Furor sexualis im Kriegsleben

Furor sexualis im Kriegsleben.

Daß das Kriegswesen die Gemüter der Kämpfenden verrohen muß, besonders beim Nahkampf mit mehr oder weniger primitiven Waffen, liegt in der Natur der Sache. Der stete Anblick der furchtbarsten Gräuelszenen ist nicht geeignet, das Gemütsleben zu veredeln. Besonders der Kampf Mann gegen Mann, bei dem das Bestreben einzig und allein darauf gerichtet ist, dem Gegner so furchtbare Verletzungen beizubringen, wie nur irgend möglich ist, denn nur dadurch kann der Feind kampfunfähig gemacht, der Sieg errungen werden, wirkt durch die Unmittelbarkeit des Blutvergießens, ich möchte sagen, durch das direkte Wühlen im Menschenblute noch erheblich demoralisierender als z. B. der Kampf mit unseren modernen Feuerwaffen, die auf gewaltige Entfernungen wirken und nicht so unmittelbar dem Schützen die Schrecken des Kampfes vor Augen führen. Mögen auch links und rechts neben ihm die Freunde niedergehagelt werden. Wenn nun auch durch das, was man unter dem Namen Manneszucht versteht, das Verrohende des Krieges erheblich abgeschwächt werden, so dürfen doch die übertriebenen Lobeshymnen, die so oft dem veredelnden Heldentum dargebracht werden, ins Reich der Phrase verwiesen werden. Mag auch die Bewunderung und Verehrung, die man den Männern, die Blut und Leben für das Vaterland eingesetzt und sich mutig geschlagen haben, nicht aus Utilitätsrücksichten entgegenbringt, noch so ehrlich, natürlich und wohlverdient sein. Es kommt hier aber nicht auf moderne Kriege an, sondern auf das Kriegsleben der alten orientalischen Völker.




Daß man im orientalischen Altertum den tapferen Krieger ehrte, daß bei vielen Völkern die kriegerische Tapferkeit fast das einzige war, wodurch ein Mann sich auszeichnen konnte, das versteht sich von selbst, denn es war schon das ganze Leben darauf zugeschnitten, daß das Kriegshandwerk immer blühen und gedeihen mußte. Daß aber dieses Heldentum die Menschen hätte veredeln können, das war schon deshalb nicht denkbar, weil dabei jeder Edelmut ausgeschlossen, das einzige Streben die völlige Vernichtung der Gegner war. Selbst in der Bibel, die doch in den Mosaischen Vorschriften so vieles enthält, was wir auch heute noch als nachahmenswerte Forderungen wirklicher Humanität gelten lassen dürfen, finden wir doch entsetzliche Schilderungen des Krieges, die uns an das Dichterwort mahnen: „Ein Schlachten war’s, nicht eine Schlacht zu nennen.“ Von der Ehrenpflicht des Siegers, den Besiegten zu schonen und auch in ihm den Helden zu ehren, war gar nicht die Rede. Wie entsetzlich mutet uns noch das furchtbare Blutgericht an, das der christliche Karl der Große über die besiegten Sachsen halten, und bei dem er sie einfach enthaupten ließ. Und doch ist das immer noch christliche Sanftmut im Vergleich mit dem, was uns die Bibel als von Gott selbst befohlen berichtet. In der Regel werden ganze Völker ausgetilgt durch des Schwertes Schärfe. Nicht nur die Männer, die im Streite besiegt waren, wurden ausgelöscht, sondern man tötete auch nicht selten die Weiber. Ich will hier nur an die Vertilgung der Midianiter denken; die Israeliten besiegten dieses Volk und erwürgten alles, was männlich war. Damit aber nicht genug. „Und die Kinder Israel nahmen gefangen die Weiber der Midianiter und ihre Kinder; all ihr Vieh, alle ihre Habe und alle ihre Güter raubten sie; und verbrannten mit Feuer alle ihre Städte, ihre Wohnung und alle Zeltdörfer; und nahmen allen Raub und alles, was zu nehmen war, beides Menschen und Vieh, und brachten es zu Mose und zu Eleasar, dem Priester, und zu der Gemeine der Kinder Israel, nämlich die Gefangenen und das genommene Vieh und das geraubte Gut ins Lager auf der Moabiter Gefilde, das am Jordan liegt gegen Jericho. Und Mose und Eleasar, der Priester, und alle Fürsten der Gemeine gingen ihnen entgegen, hinaus vor das Lager. Und Mose ward zornig über die Hauptleute des Heeres, die Hauptleute über tausend und über hundert waren, die aus dem Heer und Streit kamen, und sprach zu ihnen: Warum habt ihr alle Weiber leben lassen? Siehe, haben nicht dieselben die Kinder Israel durch Bileams Rat abwendig gemacht, daß sie sich versündigten am Herrn über den Peor und widerfuhr eine Plage der Gemeine des Herrn? So erwürget nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Weiber, die Männer erkannt und beigelegen haben; aber alle Kinder, die Weibsbilder sind, und nicht Männer erkannt haben, die laßt für euch leben.“

