Die Prostitution

Die Prostitution.

„Qui proficit in artibus et deficit in moribus, plus deficit, quam proficit.“ Es läßt sich wohl kaum ein passenderer Ausspruch an die Spitze dieses Kapitels stellen. Wer an Wissen zunimmt, an seinen Sitten aber einbüßt, der hat in Wirklichkeit mehr verloren als gewonnen. Gewiß, man ist wenig geneigt, das heutigen Tages noch gelten zu lassen, weil jetzt Moral und Tugend weit weniger hoch im Kurse stehen als das Wissen. Wissen macht frei. Man ist nun soweit gegangen, zu behaupten, die Unsittlichkeit mache auch frei, weil jeder, der unsittlich lebe, sich frei mache von den kleinlichen, die persönliche Freiheit einschränkenden Anschauungen und Vorurteilen rückständiger Herdenmenschen. Ein verhängnisvoller Irrtum, denn wer auf diese Weise „frei“ zu werden glaubt, der wird bald genug merken, daß er in die schwerste Sklaverei gesunken ist, aus der es kaum eine Rettung gibt, in die Sklaverei seiner Leidenschaften. Es geht da ähnlich wie mit dem Menschen, der mit Leib und Seele an seinem Besitztum hängt und mit Stolz sagt: „Das alles gehört mir!“ In Wirklichkeit ist es aber umgekehrt, denn der Mann gehört allen den schönen Sachen, ohne die er nicht leben kann. Nein, Unsittlichkeit macht nicht frei wie das Wissen, und da auch das Wissen einen Sklaven der Leidenschaften nicht von diesen frei macht, ist es richtig, daß der mehr verloren als gewonnen hat, der in Kunst und Wissenschaft zunimmt, an seinem sittlichen Halt aber Verlust erleidet.


Sehen wir uns nun einmal die Prostitution des alten Orients etwas näher an. Man sagt, das Laster habe stets dieselben Ursachen; auf der einen Seite Genusssucht und Sinnlichkeit, auf der anderen Armut und mangelhafte Erziehung. Ich möchte vorweg behaupten, daß diese Annahme durchaus nicht zutrifft. Sie mag für unsere heutige Prostitution passen, obwohl sie auch da nicht als ein Evangelium betrachtet werden darf, weil in Wirklichkeit die Prostitution von Fall zu Fall geprüft werden muß, wobei sich sehr oft herausstellen wird, daß wesentlich andere Faktoren in Frage kommen. Für den alten Orient aber und zum großen Teile auch noch für heutige orientalische Verhältnisse trifft der verallgemeinernde Ausspruch durchaus nicht zu.



Schon über die prinzipiellsten Ansichten herrschen die erheblichsten Widersprüche und Gegensätze. Für uns gilt die Prostituierte als eine verabscheuenswürdige Person, die zu benutzen „dulce“ ist, die aber im übrigen als so verächtlich gilt, daß es gegen die Ehre verstößt, mit ihr bloß in Berührung zu kommen. Es ist das eine Folge unserer Doppelmoral. Nicht so im Orient, wo man über das Liebesleben anders, besser oder schlechter, je nach dem Standpunkt, auf den sich der Beurteiler stellt, jedenfalls aber natürlicher oder doch wenigstens logischer denkt und von jeher dachte. Wir sind ja nicht einmal in dem, was wir für eine Prostituierte halten, konsequent; der Orientale ist das weit mehr. Ich will hier nur an das Maitressenwesen erinnern, zunächst aber nicht weiter darauf eingehen, da ich bei meinen weiteren Ausführungen ohnehin noch Veranlassung nehmen muß, Vergleiche zwischen Orient und Abendland genauer zu kommentieren.

Wie alt die Prostitution ist? Diese Frage präzis zu beantworten, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Man würde, um solche Antwort überhaupt geben zu können, sich vorher genau darüber einigen müssen, was man unter Prostitution zu verstehen habe. Schon das erscheint dem Durchschnittsleser jedenfalls als eine recht überflüssige und kaum zu rechtfertigende Pedanterie, da doch jeder Mensch wisse, was Prostitution sei! Pardon; gerade eine solche Ansicht ist bedenklich; sie verhütet die bessere Erkenntnis, weil sie das weitere Nachdenken verhütet, und das ist gegenüber der Prostitution so bitter notwendig, denn es gibt auf diesem Gebiete tatsächlich so subtile Übergänge, daß man wirklich die Grenze zwischen der Prostitution und der „intimen Liebschaft“ kaum oder überhaupt nicht zu entdecken vermag. Man kann die strafrechtliche Definition der gewerbsmäßigen Unzucht für das praktische Leben nicht so ohne weiteres gelten lassen, sie wenigstens nicht als die allein seligmachende betrachten. Wenn man das aber auch wollte, würde man doch nicht zum Ziele gelangen, weil dabei das, was man als gewerbsmäßig zu betrachten hat, auch wieder Auslegungssache ist. Schon im Altertume ist es wohl Sitte gewesen, ein weibliches Wesen durch Geschenke seinen Wünschen geneigter zu machen, denn überall ging es doch nicht zu wie bei den Mastageten, von denen ich in einem früheren Kapitel mitgeteilt habe, daß bei ihnen der sexuelle Verkehr sich ohne jede Schwierigkeit und ohne jede besondere Formalität abspielte, es fehlte dabei das, was man das einleitende Verfahren nennen darf. Es bedarf keiner besonderen Interpretationskunst, den Begriff der gewerbsmäßigen Unzucht so weit auszudehnen, daß einfach jeder sexuelle Verkehr, zu dem ein Mädchen durch Gaben, die einen Erwerb darstellen können — das trifft ja eigentlich stets zu, als gewerbsmäßige Unzucht erscheinen muß, besonders wenn sich die Sache wiederholt, so daß die Geschenke schon für den Lebensunterhalt von Erheblichkeit sind. Wir sprechen nun allerdings selbst da, wo ein weibliches Wesen von einem Manne völlig erhalten wird und als Gegenleistung sich selbst gibt, nicht von einer Prostitution, nehmen diese aber an, wenn das liederliche Leben nur ab und zu kleinere „Aushilfen“ einbringt. Das zeigt am besten, wie schwer es ist, klar zu definieren, denn es versteht sich doch von selbst, daß ich hier nur den großen Rahmen gezeichnet habe, innerhalb dessen sich zahllose Abstufungen finden lassen, ohne daß man erst nötig hätte, sie mit dem Mikroskop aufzusuchen.

Man kann auch nicht, wie es die Päpste taten, willkürlich eine bestimmte Anzahl von Männern annehmen, mit denen das Weib sexuellen Verkehr unterhalten haben müsse, ehe man berechtigt sei, von einer Prostitution zu reden. Ich meine vielmehr, daß es schon der rein sprachlichen Bedeutung des Wortes Gewalt antun hieße, wollte man überhaupt einen Plural von Liebhabern verlangen. Mit Begriffen zu jonglieren, ist eine Kunst, die jetzt allerdings zu gedeihlicher Höhe gefördert worden ist, aber sicherlich sehr wenig dazu beitragen kann, eine Frage zu lösen.

Ich bin nun wirklich nicht in der Lage, zu sagen, seit wann es eine Prostitution gibt, möchte aber wohl behaupten, daß sie nicht viel jünger sein kann als das Menschengeschlecht. Nur darf man nicht nach heutigen Anschauungen urteilen wollen, und vor allen Dingen darf man nicht etwa deduzieren wollen, daß es eine Prostitution erst in dem Augenblick gegeben haben könne, in dem die Menschen sich über diesen Begriff klar geworden seien, in dem sie das Verwerfliche einer solchen Hingabe erkannt hätten, denn unter dieser Voraussetzung gäbe es an vielen Orten des Orients heute noch keine Prostitution, hätte es niemals eine geben können. Und doch berichtet uns schon die Bibel von einer solchen, und dennoch ist die Prostitution in manchen orientalischen Ländern auf das höchste entwickelt, wenn es auch den Weibern an ihrer Ehre nicht den mindesten Abbruch tat, dieses Gewerbe betrieben zu haben, ja wenn die Prostitution niemals die Prostituierte hindert, jede Minute in das bürgerliche Leben zurückzukehren und alle die Ehre in Anspruch zu nehmen, die jede andere „anständig“ gebliebene Frauensperson auch genießt.

Auch das Alte Testament erzählt uns zu Zeiten, in denen von einem geordneten Gemeinwesen noch kaum die Rede sein konnte, schon von Prostituierten und läßt keinen Zweifel darüber, daß nach altorientalischer Auffassung auch diese Personen nicht missachtet gewesen sein können. Davon, daß sie etwa rechtlos und ehrlos gewesen wären wie die fahrenden Weiber und die, die sich zu eigen gaben, im alten Deutschen Rechte, steht keine Andeutung da; man muß vielmehr unbedingt aus allen den Erzählungen das Gegenteil schließen. Ich bin sicherlich der Letzte, der die Bibel als Quelle für ein Loblied der Meretrices benutzen wollte, aber ich darf mich auf sie wohl als eine historische Bestätigung dafür berufen, daß in der Tat der Orient über das Gewerbe einer Prostibula wesentlich anders dachte als unsere Zeit, und ich freue mich, zugleich dabei feststellen zu können, daß die Bibel, die so viel angefeindet und, was noch mehr sagen will — angezweifelt wird, daß man schon für einen Banausen gilt, wenn man sich überhaupt auf sie beruft, selbst das Milieu für ihre Erzählungen korrekt und richtig zu malen weiß. Ich will mich hier nur auf zwei Beispiele berufen: die Erzählung des listigen Zwanges, durch den Thamar verstand, sich ihr uns allerdings unverständliches Recht zu sichern und zweitens die Geschichte der Kundschafter in Jericho. Sie wußte, daß ihr Schwiegervater Juda des Weges gen Timmath ziehen würde, verkleidete sich als Meretrix und lockte ihn an sich. Schon der Umstand, daß sie einen solchen Plan fassen konnte, darf als Beweis dafür gelten, das dieses Gewerbe nicht allein nicht Abscheu erweckte, sondern daß auch sehr würdige und hochbetagte Männer nichts darin fanden, sich zu einem solchen Weibe zu gesellen. Thamar hätte sonst nicht darauf rechnen dürfen, daß der alte Juda sich mit ihr abgeben würde, weil sie sich als eine Hure verkleidet hatte. Der Plan erwies sich aber als durchaus frei von jedem Rechenfehler. Juda gesellte sich wirklich zu ihr, und der Verkehr blieb nicht ohne Folgen. Thamar hatte sich als Lohn ihres Dienstes einen Ziegenbock versprechen und zur Sicherheit dafür, daß sie diesen auch wirklich erhielt, ein Pfand geben lassen. Juda war ein ehrlicher Mann, der sein Versprechen halten wollte; deshalb schickte er seinen Freund Adullam aus, der das Pfand einlösen sollte, dies aber nicht konnte, da Thamar nach dem Abenteuer ihre Verkleidung abgelegt und ihre Witwentracht wieder angezogen hatte. Die ganze Geschichte war von Niemandem bemerkt worden; deshalb konnte Adullam auch nur erfahren, daß überhaupt keine Hure in der Gegend gewesen sei. Er berichtete das dem Juda, der antwortete: Sie mags behalten (das Pfand); sie kann uns doch nicht Schande nachsagen, denn ich habe den Bock gesandt, nur hast du sie nicht gefunden. Man darf diese Worte nicht missverstehen. Sie wollten nicht etwa besagen, daß es als eine Schande für den alten Mann hätte gelten können, sich mit der ersten besten Prostituierten, die er am Wege fand, eingelassen zu haben, sondern die Schande hätte nur darin bestehen können, daß er den vereinbarten Lohn nicht gezahlt habe. Das also beweist doch wieder, daß die Prostituierten keineswegs rechtlos waren, sondern darauf rechnen durften, daß ihnen das, was ihnen für ihr Entgegenkommen als Lohn versprochen worden war, auch unter allen Umständen als ein ehrlich verdientes Äquivalent zugebilligt werden mußte. Das ist aber schon ein Beweis dafür, daß man diese Geschöpfe nicht blos zur augenblicklichen Befriedigung seiner Lüste ausnutzen durfte, sondern daß das Verhältnis als ein reines Rechtsverhältnis anerkannt wurde.

