ruft auch auf dem der Meeresforschung eine einmal angeschnittene Frage hundert andere ins Leben. Die Anregung wirkte nicht nur auf andere Nationen belebend ein, sondern auch Führer von Handelsschiffen erboten sich, während ihrer Reisen Messungen und Studien in der neuen Richtung anzustellen, und Private trugen durch Geldspenden und persönliche Untersuchungen zur Lösung der zahlreichen Rätsel ihr Scherflein bei. Unter diesen ist vor allem Fürst Albert von Monaco zu nennen, der durch glückliche und erfolgreiche Reisen an der Lichtung des Dunkels, das früher über die Verhältnisse der Meerestiefen herrschte, sehr tätig gearbeitet hat. Seine ersten Reisen unternahm er 1885-1888 mit seiner Segeljacht „Hirondelle“ in Begleitung der Zoologen Jules de Guerne und Richard; später benutzte er eigens für diese Zwecke ausgerüstete Segeldampfjachten; zahlreiche Fahrten folgten von Jahr zu Jahr. Dem Fürsten verdankt die Wissenschaft auch die sogenannte ,,Bathometrische Generalkarte“, auf der alle geloteten Tiefen der Meere eingetragen sind.

Inzwischen ruhten auch andere Nationen nicht; von ihren Fahrten erwähne ich hier nur die österreichische ,,Polar“-Expedition zur Untersuchung der ozeanographischen Verhältnisse des Mittelmeeres und des Roten Meeres (1890-1894) und die des dänischen Kreuzers „Ingolf“ (1895-1896) in den nordischen Gewässern um Island und Grönland. Die zahlreichen ungelösten Rätsel der Meerestiefen, das lebhafte Interesse, das deutsche Forscher diesem Gegenstande entgegenbrachten, die wachsenden maritimen Beziehungen unseres geeinigten Vaterlandes zeigten aber auch dem deutschen Volke immer mehr, daß es die moralische Verpflichtung habe, nun auch seinerseits zur Erforschung der Meere, für die andere Nationen schon so beträchtliche Opfer gebracht hatten, Bedeutendes beizutragen Die Anregung dazu fand in maßgebenden wissenschaftlichen und regierenden Kreisen einen fruchtbaren Boden, und dank dem lebhaften Interesse unseres Kaisers für alle Fortschritte des deutschen Volkes, besonders für solche auf dem Gebiete der Seeschifffahrt, und dank der Freigebigkeit des Reichstags - auch das Reichsamt der Marine und das des Innern steuerten zu den Kosten bei - konnte so im Jahre 1898 die Aussendung der „Deutschen Tiefsee-Expedition“ unter der wissenschaftlichen Leitung des Leipziger Professors Dr. C. Chun erfolgen. Wir wollen ihr auf ihrem Reiseweg einmal folgen und die dabei erreichten wissenschaftlichen Erfolge in großen Zügen vorführen.

Es war am 1. August 1898, als die „Valdivia“ ein der Hamburg-Amerika-Linie gehöriger Dampfer, mit allem wohl ausgerüstet, was zur Erreichung der weitgesteckten Ziele nötig war, und mit den Teilnehmern der Expedition den Hamburger Hafen verließ. Die ,,Valdivia“ war 107 m lang und hatte eine Wasserverdrängung von 3.000 t. Ihr Vorderraum war für Fischereizwecke umgestaltet, der hintere Teil für ozeanographische Arbeiten bestimmt. Dabei war alles auf das praktischste eingerichtet; am Bord befand sich eine elektrische und eine Dampfmaschine für Lot- und Fangzwecke, und außer den für die Tiefseeforschung nötigen Apparaten eine genügende Anzahl von Ersatzstücken. In erster Linie trachtete man nach der Lösung biologischer Fragen. Was bildet die Nahrung der Tiefseetiere? Findet wirklich eine Wanderung der Meeresbewohner von Pol zu Pol statte und, wenn das der Fall ist, wo und wann geht sie vor sich, auf dem Meeresboden oder an der Oberfläche? Dann galt es ferner die eigenartige Tierwelt kennen zu lernen, die sich beim Zusammentreffen verschieden warmer Meeresströme, wie z. B. südlich vom Kap der Guten Hoffnung, vorfindet, die eigentümlichen Leucht- und Sinnesorgane und andere Anpassungserscheinungen der Tiefseetiere zu studieren und vieles andere mehr. Kurz, an Arbeit sollte es nicht fehlen. Zunächst ging die Reise von der Elbmünduug nach Norden; die ersten Tage wurden dazu benutzt, die Leistungsfähigkeit der mitgenommenen Geräte zn erproben und die Bewohner des Naturforscherschiffs mit ihrer Handhabung völlig vertraut zu machen. Dann wurde das Grundnetz zwischen Island und Schottland in das kalte Tiefenwasser über dem Thomsonrücken, eine Erhebung des Meeresbodens, die bis zur Höhe von 500 m unter dem Meeresspiegel steigt und das kalte Polarwasser von dem wärmeren des Atlantischen Ozeans trennt, versenkt; es brachte schon hier eine große Menge von Tiefseetieren, vor allem von Schwämmen, ans Tageslicht. Daneben wurde mit dem