Es ist hier also eine Grausamkeit geübt worden, die furchtbar abstoßend wirkt, und für die es keine Erklärung geben würde, wenn man nicht die entsetzlichen Anschauungen jener Zeit berücksichtigen wollte, denn nur diese lassen die Erklärung für das überaus blutdürstige Verhalten wehrlosen Feinden, hilflosen Weibern und Kindern gegenüber als eine Erklärung gelten. Es ist nämlich als Motiv für die gegen die Midianiter begangenen Gräueltaten die schwere religiöse Gefährdung genannt worden, die den Kindern Israel durch die Midianiter drohte. Moses sagt das ja auch, daß die Midianiter die Kinder Israel abwendig gemacht hätten, daß sie sich versündigten am Herrn über den Peor. Deshalb sollten sie vernichtet werden, denn nur durch ihre Ausrottung konnte diese Gefahr abgewendet werden. Dabei entfiel auf die heidnischen Weiber ein gerüttelt Maß der Schuld, wie man es wenigstens im gewöhnlichen Leben zu deuten sucht, denn wenn jemand durch seine Sinnlichkeit und seinen Leichtsinn sich zu etwas Verbotenen hinreißen läßt, dann gibt er nicht der eigenen Liederlichkeit die Schuld, sondern stets wird er geneigt sein, zu behaupten, daß er nur das beklagenswerte Opfer fremder Verführungskunst geworden sei. So auch das auserlesene Volk, das von orientalischer Sinnlichkeit erfüllt, begierig jede Gelegenheit sucht, mit den Weibern der Nachbarvölker sexuellen Verkehr zu pflegen. Ich kann hier ebenfalls aus der Bibel meine Beweise schöpfen. „Und Israel wohnte in Sittim. Und das Volk hub an, mit der Moabiter Töchtern, welche luden das Volk zum Opfer ihrer Götter. Und das Volk aß, und betete ihre Götter an. Und Israel hängte sich an den Baal Peor.“ Das war doch nur eine Folge der Sinnlichkeit, ein Phallusdienst. Kann man es den heidnischen Weibern verübeln, daß sie wünschten, die Männer, die um ihre Gunst buhlten, sollten auch ihre Götter nicht verachten? Luft macht eigen, hieß es im alten deutschen Rechte, und die Gemeinschaft mit Heidinnen machte auch deren Göttern neue Knechte. Es war doch nichts als der Sinnentaumel, der die Israeliten zu den Töchtern der Heiden trieb; es war der wilde Sinnenrausch, der sie ihren treuen Gott vergessen und dem Peor opfern ließ. Israel ist wegen dieser Schwäche heimgesucht worden, wie die Bibel sagt, denn über dieses Volk kam eine große Plage, bei der 24.000 getötet wurden. Musste die Liederlichkeit der Juden durch die Todesstrafe gesühnt werden, so war sie gerecht über die Israeliten verhängt worden. Wie aber konnte das Volk der Midianiter die Ausrottung verdient haben? Von dem Treiben der Israeliten noch ein Bild: Und siehe, ein Mann aus den Kindern Israel kam, und brachte unter seine Brüder eine Midianitin vor den Augen Moses und der ganzen Gemeine der Kinder Israel, die da weinten vor der Tür der Hütte des Stifts. Da das sah Pinehas, der Sohn Eleasars, des Sohns Aarons, des Priesters, stand er auf aus der Gemeine, und nahm einen Spieß in seine Hand, und ging dem israelischen Mann nach in die Kammer, und durchstach sie beide, den israelischen Mann, und das Weib durch ihren Bauch.“ Es mag in diesem Falle wohl eher entschuldbar erscheinen, daß der Mann, der eine Heidin in die Gemeinde gebracht hatte, um mit ihr der verbotenen Liebe zu genießen, während der Ausübung dieses Frevels — als solcher galt er diesmal — den Todesstreich zusammen mit seiner Mitschuldigen erleiden mußte, und es wird dann auch berichtet, daß nach dieser Todesstrafe die Plage in Israel aufhörte. Es ist das sicherlich sehr wohl geeignet, bei Moses und den Führern des sehr wankelmütigen Israelvolks den Wunsch zu erwecken, daß in Zukunft die Versuchung von den Männern Israels möglichst ferngehalten werde, obwohl doch eigentlich nur die erprobte Tugend eine Tugend ist, nicht schon die Entsagung eines Vergnügens, das zu genießen, keine Gelegenheit sich bietet. Von diesem Wunsche aber bis zur Vernichtung eines besiegten und dadurch unschädlich gemachten Volkes, besonders bis zur Ausrottung wehrloser Weiber oder Kinder ist es doch wahrlich noch ein himmelweiter Schritt.

Nun fällt aber bei der Erzählung noch etwas anderes auf. Getötet wurden nur die Kinder männlichen Geschlechts und die Weiber, die Männer erkannt und beigelegen hatten. Man hat also doch nicht bloß die weibliche Verführung gefürchtet, sondern auch die weitere Existenz der männlichen Nachkommen, vielleicht fürchtete man deren spätere Rache. Das wäre nichts ungewöhnliches und steht besonders im Orient nicht vereinzelt da. Wozu aber mußten die Weiber sterben, die schon Männern beigelegen hatten? Jedenfalls, weil man fürchtete, daß sie männlichen Nachkommen das Leben schenken könnten und nicht Zeit und Geduld hatte, abzuwarten, ob diese Möglichkeit sich wirklich erfüllte. Die Kinder weiblichen Geschlechts und alle, die noch keinen Mann gehabt hatten, die durften die Sieger für sich behalten. Hier war also erlaubt, was vordem das todeswürdige Verbrechen gebildet hatte; hier durften die Sieger die heidnischen Weiber behalten und an ihnen ihre Lüste befriedigen. Das war allerdings auch ein anderes Verhältnis. Früher, als die Israeliten im Nachbarlande mit den Töchtern der Heiden gebuhlt hatten, da mußten sie sich deren Gunst erwerben, und es war ihnen kein zu hoher Preis, selbst den heidnischen Göttern zu opfern; als Gefangene waren die Weiber aber das Eigentum der Sieger, sie konnten da nicht mehr dem Glauben der Männer gefährlich werden, sondern mußten wohl eher zu Jehovah sich bekehren. Ich will hier nicht ausführlicher auf eine Stelle eingehen, die mir zu beweisen scheint, daß auch in Israel die Gefangenen zum Teil geopfert wurden. Es wird ja bekanntlich bestritten, daß es bei den alten Juden Menschenopfer gegeben habe. Ich bin vom Gegenteil überzeugt aus Gründen die an dieser Stelle ausführlich darzulegen nicht in den Rahmen meines Themas gehört. Ich finde aber doch eine kurze Stelle, die sich an die Vernichtung der Midianiter knüpft, doch der beiläufigen Erwähnung würdig; es heißt da (4. Mose 31, 40): „Desgleichen Menschenseelen, sechszehntausend Seelen; davon wurden dem Herrn zweiunddreißig Seelen.“ Es handelt sich um die Aufzählung der Beute. Ebenso wie es bei der Zahl der Schafe und Rinder heißt „davon wurden dem Herrn so und so viele, was doch gar nichts anderes bedeuten kann, als daß diese Zahl als Dankesopfer dargebracht wurde, finde ich auch bei der Zahl der Menschenseelen beim besten Willen keinen anderen Sinn, als daß diese geopfert wurden. Das geht nicht allein aus der Zahl hervor — 32 von 16.000 —, sondern, wie gesagt, auch aus dem ganzen Zusammenhang. Auf die Zahl der im Kampfe Gefallenen hat diese Zahl nicht den mindesten Bezug, denn es waren ja außer den 5 Königen alle Männer erwürgt, und die 16.000 waren übrig gebliebene Gefangene, keineswegs zu viel, wenn man bedenkt, daß es sich um ein Volk handelte, das 5 Königreiche umfasste. Außerdem handelte es sich hier um die Aufzählung der Ausbeute. Ich erwähne diese Menschenopfer deshalb, weil ich sie auch bei anderen orientalischen Völkern des Altertums häufig finde. Selbst in unserer Heimat kamen sie übrigens nicht selten vor.