Nun kommt allerdings ein weiteres Moment in die Erzählung. Als Juda schließlich hört, daß seine Schwiegertochter Thamar durch Hurerei schwanger geworden war, verlangte er, daß sie vor ihn geführt werde, damit er sie verbrennen lassen könne. Das sieht wohl auf den ersten Blick so aus, als ob die Prostitution als ein so schweres Laster verabscheut worden sei, daß darauf die grausame Strafe des Verbrennens angedroht gewesen sei. Dieser Schein kann freilich, wie gesagt, nur auf den ersten oberflächlichen Blick erweckt werden. Wäre er begründet, dann hätte Juda nicht die Schande, die ihm unbekannte Meretrix nicht bezahlt zu haben, fürchten müssen, denn die Dirne wäre ja dem Feuertode verfallen gewesen, wenn sie ihr Tun zugegeben hätte. Das Verbrechen hätte vielmehr nur darin bestanden, daß Thamar als Witwe — sie war die Schwiegertochter des Juda — nicht das einer Ledigen erlaubte und eine Ledige nicht schändende Gewerbe einer Prostituierten betreiben durfte.



Das zweite Beispiel betrifft die Rahab in Jericho, die direkt als Hure, also als Prostituierte bezeichnet wird. In deren Haus kamen die Kundschafter, die Josua nach Jericho gesendet hatte, damit sie eine Gelegenheit ausfindig machen sollten, die es den Kindern Israel gestattete, diese Stadt zu erobern. Der Besuch bei der Rahab war nicht unbemerkt geblieben. Der König selbst schickte zu dem Weibe und ließ um die Herausgabe der fremden Männer bitten. Wäre die Prostitution damals in Jericho, wo sie übrigens stark verbreitet war, für ein großes Übel gehalten worden, so würde der König wohl keine Umstände mit dieser Person gemacht haben; er tat es aber und tat es mit demselben Respekt, den er dem besten seiner Untertanen erwiesen haben würde. Rahab war also der Meinung, daß gegen die Kinder Israel, die schon so wunderbar aus den schwierigsten Lagen befreit worden waren, doch nicht zu kämpfen sei, daß ihnen vielmehr auch bei einem Unternehmen gegen die Stadt das Glück, das sie durch große Wunder bisher begünstigt hatte, wohl treu bleiben werde. Deshalb beschützte sie die beiden Israeliten, versteckte sie in ihrem Hause und erklärte den Boten des Königs, die beiden Männer seien wohl bei ihr gewesen, sie hätten sich aber, als die Tore der Stadt geschlossen wurden, bereits wieder entfernt. Man möge ihnen nur schnell Reiter nachsenden, die sie wohl auf jeden Fall noch erreichen würden, da die Fremdlinge, die zu Fuß nicht so schnell vorwärts kommen könnten wie die Reiter, noch keinen allzu großen Vorsprung haben könnten. Man glaubte diesen Worten und befolgte den Rat.

Rahab aber ließ dann am späten Abend die Kundschafter aus ihrem Hause, das auf der Stadtmauer stand — die alten Stadtmauern waren in der Regel außerordentlich breit angelegt —, an einem Seile ins Freie und ließ sie einen andern Weg einschlagen, nachdem ihr die Männer gelobt hatten, daß bei der Eroberung der Stadt ihr Haus und ihre ganze Familie geschützt werden sollte, möchten auch die übrigen Häuser und die ganze Einwohnerschaft vernichtet werden. Als dann Jericho wirklich von den Israeliten erobert worden war, da verbannten die Israeliten alles, was in der Stadt war, mit der Schärfe des Schwertes, Mann und Weib, jung und alt, Ochsen, Schafe und Esel.

Der Schwur, den die Kundschafter der Rahab getan hatten, wurde auf Befehl Josuas gehalten. Die Stadt wurde verbrannt. „Rahab aber, die Hure, samt dem Hause ihres Vaters und alles, was sie hatte, ließ Josua leben. Und sie wohnet in Israel bis auf diesen Tag, darum, daß sie die Boten verborgen hielte, die Josua zu verkundschaften gesandt hatte gen Jericho.“ Es könnte ja nun freilich so aussehen, als habe es sich hier um eine große Ausnahme gehandelt, d. h. als habe man die Rahab nur deshalb leben lassen, um sie für den Dienst zu belohnen, den sie den Israeliten erwiesen hatte. Das trifft aber keineswegs zu. Man hätte ja, wenn es darauf angekommen wäre, den Schwur zu halten, die Rahab und ihre Familie einfach leben und laufen lassen können. Es wird aber mit offenbarem Behagen und breiter Betonung erzählt, daß sie bei Israel wohnte bis auf diesen Tag, also für ihr ganzes Leben. Das war ihr weder zugeschworen, noch hätte die Rahab diese Gastfreundschaft auch nur annehmen können, wenn es wahr wäre, daß jede Prostituierte als ein verlorenes, verkommenes oder gar als ein verabscheuenswertes Geschöpf gegolten hätte. Wäre dies der Fall gewesen, dann hätten die Kundschafter erstens überhaupt wohl nicht das Haus der Rahab aufsuchen, zweitens aber ihr nicht einen so weitgehenden Schwur leisten dürfen. Dazu möchte ich doch auch besonders betonen, daß die Bibel doch wahrlich nicht den Sieg der Kinder Israels als ein Werk der „Hure Rahab“ ansieht, sondern als eine Fügung Gottes, der ja auch bei der Eroberung dieser Stadt in wunderbarer Weise den Sieg herbeiführte, der die ganze Sache von Anfang leitete und der doch schließlich, da seine Hand die Geschicke der Völker führte, auch die beiden Kundschafter geführt und gerettet hatte, geführt ins Haus der Rahab, gerettet durch die Rahab. Ich meine, die ganze Geschichte zeigt, daß die Prostibula nicht nur in Jericho, sondern auch in Israel nicht als eine Persona mala angesehen wurde, ja daß sie wohl nicht einmal zu der Sorte von Menschen gerechnet wurde, denen man im alten Rom die Worte „levis notae maculae“ anhängte, d. h. die zu den anrüchigen Leuten gezählt wurden.

Es verdiente auch Beachtung, daß die Rahab mit ihrer ganzen Familie, Vater und Mutter usw. geschont wurde, daß die Familie die „Hure“ duldete und mit dieser geduldet wurde. Es ist allerdings nicht gesagt, daß auch diese Familie mit in Israel gelebt habe; man darf dies aber doch wohl annehmen. Davon aber, daß die Familie durch den Erwerb der Tochter geschändet oder durch die Duldung dieses Erwerbes strafbar geworden wäre, ist gar nicht die Rede, im Gegenteil. Wir ahnden dagegen eine solche Duldung von den Eltern mit Zuchthausstrafen.

Schon Moses, der doch an sich gegen die Prostitution geeifert und die Unsittlichkeit verabscheut und verboten hatte — gerade nach dem schönen Spruch, den ich an die Spitze dieses Kapitels gestellt habe —, sah selbst ein, daß nach dieser Richtung hin sein Eifer resultatlos blieb und auch schließlich bleiben mußte, weil die Natur orientalischer Völker sich noch viel weniger einschnüren und in Enthaltsamkeitsgebote fügen läßt als die der sog. „kühlen Abendländer“. Man versuche es nur gefälligst, den „kühlen“ Abendländern den sexuellen Verkehr zu verbieten oder, was für viele Leute auf dasselbe hinauslaufen würde, ihn nur in der Ehe zu gestatten. Wer dieses Verbot mit vollem Erfolg ergehen lassen könnte, der hätte eine Leistung vollbracht, gegen die alle Großtaten der Welt zusammengenommen klein erscheinen würden. Ich meine damit nicht etwa, daß ich diese Tat für die verdienstlichste oder selbst nur für eine nützliche halten würde, sondern ich will nur sagen, daß sie in meinen Augen etwas völlig Unmögliches darstellt. Zu dieser Überzeugung ist aber Moses auch gekommen, ja er hat sich wohl gesagt, daß ein striktes Verbot nicht einmal nützlich, sondern im Gegenteil viel eher schädlich sei. Deshalb bequemte er sich doch dazu, den Verkehr jüdischer Männer mit fremden Dirnen zuzulassen; er hat ihn erlaubt, und es ist deshalb, wie ich auch aus anderen Stellen des Alten Testamentes z. B. über die Opfer nachweisen kann, ganz entschieden nicht göttliche Inspiration, was in den Büchern Mose steht und sich teilweise nicht halten lässt, teilweise durch andere Stellen widerlegt ist. Daß Moses sonst gerade den Verkehr zwischen Juden und heidnischen Weibern nicht dulden wollte, weil er, übrigens mit vollem Rechte fürchtete, daß der Glaube der Seinen erschüttert werden könnte, wie dies ja sehr oft wirklich geschah, habe ich schon an anderer Stelle betont. Jedenfalls liegt die Sache so, daß Moses den Besuch der israelitischen Männer bei heidnischen Völkern nicht leiden wollte, daß er aber gegen den Besuch heidnischer Meretrices in Israel nichts hatte. Die Episode von Jericho spielte aber nach Moses. Ich betone dieses noch ausdrücklich, damit mir der Einwand, ich kenne etwa das ältere mosaische Gesetz nicht genügend, von Anfang an erspart bleibt. Ich kann nun wohl die biblischen Nachweise verlassen, obwohl sie noch keineswegs erschöpft sind.

Daß im Altertum die Prostitution im Orient nicht als schändend oder anrüchig galt, beweist die Tatsache, daß sie bei einigen Völkern geradezu zum religiösen Kult gehörte, so daß also viel eher das für eine Ehre galt, was wir für die tiefste Schande halten. Das gilt natürlich nur mit der Einschränkung, daß lediglich die religiöse Prostitution dabei in Frage kommen kann, neben der es noch eine profane gab, die gewiß ihre „Priesterinnen“ nicht adelte, sie aber auch nicht herabsetzte.