Plankton- und dem Schließnetz gefischt; auch über den Bakteriengehalt des Meerwassers in großen Tiefen konnten neue Tatsachen festgestellt werden. Dann ging die Fahrt nach Süden, an den Azoren vorbei nach Teneriffa und von da nach Westafrika und in das Gebiet des Guinea- und Südäquatorialstromes bis nach Kamerun. Eine Lotung wenige Meilen südlich vom Äquator ergab eine Tiefe von fast 5.700 bei einer Bodentemperatur von 1,9° C. Um die Abnahme der Wärme mit zunehmender Wassertiefe festzustellen wurden die Temperaturen des Wassers in bestimmten Abständen gemessen, daneben chemische, ozeanographische, biologische und bakteriologische Untersuchungen ausgeführt. Ein besonderes Interesse wurde der Fortsetzung der Hensenschen Untersuchungen der Planktonfauna und -flora und den Bewohnern der mittleren Wasserschichten unterhalb der Tiefenlinie von 600 m zugewandt. Es stellte sich heraus, daß das Schließnetz manche Tiere wie Fische, hochrote Krebstiere, Hohltiere, Seewalzen u. a. an die Obersläche brachte, die man vordem nur als Bodenbewohner gekannt hatte. Im Kamerungebiet und im weiteren Verlauf der Fahrt entlang der westafrikanischen Küste wurden auch einzelne Ausflüge in das Innere des Landes unternommen. In der Großen Fischbucht, die bei einer Länge von 20 Seemeilen bis zum äußersten Ende schiffbar ist, galt das Augenmerk in erster Linie den Nutzfischen, denen der aus Süden kommende kalte Benguelastrom eine riesige Menge von Nährorganismen zuführt. Sie gilt als Hauptlaichplatz für die Fische dieses Teils des Atlantischen Ozeans, und die Menge der mit Angeln und Netzen heraufgeholten Tiere war so groß, daß ein Boot durch die Unmasse der Fische fast zum Sinken gebracht wurde. Auf der Fahrt zwischen der Großen Fischbai und Kapstadt geriet das Vertikalnetz in 2000 m Tiefe auf eine bisher unbekannte Bank, von der das niedergelassene Schleppnetz eine große Anzahl Tiefseetiere heraufholte, die man vorher hauptsächlich als Bewohner der Oberflächenschicht gekannt hatte. In Kapstadt war der erste Teil der Reise beendet. Ein Ausflug nach der Bank bei Kap Agulhas brachte eine neue Überraschung, denn das Scharrnetz förderte zum Erstaunen der Teilnehmer von dem felsigen, durchschnittlich nur 100 m unter dem Meeresspiegel liegenden Grunde eine Anzahl Tiere ans Tageslicht, die eine auffallende Ähnlichkeit mit bekannten nordischen Formen hatten. Von Kapstadt wurde ein Vorstoß in das antarktische Gebiet unternommen, bei dem die vor einem Jahrhundert entdeckte, seit 75 Jahren aber nicht wieder besuchte vulkanische und eisbedeckte Bouvet-Insel wieder aufgefunden wurde. Die Lotungen, die im weiteren Verlauf der Reise gemacht wurden, zeigten, daß das Antarktische Meer durchaus nicht ein so seichtes Becken ist, wie man bislang angenomen hatten Tiefen von 5.000 bis 6.000 m wurden wiederholt gelotet. Der südlichste Punkt wurde bei 64° 14’ erreicht. Am Weihnachtstage 1898 wurden die Kerguelen angelaufen, wo die durch keine menschlichen Bewohner scheu gemachten See-Elefanten und Robben den Nimroden unter der Gesellschaft gute Beute lieferten. Dann ging’s über Neu-Amsterdam und die Kokos-Inseln nach Padang an der Südwestküste von Sumatra. Jenseits der ihr vorgelagerten Inseln, die durch seichtes Meer getrennt sind, macht sich ein bedeutender Steilabfall in den Indischen Ozean bemerkbar; 52 Seemeilen von der Insel Nias fand das Lot erst bei 5.700 m Grund. Von da fuhr die ,,Valdivia“ nördlich zu den Nikobaren, wo zwei Dredschzüge zum Teil absonderliche Formen der Tiefsee- und Flachseefauna heraufbrachten, Fische, Krebse, Seespinnen, Seesterne und Seegurken und vieles andere. Von Ceylon wurde über die Malediven und Chagos-Inseln, die auf einem unterseeischen Rücken, der den westlichen Teil des Indischen Ozeans begrenzt, liegen, nach den Seychellen gedampft, in deren Nähe die für diese Meere bisher bekannte tiefste Stelle von 5.071 m gelotet wurde. Nachdem dann unsern ostafrikanischen Landsleuten in Dar es Salaam ein Besuch abgestattet war, wurde die Heimreise angetreten, und am 30. April lief die ,,Valdivia“ glücklich wieder in die Elbe ein, wo ein begeisterter Jubel die Mitglieder der Deutschen Tiefsee-Expedition empfing. Die Menge der Lotungen und Messungen, die in den Tabellen niedergelegt sind, das in Gläsern gesammelte Material von Meeresorganismen, das die Fahrt geliefert hat, ist außerordentlich groß und stellt den Teilnehmern und ihrem rastlosen Fleiß ein ehrendes Zeugnis aus.