Es mag mit diesen biblischen Schilderungen genug sein. Die Juden waren das auserlesene Volk; sie durften sich immerhin höher stellen als die Nachbarvölker, die noch zum Teil Halbwilde waren, und die doch auch, soweit sie eine entwickeltere Kultur besaßen, niemals aus so sittlich-religiösen Motiven handelten wie die an einen einzigen Gott glaubenden Israeliten. Die zügellose und wilde Grausamkeit der übrigen orientalischen Völker im Kriege, ja selbst im Frieden die wilde sexuelle Leidenschaft, die wir schon in den Dionysien und Bacchusfesten kennen gelernt haben, obwohl ich das Abscheulichste aus ästhetischen Gründen kaum angedeutet habe, läßt ohne weiteres die Vermutung gerechtfertigt erscheinen, daß die Ausrottung der Midianiter, so abscheulich sie auch erscheinen mag, doch noch ein milder Akt Staatsmännischer Klugheit — wenn man es so nennen will — gewesen ist im Vergleich mit andern geschichtlichen Vorkommnissen. Wir finden nun diese Vermutung auch durchaus bestätigt. Trotzdem würde meine Kapitelüberschrift nicht gerechtfertigt erscheinen, wenn es sich lediglich um eine kriegerische Brutalität und Blutdürstigkeit gehandelt hätte. Es ist aber bei allen den Akten, die historisch als Kriegsgräuel erwiesen sind, das sexuelle Moment so stark betont, daß man sehr wohl berechtigt ist, dabei von einem Furor sexualis zu sprechen, nicht etwa bloß nach dem alten Rezept, dass große sexuelle Begehrlichkeit mit blutdürstiger Grausamkeit gepaart zu sein pflegt. Es finden sich überall die abscheulichsten Ausschreitungen gegen das weibliche Geschlecht, das oft in viehischer Weise missbraucht und dann, wenn die eklen Begierden bis zum Übermaß befriedigt waren, in unerhörtester Weise abgeschlachtet wurde. Das war selbstverständlich eine sexuelle Wut, die eine Schande für alles, was Menschenantlitz trägt, ist.

Es war dieser Furor sexualis aber keineswegs immer bloß gegen die Weiber gerichtet; sondern er machte sich auch gegen männliche Feinde geltend. So erzählt Döpler nach Johann Hugo v. Lindenschalls „Orient. Indien“, Kap. 41, S. 123 und Hans Dietrich und Hans Israel von Bey. „Eigentliche und wahrhaftige Fürbildung aller fremden Völker im Orient“ (Anno 1598) folgendes: „Die Nigriten oder schwarze Moren in der Insel Mossambique, welche man Caffres nennet, haben einen Gebrauch, daß, wenn sie wider ihre Feinde zu Felde ziehen, und die Schlacht gewinnen, derjenige, so die meisten gefangen bekömmt, oder kaputiret, unter ihnen vor den Vornehmsten, Größesten und Mannhafftesten gehalten wird, und daher vor andern in großen Ansehen ist. Damit sie nun dessen Zeugnis haben, wenn sie vor ihren König kommen schneiden sie allen, so sie gefangen, oder umgebracht haben, das männliche Glied ab: Die Gefangene aber lassen sie alsdann, nach geschehener mutilation, wieder hinlauffen. Solches geschieht darum, damit dieselben keine Kinder mehr zeugen möchten, welche ihre Feinde seyn, und ihnen Schaden zufügen könnten. Das selbige Glied lassen sie wohl dörren, damit es sich halte und nicht stinkend werde. Wann es nun so fein gedörret ist, kommen sie für den König mit sonderbarer Reverenze, in Gegenwart der Vornehmsten und Obersten in jener Gegend, nehmen eins nach dem andern in den Mund, spützen es wiederum aus auf den Erdboden vor des Königs Füße, welches der König mit einer großen Danksagung annimmt. Und damit er ihnen ihre Mannheit und Tapferkeit wiederum mit einer besonderen Verehrung vergelte, so lasset er alle die ausgespeiete membra virilia wieder von der Erden aufraffen, und giebt sie hinwiederum dem, der sie präsentiert, für eine sonderliche Gnade und Ehrentitel, dessen er sich zu erheben habe, und forthin vor eine ritterliche Person zuhalten sey. Drauf nimmet er dieselbe alle miteinander, reihet sie zusammen an eine Schnur, und machet draus ein pater noster. Wenn sie denn etwan Hochzeit, oder sonst ein Fest haben, so kommen die Bräute, oder auch wohl Eheweiber eines solchen Ritters hinzu, und haben dieses Pater noster mit allen solchen Plunder um den Hals hängen, welches bey ihnen eine solche große Ehre ist, als bey uns das güldene Fluss tragen. Und dünken sich die Bräute oder Weiber dabei so groß, hoch und gut, als wenn sie gar die Königin selber wären.“