Im alten Babylon forderte der Mylitta-Kult die Prostitution der Töchter Babels. Mylitta war eine Naturgottheit, etwa das, was bei den Griechen Aphrodite, bei den Römern Venus war. Das assyrische Wort ,,mu' allidat“, das so viel heißt, wie die Gebärende, läßt darauf schließen, daß man die Liebe in Babel außerordentlich realistisch auffasste, und es ist deshalb kein Wunder, daß auch der Kult der Mylitta nicht bloß in einer platonischen Verehrung und ehrfurchtsvollen Anbetung bestand, sondern daß man, wie dies ja auch in Griechenland und Rom der Fall war, den Kult etwas drastischer und der Bedeutung der Göttin entsprechend gestaltete. Herodot überliefert uns, daß im alten Babylon jedes Weib gezwungen gewesen sei, sich einmal im Tempel der Mylitta zu prostituieren. Es mag dahingestellt bleiben, ob dies „einmal“ bedeuten sollte, einmal im Leben, oder, wie andere Autoren meinen, einmal in jedem Jahre. Jeder Fremde hatte das Recht, in den Tempel zu gehen und ein solches Opfer zu verlangen. Er mußte dafür natürlich bezahlen, was die Priesterschaft des Tempels verlangte, und wir haben bereits gesehen, daß in Babel die Priester ausgezeichnete Geschäftsleute waren. Die gezahlte Summe erhielt aber nicht das Weib, das sich prostituiert hatte, sondern sie kam dem Tempel zu, vielmehr wieder den Priestern, die deshalb wohl eifrigst bemüht gewesen sein werden, aus der Tempel der Mylitta eine Art Bordell zu machen. Jedenfalls haben diese Priester mit feuriger Beredsamkeit dem Volke gepredigt, daß eine fleißige Religionsübung Segen bringe, und daß es deshalb verdienstlich sei, der Göttin Mylitta zu huldigen. Diese Ermahnungen scheinen denn auch auf recht fruchtbaren Boden gefallen zu sein, kein Wunder, wenn es verdienstlich und fromm war, das Nützliche mit dem Angenehmen in eine so schöne Harmonie zu bringen.

Einer Göttin der Liebe und der Fortpflanzung ein Opfer zu bringen, das gerade in dieses Ressort hineinpasste, ihr die Keuschheit als das höchste Gut, das ein Weib besitzen konnte, zu opfern, das ist bei aller scheinbaren Absurdität doch in Wirklichkeit ein außerordentlich naheliegender Gedanke. Daß er mindestens dem Orientalen sehr natürlich vorkommen mußte, beweist seine gewaltige Verbreitung. Es war allerdings, da zu einem solchen Opfer immer zwei Personen gehören, wenn es nicht in der Weise der Bewohner von Goa gebracht werden sollte, die ihre Jungfrauen einer Elfenbeinfigur vermählten, die Frage, ob die Priester allein die Opfer „annehmen“ sollten, oder ob es angängig sei, daß im Tempel die opferlustigen Weiber sich profanen Männern hingäben, um der Göttin die Keuschheit zu opfern, wie dies die geschäftsgewandten und klugen Priester der Mylitta zuließen, vielleicht auch zulassen mußten, weil ihnen die Opferfreudigkeit der babylonischen Damen über den Kopf wuchs.

In Persien kannte man diesen Liebesgöttinnenkult ebenso wie in Babylon. Dort hieß die Göttin Anäitis. Der Kult war derselbe, und die Laien waren den berufenen Dienern der Göttin, den Priestern, völlig gleich in dem regen Eifer, beim Opfer den Administrantenposten auszufüllen, nur daß der Laie für seinen religiösen Eifer „bluten“ mußte, während der Priester nur seine Bemühungen in die Wagschale warf und nicht nötig hatte, sich von irdischen Gütern zu trennen. Es mußte doch wenigstens einen Unterschied zwischen Laien und Priestern geben, sonst wäre die ganze Religion nicht wertgewesen, daß ein Sterblicher sich in ihren Dienst stellte.

Gehen wir weiter durch die einzelnen Gebiete des Orients, so finden wir fast überall die gleiche fromme Sitte, die allerdings der orientalischen Lüsternheit besonders zusagte. Das, was des Herzens Neigung diktiert, in ein religiöses Dogma als Vorschrift zu fügen, das ist stets die vornehmste Taktik aller derer gewesen, die bemüht waren, einem religiösen Kult Anhänger zu gewinnen, oder Anhänger zu erhalten. Es ist deshalb schon ein Akt der Klugheit gewesen, einen Brauch, der an einem Orte große Begeisterung erweckte, auch in die eigene Gemeinde zu verpflanzen. Ich habe die Wichtigkeit dieser weisen Vorsicht schon bei der Besprechung der Dionysien und des Phalluskults gezeigt. Sie konnte auch bei dem Kult der Göttinnen der Liebe nicht ausbleiben, wollte man nicht, daß z. B. die Perser lieber der Mylitta als der Anäidis, die Phönizier lieber diesen beiden als ihrer Astarte dienten usw.

So haben dann auch die Griechen und Römer ihrer Aphrodite und Venus treu und rastlos gedient und zwar ziemlich genau nach babylonisch-orientalischer Schablone. Es ändert sich der Name der Göttin, der Kult ist derselbe und bleibt derselbe. Ich komme wohl auf Rom und Griechenland noch zurück; vorher möchte ich noch tiefer in den Orient eindringen und feststellen, daß es auch in Indien mit der religiösen Prostitution nicht anders bestellt war als in den bisher erwähnten orientalischen Ländern. Indien ist gerade deshalb das für dieses Thema interessanteste Land, weil dort der alte Brauch sich am längsten gehalten hat. Das Babylon des Altertums, das Phönizische Reich, Persiens alte Herrlichkeit — alles ist hingesunken in den Staub, und die alten Kulturen gehören einer Vergangenheit an, die soweit zurückliegt, daß der Blick kaum bis in jene Fernen heranreicht. Andere Völker, andere Sitten und besonders andere Religionen herrschen heute in jenen Gebieten, in denen einst die Göttinnen der Liebe ihre begeisterten Verehrer und Verehrerinnen fanden. Man huldigt zwar auch jetzt noch in jenen Ländern der Liebe, bringt ihr Opfer und weiht ihr das Leben, aber die Göttinnen der Liebe, an die man glaubte und denen man zu dienen meinte, wenn man das tat, was nach unserer Ansicht Sünde oder eher eine Beleidigung der Gottheit als ein Dienst ist, die sind vergangen und wohl auch vergessen. Sie transit gloria mundi.

Anders in Indien, wo weder das Christentum noch der Prophet die alte Religion des Landes über den Haufen zu rennen vermochten, weil die indische Religion in der Tat wesentlich reichere geistige Schätze und befriedigende Lehren bietet als das alte Heidentum mit seinen doch geradezu sündhaft menschlich gedachten Göttern und Gottheiten. Indien ist konservativer, es ist auch vor allen Dingen — weil abseits vom Schusse — nicht so intensiv in die Händel dieser Welt hineingezogen worden und hat schon deshalb seine Eigenart und seine Sitten viel besser bewahren können. Nun, und Indien hatte und hat noch die Dewedaschies, diese Dienerinnen der Gottheiten, die von den Portugiesen Bajaderen benannt wurden und unter dieser Bezeichnung auch für das übrige Europa bekannt geworden sind. Diese Dewedaschies hatten ebenfalls die Pflicht, sich im Tempel preiszugeben; das erforderte der Kult, ja das war ein Teil des religiösen Kults selbst, und deshalb war diese Prostitution so ähnlich wie Wagner den Spaziergang mit Dr. Faust bezeichnet, sie war nämlich auch ehrenvoll und brachte Gewinn. Gewinn freilich nur für die Seele oder für den Tempel, nicht für die — ich will mich an den bekannten Ausdruck halten — Bajadere. Mindestens waren diese leiblichen Opfer bei den Bajaderen, die dem Kaam, dem tückischen Gotte der Liebe, dienten, geradezu selbstverständlich. Ebenso wie man in Babylon der Mylitta Opfer brachte, die völlig deren Wirken entsprachen, konnte man auch bei den Hindus dem Gotte der Liebe nur Liebesopfer darbringen. Der Unterschied war nur der, daß in Babylon, auch in anderen Orten des Orients, alle weiblichen Wesen verpflichtet waren, sich zu Ehren der Gottheit hinzugeben, während in Indien nur die berufenen Dienerinnen der Gottheit zu solchen Opfern die Befugnis hatten. In Indien waren es deshalb auch nur die Priester, die bei derartigen Opfern die Rolle des Mitwirkenden übernehmen durften. Das erklärt sich wieder aus dem Umstand, daß die verhältnismäßig geringe Anzahl von Bajaderen wohl an die Priester keine allzu großen Anforderungen stellte, wie die gesamte weibliche Bevölkerung einer Riesenstadt sie gestellt haben wird. Wenn man schlechthin von Bajaderen spricht und damit alle die versteht, die sich durch Tanzen usw. ihren Unterhalt erwerben, gleichviel ob sie Tempeldienerinnen oder profane Tänzerinnen waren, so ist es wohl erklärlich, daß daraus eine Begriffsverirrung entstehen mußte, die völlig die Bedeutung der einzelnen Berufsgruppen übersehen läßt. Die erste Klasse bildeten sicherlich nur die eigentlichen Dewedaschies, also die weiblichen Götterdienerinnen. Die vornehmsten Dewedaschies erfreuten sich ganz besonderer Auszeichnungen, sie galten als edle Damen und standen unter dem Schutze des Publikums. Sie waren von der Außenwelt abgeschieden und durften niemals für profane Feierlichkeiten Tänze ausführen. Dagegen war es ihnen gestattet, sich einen Geliebten zu wählen, der aber den ersten beiden Hindukasten angehören mußte. Wohl stets war der Geliebte ein Tempelbramine, der täglich die Auserkorene in ihrer Zelle besuchen und sich nach Herzenslust mit ihr erfreuen durfte. Es scheint dieser sexuelle Verkehr nicht nur ein Recht, sondern sogar eine religiöse Pflicht der Dewedaschies gewesen zu sein, also eine religiöse Prostitution. Die zweite Klasse der Dewedaschies war noch günstiger gestellt, sie galt aber wohl nicht für so heilig wie die erste Klasse. Diese Dewedaschies waren in der Auswahl ihrer Liebhaber unbeschränkt. Sie durften wählen, so viele sie wollten, und sie waren auch nicht gezwungen, nur bestimmte Kasten zu bevorzugen. Dann aber ließen sie sich gut bezahlen. Sie durften auch öffentliche Lustbarkeiten und private Festlichkeiten durch ihre Künste verschönen und sich für diese Leistungen gut bezahlen lassen. Die Dewedaschies durften schließlich bei keinem Feste fehlen, und sie sollen nicht selten geradezu Reichtümer gesammelt haben. Daß sie dabei zu wirklichen Freudenmädchen wurden, das tat ihrem Ansehen nicht den geringsten Abbruch. Wie sollte es auch? Das, was als eine religiöse Pflicht der Bajaderen galt, das konnte doch nicht plötzlich als ein schändendes Laster gelten, bloß weil nicht der Tempelbramine, sondern irgend ein Privatmann die Früchte des „Opfers“ brach. Man dachte gar nicht daran, in der Hingabe etwas Unsittliches oder gar etwas Schändendes zu sehen, und der Umstand, daß die Bajaderen Zahlung heischten, was sie ja wiederum mit Erlaubnis der Priester taten, konnte nach der Ansicht der Hindus bei der Beurteilung ihres Handelns gar keine Bedeutung haben.

Nun gab und gibt es aber auch noch einfache, ich möchte sagen, private Bajaderen, die in gar keinem Verhältnis zum Tempel standen, sondern auf eigene Rechnung tanzten und buhlten. Ob auf eigene Rechnung, das möchte ich nicht einmal behaupten, denn in der Regel standen die Mädchen im Dienste einer älteren Dewedaschie, die ihnen Kleidung und Beköstigung gab, die Einnahmen aber für sich behielt und die Bajaderen nicht selten geradezu als Sklavinnen betrachtete. Es sind da eine ganze Reihe von Abstufungen zu verzeichnen, die aber alle die prinzipielle Übereinstimmung hatten, daß ihr Treiben niemals ihrer Ehre Abbruch tat.



