Eheformen

Eheformen.

Wenn man die Frage prüfen will, welcher Natur die Ehe im Orient sei, so kommt es ganz wesentlich darauf an, zunächst festzustellen, welche Zeitperiode und welches Land dabei in Frage kommen soll. Es gibt wohl nichts auf Erden, das so vielgestaltig und so in sich grundverschieden ist, wie gerade die Ehe, von der nicht einmal feststeht, ob man in den ältesten Zeiten überhaupt ein solches Vertragsverhältnis gekannt hat. Ich habe das schon in früheren Kapiteln zur Sprache gebracht und möchte deshalb hier nicht nochmals auf den alten, aber bisher noch nicht entschiedenen Streit eingehen, ob Einzelehen oder Gruppen- oder Gemeinschaftsehen das Ursprünglichste und Natürlichste gewesen seien, sondern ich will gleich zu Zeiten überspringen, in denen es mindestens ein der Ehe ähnliches Verhältnis gab. Wir können nicht der Scheidung in die zwei Hauptformen — Polygamie und Monogamie — folgen, denn von jeder dieser Art gibt es wieder Nebenformen, die kaum erkennen lassen, zu welcher Art von Ehe man im Einzelfalle das Verhältnis zählen soll. Das mag bei der Monogamie ganz besonders unwahrscheinlich klingen; dann eine Monogamie, bei der es dem Manne ausdrücklich erlaubt ist, sich noch Beischläferinnen neben der einen und einzigen Frau zu halten, ist eine Eheform, die zwar Monogamie genannt wird, bei der ich mich aber sehr stark versucht fühle, sie eher als Polygamie zu bezeichnen. Tut man das nicht, dann hört beinahe jede tatsächliche Feststellung auf, und man krampft sich an Formen und Namen an, die doch wahrlich nichts sind als Rauch und Schall. Eine Monogamie kann und darf nichts weiter sein, als die Ehe zwischen einem Manne und einem Weibe. Sobald noch andere Weiber oder Männer gestattet sind, gleichviel welchen Namen man ihnen geben will, darf von einer rechtlichen Monogamie nicht die Rede sein. Man wird dies vielleicht nicht völlig zutreffend finden, wenn man annimmt, daß die Ehe nur durch die strikte gesetzliche Form, durch die sie geschlossen wurde, zur Ehe werden könne. Das ist aber grundfalsch, denn eine strikte gesetzliche Form für die Ehescheidung hat es in Wirklichkeit sehr oft überhaupt nicht gegeben. Das entscheidende Moment war das Beilager, denn nur durch dieses wurde die Ehe vollzogen, wenn alle Vorverhandlungen abgeschlossen waren. Das Beilager aber wurde mit den Nebenfrauen, oder wie man sie sonst nennen will, genau so wie mit der „wirklichen“ Frau gehalten. Es ist also zwischen allen kein anderer Unterschied, als die Bezeichnung des Familienbandes. Bei der Polygamie liegt die Sache freilich ganz anders. Da ergeben sich die Verschiedenheiten aus der Natur der Sache. Es kann da die verschiedensten Formen geben: 1. Die Polygamie, d. h. eine Ehe zwischen einem Manne und mehreren Frauen; es ist dies die verbreitetste Art der Polygamie. 2. Die Polyandrie, eine Ehe zwischen mehreren Männern und einer Frau, und 3. die Gruppen- und Gemeinschaftsehen, die auch wieder verschiedenartig ausfallen können, hier aber fast gar nicht mehr in Betracht kommen.




Die Buddhisten ließen eine zweifelhafte Monogamie gelten, d. h. sie kannten nur die Einzelehe zwischen einem Manne und einer Frau, erlaubten aber dem Manne fast überall noch eine beliebige Anzahl von Konkubinen, die zwar nicht Frauen hießen, in Wirklichkeit aber doch Frauen waren. Ich hätte sie fast im vorigen Kapitel mit besprechen können, weil diese Verhältnisse wohl an und für sich als freie Liebe hätten bezeichnet werden dürfen, wenn sie nicht gerade in so seltsamer Weise mit der Ehe verquickt gewesen wären. Die Polyandrie ist, wie gesagt, die seltenere Form der Polygamie; sie kommt aber vor in Indien in Tibet, bei vielen afrikanischen Stämmen und im hohen Norden Asiens. Im Gebiet des westlichen Himalaya, im sogenannten Kululande, war es Sitte, daß Brüder meist nur eine Frau gemeinschaftlich hatten, während in den anderen Ländern, in denen diese merkwürdige Eheform besteht, die Frau ihre Männer nach freiem Ermessen wählt; sie hatte dabei nicht notwendig, gerade Brüder zu ihren Männern zu machen, sondern wählte die, die ihr gefielen. Für diese Sitte läßt sich eigentlich kaum ein vernünftiger Grund finden, da die Fortpflanzung dadurch, daß eine Frau mehrere Männer hat, in keiner Weise gefördert wird. Es ist auch sicherlich die am wenigsten ästhetische Form der Mehrheitsehe. Begründet wurde diese Art Ehe durch die soziale Lage der Männer, die es ihnen nicht gestattete, eine Frau für sich allein zu halten. Meist sind die Frauen Eigentümerinnen des Hauswesens, in das sie ihre Männer aufnehmen. Wenn man übrigens, wie dies von den Forschern mit Vorliebe getan wird, sich im Tierreich umsieht, um zu prüfen, welche Form der Ehe die natürlichste sei, so findet man auch für die Polyandrie Beispiele, z. B. erinnert die Bienenkönigin stark an diese Eheform. Das beweist also nichts, als daß die Beweise aus dem Tierreich für unsere Ehen versagen.