Ob diese Erzählung in allen ihren Einzelheiten stimmt, lässt sich gar nicht nach prüfen; aber da ähnliche Bräuche von verschiedenen Autoren gemeldet werden, ist der Kern der Sache jedenfalls durchaus wahr. Vorhanden ist höchstens das Beiwerk, das ja allerdings nichts mehr ist als eine Interpretation von Europäern, die sich die Sache nach ihrer persönlichen Auffassung ausmalten. Schon die Beschreibung der Nigriten ist nicht völlig korrekt. Nigritien war der von der Sahara begrenzte und südlich etwa bis zum Äquator reichende Teil Nordafrikas, das eigentliche Nigerland. Es kommt darauf aber auch nicht viel an. Die Begründung, die der Verstümmelung der gefangenen Feinde gegeben wird, ist eine doppelte. Einmal sollten sie nicht mehr in die Lage kommen, Kinder zu zeugen, die etwa später dem Lande der Sieger gefährlich hätte werden können. Das ist ein echt orientalischer Brauch, den wir ja ähnlich auch bei dem Kampfe der Kinder Israel gegen die Midianiter kennen gelernt haben. Ferner aber sollten die abgeschnittenen menbra virilia eine Trophäe bilden, ähnlich wie die Indianer den besiegten Feinden den Skalp abtrennen und als Siegeszeichen an sich nehmen. Das scheint wohl der Hauptzweck gewesen zu sein, denn es wird ja ausdrücklich gesagt, dass nicht nur die gefangenen, sondern auch die erschlagenen Feinde in dieser Weise verstümmelt worden seien. Hier konnte also doch der erstgenannte Grund überhaupt nicht mehr in Frage kommen, da die Beispiele, in denen erschlagene Männer noch Kinder gezeugt hätten, jedenfalls nicht allzu häufig angetroffen werden dürften. Es ist mir nur freilich nicht recht klar, wie dieses Sammeln der Schamglieder gehandhabt worden ist. Ob jeder Nigrit, der einen Feind getötet hatte, sich zunächst die Zeit nahm, ihn in der geschilderten Weise zu verstümmeln und die Trophäe sorgfältig an sich zu nehmen, oder ob man sich die Zahl der erschlagenen Feinde merkte und nach Beendigung der Schlacht die „Operation“ vornahm? Es kommt freilich in Betracht, dass die Kämpfe jener Völker und Zeiten sich wesentlich anders abspielten als die modernen Feldschlachten kompakter Heere. Es hat sich wohl nicht um Massenkämpfe in geordneter Schlachtaufstellung gehandelt, sondern mehr um Kriegszüge kleinerer Trupps, und ich erinnere auch da wieder an die Indianer, die sich doch ebenfalls zum Skalpieren ihrer besiegten Feinde ließen und nicht gern auf die Trophäe verzichteten, da sie ja den Ruf und das Ansehen des Kriegers begründete. Ich setze nun aber in den Doppelgrund, der für die Verstümmelung angegeben wird, einen Zweifel nur hinsichtlich der Art, in der er erzählt wird. An sich ist es gewiß richtig, daß man nur Feinde, soweit sie noch lebten, in der geschilderten Weise verstümmelte, um die Trophäe zu erlangen und um den Feinden das wahre Zeugen von Kindern unmöglich zu machen. Es ist aber mehr als naiv, daß man die Feinde nach der mutilation wieder laufen gelassen habe. Es ist wohl schwerlich anzunehmen, daß jemand eine derartige Operation, die doch sicherlich nicht mit zarter Sorgfalt ausgeführt, sondern in der Wut des Kampfes so barbarisch wie möglich vollzogen wurde, überleben konnte. Es mußte wohl auf jeden Fall Verblutung und infolgedessen der Tod eintreten. Von Bakterien, die sich auf eine so furchtbare Wunde stürzen müßten, wußte man sehr erfreulicher Weise damals noch nichts. Es lag ja auch durchaus im Sinne damaliger Kriegsansichten, daß man die gefangenen Feinde geradezu abschlachtete. Auch die Nigriten werden nicht betrübt darüber gewesen sein, wenn ihre Sucht, Trophäen zu erbeuten, die Gegner mit dem Leben büßten. Der weitere Zweck, daß diese keine Kinder mehr zeugen konnten, war übrigens damit sehr sicher erreicht. Wozu sich um das Schicksal, die Todesnot eines besiegten Feindes kümmern? Es war doch eigentlich selbstverständlich, daß der Besiegte von dem Sieger nichts zu erwarten hatte als den Todesstreich, der ihn ebenso gut im Streite hätte treffen können. Wozu ihm diesen Streich später ersparen? Übrigens fällt eins beim Studium alter Geschichte auf; die unglaubliche Lebenskraft früherer Geschlechter, die so zähes Leben besaßen, daß sie kaum tot zu machen waren. Ich werde das noch an anderen Beispielen erläutern können.



Mehr als eigentümlich ist die Schilderung der Zeremonie, mit der die Trophäen dem Häuptling — in der Geschichte Döplers wird er König genannt — präsentiert wurden. Der Held nahm die hierzu gewiß nicht hervorragend geeigneten Zeichen des Sieges in den Mund und spie sie vor die Füße des gestrengen Führers aus. Dieser nahm das mit großem Danke auf, natürlich, denn wer die meisten Feinde erschlagen oder gefangen hatte, der war doch auch an dem Siege am stärksten beteiligt, und daß er dafür Ruhm verdiente, versteht sich von selbst. Er durfte die Trophäen für sich behalten, und sie tragen, wie der moderne Held seine Orden trägt, die er oft sicherlich nicht so unmittelbar erworben hat wie der tapfere Nigrit die seinen. Der Held trug aber seine Zierde nicht selbst, sondern schenkte sie der Gattin oder der Braut, die bei festlichen Gelegenheiten diese Auszeichnung um den Hals trug. Es war das eine Sitte, die uns des Gegenstandes wegen gewiß recht eigenartig anmutet. Man rechnet zwar wohl überall mit der Putzsucht der Frauen; daß diese sich aber etwas als Schmuck auswählen, was doch unter allen Umständen als äußerst anstößig erscheinen muß, berührt gar zu natürlich. Es läßt aber auch dieser Schmuck auf die von jeder Prüderie freien Anschauungen schließen. Für die Negritendamen war die Halskette eben nur ein Symbol großer Tapferkeit ihrer Männer. Anspielungen auf die Art der Trophäe hat man wohl schon deshalb nicht gemacht, weil man auf solche Ehrenzeichen im allgemeinen nicht spöttelt, wenn sie so redlich verdiente Auszeichnungen sind. Auch bei uns wird gern der Ochsenziemer benutzt, ohne daß man an seine Herkunft und ursprüngliche Bedeutung denkt. Auch da wird das Natürliche ohne Nebengedanken hingenommen.