Ich bin der Ansicht, daß die profane Prostitution, die im Orient gewaltige Ausdehnung genommen hat, meist aus der religiösen Prostitution hervorgegangen ist. Damit erklärt es sich dann auch ganz ungezwungen, daß dies Gewerbe nicht als schändend betrachtet wurde. „Sie duo idem faciunt, non est idem.“ Das gilt zwar sonst von der Prostitution in erster Linie. Es ist derselbe Akt, den der Mann und die Prostituierte gemeinschaftlich verrichten und doch soll es nicht dasselbe sein. Dem Manne erwächst an seiner Ehre aus einem derartigen Verkehr kein Abbruch; das Mädchen aber wird dadurch zum verworfensten Geschöpf, das man mit einem Fußtritt zur Tür hinausbefördern kann, wenn man es nicht mehr braucht. Der Orientale denkt in diesem Punkte anders; er ist gerechter, das kommt aber auch wohl daher, daß er an sich von den Weibern eine noch geringere Meinung hat als der Abendländer. Ihm ist das Weib weiter nichts als ein Werkzeug seiner Lüste, mag er es nun für immer in seinen Harem sperren, oder mag er es nur gelegentlich für seine Zwecke ausnutzen. In dem einen wie in dem andern Falle muß er zahlen, in dem einen wie in dem anderen Falle ist ihm das Weib nur Mittel zum Zwecke. In der Regel. Die Fälle einer wirklichen Liebe, die etwa das ist, was wir im besten Falle darunter verstehen, sind Ausnahmen von der Regel.

Ich habe von einer religiösen und einer profanen Prostitution gesprochen und der Vermutung Ausdruck gegeben, daß die profane wohl an verschiedenen Orten sich aus der religiösen entwickelt habe. Daß dies nicht überall der Fall gewesen ist, liegt auf der Hand, einmal schon weil es nicht überall eine religiöse Prostitution gegeben hat, ferner weil die Entstehung der profanen gewissermaßen aus sich selbst heraus sich so außerordentlich leicht erklären läßt, daß man wohl sagen darf, sie hätte auf alle Fälle entstehen müssen. Der Sinnenrausch fragt nichts nach menschlichen Institutionen; er ist unabhängig von der Ehe, die selbst auch eine menschliche Institution ist, die deshalb je nach der örtlichen Auffassung und den örtlichen Verhältnissen stark variiert. Der Sinnenrausch ist da, ehe eine Eheabsicht entsteht, oft genug ohne solche oder sogar mit der festen Absicht, keine Ehe zu schließen. Da ist es denn sehr naheliegend, daß der sexuelle Verkehr auch ohne Ehe gesucht und gewährt wird, besonders wenn kleine oder größere Geschenke den weiblichen Teil geneigter machen, auf die Wünsche des Mannes einzugehen. Das erzieht dann — mutatis mutandis — die Prostitution ganz von selbst.

Als eine Art Übergang denke ich mir die griechische Aphrodite- und die römische Venusverehrung. Es war das nicht in dem Maße religiöse Prostitution wie in Babylon beim Mylittakult; aber auch nicht Prostitution im weltlichen Sinne. Einen starken religiösen Hintergrund hatte die Sache doch, wenigstens zweifellos im Entstehungsstadium. Ich habe schon die Dionysien und Bacchanalien beschrieben und dargetan, daß diese auch Götterdienste waren, die natürlich, wie man dies übrigens bei jedem Götter- und Gottesdienst beobachten kann, mehr und mehr entarteten. Würde Christus heute auf unsere Erde zurückkehren, er würde die Kirche säubern, wie er einst mit der Geißel den Tempel reinigte. Er würde auch heute den schwersten Kampf nicht mit der „sündigen Menschheit“ zu kämpfen haben, sondern —? Ja, das ist das alte Lied. Die gesunde Idee eines Kults gleicht der schönen, zarten Wunderpflanze, die in den Garten versetzt wird, und die schließlich im Unkraut ersticken muß. Äußerliche Form, Menschendogma und schlimmere Dinge wie Selbstsucht, Herrschsucht usw. ersticken die Wunderblume des reinen Glaubens und anstelle der innigen Gottesverehrung tritt ein hohles Gespenst, daß durch den äußerlichen Prunk und Pomp, durch die formelle Feierlichkeit, mit der es in die Erscheinung tritt, blendet, aber keine innerliche Befriedigung, keine innerliche Erhebung mehr gestattet, weil ihm die innerliche Wahrheit und Reinheit fehlt.

So war es bei den Dionysien und Bacchanalien des griechischen und römischen Altertums, so war es bei dem Aphrodite- und Venusdienst. Man soll sich nicht dadurch täuschen lassen oder selbst täuschen, daß man die Achseln zuckt und geringschätzig über das Heidentum lächelt, das doch so gar keine Berechtigung gehabt habe und dem denkenden Menschen nur ein Lächeln habe abgewinnen können. Wer das sagt, der hat damit das Geständnis abgelegt, daß er von dem rein innerlichen, d. h. an keine Form, an kein Dogma gefesselten religiösen Empfinden eines Volkes keine Ahnung hat. Daß die naive Religiosität der Alten viel inniger, vielmehr Sache des Herzens war als jede andere, das ist nicht in Abrede zu stellen. Kein Unternehmen gab es, mochte es für die armselige Privathäuslichkeit des Einzelnen, mochte es für das öffentliche Staatswesen geplant sein, zu dem nicht die Hilfe der Götter angefleht und durch Opfer erreicht werden mußte. In der Regel holte man Orakelsprüche ein, die von Priesterinnen, wie es die Pythia des berühmten Delphi-Orakels war, vermittelt wurden, wobei diese Priesterinnen etwa dieselbe Rolle spielten, die die heutige „okkulte Wissenschaft“ den Medien zuweist.

Auch der Dienst der Venus und Aphrodite wurde zunächst sehr ernst genommen; er wirkte keineswegs entsittlichend, wenn wir dies Wort nicht mit dem Maße messen wollen, mit dem die moderne, heuchlerische Prüderie jede wirkliche Sittlichkeit totzuschlagen bemüht ist, so daß auch hier die Wunderblume reinen Empfindens durch Disteln, die Hauptnahrung der Esel, und anderes garstiges Unkraut erstickt werden würde, wenn die Bemühungen gewisser Kreise, was erfreulicher Weise nicht der Fall sein wird, dauernde Erfolge haben könnten. Die gesunde Sinnlichkeit des Altertums — ich will gleich vorweg betonen, daß sie nicht lange sich dieser Gesundheit erfreuen durfte — war nichts weniger als Unsittlichkeit. Wenn das Altertum den Göttinnen huldigte, die ihnen die seligsten Freuden des Liebeslebens gewährte, die für die Erhaltung der Art sorgte, so war dies durchaus natürlich und — vom Standpunkte jener Anschauung aus betrachtet — vernünftig. Daß dieser Kult entartete, und daß mit ihm die „gesunde“ Sinnlichkeit entarten mußte, das versteht sich für jeden objektiven Beurteiler von selbst, weil leider nichts in der Welt seine ursprüngliche Reinheit und Klarheit behalten kann. Die Menschheit strebt ständig der Vervollkommnung entgegen, sie sucht zu verbessern, zu veredeln und das, was sie für das Heiligste und Schönste hält, noch feierlicher und schöner zu gestalten. Das ist das leitende Prinzip. Daß der Erfolg nicht dem Wollen entspricht, das hat wieder darin seinen Grund, daß niemals das Heiligste und Schönste einer künstlichen Steigerung fähig ist, weil das Vollkommene eben nicht vollkommen wäre, wenn es auch den Komparativ oder Superlativ vertrüge. Man soll nun, so tief man es auch bedauern muß, daß menschlicher Aberwitz so viel verdirbt, wenn er es verbessern will, doch immer an das alte römische Wort denken: „Si absunt vires, voluntas est laudanda.“ Niemals sind sich die Weltverbesserer bewußt gewesen, daß ihre Idee Schaden bringen könne; niemals ist ein Dogma von Allen, die ihm das Wort redeten als eine Verschlechterung empfunden worden. Man soll deshalb den guten Willen der „Verbesserer“ annehmen, mag man ihr Tun auch noch so bedauern. Selbst ein Goethe hat den weisen Rat erteilt, an den Busen der Natur zurückzukehren, und doch hat er selbst sich ebenso wie die übrigen Menschen immer mehr von der Natur entfernt. Und hat es jemals Menschen gegeben, die diesen Rat befolgen wollten, nicht etwa weil er von Goethe erteilt war, was sie ja meist nicht einmal wußten, sondern weil sie selbst in ihrem Herzen die Notwendigkeit empfanden, so sind sie gewöhnlich Fantasten gewesen, die völlig übersehen hatten, daß der Weg, den die Menschheit Jahrtausende lang gewandelt ist, nicht mit einem kühnen Sprung in einigen Sekunden rückwärts getan werden kann, und die auch nur in äußerlichen Formen parodierten und deshalb mit vollstem Rechte Gegenstand des Spottes und Gelächters wurden. Vor allen Dingen soll man nicht glauben, daß es ein Ideal sein könnte, auf das Niveau der Höhlenbewohner zurückzukehren. Das sind Utopien. Da es lächerlich wäre, den Segen einer gesunden Kultur und Vervollkommnung zu leugnen, da aber jede Kultur und jeder Fortschritt uns von der Natur entfernen müssen, sofern wir in der Natur nur das verstehen wollen, was die Menschheit war, als sie noch „in Kinderschuhen“ steckte — in Wirklichkeit gab es natürlich keine Schuhe —, so sind das Probleme, die niemals der Lösung mit Erfolg entgegengebracht werden können.

Kommen wir also zum Kult der Liebesgöttinnen zurück, und machen wir uns mit dem Gedanken vertraut, daß dieser Kult, je mehr er entwickelt wurde, desto mehr entarten mußte, so finden wir unschwer die Überleitung zur weltlichen, profanen und abscheulichsten Prostitution. Ich möchte einen weiteren Schritt in dem griechischen Hetärenwesen sehen. Das war nicht Prostitution in des Wortes übelster Bedeutung. Es ist nicht gut möglich, die vulgäre Straßendirne und die Hetäre des alten Griechenlandes in einen Topf zu werfen, mag dies auch für enragierte Sittlichkeitsfexe ein Kinderspiel sein. Das Hetärenwesen war in seinen Anfängen eine Institution, der ein gewisser Idealismus nicht abgesprochen werden darf. So hoch die griechische Kultur auch über die anderen Länder emporragte; sie war doch — das möchte ich den orientalischen Ballast nennen — dadurch beeinträchtigt, daß sie der Frau eine zu niedrige Rolle im öffentlichen, ja sogar im häuslichen Leben zuteilte. Die Frau war da, dem Manne Nachkommen zu schaffen, die als legitime zu gelten hatten, sonst hatte sie weder eine gesellschaftliche, noch sonst eine Bedeutung. Das in einem Lande des frohen Genießens, in dem doch wahrlich das ewig Weibliche etwas mehr sein mußte als das bloße Instrumentum pollutionis, denn sonst wäre die Kultur, der hohe Geistesschwung wohl menschlich nicht verständlich gewesen, mindestens nicht mit der heiteren Lebenslust der Griechen, die ihre Göttinnen ebenso verehrten wie die Götter, in Einklang zu bringen. Die griechische Frau war allerdings ihrer Bildung nach durchaus nicht geeignet, dem Manne eine geistige Anregung zu bieten. Daß man in Griechenland diesen Mangel nicht beseitigt hat, daß man ausschließlich auf die körperliche Ausbildung und Gesundheit der Frauen Gewicht legte und bemüht war, kräftige und gesunde Mütter als die Garantie für ein künftiges kräftiges und gesundes Geschlecht zu schaffen, würden wir nach heutiger Ansicht sehr wohl die Neigung haben, als schweren Vorwurf zu erheben. Zwar nicht ganz mit Recht, wenn anders man Jemandem nicht etwa noch daraus einen Vorwurf machen will, daß er nicht die Fähigkeit besitzt, nach Belieben aus seiner Haut herauszuschlüpfen. Das Altertum kannte es eben nicht besser und das orientalische Altertum ganz besonders nicht. Es kam eben der Ehefrau nicht zu, durch ihre geistigen Gaben die Gesellschaft zu fesseln und mit anderen Männern zu flirten — um dies abscheuliche Diktum nun einmal zu gebrauchen. Es konnte, mit einem Worte gesagt — die Ehefrau nicht Mittelpunkt des geistigen Lebens sein, denn das wäre mit den Ansichten über Pflichten und Aufgaben einer Ehefrau nicht vereinbar gewesen, wiederum nach dem Status jener Zeit mit vollstem Rechte.