Bevor ich mich nun auf die einzelnen Formen der Ehe näher einlasse, möchte ich vorausschicken, daß die Zeremonien der Eheschließung ebenfalls in starke Rätsel gehüllt sind. Wir finden im Altertum sehr weit verbreitet die Sitte oder auch Unsitte des Frauenraubes. Es wurde, da für die Frau in der Regel ein vereinbarter Kaufpreis entrichtet werden mußte, dieser gezahlt, alles bis aufs Kleinste vereinbart; aber der Bräutigam erhielt nicht — die Frau, sondern die alte Sitte schrieb vor, daß er sie mit Gewalt entführen mußte. Ich habe das bereits als noch herrschende Sitte arabischer Stämme beschrieben. Im Altertum war diese Form der „Hochzeit“ aber ganz allgemein bräuchlich. Man hat sich nun schon weidlich über die Herkunft dieses eigenartigen Brauches die Köpfe zerbrochen und Erklärungen dafür gegeben, die zum Teil noch seltsamer sind als der Brauch selbst. An sich ist es gar nicht so ungeheuerlich, daß der Übergang der Braut aus der Gewalt des Vaters in die des Mannes in solcher Weise zum Ausdruck gebracht wurde. Man nimmt aber an, daß dieser Frauenraub den Übergang von der Gemeinschaftsehe in die Einzelehe andeuten solle. Gewiß, das läßt sich wohl begründen, denn wo die Gemeinschaftsehe einmal bestand, da mußte der, der eine Frau für sich allein haben wollte, sie den anderen Stammesgenossen entziehen. Das wäre schon so eine Art Frauenraub gewesen. Aber verfolgt man die Sache genauer, dann erscheint diese Erklärung doch außerordentlich gesucht und gezwungen. Abgesehen davon, daß doch durch einige Ausnahmen nicht eine derartige Umwandlung eines bestehenden Gebrauches herbeigeführt zu werden brauchte, würde es doch außerordentlich seltsam erscheinen, wenn der Übergang von der Gemeinschaftsehe zur Einzelehe, der immer nur dadurch erklärt werden kann, daß ein Volk sich von einer sehr niedrigen Kulturstufe zu einer höheren erhebt, trotzdem immer noch durch die Sitte des Frauenraubes in das Gedächtnis Aller zurückgerufen worden sein sollte.

Da scheint mir, wenn es denn nun einmal überhaupt einer Erklärung bedarf, die viel plausibler, nach der es Sitte war, daß zur Auffrischung des Blutes die Braut stets einem fremden Stamme entnommen sein mußte, daß aber natürlich ein Volksstamm sich nicht ohne weiteres seiner Weiber resp. Mädchen berauben lassen wollte, und daß deshalb der Heiratslustige immer auf Frauenraub ausgehen mußte, wenn er eine Gattin haben wollte. So habe sich die Sitte des Frauenraubes ein für allemal ausgebildet und man habe sie auch beibehalten, wo sie eigentlich deplaziert war, weil bereits die ganzen Verhandlungen wegen der Heirat längst abgeschlossen und selbst der Kaufpreis bezahlt war. Wie gesagt, mir erscheint dies viel plausibler als die vorhin erwähnte Erklärung, weil diese letztere Annahme in der Tat Hand und Fuß hätte. Nun sind aber die „Erfinder“ dieser Erklärung weit über das Ziel hinausgeflogen; sie meinen, daß der Raub der Sabinerinnen, ja selbst die Geschichte Trojas auch nichts seien, als eine Bestätigung der alten Sitte des Frauenraubes. Ich muß gestehen, daß ich die Kühnheit einer solchen Annahme bewundere, daß ich sie freilich auch tief bedauere, weil derartige geistige Extravaganzen die wissenschaftliche Forschung auf das Niveau des Waschweiberklatsches herabwürdigen. Wäre der Raub der Hellena wirklich nichts weiter als ein allgemeiner Brauch gewesen, dann würde er wohl schwerlich zu einem so schweren Kriege geführt haben. Der Raub der Sabinerinnen ist aber ganz zweifellos etwas anderes gewesen. Er ist auch in anderer Weise durch eine besondere List in Szene gesetzt worden und war diktiert durch die Notwendigkeit, den Erbauern Roms Weiber zu schaffen und so eine momentane Niederlassung von Männern durch die Möglichkeit, Nachkommen zu schaffen, zu einem festen Staatswesen zu machen, womit übrigens wieder einmal der Beweis geliefert ist, daß die Existenz des Staatswesens nur in der Familie wurzeln kann. Man soll vor allen Dingen aber in der Wissenschaft nicht mehr beweisen wollen, als beweisbar ist, und insbesondere soll man die Phantasie nicht Orgien feiern lassen. Jedenfalls war der Frauenraub sehr weit verbreitet. Daß er bei Völkern bestand, die nicht durch irgendwelchen Verkehr diese Sitte eines vom andern abgesehen haben konnten, macht zwar den Brauch besonders interessant, weil in solchen Fällen stets die Vermutung vorliegt, daß er völlig instinktiv geschaffen worden sei, daß ihm also doch etwas zu Grunde liegen müsse, was ihn geradezu mit zwingender Notwendigkeit erzeugt habe. Das lockt zu Forschungen, und da sich für diese kaum eine sichere Grundlage gewinnen läßt, zu Vermutungen. An und für sich ist es wohl instinktives Empfinden, daß die Ehe ein Schritt sei, der nicht gut so sang- und klanglos vollzogen werden könne, wie die Dinge des Alltagslebens. Die Ehe soll stets vor allen Dingen von Stammesgenossen respektiert werden. Sie ist in der Regel die Basis der eigenen Sesshaftmachung, und da liegt es schon beinahe im Gefühl, daß dieses Ereignis mit einem großen Zeremoniell verknüpft sein soll. Es ist also kein Zweifel, daß gerade die Besitznahme der Braut den Kernpunkt dieses Zeremoniells bilden mußte, der Übertritt der Braut aus der Gewalt und dem Hauswesen des Vaters in Gewalt und Heim des Mannes. Das war das wesentliche Moment, das die Stammesgenossen interessierte und interessieren mußte, weil es ihnen selbstverständlich nicht gleichgiltig sein konnte, ob ein Mädchen im Hause seines Vaters verblieb, oder ob es plötzlich mit einem fremden Manne zusammen hauste. Mindestens mußte das Recht dieses Beisammenwohnens stets da nachgewiesen werden, wo der sexuelle Verkehr ohne Ehe, die einfache Unzucht als Schande und als Straftat galten. Nun liebt es bekanntlich der Mensch schon von seiner Kindheit an, kleine oder größere Komödien zu spielen; aus solchen besteht, streng genommen, unser ganzes gesellschaftliches Leben, das Kleid macht den Mann, natürlich auch die Frau, sagt seit alters das Sprichwort, und es kommt auch in der Tat viel weniger auf den inneren Kern des Menschen an, als auf die äußeren Formen seines Auftretens, seine Allüren, und fast möchte man sagen seine Dressur. Da ist es denn sehr erklärlich und begreiflich, daß bei den Orientalen, die ja schon in ihrer Sprache den größten Bilderreichtum lieben, gerade die Übernahme der Braut mit einer bilderreichen Komödie verbunden war, die allerdings auch gelegentlich zur Tragödie wurde, wenn die Spieler ihre Rollen gar zu realistisch auffassten, oder wenn vielleicht Neid, Eifersucht und Hass gegen den Bräutigam vorlagen, die zu befriedigen die Entführungskomödie den besten Anlaß bot. Vielleicht hat besonders die Möglichkeit, einem missgünstigen und unbeliebten Bewerber eins auszuwischen, viel dazu beigetragen, einen Brauch zu schaffen oder zu erhalten, der geradezu ein Privilegium schuf, Rache zu nehmen oder die rasende Eifersucht zu befriedigen. Ich kann es nur wiederholen, was ich früher schon gesagt habe; es gibt Menschen, deren Liebesleidenschaft nicht so rasend den Besitz der Geliebten begehrt, wie sie bemüht ist, die Geliebte wenigstens keinem Andern zu überlassen. Wie schön und angenehm muß es für einen solchen Menschen gewesen sein, den Nebenbuhler beseitigen und ihm noch in zwölfter Stunde die Braut abjagen zu können. Der Brauch erscheint, wenn man diesen Gedanken weiter spinnen will, geradezu wie eine Art Volksgericht, bei dem die ganzen Stammesgenossen ihr Verdikt abgaben, ob der von dem Vater eines Mädchens akzeptierte Bräutigam auch von den übrigen Männern für würdig und geeignet gehalten wurde, die Braut heimzuführen. Hielt man ihn nicht dafür, nun so lauerte der Tod aus jedem Versteck auf ihn, wenn er die Braut in sein Heim holen, sie entführen wollte. Das alles scheint mir für den Frauenraub, der in Wirklichkeit nicht einmal einer war, die beste Erklärung zu bieten, ganz besonders, wenn man dazu noch die weiteren Annahmen treten läßt, daß der Frauenraub auch zugleich eine Art Meisterstück sein sollte, durch das der Bräutigam den Beweis lieferte, er sei gewandt, kühn und erfahren genug, sich die Frau durch tausend Gefahren zu erwerben und sie als sein teuerstes Eigentum selbst mit Preisgabe seines Lebens zu schützen. Wer in der Volksseele zu lesen weiß und sich in das Denken und Empfinden fremder Volksstämme hineinzuversetzen vermag, der wird diese Erklärungen jedenfalls für ausreichend und auch für viel natürlicher halten als die wulstigen Hinweise auf ältere, nicht einmal mit Sicherheit nachweisbare Eheinstitutionen usw. usw. Man wird durch derartige Meditationen in der Regel nur in die unangenehme Lage versetzt, schließlich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen zu können, und das ist stets, besonders für die objektive Forschung, der schlimmste Fehler.