Der Brauch, die im Kriege Überwundenen, besonders die Kriegsgefangenen in dieser Weise zu verstümmeln, war übrigens keineswegs auf die Nigriten beschränkt; er scheint vielmehr sehr oft angewendet worden zu sein und eine sehr große Verbreitung gehabt zu haben. Es war das wohl auf die sexuelle Wut, die nun einmal beim Kampfe ihre Rolle spielte und durch verschiedene Psychologen als eine Folge des Wühlens im frischen Menschenblut erklärt wird, zurückzuführen und eigentlich, wenn man das sexuelle Moment berücksichtigt, die nächstliegende Verstümmelung. Es ist aber dabei sonderbarer Weise von allen älteren Schriftstellern, die auf diesen Gebrauch hinweisen, die schon oben erwähnte Wendung gebracht, daß man die Gefangenen nach der schauderhaften Operation habe „wieder hinlaufen lassen.“ An sich könnte man sich sehr wohl versucht fühlen, diese Redensart nicht buchstäblich zu nehmen, wie ja auch bei den meisten Todesstrafen, die selbstverständlich nur darauf berechnet waren, das Leben zu löschen, sehr euphemistische Redewendungen beliebt waren, die ziemlich harmlos klingen und auch von ernsten Schriftstellern angewendet wurden. Man kannte die Wirkungen solcher Prozeduren zur Genüge und konnte sich deshalb wohl den wörtlichen Effekt sparen. Daß man die Gefangenen furchtbar verstümmelte und sie dann wiederum hinlaufen ließ, würde danach weiter gar nichts bedeuten, als daß man sie verstümmelt und sich dann nicht mehr um sie bekümmert habe. Ich würde es also gar nicht so sonderbar finden, wenn sich wirklich eine Redewendung eingebürgert hätte, die besonders deshalb, weil sie Bräuche aus vergangenen Zeiten schilderten, die dem Schreibenden auch schon darum sehr fernlagen, weil sie von fremden Völkern geübt wurden, wohl scherzhafter lautete, als es die Scheußlichkeit des Verfahrens eigentlich zulassen sollte. Nun liegt die Sache aber doch so, daß es genug Mitteilungen gibt, nach denen ausdrücklich versichert wird, daß die Prozedur wirklich nicht das Leben gekostet habe. Ich will nur ein Beispiel anführen, das mir das zur Wiedergabe geeignetste zu sein scheint, obwohl es auch schon so beschaffen ist, daß es mich an die Worte eines Berliner Landgerichtsdirektors erinnert. Dieser hatte eine Schwurgerichtsverhandlung zu leiten, die einen Sensationsfall betraf, ein Beispiel zu Chronique scandaleuse, wie es eben in Berlin nicht allzu selten vorkommt. In dieser Verhandlung war nun keineswegs alles, was da erwähnt werden mußte, für die Ohren keuscher Jungfrauen bestimmt; aber da die Einzelheiten nicht gerade unsittlicher Natur waren und ein Interesse bestand, diesen Fall möglichst vor der Öffentlichkeit klarzulegen, half sich der Vorsitzende dadurch, daß er an das meist aus eleganten Damen bestehende, sehr zahlreiche Auditorium eine kurze Ansprache richtete, in der er sagte, daß in dem zur Verhandlung anstehenden Falle viele Einzelheiten eingehend erwähnt werden müßten, die zwar nicht so seien, daß es notwendig erscheine, im Interesse der Sittlichkeit die Öffentlichkeit auszuschließen, die aber doch auch für die anständigen Damen sehr peinlich klingen würden. Er wolle, da der Ausschluss der Öffentlichkeit, wie gesagt, nicht beschlossen werde, er also auch nicht die Befugnis habe, einzelnen Personen die Anwesenheit zu untersagen, doch den Damen nahelegen, sich lieber zu entfernen. Nach dieser Rede ließ er eine Pause folgen. Die Damen schlugen die Augen schamhaft nieder, eine blickte die andere an, aber keine wich und wankte. Da sagte der joviale Vorsitzende nach einiger Zeit: „So, da ich nun annehmen kann, daß alle anständigen Damen den Saal verlassen haben, trete ich in die Verhandlung ein!“ Das war sehr deutlich; aber die Damen hat das alles nicht sonderlich geniert, und so denke ich, wird die nachfolgende kleine Erzählung, die ich im harmlos altertümlichen Gewande wiedergebe, wohl meine geehrten Leserinnen ebenfalls nicht brüskieren. Die Geschichte lautet: „Theobaldus, der Umbrorum Heer-Führer wider die Griechen, welche Beneventum inne hatten, ließ allen denjenigen, so er vom Feind gefangen bekam, die Virilia abschneiden, und wieder hinlauffen, biss endlich ein Weib von Benevent vor ihn trat, deren Mann auch gefangen worden, und es bald an dem wahr, daß er gleichfalls sein Kleinod verlieren sollte, und mit vielen ächtzen und seufftzen fußfällig ihn also anredete: „O Theobalde, was haben wir dir zu Leide getan, daß du uns den Krieg ankündigest? Wir sind keine streitbaren Weiber, wie die Amazonen, sondern treiben unsere Hand-Arbeit mit Nähen und Spinnen, und wissen mit den Waffen nicht umzugehen. Warum schneidest du unsern Männern das beste Kleinod weg, und beraubest uns Weiber dadurch aller Wollust? Unsere Männer haben ja Augen, Nasen und Hände, die du immerhin abschneiden, nicht aber dasjenige, welches die Natur uns Weibern zu unsern Gebrauch gewidmet, mit unter das Kriegsrecht ziehen möchtest! Über welch ernsthafte Rede des Weibes Theobaldus sich sehr belustiget, ihr den Mann unverletzt wiedergegeben, und mit solcher schändlicher Verstümmelung innegehalten.“

