Der Bilderzauber

Der Bilderzauber.

Wenn man die letzten Kapitel liest, dann sollte man sich eigentlich mit Entsetzen abwenden von dem Treiben eines Landes, in dem Milch und Honig fließt, und in dem das menschliche Gemüt doch so leer war von dem milden Zauber einer gottgesegneten Natur. Trifft das Letztere aber auch wirklich so ganz bedingungslos zu? Was in wilden Kriegszeiten im Menschenherzen sich abspielt, das bleibt doch verborgen, wenn der holde Friede sein sanftes Szepter schwingt; mindestens ist das Gemüt in einem Zustand latenter Wildheit eingewiegt. Man könnte wohl von einem eigentlichen Liebesleben überhaupt nicht sprechen, wenn immer nur eine wüste Sinnlichkeit ihre brutalen Orgien gefeiert hätte. Ich habe aber schon früher gesagt, daß in dem Zauberlande des Orients die schroffsten Gegensätze sich berühren, wilde Raserei des Sinnlichen, neben poetischem Dufte, Roheit, neben tiefster Sentimentalität. Auch im Liebesleben war das nicht anders. Die ausschweifende Sinnlichkeit soll die Quelle blutdürstiger Grausamkeit sein; aber die Sinnlichkeit weckt auch die zarteste Schwärmerei. Was ist denn Liebe? Sie muß mit allen ihren Symptomen betrachtet und geprüft werden, und läßt sich schlechterdings nicht nach Backfischidealen beurteilen. Sie ist allerdings für orientalische Begriffe nicht vom Sinnlichen loszulösen, und selbst die fromme Inbrunst des Heiligenkults läßt unter dem psychologischen Seziermesser nicht selten eine starke sinnliche Tendenz erkennen. Wie sollte in der Seele eines Orientalen eine Liebe, die völlig losgelöst wäre von aller Sinnlichkeit, vorstellbar sein? Selbst die zarte Romantik, die über die Liebe des jungen Seeleuziden zu seiner jugendlichen Stiefmutter Stratonike gebreitet ist, war erfüllt von dem heißen Dunste sinnlichen Verlangens. Dieser Roman ist echt orientalisches Empfinden, das so blumenduftig anmutet und doch an das Bild erinnert, auf dem unter dem berauschenden Blütenduft üppiger Vegetation die giftgeschwollene Schlange auf ihre Beute lauert. Liebe ist so oft nichts als Eigenliebe ; sie ist es stets, wenn sie von einer starken Sinnlichkeit diktiert ist, denn sie ist dann weiter nichts, als das heiße Verlangen, eine Person, die das lebhafteste Wohlgefallen erregt hat, zu besitzen, an ihr die sexuellen Begierden zu befriedigen. Es ist der letzte Zweck also dem vergleichbar, den der Feinschmecker einer Lieblingsspeise gegenüber empfindet, die er leidenschaftlich begeht, um an ihr seine sinnliche Begierde, die nicht Hunger ist, sondern, wenn man so sagen will, ein idealisiertes Nahrungsbedürfnis, zu befriedigen. Man wird diese Vorliebe für ein bestimmtes Gericht nicht allzu poetisch nennen dürfen; man wird aber auch bei der Liebe eines stark sinnlich veranlagten Menschen nicht alles Poesie nennen dürfen, was nach dem Maßstabe einer Backfischseele von weitem wie Poesie aussieht. Wie bald ist dann auch eine solche leidenschaftliche Liebe verflogen? Sie erhält sich und wächst ständig bis zu übernatürlicher Gewalt, so lange sie auf Widerstand stößt, so lange ihre Befriedigung unmöglich gemacht wird. Auch darin ist der stark prosaische Vergleich mit dem Verlangen des Feinschmeckers durchaus zutreffend, denn auch dieses Verlangen steigert sich bis ins Uferlose, solange es die begehrte Befriedigung nicht findet. Ist dies aber geschehen, dann kann der gehabte Genuß wohl eine Weile, vielleicht sogar eine ganze Zeit — das ist ungeheuer individuell — in der Erinnerung ein gewisses Wohlbehagen erwecken; aber der Genuß ist doch stets das sicherste Heilmittel der Begierde, wobei es ganz dahingestellt bleiben mag, wie lange dieses Heilmittel in seiner Wirkung vorhält. Rezidive sind ja auch bei andern abnormen Erscheinungen, gegen die man Heilmittel anzuwenden pflegt, nicht selten. Erwacht die Begierde wieder, so ist sie durchaus nicht notwendig stets auf denselben Gegenstand gerichtet, weder beim Feinschmecker, noch in der Liebe, und es wiederholt sich lediglich dieselbe Geschichte mit demselben Verlauf. Das mag vielleicht verletzend realistisch erscheinen; aber das Realistische verletzt ja stets da, wo wir glaubten, poetischen Idealismus zu finden, und das, wogegen sich das bessere Empfinden so energisch sträubt, ist deshalb nicht minder richtig und zutreffend.