Ich wende mich nun der im Orient am meisten vorkommenden Polygamie zu, der Vielweiberei, die auch schon bei den alten Juden gebräuchlich war und von Mohammed weiter ausgebildet, oder, wenn man will, auch nur organisiert wurde. Die jüdische Vielweiberei florierte eigentlich nur bis zur Babylonischen Gefangenschaft, kam dann im Volke selbst immer weniger vor und hörte schließlich fast völlig auf. Die Ehe war aber keineswegs ein unzerreißbares Band, das fürs ganze Leben eine Fessel gewesen wäre, sondern dem Manne war die weitestgehende Möglichkeit gegeben, eine ihm nicht mehr zusagende Ehe jederzeit zu lösen. Er hatte nichts weiter nötig, als daß er der Frau den Scheidebrief schrieb und sie dadurch von sich stieß. Das war ihm nur in Ausnahmefällen verboten, z. B. in dem schon früher erwähnten Falle, daß er seine junge Frau beschuldigte, er habe sie nicht als Jungfrau befunden. War diese Behauptung unwahr, so wurde der Mann, wie wir gesehen haben, bestraft und mußte die Frau wieder bei sich aufnehmen und durfte sie für das ganze Leben nicht von sich tun, d. h. er konnte ihr keinen Scheidebrief schreiben. Durch die Möglichkeit, die Ehe ohne besondere Gründe zu jeder Zeit zu lösen, würde selbst eine absolute Monogamie leicht in eine Art Polygamie haben umgewandelt werden können. Der Mann, der Lust hatte, eine ganze Anzahl von Frauen zu heiraten, hätte dann einfach jeder nach einer bestimmten Zeit den Scheidebrief gegeben und die nächste geheiratet. Er würde allerdings dieses Vergnügen nur nach und nach haben genießen können, während bei der wirklichen Vielweiberei der Mann alle seine Frauen zugleich behalten kann. Die Scheidung aus Laune des Mannes ist auch wohl das schlimmste Kapitel des mosaischen Eherechts gewesen. Der Scheidebrief ist deshalb laut Bibel auch von Christus ausdrücklich verworfen und geradezu dem Ehebruch gleich geachtet worden, sofern nämlich die Scheidung nicht wegen Untreue der Frau erfolgte. In diesem Falle wäre sie berechtigt gewesen. Den Juden waren nicht allein mehrere Frauen gestattet, sondern es war ihnen auch erlaubt, außer den Frauen auch deren Mägde für den sexuellen Verkehr zu benutzen. Wir haben bereits gesehen, daß die Frauen dem Manne selbst ihre Mägde zur Verfügung stellten, damit diese an ihrer Stelle Kinder liefern sollten. Es war für die Frau die größte Schande, dem Manne keine Kinder zu bescheren. Umgekehrt war es natürlich eine Ehre, möglichst viele Kinder zur Welt zu bringen. So mußten die Mägde der Ehre der Gebieterin nachhelfen, ohne durch diese ihnen vorgeschriebene Rolle für sich selbst Ehre oder Schande zu erwerben.