Es ist bei dieser Erzählung, gleichviel ob sie völlig wahr ist, oder ob sie eine etwas derbe Satire auf die weibliche Empfindung jener Zeiten sein soll, doch zweifellos davon ausgegangen, daß die Verstümmelung nicht tödlich verlaufe, daß sie im Gegenteil den Mann gesund und kräftig lasse, ihn lediglich zu jedem Liebeswerk untauglich mache. Nicht um das Leben der Männer bat das Weib von Benevent den Theobaldus, auch nicht darum, daß er die gefangenen Männer unverstümmelt lassen sollte; sie durften vielmehr Nase, Augen oder gar die Hände verlieren; denn diese Verluste würden bei weitem nicht so tief in das Liebesleben der Weiber, soll wohl heißen der ganzen Bevölkerung eingreifen. Es ist das ja eigentlich auch durchaus richtig, ohne daß man etwa nötig hätte, der Geschichte einen frivolen Nebengeschmack zu verleihen; denn die Verstümmelung, wie sie Theobald anbefohlen hatte, würde das Aussterben des ganzen Volksstammes zur Folge gehabt haben, da von einer Fortpflanzung keine Rede mehr hätte sein können. Daß der Verlust des Auges oder der Nase nicht tödlich zu verlaufen pflegt, ist bekannt, aber auch ohne weiteres erklärlich, da ja derartige Verletzungen, wenn nicht gerade Komplikationen hinzutreten, an sich nicht soweit eingreifen, daß die Wahrscheinlichkeit eines letalen Ausganges physiologisch erklärlich erscheinen könnte. Anders lag die Sache allerdings beim Abhauen der Hände. Da wurde die Pulsader durchschlagen, und es ist wohl allgemein bekannt, daß durch die Öffnung der Pulsader in ganz kurzer Zeit der Tod durch Verbluten eintritt.



Aber im alten deutschen Strafrecht war das Abschlagen einer Hand oder auch beider Hände durchaus gebräuchlich. Diese Strafe war jedoch keine Todesstrafe, sollte es wenigstens absolut nicht sein, und es gab verhältnismäßig viele Personen, die durch den Scharfrichter einer Hand beraubt waren und doch recht lange lebten. Wem fiele dabei nicht der Ritter Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand ein? Man muß es sehr gut verstanden haben, solche Wunden zu behandeln und den Blutverlust sofort zu stillen. Ähnlich würde vielleicht die Sache beim Abschneiden der Virilia gelegen haben, wenn man annehmen dürfte, daß die Sieger sich die große Mühe gemacht hätten, die Feinde erst zu verstümmeln und dann alle Kunst anzuwenden, um ihnen das Leben zu erhalten. Es ist indes geradezu ausgeschlossen, daß eine solche zarte Fürsorge etwa angewendet worden wäre. Man hätte dazu wohl nicht einmal die erforderliche Zeit bei solchen „Massen-Operationen“ gehabt; auf keinen Fall hatte man den erforderlichen guten Willen. Ich habe aber auch guten Grund zu der Annahme, daß man nicht einmal die Kenntnisse besaß, bei der in Rede stehenden Verletzung wirklich erfolgreiche Hilfe zu leisten. Wenigstens weiß ich, daß man es da, wo man es aus Geschäftsrücksichten gewiß gern getan hätte, nicht konnte, nämlich bei der Kastration. Als die Kastraten noch einen gesuchten Handelsartikel bildeten, da gab es verschiedene Qualitäten von Kastraten — ich glaube diesen Handelsausdruck hier wohl anwenden zu dürfen, da es sich wirklich um einen schwunghaften Schacher mit der Ware Mensch drehte. Kastraten, die diesen Namen in nur sehr bescheidenem Umfange verdienten, waren nicht allzu teuer, denn der Mensch stand nicht allzu hoch im Kurse, weil es niemals an dieser Ware nicht fehlte. Dagegen waren Kastraten, die absolut entmannt waren und eine Operation durchmachen mußten, die wohl der von Theobaldus angewendeten nicht sehr unähnlich war, sehr teuer. Nicht deshalb, weil diese Operation im eigentlichen Sinne eine hervorragende Kunstgewesen wäre, die mit Preisen vergütet worden wäre, Wie sie besonders heute oft für die Kunst eines berühmten Operateurs aufgewendet werden müssen, sondern deshalb, weil die meisten Opfer an dieser Operation zu Grunde gingen. Nur wenige von dem an sich nicht teueren Menschenmaterial überlebten die Misshandlung. Die meisten starben sehr bald an den Folgen der Verstümmelung, und natürlich mußte der richtig kalkulierende Händler die Preise nach der Menge des verwendeten Materials berechnen, wenn er auf die Kosten kommen und dabei noch, was ja selbstverständlich das einzige Motiv des Handels war, ein gutes Geschäft machen wollte. Es beweist diese Tatsache, daß es allerdings wohl manchmal möglich war, die Verstümmelten am Leben zu erhalten, daß dies aber nur sehr selten gelang, wenn auch, schon aus Geschäftsrücksichten, die größte Sorgfalt angewendet wurde. Man besaß damals eine sichere und zuverlässige Methode für eine derartige Verstümmelung überhaupt offenbar nicht.

Sollte man nun etwa annehmen, daß die wütenden Feinde, die die Vernichtung ihrer Gegner als das erstrebenswerteste Ziel betrachteten, mehr Geschicklichkeit aufgewendet hätten als der Händler, der alles aufbot, um sich vor Verlusten zu schützen? Selbst wenn man annehmen wollte, daß der Händler das Leben seiner Ware ebenfalls nicht allzu hoch veranschlagt habe, weil er sich durch die hohen Preise immer noch reichlich decken konnte, was immerhin, soweit es sich um den Grad der Humanität handelte, wohl zutreffen mochte, so ist doch nicht zu übersehen, daß gerade in Rücksicht auf die hohen Preise der Händler erst recht ein Interesse daran haben mußte, möglichst viele Personen am Leben zu erhalten, denn jeder Überlebende bedeutete für ihn ein kleines Vermögen. Für den Kriegsmann aber bedeutete jedes erhaltene Leben des Feindes eine Gefahr. Man wird deshalb sehr wohl ermessen können, daß recht wenig Wahrscheinlichkeit für die Harmlosigkeit der Verstümmelung, die man fast aus den alten Berichten folgern müsste, vorhanden war.