Wollte man aber die Frau wirklich in den Mittelpunkt des geistigen Lebens treten lassen, so konnte sie sicher nicht Ehefrau sein; sie war nur als Freundin, nicht als Frau vorstellbar. Als Freundin, — als Hetäre — war dem weiblichen Individuum Gelegenheit geboten, gesellschaftliche Triumphe zu feiern. Das läßt nun wieder mit Notwendigkeit den Schluß zu, daß es unbedingt den Frauen auch im Altertum schon möglich war, sich eine glänzende Bildung zu erwerben, denn diese war für die Hetäre unerläßlich. Sie fesselte durch ihren Geist und ihre Unterhaltungskunst, die immer etwas höhere Anforderungen stellte als der übliche Gesellschaftsschliff, der es ermöglicht, angenehm und anziehend über die hohlsten und nichtigsten Dinge des Lebens hinwegzutänzeln. Die Hetäre konnte den geistig hochstehenden Griechen genügen. So war die Hetäre ursprünglich eine Priesterin des geistigen Verkehrs. Ich habe aber schon wiederholt gesagt, dass jedes Ding, jede Institution durch ihre weitere Entwicklung entartete und einbüßte. Auch das Hetärentum wurde zu nichts als zu einer verfeinerten Prostitution und die Hetäre lernte außer anderen, der Unterhaltung dienenden Künsten, vor allen Dingen die, ihre Freunde in der unerhörtesten Weise auszunutzen und auszuplündern. Sie wurden dabei allerdings reich, und da der Reichtum besticht und adelt, so tat dies ihrem Ansehen und ihrer Bedeutung zunächst keinen Abbruch, es war aber doch der wichtigste Schritt zur profanen Prostitution in ihrer widerlichsten Bedeutung. Daß die Hetären in der Tat eine Rolle spielten, die weit über die einer gewöhnlichen Prostituierten hinausging, beweist wohl schon die Tatsache, daß Perikles, obwohl er verheiratet war, mit der Hetäre Aspasia in dauernde Verbindung trat und diesen Verkehr in keiner Weise zu bemänteln suchte. Ich nenne den Perikles nicht allein deshalb, weil sein Name bis auf den heutigen Tag als einer der bedeutendsten bekannt geblieben ist, sondern auch deshalb, weil Perikles der erste Ehemann war, der öffentlich mit einer Hetäre verkehrte, aber bald so viele Nachahmer fand, daß Nietzsche mit Recht schreiben konnte, im alten Griechenland seien die Ehefrauen dazu da gewesen, dem Manne Kinder zu schenken; die viel edlere Aufgabe, den Mann zu unterhalten und zu vergnügen, habe die Hetäre zu erfüllen gehabt. Perikles war in der Tat die geeignetste Person, eine solche Neuerung einzuführen. Er bekämpfte die Aristokratie, damit zugleich eine Menge Vorurteile. Er setzte es durch, daß dem Volke aus dem Staatsschatze Schenkungen gewährt wurden. Er tat viel für Kunst und Wissenschaft, war der glänzendste Redner, der je gelebt hat, und schwang sich geradezu zum Alleinherrscher über das so unabhängige Athen auf. Perikles wurde natürlich viel von seinen Landsleuten angefeindet, und man suchte ihn noch dadurch zu verletzen, daß man seine Freundin Aspasia beschuldigte, sie habe ihm eine ganze Anzahl freier Weiber verkuppelt. Er selbst übernahm mit seiner glänzenden Beredsamkeit die Verteidigung der Hetäre und erzielte auch ihre Freisprechung.

Gerade die Geschichte des Perikles — ich meine nicht die seiner politischen Bedeutung — ist für mein Thema von hervorragender Wichtigkeit. Schon der Umstand, daß ein solcher Mann, der beste Kopf seiner Zeit — seine höchste Blüte fällt in die Zeit von Cimons Tod ab (449 v. Chr.) und hielt eigentlich bis zu seinem Tode (429) an —, überhaupt eine Hetäre seines vertrauten Umganges würdigte, daß er die Freundschaft mit ihr nicht allein aufrecht erhielt, sondern sie auch vor aller Welt bekannte, beweist klar und deutlich, eine wie wichtige und doch sicherlich nicht verächtliche Stellung die Hetären in jener Zeit einnahmen. Die Anklage gegen die Hetäre Aspasia selbst ist wiederum für die kulturhistorische Forschung erheblich wertvoller, als dies auf den ersten Blick erscheinen will. Nicht daraus machten ihr die rachsüchtigen Athener einen Vorwurf, daß sie Hetäre oder, daß sie öffentlich als Freundin des Perikles bekannt war, und Perikles selbst betonte dieses Verhältnis noch dadurch ganz besonders, daß er öffentlich mit Feuer und Begeisterung als Verteidiger der Aspasia auftrat. Es ist also weder in dem Stande der Aspasia, noch in ihrem Freundschaftsbunde etwas Anstößiges gefunden worden. Strafbar sollte die Hetäre sich nur dadurch gemacht haben, daß sie ihrem Freunde Frauen in kupplerischer Absicht zugeführt habe. Wenn man dies annahm, mußte man eigentlich wohl von dem Gedanken ausgehen, daß der Verkehr einer Hetäre mit einem Manne an sich eine harmlose Sache sei, denn hätte man einen sexuellen Verkehr als den wesentlichen Zweck des Verkehrs betrachtet, so würde doch wohl schwerlich damit die Annahme vereinbar gewesen sein, daß Aspasia für ihren Geliebten auch andere Frauen bereit gehalten haben sollte. Viel wahrscheinlicher wäre diese Anklage gewesen, wenn festgestanden hätte, daß das ganze Verhältnis nichts weiter gewesen sei, als ein harmlos freundschaftlicher Verkehr, in dem Perikles lediglich geistige Genüsse suchte und fand, sodaß Aspasia ihm ohne Eifersucht und ohne sonstige Bedenken für seine sexuellen Begierden andere Frauen zuführen konnte.

Man ersieht weiter daraus, daß die Kuppelei als eine sehr ernste Straftat angesehen wurde, die aber nicht dem zur Last fiel, der sich der Kupplerin bedient hatte, sondern lediglich für die Kupplerin verhängnisvoll werden konnte. Wäre Perikles als Mitschuldiger angesehen worden, so würde er nicht in der Lage gewesen sein, die Hetäre zu verteidigen, sondern er hätte dann mindestens sich selbst mit verteidigen müssen. Es kann nach alledem mindestens zu jener Zeit die Hetäre nicht in einem so üblen Rufe gestanden haben, wie oft angenommen wird. Das ist auch aus anderen historischen Daten zu entnehmen und wird weniger befremden, wenn man erwägt, zu welcher Machtfülle bis in die neueste Geschichte hinein zuweilen fürstliche und königliche Maitressen gelangten, die, wie einst die Hetären des alten Griechenlands, die rechtmäßige Gattin ihrer Galane bis in das dunkelste Nichts zurückdrängten, ihr die Rolle der legitimen Spenderin des Thronerben überließen, selbst aber den Herrscher und damit zugleich das Land regierten, gefeiert und verehrt von der Schar der Höflinge, die allerdings eigentlich noch feiler war als die Maitresse, umworben und verhätschelt von den Würdenträgern und den Großen des Reiches, die nur mit dem Willen und der Genehmigung des Buhlweibes ihr Amt behalten und dessen Pflichten ausüben konnten.

Das Altertum, das von dem Vorurteil der Ebenbürtigkeit noch nicht angekränkelt war, konnte sogar einen großen Schritt weiter gehen als das zeremonielle Zeitalter z. B. der französischen Ludwigs-Monarchien. Die Hetäre Thais war die Geliebte Alexanders. Ihre diesem Bund entstammenden Kinder wurden als vollberechtigte Erben Alexanders angesehen, so daß ihr Sohn Erbe des Ptolemäischen Thrones, ihre Tochter Königin von Cypern werden konnten. Das ist ein Beispiel unter vielen. Nicht selten wurden Hetären von den Herrschern geradezu königliche Ehren erwiesen. Bekannt ist die Stellung der Myrina am Hofe des Demetrius. Welche Reichtümer eine Lais, eine Phryne erwarben, ist bekannt, und besonders von der Lais werden Geschichten der Nachwelt überliefert, die lebhaft an die Schrullen und Capricen einer modernen Welt- oder auch meinetwegen Halbweltdame erinnern. Die Phryne machte von ihren Schätzen — ich meine natürlich nicht die lebenden — einen edleren Gebrauch als die Lais. Als Theben zerstört worden war, bot sie den Thebanern an, die Stadtmauern auf ihre Kosten wieder aufbauen zu lassen, gewiß ein hochherziges Anerbieten, das wohl ebenfalls nicht hätte gemacht werden können, wenn die Hetäre gar so verachtet gewesen wäre. Es kam übrigens durchaus nicht so selten vor, daß Hetären sich als patriotisch fühlende Wesen erwiesen. In Korinth wurden die Hetären geradezu als Retterinnen der Stadt gefeiert und verewigt. Als die Perser das kleine Griechenland mit ihren Riesenheeren bedrohten und auch der unerschrockene Mut des tapferen Volkes nicht die bangen Sorgen um den Ausgang des ungleichen Kampfes zu bannen vermochte da taten die korinthischen Hetären ein Gelübde, begaben sich in den Tempel der Aphrodite und beteten für das Wohl der Stadt, die auch wirklich gut fortkam, so daß man diese günstige Wendung auf das Gebet und das feierliche Gelübde der Hetäre zurückführte. Das „dankbare Vaterland“, das in Griechenland wirklich dankbar war und sich auf diese Pflicht der Dankbarkeit nicht erst immer hundert Jahre nach dem Tode des verdienstvollen Mitbürgers usw. besann, widmete der Göttin eine Gedenktafel, die aber zugleich den Dank an die Hetären enthielt, denn diese waren auf der Tafel bildlich dargestellt. Es haben auch sonst Künstler und Schriftsteller es nicht verschmäht, die einzelnen Hetären der Nachwelt zu erhalten, oder doch wenigstens deren Angedenken. Auch das beweist wieder klar und deutlich, welche hervorragende Rolle diese oder doch wenigstens eine große Anzahl von ihnen im öffentlichen Leben des griechischen Altertums spielten, und daß es falsch ist, die gewöhnlichen Lustdirnen mit den Hetären in einen Topf werfen zu wollen. Die gefeiertsten Hetären waren auch durchaus nicht für jeden beliebigen Mann zugänglich; es wird von einigen sogar berichtet, daß die Freundschaft für ihren Freund bis über dessen Tod hinaus dauerte. So werden die Hetären Timandra und Theodola, die dem großen Alcibiades das Leben verschönten, als sehr getreue und ergebene Personen geschildert, die ihrem Freunde auch nach dessen Tode ergeben und treu blieben.