Aus dieser Ansicht heraus hat sich eine der sonderbarsten Ehebestimmungen entwickelt, die sog. Leviratsehe. Starb ein Ehemann, ohne ein Kind zu hinterlassen, so war sein Bruder verpflichtet, die Witwe zu sich zu nehmen, daß er ihr Nachkommen erwecke und ihr einen Namen mache in Israel. Es kam da nicht auf die gegenseitige Neigung an, auch die Frau fragte nicht etwa danach, ob ihr der Schwager gefiel; sie verlangte lediglich von ihm solange die Begattung, bis sie ihre Ehre gerettet, d. h. einem Kinde das Leben gegeben hatte. Dies war der Zweck der Leviratsehe. Es scheint nun allerdings, daß nicht nur der Schwager, sondern auch der Schwiegervater der kinderlosen Witwe verpflichtet wurde, ihr Nachkommen zu erwecken. Das wäre wohl auch durchaus logisch gewesen, wenn es sich darum handelte, Schimpf und Schande von der Frau abzuwenden, wenigstens fehlt es nicht an Beispielen, in denen diese Verpflichtung erzwungen oder auch durch List herbeigeführt wurde. Andrerseits scheinen die Schwäger, obwohl die Israeliten gewiß sehr erregbar und durchaus keine Gelegenheitsverächter waren, von dieser Pflicht oft nicht sehr erbaut gewesen zu sein. Es gab sogar ein gesetzliches Mittel, die widerspenstigen Schwäger zu ihrer Pflicht anzuhalten. Wurde die Witwe verschmäht, so konnte sie den Schwager vor das Gericht zitieren und dort ihre Klage über seine böswillige Enthaltsamkeit vorbringen. Half das nichts, so konnte man der Natur der Sache nach den sich weigernden Mann zwar nicht zwingen, doch die Witwe zu „erkennen“; aber diese durfte, wenn ihre Klage erfolglos blieb, ungestraft den Schwager beschimpfen und ihn mit dem Pantoffel züchtigen. Er hieß dann für alle Zeiten Barfüßer, und jedenfalls verlor er gewaltig an Achtung. Wer den Schaden hat, der brauchte auch im alten Israel nicht für den Spott zu sorgen; es kam wohl immer darauf an, ob die Witwe schön oder besonders abstoßend war. Im ersteren Falle dürften sich die Herren Schwäger wohl ohnehin nur selten geweigert haben, eine Pflicht zu erfüllen, die doch eigentlich eine Wohltat darstellte, nach der sonst in wilder Begierde die Männer seufzen, und die zu stillen, sie oft genug selbst vor einem Verbrechen nicht zurückschrecken. Im zweiten Falle, d. h. wenn die Witwe alt, hässlich und unliebenswürdig war, da wird man es den Schwägern wohl trotz der Zurechtweisung an der Stätte des Gerichts nicht verargt haben, daß sie eine stolze und kühle Zurückhaltung an den Tag legten.

Ich finde die Anschauung, daß es eine schwere Schande für die Frau sei, keine Kinder zur Welt zu bringen, fast bei allen Völkern des Altertums. Bei den Persern, die vielleicht am frühesten die Monogamie einführten, war die Kinderlosigkeit der Frau der einzige Grund, der den Mann berechtigte, außer der einen Frau noch eine zweite zu nehmen. Es war dies aber nur mit der Einwilligung der ersten Frau gestattet. Das hat sicher einen andern Grund gehabt als lediglich die galante Rücksicht auf das zarte Geschlecht. Bleibt eine Ehe kinderlos, so ist noch lange nicht ohne weiteres festgestellt, daß dies auf einen Fehler der Frau zurückgeführt werden müsse. Es kann doch auch der Mann die Kinderlosigkeit verschulden, und wenn die Frau bei den Persern um ihre Einwilligung gefragt werden mußte, ehe der Mann eine zweite Frau nehmen durfte, so wird es sich wohl lediglich darum gehandelt haben, ob etwa den Mann selbst die Schuld an der Kinderlosigkeit traf. Ich finde aber das Recht des Mannes auf Kinder fast bei allen Ehen des Altertums, ebenso die Ansicht, daß es für die Frau eine Schande sei, dieses Recht des Mannes nicht erfüllen zu können; ich finde aber nur bei den Israeliten die Leviratsehe. Die übrigen Völker halfen sich anders.



Die Frau war in der Regel überhaupt nicht verplantet, zu warten bis der Mann gestorben war, sondern sie konnte bei vielen Völkern, falls ihr Mann ihr keine Kinder zu erwecken vermochte, schon bei Lebzeiten verlangen, daß die Schande von ihr genommen würde, d. h. sie durfte, ohne daß dies als ein Ehebruch angesehen worden wäre, mit Zustimmung des Mannes, die übrigens nicht verweigert werden konnte, also notwendig war, damit die Frau nicht als Ehebrecherin behandelt werden konnte, die Hilfe eines anderen Mannes in Anspruch nehmen. Besonders interessant nach dieser Richtung hin ist die alte Spartanische Ehe. Die Spartaner lebten ebenso wie die Griechen und Römer in Einzelehe, und nur bei dieser ist überhaupt an die Ehehelferschaft eines Dritten zu denken. Die Frau nahm keine hohe Stellung ein, sie hatte hauptsächlich den Zweck, Nachkommen zur Welt zu bringen. Waren die Spartaner im Kriege, so stand es den Frauen vollkommen frei, sich mit andern Männern nach Belieben abzugeben. Sie begingen damit keinen Ehebruch, obwohl nach unserer Auffassung in diesem Verhalten zweifellos ein Ehebruch gesehen werden müsste. Besonders stattliche und schöne junge Männer durften die Weiber der im Felde abwesenden Männer lieben und begatten, soviel sie wollten, ja es tat den Frauen absolut keinen Abbruch an ihrer Ehre, wenn sie Kinder zur Welt brachten, deren Vater ein anderer als ihr Gatte war. Da nun aber der Mann nicht gezwungen werden konnte, fremde Kinder zu ernähren und zu erziehen, half man sich dadurch, daß man diese Kinder auf Staatskosten erziehen ließ, weil sie doch dem Staate zu gute kamen, wenn sie stark und gesund waren, andernfalls wurden sie ohnehin ums Leben gebracht. Nach der am meisten verbreiteten Ansicht, ist diese Art der Ersatzehe übrigens keineswegs in Sparta eine allgemein gültige Regel gewesen, sondern es soll nur während des ersten Messenischen Krieges also fast 750 Jahre v. Chr. in dieser Weise für Nachkommen gesorgt worden sein. Der Krieg hielt allerdings die Spartaner ca. 20 Jahre von der Heimat fern, und während der Abwesenheit der Männer sollen die spartanischen Frauen geradezu feste Ehen mit den Achäern geschlossen haben, die sogar die Billigung der Könige fanden, nicht aber die Zubilligung der Spartaner selbst, als diese endlich in die Heimat zurückkehrten. Sie sollen vielmehr die Ehen der Achäer nicht anerkannt, sondern nur ihre eigenen Ehen für rechtsgültig erklärt haben. Es kam deshalb sogar zu erbitterten Kämpfen, die für die Spartaner ungünstig ausfielen. Die Bezeichnung Parthenier, was etwa soviel heißt wie uneheliches Kind oder Bastard, soll diese Kinder, die allerdings keine Kinder mehr waren, besonders empört haben, bis schließlich durch Verträge die Parthenier sich zur Auswanderung bereit erklärten.