Theobaldus muß nun allerdings ein recht milder und humaner Führer gewesen sein, wenn er sich durch die Rede des Weibes von Benevent so ohne weiteres bewegen ließ, die Scheußlichkeit sofort einzustellen. Ein gutes Wort findet zwar sehr oft eine gute Statt; aber im Kriege war sonst mit guten Worten nicht viel zu erreichen, und die Bestie, die erst einmal Blut geleckt hat, ist das gefährlichste Raubtier; das gilt auch von der Bestie im Menschen. Freilich ein Moment könnte die seltsame Wendung schon eher erklären: Theobaldus erheiterte sich über die Rede sehr, und in dieser Stimmung konnte er vielleicht eher einmal Gnade für „Recht“ ergehen lassen. Gnade für Recht!

Das Recht des Kriegers war es allerdings, die gefangenen Feinde zu vernichten oder sie so zu verstümmeln, wie es dem Sieger beliebte. Übte er dieses Recht nicht, so übte er eben Gnade. Daß dies gewiß nicht oft geschah, dafür bürgt die Wildheit und Grausamkeit damaliger Zeiten. Ja, es war nicht einmal immer in die Macht des Feldherrn gegeben, solche Gnade walten zu lassen, denn die entfesselten Scharen stürzten sich wie die Wilden auf Leib und Leben, Hab und Gut der Besiegten. Daß man dabei nicht nur die Weiber nicht erfolgreich für ihre Männer um Schonung bitten ließ, sondern ihnen auch diese Schonung selbst nicht widerfahren ließ, das war einfach Kriegsrecht.

Herlicius erzählt furchtbare Szenen, die sich bei der Eroberung Konstantinopels durch die Türken, abgespielt haben. Die Türken machten nieder, was ihnen vor die Klinge kam. Die Weiber ließen sie zwar leben, nicht aber, um sie zu schonen, sondern um ihnen ein Los zu bereiten, gegen das die an den Männern verübten Gräueltaten noch wie ein Werk wahrer Nächstenliebe anmuten. Daß auch dabei von einen Furor sexualis gesprochen werden darf, wird wohl auch der nicht zu bestreiten wagen, der einem solchen Worte im allgemeinen skeptisch gegenübersteht. In der unmenschlichsten Weise wurde mit den Weibern Notzucht getrieben. Es ist kaum glaublich, daß Menschen sich so tief unter das Vieh herabwürdigen können, wie es dort geschah. Als diese Lust bis zum Übermaß getrieben war, wurden die Weiber geknebelt, völlig nackt ausgezogen und an die Bäume gebunden. Sie mußten dann als lebende Scheiben für die Bogenschützen dienen, die sich bemühten, ihre Opfer an Stellen zu treffen, die zu verhüllen meist der primitivste Kulturzustand gebietet. Als dieser Frevel so lange gewährt hatte, daß der Reiz der Neuheit nicht mehr wirkte, wurden die Körper der unglücklichen Opfer in Stücke zerhauen, so daß sie endlich von den entsetzlichen Martern durch den Tod, der oft trotz seiner Unerbittlichkeit viel milder und wohltätiger ist als die entarteten, vertierten Menschen, erlöst wurden. Die rasenden Horden schnitten die noch zuckenden Herzen aus den zerstückelten Körpern und trieben damit ihren Unfug; sie sollen die Herzen sogar wie die wilden Bestien gefressen haben. Die Kinder, die dem Treiben erst hatten zusehen müssen, wurden auf die Lanzen gespießt und im Triumph herumgetragen. Wer eine Schilderung dieses unmenschlichen Wütens liest, muß sich fragen, ob es denn wirklich möglich sein könne, daß Menschen so furchtbar entarteten; aber dennoch ist diese Schilderung leider nur ein einzelnes Beispiel zahlreicher gleicher Fälle.

Was ist an den Christen in den Zeiten der Christenverfolgung gefrevelt worden! Wie hat man sich gegen die Christinnen vergangen! Es ist auch da der Furor sexualis als eine ewige Krankheit in die Erscheinung getreten, denn die Martern der abscheulichsten Art lassen immer eine Beziehung auf das Sexualleben erkennen. Ich weiß nicht, ob es für alle Fälle berechtigt ist, unmenschliche Grausamkeit mit dem Sexualleben in Verbindung zu bringen; daß aber da, wo der Zusammenhang vorhanden ist, die Grausamkeit stets viel abscheulicher und brutaler auftritt, das ist unverkennbar.



Das darf natürlich nicht auf das orientalische Liebesleben beschränkt werden, sondern es gilt allgemein, und leider ist es auch geschichtlich festgestellt, daß im Abendlande, wenn die Kriegsleidenschaft entfacht war, ebensolche Entsetzenstaten verübt worden sind wie im Orient. Man braucht nicht einmal bis ins Altertum zurückzugehen, um das Furchtbare, die menschliche Bestie, nachzuweisen. Was ist gegen die Wiedertäufer, gegen die Katharer, gegen die Hugenotten, ja selbst in der französischen Revolution an Schandtaten verübt worden. Und ist denn unsere heutige Zeit schon ganz frei von Unmenschlichkeiten? Kann man denn heute den Furor sexualis nicht mehr entdecken, wenn man sich die Mühe gibt, den Erscheinungen auf den Grund zu gehen und psychologisch zu analysieren? Doch lassen wir das Abendland und die neuere Zeit aus dem Spiele.