Seit der Rückkehr der Deutschen Tiefsee-Expedition sind nun eine ganze Reihe neuer Forschungsreisen ausgesandt worden, die unsere Kenntnisse über viele Verhältnisse bedeutend erweitert haben. Viele von diesen Fahrten hatten allerdings in erster Linie eine Förderung unserer Anschauungen über die eisbedeckten Polarländer im Norden im Auge, so die berühmte Fahrt Nansens, die Reisen des Prinzen Luigi von Savoyen auf der „Stella Polare“, Rathorsts, Sverdrups, Pearys u. a.; ein besonderes Interesse ward besonders den antarktischen Gewässern zuteil, wo in den letzten Jahren viele große Expeditionen tätig waren, die ,,Deutsche Südpolarexpedition“ unter E. von Drygalski auf dem Schiffe ,,Gauß“, die Schweden auf der ,,Antarctic“ unter Nordenskjöld, die Engländer auf der ,,Discovery“ unter Scott, die Schotten auf der ,,Scotia“ unter Bruce, die Expedition des Franzosen Charcot und die Borchgrevinks u. a. Aber auf allen diesen Reisen und den späteren Polarunternehmungen bis in die heutige Zeit der Entdeckung des Südpols durch Amundsen (1912), die im einzelnen anzuführen zu viel Raum in Anspruch nehmen würde, haben auch eingehende Untersuchungen der ozeanographischen Verhältnisse der bereisten Gebiete stattgefunden, und so haben sich heutzutage unsere Kenntnisse von diesen Verhältnissen außerordentlich vertieft. Dazu sind nach dem Vorbilde der Deutschen Zoologischen Station in Neapel im Laufe der Zeiten einige Dutzend andere biologische Stationen an den verschiedensten Küsten gegründet worden, die außerordentlich viel zur Aufklärung beigetragen haben. Endlich sind noch zu erwähnen zahlreiche kleinere Fahrten, die in erster Linie praktische Gesichtspunkte verfolgten und im Dienste der Hochseefischerei tätig waren, und über Laichstätten, Wanderung und Ernährungsverhältnisse der hauptsächlichen Nutzfische Aufklärung geben sollten. Die einzelnen an der Hochseefischerei interessierten Staaten stellten besonders gebaute und ausgerüstete Fahrzeuge in den Dienst, die ständig die einschlägigen Fragen zu beantworten bestrebt sind und Jahr für Jahr die Fischgründe bereisen. Die deutsche Hochseefischerei wird heute auf 219 Fischdampfern betrieben; von diesen sind fast die Hälfte (112) in der Wesermündung beheimatet. Geestemünde und Bremerhaven sind unsere größten deutschen Hochseefischereiplätze; daneben kommen noch Bremen, Hamburg, Altona und Cuxhaven in Betracht. Im Gegensatz zur Heringfischerei hat sich die Hochseefischerei ohne wesentliche staatliche Unterstützung entwickelt und ist in sehr kurzer Zeit zu beträchtlicher Höhe gelangt. Bis zum Jahre 1884 wurde lediglich auf Segelschiffen gefischt; in diesem Jahre verließ der erste deutsche Fischdampfer, den der Geestemünder Fischhändler Busse ausgerüstet hatte, die Weser. Diese Fischdampfer, deren Einrichtungen in den letzten Jahrzehnten immer mehr verbessert wurden, sind kleine, aber festgebaute Fahrzenge von 36 bis 40 m Länge, die eine Besatzuug vou 10 bis 12 Mann haben. Sie gehen oft weit nach Norden in die Polarwässer, wo die Fischerei noch erträglicher ist als in näheren Gebieten. Gefischt wird mit dem Scherbrettnetz, einem trichterförmigen Schleppnetz, das wie ein plattes Riesenmaul aussieht, etwa 40 m Länge und eine etwa ebenso breite Öffnung hat; nachdem das Netz mehrere Stunden über den Boden geschleppt worden ist, wird es heraufgewunden und die brauchbaren Fische sofort geschlachtet, ausgenommen und in die Eisräume gebracht. Der Umsatz im Geestemünder Fischereihafen betrug im Jahre 1909 nicht weniger als 60 Millionen Pfund Seefische.

Die Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit aller ozeanographischen Fragen verlangte aber immer mehr nach einer streng und einheitlich durchgeführten Methodik. Diese wurde neuerdings nach dem Grundsatze der Arbeitsteilung durch internationale Abmachungen geschaffen und läßt eine reiche Förderung aller Arbeiten erhoffen. Der Gedanke gemeinsamer Arbeit nach methodischen Richtlinien führte auch zur Gründung einer Internationalen Kommission für Meeresforschung, deren Arbeit sich in erster Linie auf die nordischen Meeresteile erstreckt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Meer.