Es mag sein, daß der schier endlose Krieg zum ersten Male dieses mehr als eigenartige spartanische Eheverhältnis gezeitigt hat. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß wirklich nur ein einmaliger Fall einer derartigen Doppelehe möglich gewesen wäre. Und wenn man schon annehmen wollte, daß in der Tat die spartanischen Frauen niemals wieder eine neue Ehe geschlossen hätten, während die mit ihren abwesenden Ehemännern noch bestand, so würde auch damit noch nicht bewiesen sein, daß die spartanischen Frauen sich nicht mit anderen Männern abgegeben hätten, oder daß dies ihnen nicht doch hätte erlaubt sein können. Schon die Tatsache, daß die Spartaner nach dem Messenischen Kriege nur die neuen Ehen ihrer Gattinnen für nichtig und die Nachkommen für Parthenier, also Bastarde statt für eheliche Kinder erklärten, und daß sie einfach wieder in ihre alten Rechte eintraten, zeigt klar und deutlich, wie wenig die Annahme, die Ehe sei ihnen als etwas Heiliges und Unverletzliches erschienen, gerechtfertigt ist. Galt aber die spartanische Ehe noch nicht einmal dadurch, daß die Frau während der Abwesenheit ihres Ehemannes sich zum zweiten Male mit einem anderen Manne in aller Form verheiratet hatte, daß diese zweite Ehe, während doch die erste nicht gelöst war, Jahre lang bestanden hatte und mit Nachkommen gesegnet war, für gebrochen und gelöst, nun, woraus in aller Welt will man sich zu dem Schlüsse berechtigt fühlen, daß eine bloße körperliche Hingabe der Frau an einen anderen Mann unter allen Umständen hätte drastischer aufgefasst werden müssen? Ich sage ausdrücklich unter allen Umständen, denn wenn auch im Laufe der alltäglichen Verhältnisse eine solche Hingabe ohne weiteres ein Ehebruch gewesen sein würde, so brauchte dies doch nicht unbedingt der Fall zu sein. Die lange Abwesenheit des Mannes war ja eben der Grund, aus dem ein Ausnahmerecht eingeräumt wurde. Nun war aber auch nicht einmal die Abwesenheit des Mannes Voraussetzung dafür, daß der sexuelle Verkehr der der Frau mit einem fremden Manne gestattet war. Es war vielmehr durchaus keine Seltenheit, daß Ehemänner ihre Frauen zum Zwecke der Kinderzeugung gegenseitig austauschten, oder daß ein Mann seine Frau einem Andern überließ, damit er sie begatten sollte. Das ist ein Rechtsstandpunkt, den wir übrigens auch in unsern alten deutschen Bauernrechten finden; auch da war der Mann im Falle einer Impotenz nicht bloß berechtigt, sondern auch verpflichtet, seine Frau den Nachbarn auszuleihen und, falls diese ihm resp. seiner Frau nicht gefällig sein konnten oder wollten, sie auf die nächste Kirmes zu schicken, damit sie sich dort einem anderen, beliebigen Manne hingeben konnte. Nur wenn alle diese Aushilfen nichts fruchteten, konnte der impotente Mann nicht veranlaßt werden, sich noch weiter dafür zu bemühen, daß seine Frau zur Empfängnis gelangte.

Voraussetzung war eben immer die Einwilligung des Ehemanns, mochte diese, wie beim Austausch der Frauen, ausdrücklich oder, wie im Falle der längeren Abwesenheit des Mannes stillschweigend erteilt worden oder als stillschweigend erteilt, vorausgesetzt werden können. Ich habe schon gesagt, daß es sich bei diesem Verhältnis nicht etwa bloß darum handelte, daß die Frau auf alle Fälle Gelegenheit finden sollte, ihre sexuellen Begierden zu stillen, sondern es war in erster Linie darauf abgesehen, dem Staate zu nützen, denn der Staat brauchte reichlichen und kräftigen Nachwuchs und würde in seinen vitalsten Interessen geschädigt worden sein, wenn auch in Fällen, in denen der Ehemann verhindert worden war, selbst für Nachkommen zu sorgen, die an sich durch das Vorhandensein kräftiger und gesunder Frauen mögliche Geburtsziffer willkürlich herabgesetzt hätte. Es ist das eine Fürsorge für den Staat, die man wohl als eine außerordentlich weitgehende bezeichnen darf. Jedenfalls wird man heutigen Tages für eine derartige patriotische Selbstverleugnung erfreulicherweise kein Verständnis mehr besitzen.

Ganz konform dieser Pflicht des Gatten, zum Wohle des Staates die Gefühle seines Herzens zu verleugnen, war eine weitere Fürsorge zur Erzielung möglichst zahlreicher Nachkommen. Es war in Sparta, zeitweilig auch im alten Rom, gesetzliche Pflicht, sich zu verheiraten. Wer diese Pflicht nicht erfüllte, machte sich strafbar, denn er schädigte den Staat; es war also mindestens so, als wollte bei uns jemand den Staat nicht unterstützen, dadurch, daß er eine zur Erhaltung des Staates erforderliche Pflicht nicht erfüllte, also etwa die Pflicht, Steuern zu bezahlen. Strafbar war auch, wer diese Heiratspflicht zu spät erfüllte. Auch bei uns ist ja wiederholt ein ähnlicher Gedanke durch den Vorschlag einer Junggesellensteuer angeregt worden.. Den Jungfrauen war es auf keinen Fall gestattet, sich der Heiratspflicht zu entziehen. Sie wurden in Sparta schon durch eine besonders ausgiebige Körperpflege für den Mutterberuf vorbereitet, und da sie unter väterlicher Gewalt standen, wären sie auch nicht in der Lage gewesen, eine Heirat, zu der sie bestimmt wurden, abzulehnen.



Nach Gellius und Schottelius hat man sich zu helfen gewußt, wenn Mädchen, wie dies wohl vorkam, gelegentlich eine unüberwindliche Ehescheu besaßen. Ich will in der Sprache alter Schriftsteller ein recht interessantes Beispiel hierfür folgen lassen: „Denen Milesischen Jungfern ist auf eine Zeit eine wunderbare Sterbenslust aus Begier der Hagestolzschafft ankommen. Weil sie gehöret, wie das Menschliche Leben, und sonderlich der Ehestand vielen Trübsalen unterworffen, und die Frauen denen Männern gehorsam, und ihre Freyheit also verlustig seyn müßten. Deshalber diese thörichte Jungfern in der gantzen Stadt sich zusammen verbunden, Hagestoltzinnen zu. werden, nicht zu heyrathen, Ihre Freyheit also zu behalten, und lieber zu sterben, als Hochzeit zu halten. Wie dann auch erfolget, daß diese Weibesbilder eine nach der anderen, wann sie haben heyrathen sollen, sich selbst erhenckt. Weil dann solch Hencker Handwerck und Selbstmord überhand genommen, und diese alberne wühlende Todessucht durch kein Mittel zu verhindern, noch die zarten Gemüther der Jungfrau abwendig davor zu machen, keine zu Gemüthführung genugsam gewesen; so hat die Obrigkeit sich endlich eines andern entschlossen, und die sich also erhengte Jungfrau nackend ausziehen, an ihr Würge-Strick mit einem Fuß sie anbinden, und also Mutter nackt mit Spott und Schande durch die Straßen öffentlich schleppen, und schändlich hernach jedermann zum offenbahren Abscheu hinwerffen lassen. Wie diese die übrigen nach Hagestolt gierige Mädgen gesehen, ist ihnen die Hangeiust vergangen, und haben sich zum Braut werden bequemet.“