Wenn man gleichwohl das Hetärenwesen als eine Art Prostitution gelten lassen will, so ist es mindestens die verfeinerte Prostitution bei einem geistig hochentwickelten Volke gewesen. Man verwechselt übrigens sehr leicht das Hetärenwesen mit der brutaleren Form der Prostitution, die es in Griechenland ebenfalls gab, und die schon zeigt, daß in Wirklichkeit die Hetäre doch etwas wesentlich anderes war als die eigentliche Lustdirne, die nach bestimmtem gesetzlichen Reglement lebte. Für die Lustdirne gab es besondere Häuser, die sog. Dikterien. Die Einrichtung des Dikterion wird dem weisen Solon zugeschrieben, der diese Institution geschaffen haben soll, um der sittlichen Verwilderung vorzubeugen oder diese mindestens in Bahnen zu lenken, die dem öffentlichen Wohle möglichst wenig schaden konnten. Wenn es wahr ist, daß Solon das Dikterion geschaffen und gesetzlich geregelt hat, so ist diese Institution erheblich älter als die Glanzzeit des griechischen Hetärenwesens, die ich von dem Zeitpunkt an rechne, an dem Perikles durch sein Beispiel den freien Verkehr zwischen angesehenen und verheirateten Bürgern und Hetären sanktionierte. Solon ist schon 639 v. Chr. geboren. Es ist nun allerdings nicht zu bestreiten, daß Solon recht guten Grund hatte, die abscheuliche Verwilderung, die in Athen um sich griff, zu bekämpfen und unschädlich zu machen, denn die Zustände arteten dergestalt aus, daß in der Tat ein besonnener und kluger Staatsmann von ihnen den schließlichen Zusammenbruch des Staatswesens befürchten konnte. Das Dikterion war ein Bordell, das nach bestimmtem Reglement geleitet werden mußte, und in das nur Sklavinnen aufgenommen werden durften. Die Besucher hatten eine festgesetzte Summe zu zahlen und durften nicht ausgebeutet werden. Nach den Bestimmungen Solons sollten die Töchter der Athenienser überhaupt nicht ins Dikterion gebracht werden dürfen. Solon selbst ließ die Sklavinnen für diese Häuser im Auslande kaufen; die Kosten wurden durch die Zahlungen der Besucher gedeckt.

Ähnlich war das Prostitutionswesen im alten Rom geregelt. Auch dort war die Prostitution erlaubt, aber die Dirnen standen in tiefer Missachtung. Man hatte, wohl nach griechischem Muster Freudenhäuser geschaffen, die sog. Lupanarien, die unter der Aufsicht der Ädilen standen, und die wohl ähnlich organisiert waren wie das vorbildliche Dikterion in Athen. Wie es scheint, ist in Rom das „notwendige Übel“ nicht allzu streng beaufsichtigt gewesen. Neben den Dirnen, die in den Lupanarien untergebracht waren und diese nicht verlassen durften, gab es auch eine „wilde Prostitution“, d. h. es trieben viele Weiber das Gewerbe auf „eigene Rechnung und Gefahr“. Sie hatten keine bestimmte Wohnung, waren mindestens nicht an ein beaufsichtigtes Haus gebunden, sondern trieben sich umher und machten ihre Eroberungen, so gut und so schlecht es gehen wollte. Es scheint allerdings mehr gut als schlecht gegangen zu sein, denn die Prostitution nahm gewaltig zu und überflutete nicht selten die ewige Stadt in geradezu erschreckender Weise. Die vagabundierenden Dirnen — Meretrices und Prostibulae — bildeten eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Ich meine nicht gerade für die öffentliche Sittlichkeit, denn an der war eigentlich herzlich wenig zu verderben, wohl aber für die öffentliche Sicherheit, denn die Meretrices und Prostibulae hatten einen ähnlichen Anhang, wie ihn die moderne Dirne an ihrem Zuhälter hat. Besonders unter den Kaisern nahm die Prostitution in einer Weise zu, die wohl kaum wieder erreicht, auf keinen Fall aber übertroffen werden kann. Die Lupanarien waren stets überfüllt, nicht allein die gewerbsmäßigen Lustdirnen drängten sich dahin, sondern es wurde ihnen auch seitens der römischen Damen eine starke Konkurrenz gemacht. Man würde es wohl nicht für möglich halten, wenn es nicht historisch festgestellt wäre, daß die vornehmsten römischen Damen, ja selbst die Kaiserinnen einen förmlichen Sport trieben, die Lupanarien aufzusuchen und sich dort den Männern preiszugeben. Gerade von einigen Kaiserinnen wird berichtet, daß sie unersättlich in ihren Lüsten gewesen seien. Ich will hierfür nur einen Satz von Jakob Döpler zitieren, der wörtlich lautet: „Kayser Claudius war mit seinen Gemahlinnen gar unglücklich, weil sie alle Huren waren. Die erste Nahmens Aemilia stieß er von sich, ehe er sich noch völlig mit ihr vermählete. Der andern, so Livia Medullina hieß, hatte er schon am ersten Hochzeitstage satt. Die Dritte, Plautia Horculanilla, und die vierte, Älia Petina, wurden Ehebruchs bezüchtiget, darum stieß er sie beyde von sich. Die fünfte aber, Nahmens Valeria Messalina, war die ärgste: Denn ihre Unersättlichkeit in der Wollust trieb sie dahin, daß sie sich vermasquieret ins Hur-Hauß begab und sich Lycina nennen ließ und da sie es daselbst mit 25 Männern versucht, eignete sie sich dadurch vor andern einen großen Ruhm zu, ungeachtet sie gleichwohl noch meinte, daß sie zwar müde, aber nicht satt worden.“ Es war eine Kaiserin, die diesen denkwürdigen Ausspruch tat. Es kommt ja natürlich ganz auf die individuelle Veranlagung an, welches Maß an sexueller Befriedigung erforderlich ist, die Begierde zu stillen, und es mag Herrn Döpler wohl darin beigestimmt werden, daß ein Verkehr mit 25 Männern selbst in einem solchen Milieu, wie es das Lupanarium ist, zu besonderem Ruhm gereichen muß. Jedenfalls stand aber die Kaiserin Valeria Messalina im alten Rom nicht vereinzelt in Bezug auf ihre sittlichen „Grundsätze“ da, und gerade in den vornehmsten Kreisen liebten es die Damen, sich alle nur erdenklichen Extravaganzen zu erlauben, so daß wohl den guten Kaiser Claudius, dem alle seine Gattinnen ein stattliches Geweih aufsteckten, — vor und besonders nach der Hochzeit — die recht bedenklich geäußerte Lebenslust der Messalina arg verdrossen hat — Döpler sagt: „Ist deswegen von Claudio umgebracht worden“ —, im allgemeinen war aber die Verwilderung so weit gediehen, daß man selbst einer Kaiserin die Gastrolle in dem Lupanarium gar nicht so sehr verübelte.

Die Lustdirnen — ich muß zu ihnen auch die vornehmen Damen zählen — traten mit immer größerer Frechheit auf und machten sich überall breit, wo sie hoffen konnten, einen Anhang zu finden. In den Bädern, in denen meist allerdings das Baden nicht die Hauptsache, sondern oft nur Mittel zum Zwecke war, wimmelte es von Lustdirnen, die dort natürlich reiche Ernten hielten und stets willkommen waren. Das stolze Rom benutzte die Unsittlichkeit geradezu als Grabscheit für das eigene Grab, denn daß dieses verkommene und verweichlichte Volk sich nicht die Kraft und Energie bewahren konnte, die erforderlich waren, die Weltmachtstellung dauernd zu erhalten, das liegt doch wohl klar am Tage. Rom und die alten Weltreiche sollten nur auch nach dieser Richtung hin in ihrer Geschichte etwas sorgfältiger studiert werden. Das wäre vielleicht für die jetzt so begeistert empfohlene sexuelle Aufklärung eins der lehrreichsten Kapitel, das übrigens auch für den Geschichtsunterricht bestens empfohlen werden kann, schon deshalb, weil es in das öde Einerlei des einseitigen Schlachten- und Kriegsmemorierens eine gute Abwechslung bringen und etwas mehr Verständnis dafür erwecken würde, warum die Schicksale der Kriege und Völker, die eine niemals überwindbare Macht besaßen, doch so kläglich ausfielen. Erst dieses Studium zeigt, daß die Weltgeschichte wirklich das Weltgericht ist, das niemals sittliche Verfehlungen der Völker dauernd ungestraft geschehen läßt. Es ist immer interessanter, zu erfahren, warum einem Übeltäter der Kopf abgeschlagen worden ist, als die bloße Tatsache zu vernehmen, daß das Richtschwert einmal zwischen Kopf und Leib irgend eines Hinz oder Kunz „einen Unterschied gemacht habe“. Auch Hinz und Kunz treten aus dem Nebeldunst absoluter Gleichgültigkeit heraus, wenn feststeht, daß sie eine Reihe von Verbrechen begangen haben, für die die irdische Gerechtigkeit den Ausgleich des Kontos dem braven Meister Hans überlassen mußte. So will man denn auch in der Weltgeschichte nicht bloß wissen, daß irgend ein Ereignis eingetreten ist, sondern man wird sich viel mehr angezogen und interessiert fühlen, wenn man den Nachweis führen kann, warum dieses Ereignis eintreten mußte, und daß nicht blind der Zufall waltet, sondern stets eine logische Notwendigkeit aufzufinden ist.



Es ist nicht etwa mit diesen Ausführungen zum Ausdruck gebracht, daß gerade die gewerbsmäßige Prostitution das sittliche Übel sei, an dem ein Volk hinsiechen müsse. Ich möchte viel eher behaupten, daß sie in keiner Weise verhängnisvoll zu werden braucht. Nach Solons Rezept ist die Prostitution vielmehr das beste Mittel, einer allgemeinen Verwilderung entgegenzuarbeiten, so lange natürlich nur, wie die Prostitution in die richtige Bahn gebettet wird. Wohltätig ist des Feuers Macht, wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht. Das gilt von der Prostitution erst recht. Sie ist dann wie der Blitzableiter im tobenden Gewitter. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum, die Sittlichkeit eines Volkes nach dem Status der Prostitution ganz einseitig in der Weise bemessen zu wollen, daß man sagt, es gibt dort viele Dirnen, ergo ist die Unsittlichkeit bedeutend. Man könnte vielleicht mit mehr Recht von einer Gegend, in der es gar keine Prostitution gibt, sagen, das ist die unsittlichste Gegend der Welt, dort bleibt nicht einmal für die Lustdirnen etwas übrig. In der Tat erreichen — prozentualiter — in solchen prostitutionsfreien Gegenden zuweilen die unehelichen Geburten die höchste Ziffer, während in Gegenden mit starker Prostitution die Bürgertöchter so unnahbar sind, daß gerade die Prostituierten die Rolle des Blitzableiters spielen und, wie dies schon Solon erkannte, die Angriffe und Verführungen anständiger Mädchen absorbieren.