Von Alexander dem Großen wird erzählt, daß er bei einem Siegeszug gegen die Seythen und Thrazier eine eigene Art von Denkmälern habe errichten lassen. Nicht überall erregte das Erscheinen seines gewaltigen Heeres die gleiche Wirkung. An manchen Orten unterwarf man sich ihm willig, da man ohne weiteres einen Widerstand gegen die gewaltige Macht des sieggewohnten Feldherrn für völlig aussichtslos hielt. An anderen Orten dagegen hatten die Bewohner beschlossen, bis zum Tode sich zu wehren, so daß auch Alexander sich der Anerkennung solcher tollkühnen Tapferkeit nicht entziehen konnte, obwohl es sonst eigentlich nicht gerade üblich war, die Tapferkeit des Feindes zu ehren, sondern vielmehr, sie als ein Verbrechen zu strafen. Alexander ließ nun überall, wo er im heißen Kampfe oder durch freiwillige Unterwerfung der Feinde Sieger blieb, steinerne Denkmäler errichten, aus denen sofort zu ersehen war, ob ihm der Sieg leicht oder schwer geworden war. Hatte man ihm Widerstand geleistet, so wurde auf steinerner Säule das steinerne Bild des Phallus errichtet; da aber, wo feige Unterwerfung erfolgt war, da trug die steinerne Säule die Abbildung der weiblichen Reize. Es war damit gesagt, daß einmal männliche Tapferkeit, das andere Mal weibische Feigheit die Bewohner charakterisiert habe. Das war an sich eine Ehrung der Kühnheit und ein Hohn auf die Feigheit; aber doch läßt sich auch hieraus unschwer der Furor sexualis erkennen. Der Gedanke, durch solche Denkmäler die Gegend zu zeichnen, konnte ohne diesen psychischen Hintergrund gar nicht entstehen. Es ist aber doch das ganze Leben des großen Alexander eigentlich nicht so beschaffen, daß man gerade bei ihm eine derartige Gedankenassoziation als natürlich ansehen müsste. Es soll damit nicht etwa gesagt sein, daß Alexander absolut frei von Ausschweifungen gewesen wäre, wie sie bei den Großen seiner Zeit selbstverständlich waren, oder daß ihn die Geschichte über Gebühr rühme. Er war nicht allein der größte Feldherr seiner Zeit, sondern er besaß auch rein menschlich gedacht eine Größe, durch die er weit, unendlich weit über seine Zeitgenossen hinausragte. Man könnte vielleicht sagen wollen, daß dazu nicht sonderlich viel gehört habe, da doch die Zeitgenossen Alexanders des Großen auf einen sehr niedrigen Niveau gestanden hätten. Ich erwähne dies ausdrücklich, weil ich tatsächlich einen solchen Einwand einmal gelesen habe; er betraf allerdings nicht Alexander. Das macht aber den Unsinn nicht zur Weisheit. Unsinn ist nämlich ein solcher Einwand stets, denn es ist doch wohl auf alle Fälle ein Verdienst, über seine Zeitgenossen hinauszuragen. Befinden diese sich auf einen tiefen Niveau, dann ist der, der sie überragt, natürlich eine ebenso rühmenswerte Ausnahme wie der, der auf höchstem Allgemeinniveau seine Zeitgenossen überragt, denn diese können immer allein den Maßstab für die Größe oder für den Minderwert des Einzelnen abgeben. Der Bildungsgrad und die Moral eines Volkes während einer bestimmten Zeitepoche ist das Entscheidende. Es wäre kindisch, wollte sich heutigen Tages ein Mensch für ein besonderes Licht halten, weil er die Kunst des Lesens und Schreibens beherrscht, die vor verschiedenen Jahrhunderten — man braucht nicht einmal so sehr tief in unsere Vergangenheit zurückzublicken, noch den besten Gesellschaftskreisen Hecuba war.

Nun ist die Sache aber mit Alexander noch nicht einmal von diesem falschen Standpunkt aus berechtigt, denn der große Mazedonier, der 336 v. Chr. den Thron bestieg, war keineswegs bloß im Vergleich zu tiefstehenden Männern groß, sondern er überragte auch die Größten seiner Zeit und würde wohl auch einen Vergleich mit den Großen späterer Zeiten nicht zu fürchten gehabt haben, wenn es nicht eine vergebliche und in der Regel sehr missliche Sache wäre, solche Vergleiche anzustellen. An sich leidenschaftlich veranlagt, aufgewachsen in einem Milieu sittenloser Genusssucht und sinnlicher Ausschweifung, hielt er sich doch rein von den schwersten sinnlichen Ausschweifungen jener Zeit. Wie weit er diese Selbstbeherrschung seinen trefflichen Lehrer Aristoteles zu danken hatte, wie weit sie etwa darauf zurückzuführen war, daß die Seele des jungen Alexander von heißer Begierde nach Ruhm verzehrt war, so daß die sonst üblichen Zerstreuungen ihn weniger fesselten, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls war Alexander sehr zu seinem Vorteil von seinen Zeitgenossen unterschieden, das zeigt auch der Umstand, daß er im Feinde den Mannesmut zu ehren wußte, das zeigt ferner sein Edelmut, den er so oft dem besiegten Feinde angedeihen ließ. Trotzdem war Alexander wie der große Caesar auch dem weiblichen Geschlecht gegenüber der Held, der kam, sah und siegte. Und daß selbst Alexander so wunderbare Denkmäler auf seinen Siegeszügen errichtete, das läßt doppelt und dreifach erkennen, wie der Geist jener Zeiten von erotischen Gedanken beherrscht war.

Die Weiber hatten stets bei den Kriegszügen des alten Orients zu leiden. Sie waren im Falle des Sieges eine willenlose Beute des Siegers, der so viele von ihnen mit fortschleppte, wie er nur irgend erbeuten konnte. Und es war ein Glück, wenn sie bloß den feindlichen Harem vermehren durften, denn nicht selten wurden sie, wie ja schon in dem obigen Beispiel gezeigt ist, in der fürchterlichsten Weise missbraucht und dann dahingeschlachtet. Es kam auch vor, daß die Weiber völlig nackt den Göttern geopfert wurden, jedenfalls auch nachdem sie vorher den geilen Lüsten der Männer hatten dienen müssen.



Man mag die Sache ansehen, wie man will, stets wird es sich nachweisen lassen, daß mit vollstem Rechte von einem Furor sexualis der Kriegsvölker gesprochen werden darf. Daß dieser Ausdruck auch im Frieden seine Berechtigung hat, daß das meiste von dem, was wir modernen Menschen als Perversität bezeichnen, auch nichts anderes ist als. Furor sexualis, versteht sich von selbst. Wenn wir aber uns daran gewöhnt haben, in der Perversität etwas Krankhaftes zu sehen, so war man von dieser Anschauung im Altertum völlig frei; man glaubte in dem, was ich Furor sexualis nenne, viel eher den Ausbruch überfließender Lebenskraft und Gesundheit zu erblicken, und das scheint mir, wenigstens bei der Mehrzahl der Fälle, auch weit berechtigter zu sein.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Liebesleben im Orient