Das war allerdings auch ein Mittel, drastisch genug, um einen starken Erfolg garantieren zu können. Es ist allerdings ein oft gehörter Ausspruch, daß es doch wahrlich völlig gleichgiltig sein, was einem Menschen nach dem Tode geschehe, denn der Tod lösche alle Bande des Lebens, und was man nach dem Tode „erleide“, das tue weder wehe, noch könne es auf die Entschließungen eines Lebenden von Einfluß sein. Wer aber so spricht, der redet ohne Überlegung und Verständnis. Wenn man sich die Sache genauer überlegt, dann wird man wohl zu der Ansicht gelangen müssen, daß eine so unerhörte Schändung, wie sie den ehescheuen Jungfrauen nach ihrem Tode widerfuhr, weit schändlicher und abschreckender wirkt als eine Strafe, die der lebenden Person zugefügt worden wäre. Daß die jungen Damen den Tod der Ehe vorzogen, weil sie die Ehe für eine unwürdige Sklaverei hielten, das klingt schon fast hypermodern, war allerdings damals weit berechtigter, als es heute dieselbe Klage ist. Nun muß es den Milesischen Jungfrauen allerdings auch viel bitterer Ernst mit ihrer Ehescheu gewesen sein, als den Anhängerinnen der modernen Frauenbewegung, denn sie gingen ja wirklich mit solcher Konsequenz in den Tod, daß es der Obrigkeit wohl angst und bange werden konnte, da sie schließlich aus Mangel an Nachkommenschaft das stolze Staatsgebäude elend in Trümmer sinken sehen mußte. Den Tod haben die Jungfrauen nicht gescheut, daß sie scheuten, was ihnen nach dem Tode zugefügt wurde, das gereicht ihnen zur Ehre, denn Ehre hätten sie keine besitzen können, wenn es ihnen gleichgiltig gewesen wäre, ob ihre Leichname nackt zur Schau gestellt und geschändet wurden. So hat sich dann schließlich die Milesische Frauenbewegung in ein Nichts aufgelöst, die Ehescheu verschwand, und die Natur trat wieder in ihre Rechte. Daß der Staat, der den Ehezwang vorschrieb und vorschreiben mußte, weil er zu seiner Erhaltung notwendig war, sich auch durch die Selbstmorde kein Schnippchen schlagen ließ, beweist, wie bitter ernst die brave Obrigkeit für das Wohl des Staates besorgt war. Das läßt denn schon eher die Eigenart des spartanischen Eherechts verstehen. Jedenfalls gehört die spartanische Ehe wohl zu den interessantesten des orientalischen Altertums. Ich habe eben gesagt, die Milesischen Jungfrauen hatten viel eher ein Recht, die Ehe eine unwürdige Sklaverei zu nennen als unsere heutige Frauenwelt, wohl verstanden, unsere Frauenwelt, die sich in derartigen Raisonnements gefällt. Daß es sehr wohl auch bei uns Ehen gibt, leider sehr, sehr viele, die ein wahres Martyrium der Frau darstellen, das will ich gewiß nicht bestreiten. Wo der Mann ein Trunkenbold ist, der sein Vergnügen außerhalb des Hauses sucht, Frau und Kinder hungern läßt, und oft noch die sauer verdienten Groschen der rastlos arbeitenden Frau durch die Gurgel jagt oder gar sie auf dem Altar der verbotenen, ehebrecherischen Liebe opfert, während er die Familie brutal mißhandelt, da von einer unwürdigen Sklaverei zu sprechen, das ist noch ein zu milder Ausdruck. Aber das Bedenkliche ist, daß Frauen, die sich in einem solchen Lose durchs qualvolle Leben ringen, in der modernen Frauenbewegung keine Rede halten, den Zeitungen keine Artikel zusenden, sondern ihr Schicksal still und verborgen tragen mit einem Heroismus, der das Heldentum gefeierter Helden weit übertrifft.

Nicht so in orientalischen Ehen. Ich will nicht auf alle Ehen aller Völker eingehen, sondern möchte nur die Hinduehe, wie sie jetzt noch besteht, schildern. Sie ist ein Typ für den Orient; ich möchte sagen, eine Art mittlerer Qualität, denn es gibt schlimmere und bessere Ehen; es kommt da auf ein wenig mehr oder weniger kaum an. Es ist aber die Hinduehe auch deshalb ein Typ der orientalischen Ehe, weil sie ebenfalls mit großartigen Festlichkeiten gefeiert wird, die fast wie ein Hohn auf die erbärmliche Stellung der Frau aussehen und gleichsam nur dazu dazusein scheinen, um der Frau wenigstens an einem einzigen Tage ihres Lebens zu zeigen, wie Lust und Freude aussehen; sie einmal erkennen zu lassen, was das Leben zu bieten vermag, und welche Freuden und Vergnügungen ihr alle — nicht beschieden sind, mag sie auch noch so lange leben. Und wie nur ein Tag des Glanzes und des Glückes im Leben der Hindufrau existiert — ich spreche natürlich von der Norm, nicht von den Ausnahmen, die ja stets eintreten können, wenn der Mann trotz aller Vorurteile, doch mit seiner Frau anders lebt und verkehrt, als dies das Gewohnheitsrecht, das eigentlich unerbittlich ist, sie mit sich bringt —, so ist auch der Hochzeitstag sehr oft der einzige für den Hindu, an dem er sich die Entfaltung von Pracht und Pomp gestatten kann. Es ist sogar in der Regel richtiger, zu sagen, daß er sich diesen Pomp eigentlich auch an diesem Tage nicht gestatten kann, er tut es aber, weil es die Sitte nun einmal so will, wenn auch die Schulden oft für das ganze Leben die treuesten Genossen des Ehepaares bleiben.