Vorausgesetzt, daß die Prostitution in ihren zweckentsprechenden Grenzen gehalten wird, ist sie keineswegs verwerflich oder — ich möchte dies ausdrücklich betonen — auch nur entbehrlich. Es sind Gründe sozialer Art, die sie notwendig machen und die sich nicht mit einigen schönen Phrasen von der verletzten Menschenwürde usw. aus der Welt schaffen lassen, weil streng genommen gar manche Dienstbarkeit eine Verletzung der Menschenwürde darstellt und, selbst die Ehe zuweilen weit mehr gegen die Menschenwürde verstößt als die Prostitution. Ich sage, daß diese ein Produkt sozialer Verhältnisse sein kann und aus diesem Grunde für eine Notwendigkeit gehalten werden muß. Die Möglichkeit, sich zu verheiraten, ist für viele Männer nicht gegeben, das resultiert aus zu geringer Bezahlung, zu großer Unsicherheit der Existenz, — der Wettbewerb der Frauen ist hier eine schlimme Gefahr — und der Erziehung der Mädchen, die im Durchschnitt viel zu anspruchsvoll sind und für die Ehe zu wenig gelernt haben, nur Rechte verlangen, ohne Pflichten zu kennen. Ich will nicht zu weit von meinem Thema abschweifen. Jedenfalls ist die Prostitution für die sehr zahlreichen Männer, denen die Heirat versagt bleibt — ich verabscheue prinzipiell den Gedanken, daß die Ehe nichts sein soll als die gesetzlich erlaubte Form des sexuellen Verkehrs, auf das Tiefste —, die einzige Möglichkeit den sexuellen Trieb, den man um Gotteswillen nicht für etwas Unsittliches halten soll, zu befriedigen. Es ist falsch, jeden sich außerhalb der Ehe abspielenden Geschlechtsverkehr ungeprüft als eine Unsittlichkeit perhorrescieren zu wollen. Ich bin auf diese Gesichtspunkte schon in meinem Werke „Das Liebesleben im alten Deutschland“ näher eingegangen und möchte das dort Gesagte auch dem Sinne nach hier nicht wiederholen; denn für jetzt kommt es doch nur darauf an, welche moralische Beurteilung eines ganzen Volkes das Vorhandensein oder die Häufigkeit der Prostitution gestattet. Ich möchte also besonders hervorheben, daß weder Rom noch Griechenland noch ein Volk des orientalischen Altertums daran sittlich zu Grunde gegangen sind, daß die Prostitution bestand, sondern nur daran, daß die allgemeine Unsittlichkeit zu einer wirklichen Verwahrlosung und Verweichlichung ausartete, und daß diese Entartung nicht durch das Vorhandensein einer Prostitution, sondern an der Teilnahme von Weib und Kind, an dem Umsichgreifen auch der widernatürlichen Unzucht, die immer eine Folge der sittlichen Entartung ist, abhing. Ich will dabei nicht in Abrede stellen, daß auch das Überhandnehmen der Prostitution dazu beitragen kann, den sittlichen Verfall zu beschleunigen; man soll nur nicht Ursache und Wirkungen verwechseln. Die Hypertrophie eines Gliedes ist niemals Ursache eines Leidens, sondern immer Folge; auch das Überhandnehmen der Prostitution ist niemals die Ursache einer Entsittlichung, sondern eine Folge, weil dieses Überhandnehmen sonst nicht möglich ist, nicht geduldet werden kann.

Man würde im alten Rom die Meretrices und Prostibulas sehr wohl und sehr nachdrücklich von Orten, an denen sie nichts zu schaffen hatten, fortgewiesen haben, wenn man nicht die moralische Kraft hierzu schon eingebüßt gehabt hätte. Die Dirnen haben es getrost gewagt, sich überall einzudrängen, weil sie wußten, daß sie willkommen waren, und daß auch die sonst so straffe Staatsgewalt gar nicht daran dachte, das widerliche Treiben zu verhindern, da ihr schon längst jedes Gefühl für wirklichen Anstand und Sitte verloren gegangen war und schließlich auch verloren gehen mußte, wenn selbst die vornehmen Damen ungestraft sich einem Lasterleben in die Arme werfen durften, das jeden noch nicht völlig moralisch versumpften Menschen anekeln mußte. Wo gab es denn im alten Rom noch einen Ort öffentlicher Lustbarkeit, der nicht völlig von dem Treiben geiler Weiber verseucht gewesen wäre?

Auch das wäre nicht möglich gewesen, wenn man, um zu erfahren, was sich schickt, noch bei „edlen“ Frauen hätte anfragen können. Wir haben aber gesehen, wie selbst die Kaiserinnen über diesen Punkt dachten, und wie sie ihre Gedanken in die Tat umsetzten. So waren die öffentlichen Rennen, selbst der Zirkus, der sonst den Charakter eines nationalen Festes gehabt hatte, zum Rendezvous für liederliche Subjekte — gewerbsmäßige Dirnen und Amateusen — herabgesunken. Aus diesem Sumpfe konnten sich natürlich nur giftige Gase entwickeln, die das Volk siech und hinfällig machten. Das lag aber nicht an der Prostitution der Gewerbsdirnen, denn wer wollte wohl sagen, daß die Damen der vornehmsten Gesellschaft jemals dadurch, daß eine Prostitution sich breit macht, bewogen werden könnten, noch tiefer zu sinken als die Prostibulae? Das Dirnenwesen hat doch gerade dadurch, daß das Laster ein Beruf und Erwerb ist, eine, wenn auch sehr fadenscheinige, Entschuldigung. Es ist nicht so tief gefallen, weil seine Mitglieder niemals hochgestanden und niemals eine Pflicht gehabt haben, der Standesehre Opfer zu bringen. Schon die Rücksicht auf die Standesehre, die zu allen Zeiten so eifrig betont worden ist, mag sich auch dagegen vom Standpunkt der reinen Vernunft, nach dem es nur eine Ehre geben kann, noch so viel einwenden lassen, verpflichtet die Damen, mit Ekel und Verachtung auf das widere Treiben zu sehen.

Im alten Rom waren die Meretrices und Prostibulae geduldet, aber doch sehr verachtet. Sie mußten sich sogar durch ihre Kleidung von den wirklichen Damen unterscheiden, damit sie nicht etwa einmal zu viel Ehre erlebten. Während die sog. ehrbaren Frauen lange Gewänder trugen, durften die Prostibulae nur kurze Röcke anlegen, die kaum bis zum Knie reichten und die Beine frei ließen. Es heißt darüber bei einem alten Schriftsteller, der sich auf Horatius beruft: „daß, wenn etwan eine erbare Frau krumme Beine, oder sonst Mangel an Füßen hätte, sie solches verhehlen und mit dem langen Rock bedecken könnte, welches aber eine Hure nicht zu thun vermöchte, als deren man wegen des kurzen Rockes die Beine über und über sehen und anschauen könnte. Es waren auch der Huren Röcke bunt, von allerhand Farben.“ Nicht allein in den Kleidern wurde aber ein Unterschied vorgeschrieben, sondern auch die Haartracht war verschieden; es war den Dirnen nicht erlaubt, den Kopf zu bedecken, sondern sie mußten das Haar frei tragen. Rechte, die den ehrbaren Frauen zustanden, blieben den Dirnen untersagt; sie mußten zu Fuße gehen und hatten nicht die Erlaubnis sich in Sänften usw. tragen zu lassen. Es gab also Vorschriften genug, die es den Dirnen verleiden konnten, sich an öffentliche Orte zu begeben, und vor allen Dingen war viel mehr, als dies heutigen Tages möglich ist, den ehrbaren Frauen Gelegenheit geboten, jede Berührung mit dem Gesindel zu vermeiden. Die Gefahr, daß etwa eine Dirne sich unerkannt hätte in bessere Kreise mischen können, oder daß es ihr gelungen wäre, sich unerkannt dort zu bewegen, wo anständige Leute verkehrten, bestand gar nicht, während doch heutigen Tages die „bessere“ Prostitution, also die, die in der Kunst, ihre Opfer zu schröpfen, die Stufe der Virtuosität erreicht haben, sehr leicht sich in Theater, Restaurants, Badeorte usw. usw. eindrängen, dort die Dame spielen und wohl gar die allgemeine Bewunderung erregen, bis man sie endlich in ihrem wahren Charakter erkannt hat. Es hätte also bei einigem guten Willen auch nicht schwerfallen können, die Dirnen in die ihnen gebührenden Grenzen zurückzuweisen, wenn es eben nicht an diesem guten Willen völlig gefehlt hätte. Jedenfalls hat dann auch Niemand mehr danach gefragt, ob die Kleiderordnung und all die schönen Vorschriften auch nur im mindesten befolgt wurden. Da nun aber solche Bestimmungen einmal da sind, erinnert man sich ihrer zuweilen doch und wendet sie gelegentlich einmal an, wenn man eine Handhabe sucht, gegen ein einzelnes Individuum, das sich vielleicht gegen eine einflußreiche Person besonders missliebig gemacht hat, vorgehen und ihm das Handwerk legen zu können. Dadurch wurde aber der Willkür Tür und Tor geöffnet, und Willkür in der Rechtspflege hat noch niemals die Sittlichkeit gehoben, sondern ihr stets mehr geschadet als alles, was auf sittlichem Gebiete, ich meine dies in engerem, sexuellem Sinne, gesündigt worden ist. Man wird wohl auch annehmen können, daß es vornehme Damen mitunter nicht verschmäht haben, die Gewandung, die für die Dirnen vorgeschrieben war, anzulegen, weil sie auf diese Weise alle Garantien hatten, ungestraft ihren wüsten Abenteuern nachgehen zu dürfen, ebenso wie die Kaiserin Messalina es nicht verschmähte, in den Lupanarien Gastrollen zu geben. Eine weitere Form der Prostitution, die im Altertum nicht allzu ungewöhnlich gewesen zu sein scheint, will ich in einem besonderen Kapitel besprechen, da sie zu eigenartig ist, um mit dem Dirnentum zugleich behandelt zu werden. Ich komme nun auf die Prostitution im Orient zurück, die nicht religiöser Natur, gleichwohl aber auch nicht entehrend war.



Daß der Venuskult zur Prostitution sehr leicht überleiten konnte und auch wohl den Übergang gebildet hat, beweist am besten die Geschichte der Insel Cypern. Die außerordentlich wechselnden Schicksale dieser im Altertum ebenso wegen ihrer paradiesischen Schönheit, wie auch wegen ihrer Üppigkeit und frechen Leichtfertigkeit bekannten Insel wiederzugeben, lohnt nicht. Die Insel, auf der sich der Olymp befindet — Monte Croce — war das Heiligtum der Aphrodite — Venus, und der „Schaumgeborenen“ wurde dort gehuldigt wie kaum an einem andern Orte der Welt. Das will schon etwas heißen. Jedenfalls tat aber der weitestgehende Venusdienst den Weibern an ihrer Ehre keinen Abbruch. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß es geradezu Landessitte war, die Töchter an den Strand gehen zu lassen, damit sie dort mit den reichen Kaufleuten sexuellen Verkehr suchten und reiche Schätze sammelten, die sie den späteren Gatten mit in die Ehe brachten, ohne daß darin die Insulaner oder auch die Gatten selbst etwas Anstößiges gefunden hätten. Daß man vom Gelde sagte „Non olet“, wenn es auf unsaubere Weise verdient war, das ist wohl auch andern Ortes vorgekommen, und das „Non olet“ tröstet ja auch jetzt noch manchen Edlen, der sein Geld auf eine Weise erworben hat, die er selbst nicht gern beim rechten Namen nennen hört. Warum sollte man in Cypern entrüstet darüber sein, daß die Braut den Reichtum ihres zukünftigen Gatten begründete? Nun war ja aber die Art dieses Verdienens nicht einmal anrüchig. Im Gegenteil, es war ein Dienst der Venus, die oberste Göttin der Insel war, und was der Lokalgöttin heilig und angenehm war, warum sollte es den sie besonders verehrenden Bewohnern ehrlos erscheinen? Glückliches Cypern! Wo die Luft so rein, die Natur so hehr und lieblich, die Menschheit aber so unglaublich unsauber, frech und verkommen war.