Der Hochzeitstag ist eigentlich ein Ziehungstag in der großen Lotterie des Lebens; er ist der Tag, an dem die beiden Menschen, die das Schicksal oder richtiger der Wille der beiderseitigen Väter bestimmt hat, sich das Leben hindurch anzugehören, zum ersten Male zu sehen bekommen. Beide haben bis zu der Stunde ihrer „Offenbarung“ keine Ahnung, ob der Gatte, die Gattin dem, was sie erhofft und gewünscht haben, wenigstens äußerlich entspricht. Wenn diese Offenbarung erfolgt, dann ist es freilich zu spät, das Verhängnis zu beschwören, denn die Ehe wird dann auf alle Fälle eine Ehe, und die Gatten müssen einander behalten, wie bei der Lotterie jeder Spieler mit dem zufrieden sein muß, was ihm die launische Fortuna in den Schoß wirft oder auch nicht wirft. Auf die Frau würde es ja ohnehin nicht ankommen, und wenn sie den leibhaftigen Teufel in ihrem Gatten erkennen würde, sie müsste ihn nicht allein geduldig hinnehmen, sondern das Gesetz Manus schreibt ihr auch vor, ihn anzubeten wie einen Gott. Er ist ihr Ein und Alles. Nicht in dem Sinne, in dem bei uns diese Wendung gebraucht wird, wenn man damit sagen will, daß eine Frau, nicht nach dem Gesetze Manus, sondern nach dem Gebote ihres Herzens, in ihrem Manne, dem sie aus Liebe ihr Schicksal in die Hand gelegt hat, ihr höchstes Ideal ist, sondern weil sie den Mann, der ihr bestimmt ist, eben anzubeten hat. Das Weib ist ein Nichts, ja noch viel schlimmer als ein Nichts. Das Weib ist die Ursache aller Leiden, die Ursache der Kriege, die Ursache alles Unglücks, wie es die Ursache des menschlichen Daseins ist, und das menschliche Dasein ist ja an sich eigentlich schon ein Unglück. Das Weib ist auch unrein und muß ständig bemüht sein, diese Unreinheit durch mindestens dreimalige tägliche Waschungen soweit zu beseitigen, daß es nicht alles, was es berührt, ebenfalls unrein mache. Der Mann aber ist der Abglanz der höchsten Herrlichkeit, die durch nichts beeinträchtigt wird. Seine göttliche Eigenschaft geht auch durch ein gemeines und niederträchtiges Leben nicht verloren. Selbst wenn mit Hilfe von Mikroskopen und Röntgenstrahlen der scharfsichtigste Forscher an ihm nicht die Spur einer guten Eigenschaft zu entdecken vermöchte, selbst wenn der Mann ein Liederjan wäre, der seine Frau schlecht behandelte, der außerhalb des Hauses die Freuden suchte, die nur bei der Frau zu suchen, er ihr feierlichst versprochen hatte, so würde das alles kein Grund sein, der die Frau davon befreien könnte, in dem Manne eine Art Gott anzubeten.



Bildung macht frei, sagt man nicht mit Unrecht. Macht aber nur die Bildung frei, dann sorgt man in Indien dafür, daß die Frau niemals frei werden kann, denn von einer Bildung ist nicht die Rede; man hält es für gefährlich, sie an der Weisheit Quellen einen erfrischenden Trunk tun zu lassen. Wie die Verhältnisse nun einmal liegen, kann man wohl sagen, die absolute Unwissenheit und Indolenz der indischen Frau ist deren größtes Glück. Das Los, das ihr beschieden ist, wird durch den völligen Mangel einer geistigen Ausbildung nicht so drückend empfunden, die Last wird leichter, da der Frau die geistige Erkenntnis fehlt, daß ihre Lage so unwürdig und so schmachvoll ist. Die Frau kennt eben nichts anderes, und woher wollte sie auf den Gedanken kommen, daß eine Frau die gleichberechtigte Genossin ihres Mannes sein müsse? Schon die früheste Kindheit lehrt das Weib, eine derartige Prätention zu unterdrücken. In der Geburtsstunde des Mädchens beginnt deren Unterdrückung, denn die Geburt eines Mädchens gilt keineswegs als ein freudiges Ereignis, im Gegenteil, dieses Ereignis wird mit Klagen und Jammern verkündet, und der Vater ist kein glücklicher Vater und gibt sich auch nicht die Mühe, als solcher zu erscheinen. Er würde sich etwas an seinem Ansehen und an seiner Würde vergeben, wollte er das Kind, das „bloß ein Mädchen“ ist, überhaupt einer Beachtung würdigen. Missachtet schon von der Stunde der Geburt an, wächst das Mädchen heran im geistigen Dunkel, das nicht erhellt werden darf, da ein Weib unterrichten dasselbe sein würde, als eine giftige Schlange mit Milch groß zu ziehen. Der Inder hat tatsächlich ein Sprichwort, das dies besagt. Nur eins lernt das Hindumädchen: die Verehrung des Mannes. Auf dieser wird ihr ganzes Leben zugeschnitten. Das einzige, was das Kind lernt, ist, daß es für den Mann bestimmt sei, und daß es die Gottheit um einen gnädigen Herrn anzuflehen habe. Es ist eine dumpfe Atmosphäre, aus der die indische Frau hervorgeht. Lehrt man übrigens das Kind in einem Alter, in dem es noch kaum die Kunst des Sprechens erlernt hat, seine Gedanken auf die zukünftige Ehe zu richten, so ist dies berechtigt, da schon im zartesten Alter des Mädchens dessen Ehe vereinbart wird, ja es gibt Ehefrauen, die nach unseren Begriffen kaum schulpflichtig sind. Wo soll da der indischen Frau herkommen, daß ihre Stellung unwürdig sei? Sie kennt es eben nicht anders, und mag ihres Herzens Sehnen ihr vielleicht auch ein anderes, schöneres Dasein vorspiegeln, was tut dies?

Das indische Weib teilt nicht einmal die Wohnung mit ihrem Gatten. Für die Frau ist die Senoma, der Harem, bestimmt, den sie ohne Erlaubnis des Mannes nicht verlassen darf. Die Räume des Mannes zu betreten ist aber verboten, dazu wäre eine besondere Erlaubnis erforderlich, und selbst die harmlose Anregung eines Verbotes bleibt ihr untersagt. Einen unbeschränkten Verkehr darf sie nur mit ihren Kindern unterhalten. Beim Besuche einer älteren Frau hat sie sich zu verschleiern, und es ist ihr nicht gestattet zu reden, wenn sie nicht besonders dazu aufgefordert oder eine Frage ihr vorgelegt wird. Ebenso würde die Frau sich schwer vergehen, wollte sie in Gegenwart des Mannes Speise zu sich nehmen. Sie darf dies nicht einmal bei Festlichkeiten, denen sie etwa beiwohnen darf, denn bei solchen Gelagen hat die Frau sich bescheiden im Hintergrunde zu halten und zu warten, bis die Männer sich gesättigt haben. Der Rest der Mahlzeit ist für die Frau, die ja auch gar nicht auf den Gedanken kommen kann, daß sie eigentlich eine andere Rolle spielen müsste, weil sie niemals eine andere Behandlung einer anderen Frau sehen und erfahren kann, weil sie eben Niedrigkeit sich bewußt sein muß, und auch sie niemals aus der Abhängigkeit und der Gehorsamspflicht herauskommt. Sie ist erst dem Vater, dann dem Gatten und schließlich dem Sohne Gehorsam schuldig, und es hat Mühe gekostet den grausamen Brauch, nach dem die Witwe beim Tode ihres Mannes verbrannt wurde, abzuschaffen. Das war natürlich die Aufgabe der Europäer, die ja schließlich auch die Lage der indischen Frau durch ihren Einfluß und durch ihre Macht verbessern werden. Daß dies aber keine leichte Aufgabe sein kann, das liegt auf der Hand, denn es ist nun einmal indisches Evangelium, daß der Mann ein höheres Wesen, das Weib aber ein Übel, wenn auch allerdings ein notwendiges, sei. Da wird es wohl schwer halten und eine Weile dauern, die Inder zu überzeugen, daß die Frau die Krone der Schöpfung, die bessere Hälfte des Paares und berechtigt sei, die galante Dienstwilligkeit des Mannes zu fordern. Übrigens erinnert sehr vieles im Leben der indischen Frau an das der Frau im deutschen Altertum, selbst das Mitverbrennen der Witwen kam auf deutschem Boden vor und war bei verschiedenen Stämmen herrschende Sitte. Ich meine, es ist eine recht sonderbare Logik, daß wir die indische Frau als das unglücklichste Geschöpf beklagen, während wir überfließen von Lob und Ruhm über die Stellung der deutschen Frau im Altertum.

Staunen muß man nur, daß bei den Hindus trotz der Verachtung der Frau doch der Tag, an dem ein Mann eine solche missachtete Person ins Haus nimmt, als das größte Fest seines Lebens gefeiert werden soll und gefirmt wird. Das ist aber in sich kein so großer Widerspruch wie es scheint. Durch die Heirat gründet der Hindu einen eigenen Hausstand und wird aus einer Null ein Faktor des öffentlichen Lebens, und die Wahrscheinlichkeit, daß er sich durch die Ehe Nachkommenschaft erwecken wird, ist eben ein Ereignis, das in der Tat das bedeutungsvollste seines Lebens ist.



Die Braut wird dem Bräutigam zugeführt, der sie mit Ehren überhäuft, mit ihr die prunkvoll hergerichtete Hochzeits-Kutsche besteigt, und sie dann an der Spitze eines prunkvollen Hochzeitszuges reich geschmückt durch die Straßen geleitet. Der Hochzeitszug, der auch in China den Gipfel des Hochzeitsprunkes bildet, ist die höchste Ehre im Leben der Hindufrau. Das wirkliche Fest wird erst am Abend gefeiert. Die indischen Bajaderen, die durch Gesang und Tanz den Festen erst die richtige Weihe geben, dürfen natürlich auch bei der Hochzeitsfeier nicht fehlen. Die Festräume werden malerisch und verschwenderisch erleuchtet, und in der Regel sorgt der Bräutigam auch noch für ein möglichst glänzendes Feuerwerk. Da diesen kostspieligen Arrangements natürlich die Bewirtung der zahlreichen Gäste entsprechen muß, ist es kein Wunder, daß das schöne Fest, dem eine meist weniger schöne Ehe folgt, die Quelle einer ungeheuren Schuldenlast wird. Der Hindu ist selten reich, er nimmt darauf aber keine Rücksicht, am Hochzeitstage will er wenigstens reich scheinen, und die Schulden? Es geht damit wie mit der Ehe selbst, nach Glanz und Pracht kam Öde und Armseligkeit.

Ich habe schon angedeutet, daß diese Ehe eine Art Typ der orientalischen Ehe ist. Die Ehe der Chinesen gleicht der Hinduehe fast völlig. Auch der Chinese ist in der Regel arm, daß er kaum daran denken kann, eine Frau zu ernähren. Dieser Mangel an Mitteln ist übrigens auch sonst im Orient dafür verantwortlich zu machen, daß trotz erlaubter Polygamie doch die meisten Muselmänner sich mit einer einzigen Frau begnügen. Daß dann der kostspielige Harem von selbst fortfällt, weil man eben für eine einzelne Frau kein besonderes Harem errichten kann, versteht sich von selbst. Die Ehe der Orientalin gestaltet sich dabei auch dort, wo der Koran den Gläubigen vier Gattinnen gestattet, doch weit anders als sonst. Die Ehe ist der europäischen ähnlicher, und die Frau wird vielmehr Genossin des Mannes, als die Frau des Harems dies jemals werden kann. Der orientalische Geist wird aber nicht einmal ausgeschaltet, daß eben die Frau dem Manne als gleichberechtigte Gattin gelten könnte. Sie ist und bleibt ein unfreieres Wesen, das zum Manne aufblicken und sich ihm absolut unterordnen muß. Die Frauen versehen alle Arbeiten des Hauses und leben kein leichtes und angenehmes Leben, wenn auch der Herr Gemahl so leben kann, daß er seiner Vorliebe für eine stille und ruhige Beschaulichkeit keine großen Schranken aufzulegen braucht. Es ist keine Einzelehe, wie bei uns, da sie eben nur freiwillig oder doch wenigstens nicht durch das Gesetz erzwungen, eine Einzelehe darstellt. Dem Manne kann es, sobald es ihm seine Mittel erlauben, nicht verwehrt werden, die Monogamie in eine Polygamie umzuwandeln. Es muß dabei allerdings betont werden, daß die durch die Verhältnisse, nicht durch Gesetzesvorschriften erzwungene Enthaltsamkeit im Heiraten auch denen, die nicht so beschränkt mit ihren Mitteln sind, vorbildlich ist, so daß die Harems in Wirklichkeit fast überall schon längst die Ausnahme bilden, während die Ehen zwischen einem Manne und einer Frau die Regel sind. Wer das Geld hat, hält sich höchstens eine zahlreiche Schar von Sklavinnen oder Dienerinnen.

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Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Liebesleben im Orient