Ich habe schon gesagt, daß die indischen Bajaderen, soweit sie Tempeldienerinnen — wir könnten vielleicht geneigt sein, sie noch eher als Priesterinnen zu bezeichnen — waren, sich aus religiösem Kult prostituierten, und daß die zweite Klasse von Bajaderen hieraus auch ein äußerst lohnendes Geschäft machte, ohne dabei an ihrer Ehre Schaden zu leiden. Es gab aber dort Weiber, die gar nichts mit dem religiösen Kult sondern lediglich mit der Prostitution zu tun hatten, von diesem Gewerbe nicht allein sehr gut lebten, sondern auch ihre Musikanten, die sie mit sich führten, weil die Prostituierten zugleich als Tänzerinnen auftraten, als solche überhaupt zu den Lustbarkeiten und in Privatkreise gezogen wurden, erhielten. Selbst diese Tänzerinnen waren nicht anrüchig und sind es wohl auch heute noch nicht.

Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse in China und auch in Japan. In diesen Ländern sind es die Teehäuser, die im Effekt etwa das darstellen, was wir Bordelle nennen. In Wirklichkeit ist aber doch ein gewaltiger Unterschied, denn diese Teehäuser sind frei von dem Makel, der — sehr berechtigter Weise — auf den Bordellen lastet. Die Mädchen, die sich an die Teehäuser vermieten — man bezeichnet sie als Geishas — , haben die Aufgabe, die Gäste durch Tanz und Gesang zu unterhalten. Es ist dort so wie in Indien; Gesang und Tanz fesseln die Sinne der Zuhörer, die sich mehr und mehr in die graziösen und gewandten Tänzerinnen vergaffen und schließlich nicht eher ruhen, ehe sie den sexuellen Verkehr vollzogen haben. Es ist dabei allerdings zu berücksichtigen, daß diese Tänze ganz darauf berechnet und zugeschnitten sind, die Sinnlichkeit stark anzuregen, und daß die sinnlich veranlagten Orientalen dazu wohl noch nicht einmal eines allzu kräftigen Anstoßes bedürfen. Gesang und Tanz sind aber auch dort nur die Lockmittel, sie bilden das Präludium für die eigentliche Unterhaltung, die lediglich der sexuelle Verkehr ist, der natürlich von der einen Seite aus überschäumender Leidenschaft, von der andern aus Berechnung angestrebt wird. Daß dabei die Gäste kräftig zahlen müssen, ehe ihnen der Gipfel des Glückes eröffnet wird, das ist bekannt und bei dem Charakter eines chinesischen Teewirts selbstverständlich. Man pflegt die Chinesen als die Krone aller Gauner zu bezeichnen und hat, soweit es sich darum handelt, die Habgierde, die jedes Mittel den Zweck heiligen läßt, zu treffen, auch sicherlich nicht unrecht. Es ist aber das merkwürdige Phänomen sittlicher Anschauung, daß der Teewirt im allgemeinen richtig moralisch bewertet wird, daß aber die Geishas durch ihre Tätigkeit in keiner Weise an ihrer Ehre Schaden leiden, ebenso wenig wie die indischen Bajaderen.

Dafür gibt es zwei Erklärungen: die Entstehung der Prostitution aus religiösem Kult habe ich bereits eingehend besprochen; ferner aber ist die allgemeine Bewertung des Weibes anzuführen. Es kommt ganz darauf an, welchen Rang das weibliche Geschlecht im öffentlichen Leben spielt, das ist allein der Maßstab, der an die Prostitution gelegt werden kann. Stellt das Weib nach der allgemein anerkannter Theorie — die Praxis sieht im Einzelfalle sehr oft gründlich anders aus — das Symbol der Reinheit und Keuschheit dar, darum muß selbstverständlich jedes Gebaren, das mit diesem Ideal in starkem Widerspruch steht, Schande und Verachtung erzeugen. Wo also die Frau geehrt und angesehen ist, kann folgerichtig die Prostituierte nur als eine garstige Abart verachtet werden; es ist gar nicht vorstellbar, daß sie nach der allgemeinen Anschauung als ein gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft betrachtet werden könnte. Wird aber das weibliche Wesen als nichts weiter denn als die Dienerin des Mannes angesehen, die in erster Linie die Aufgabe hat, seine sinnlichen Lüste zu befriedigen, dann ist kaum noch einzusehen, warum sich durch die Prostitution, die doch diesem Zwecke dient, ein Weib so besonders stark herabsetzen sollte. Der Abendländer sieht in der Frau sein Ideal, das er rein und jungfräulich haben will, wenn er sich für das ganze Leben mit ihr vereinigen will. Der Orientale achtet die Jungfräulichkeit durchaus nicht hoch; sie ist ihm sogar in manchen Ländern eine lästige Eigenschaft, die er beseitigen läßt, ehe er das Weib zu sich nimmt. Daß nach der Heirat die Ansicht wechselt, d. h. daß dann auch der Orientale das Weib für sich allein beansprucht und jede Möglichkeit eines Verkehrs mit andern Männern beseitigt, das steht mit dieser Tatsache durchaus nicht im Widerspruch, weil hier ganz andere Momente in Frage kommen, auf die ich an dieser Stelle nicht einzugehen brauche.

Je höher die Frau geachtet ist, desto verachteter wird die Prostituierte sein, die alles von sich wirft, was der Frau die Achtung verschafft; je niedriger das Weib bewertet wird, desto weniger wird die Prostituierte missachtet sein. Das ist die Quintessenz aller moralischen Betrachtungen über das Wesen der Prostitution. Ob diese Quintessenz richtig ist, das ergibt sich wohl am besten, wenn wir die Geschichte der Prostitution nicht allein der verschiedenen Völker miteinander vergleichen, sondern wenn wir sie bei einem und demselben Volke die Jahrhunderte hindurch verfolgen, vorausgesetzt, daß feststeht, der sittliche Wert der Frauen und deren Ansehen sei nicht zu allen Zeiten gleich gewesen. Ich will hier auf die Geschichte Roms verweisen, weil sie wohl die bis in ihre Details am besten bekannte ist. Ich habe nun oben schon angedeutet, daß die Prostituierten ziemlich scharfen Vorschriften unterworfen waren, daß diese Handhabe aber zu Zeiten der allgemeinen Verwilderung niemals öder doch nur in Ausnahmefällen angewendet wurden. Diese Tatsache kann leicht falsch gedeutet werden; in Wirklichkeit bestätigt sie glänzend meinen Leitsatz. Die Frau galt im alten Rom weit mehr als z. B. in China, Indien usw., deshalb war die Prostituierte ein verachtetes Geschöpf, das man wohl benutzte, dann aber von sich stieß. Als nun die römischen Damen sich einem Lebenswandel in die Arme warfen, der jede Achtung vor ihnen ohne weiteres beseitigen mußte, verringerte sich der Abstand von den Meretrices immer mehr, denn wie konnte man die letzteren etwa so viel geringer achten, als die Damen, die doch schon deshalb viel strafbarer handelten, weil sie die Pflichten der Ehe verletzten? Es war ganz natürlich, daß dabei die Missachtung der Prostituierten mehr und mehr schwand, bis man sie schließlich fast unbehindert oder ganz unbehelligt gewähren ließ. Je weniger Achtung die Frauen genossen, je niedriger also das Weib im allgemeinen bewertet wurde, desto weniger ward die Prostituierte verachtet. Deshalb kommt es vor, daß zuweilen Männer aus guter Familie sich sogar entschließen, eine Prostituierte zu heiraten. Die gesellschaftlichen Kreise, die gewohnt sind, nach den traditionellen Vorurteilen zu entscheiden und sich dadurch die Mühe des Denkens ersparen, sind in solchem Falle „schnell fertig mit dem Wort“. Sie können es nicht begreifen, wie ein Mensch ihres Standes so unglaublich tief sinken, sich soweit vergessen könne. Es ist völlig richtig, daß ein gebildete Mann sich schon sehr weit vergessen und überwinden muß, ehe er sich entschließen kann, eine Prostituierte zu heiraten; aber ein solcher Fall sollte doch viel mehr zum objektiven Nachdenken anregen. Man würde da wohl immer auf Seiten des Mannes eine gründliche Verachtung der „anständigen“ Damen und nicht selten auch einen ausreichenden Grund für eine solche feststellen können, so daß auch hier der Grundsatz, die Prostituierten gewinnen in demselben Maße, in dem die Frauen an Achtung verlieren, durchaus bestätigt wird.



Da nun in Indien, China und ähnlichen Ländern des Orients das Weib an sich gar keine Achtung zu genießen pflegte, war es kein Wunder, daß die Buhldirnen auch nicht viel anders bewertet wurden, d. h., daß sie nicht weniger galten als die „ehrbaren“ Frauen und, daß vor allen Dingen ihr Gewerbe es ihnen nicht unmöglich oder auch nur schwierig machte, die Prostitution aufzugeben und in die bürgerliche Gesellschaft zurückzukehren, sich zu verheiraten oder sonst etwas zu tun. Das „bischen Prostitution“ blieb aber völlig außer Acht und gab noch weniger Veranlassung zu einer ungünstigen Meinung, als sie in gewissen Kreisen heute noch einem Mädchen bei uns begegnet, das sich ehrlich und einwandfrei durch irgend eine anständige Stellung ernährt. Man sieht, daß der Orient in seinen Anschauungen wenigstens konsequenter war als das Abendland, das zwar an sich wohl die Prostitution richtig bewertet, aber leider so von unlogischen Vorurteilen beherrscht ist, daß man sich wundern muß, wenn gleichwohl Wert darauf gelegt wird, das Volk der Denker zu heißen.

Der Orient war nicht allein konsequenter, sondern ist es auch heute noch. Äußerst konservativ hält man am Althergebrachten und dem durch mehr als 2000 jährigen Bestand geheiligten Brauch fest. Es ist das weniger wunderbar, wenn man bedenkt, daß dieser Brauch durch den religiösen Kult sanktioniert ist, daß gerade die Länder, die am wenigsten ihre Anschauungen geändert haben, am wenigsten dem Einflüsse des Abendlandes ausgesetzt gewesen sind, und daß die Anschauungen in den örtlichen Verhältnissen und der ganzen Veranlagung des Orientalen wurzeln.

Jetzt, wo auch orientalische Reiche wie China die feste Mauer nicht so unübersteiglich um das Land erhalten können, wo doch der Fremdenzufluss nicht mehr ferngehalten werden kann, wo man selbst die besten Köpfe des Landes in deutsche Universitäten entsendet, wo selbst das unzugängliche Tibet nicht mehr unzugänglich bleibt, wird sich in den alten Anschauungen wohl vieles ändern, wie sich jetzt auch bereits vieles geändert hat. Die Prostitution wird schließlich anders beurteilt, damit aber keineswegs etwa beseitigt werden. Im Gegenteil, das Abendland bringt ihr frisches Blut und neues — Geld. In China sind die Teehäuser noch die besten Gelegenheiten für den sexuellen Verkehr; sie werden mehr und mehr den Charakter abendländischer Bordelle annehmen, und damit wird auch im Morgenland der poetische Mantel der Romantik entfernt, das Laster in seiner nacktesten Gemeinheit freigelegt werden. Das ist ein Stück zweifelhafter Kulturarbeit des Abendlandes im Morgenlande.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Liebesleben im Orient