Dem wesentlich Analogen zwischen den einzelnen Trieben wie dem sexuellen Triebe — ich will ihn hier nicht Liebe nennen — einerseits und dem Hunger, dem Durst, der Müdigkeit usw. andererseits, stehen allerdings auch wesentliche Divergenzen entgegen. Das Analoge ist, daß dem Triebe von Natur das Bedürfnis nach Befriedigung innewohnt, daß die Befriedigung dem Triebe ein Ende macht, bis die physiologischen Grundbedingungen, aus denen in letzter Linie die Naturtriebe hervorgehen, sie von neuem erwachen lassen. Ich stelle hier tatsächlich die physiologischen Grundbedingungen erheblich über die psychischen, und glaube, damit der Erkenntnis weit sicherer nahezukommen als auf dem umgekehrten Wege, der trotzdem in der Regel selbst da eingeschlagen wird, wo das Streben nach realistischer Wahrheit deutlich erkennbar ist. Das psychische Moment tritt zu dem physiologischen nur hinzu. Anima und Soma. Das psychische Moment ist dabei weit komplizierter, weit weniger analysierbar und vor allen Dingen weit individueller. Alle die großen Rätsel und Probleme, die uns auf Schritt und Tritt, sofern wir nur gelernt haben, um uns zu schauen, aufstoßen, sind nur zum sehr geringen Teile auf physische Anomalien — hier eigentlich ein schauderhaft unpassender Ausdruck — zurückzuführen, sondern unendlich überwiegend auf psychische Eigenartigkeiten des Individuums. Man hat nun bereits wiederholt die Theorie aufgestellt, daß rein körperliche Eigentümlichkeiten sichere Schlüsse auf die Charakterveranlagung gestalteten. Man könnte aber dabei sehr wohl sagen, daß nicht etwa das sinnlich wahrnehmbare körperliche Symptom diese besondere Charakterveranlagung hervorrufe, sondern daß es erst eine Folge dieser sei, daß also das Seelische dem Körper ein bestimmtes Gepräge verleihe, nicht umgekehrt die Körperbeschaffenheit den Charakter beeinflusse. Das wäre dann natürlich ein Drehen im Kreise und ein Jongleurspiel mit Begriffen.

Für unseren Fall kommt es aber auf derartige Grübeleien gar nicht an, denn hier ist es nicht zu leugnen, daß alles das, was unser Liebesleben zu einem Thema allgemeinster Erörterungen macht, in erster Linie auf den sexuellen Trieb zurückzuführen ist. Die Begierde nach Sinnengenus ist es, die zunächst nach Betätigung oder meinetwegen nach Befriedigung verlangt, und die immer und immer wieder die höchsten Wonnen verschafft, aber auch in so furchtbarer Tragik Glück und Existenzen vernichtet. Der Wahn ist kurz, die Reue lang! Was paßte besser auf die Mehrzahl jener Romane, die die Chronique skandaleuse anfüllen?

Die Lust zum Fabulieren ist jedem Sterblichen in die Seele gelegt, nicht in so hohem Maße wie dem Altmeister Goethe und nicht in dem Sinne, daß etwa Lust und Fähigkeit für identisch gehalten werden dürften. Nicht nur die Kulturvölker, sondern auch diejenigen, die wir mit ziemlicher Selbstüberhebung als „Wilde“ bezeichnen, sind von dieser Lust beseelt. Auch die Religionslehren aller Völker — Ausnahmen, die sonst die Regel bestätigen, möchte ich hierin nicht einmal gelten lassen — zeigt diesen Hang und zugleich den Hang zum Idealisieren. Der letztere ist sehr beachtenswert; er ist nur scheinbar bei den Kulturvölkern größer als bei den von Europas übertünchter Höflichkeit noch nicht angekränkelten Stämmen, von denen Seume deshalb seinen Canadier sagen läßt, daß die Wilden doch bessere Menschen seien. Der Hang zum Fabulieren und Idealisieren tritt nur je nach der Kulturstufe anders in die Erscheinung. Gerade für das Liebesleben der einzelnen Völker ist das ungeheuer wichtig, weil der Forscher, der stets in erster Linie auf die äußeren Erscheinungen angewiesen ist, zu ganz falschen Schlüssen gelangen muß, wenn er diese Erscheinungen nicht zu deuten weiß, weil er den Kern nach der Schale beurteilt.

Im Liebesleben ist die Lust zum Fabulieren und besonders zum Idealisieren außerordentlich kräftig ausgeprägt, so stark, daß nicht nur der unbeteiligte Beobachter ständig getäuscht wird, sondern daß sich auch die unmittelbar Beteiligten selbst in eine Täuschung hineinleben, die man wohl als ein geistiges Labyrinth bezeichnen darf. Was wird an dem Worte Liebe allein schon herumidealisiert! Es ist doch fast humoristisch, wenn man die bramabarsierenden Kommentare eines Begriffs über sich ergehen lassen muß, der unendlich oft allein durch das alte „lucus a non lucendo“ gerechtfertigt werden könnte. Der sinnliche Trieb, der in der Regel das einzige wirklich vorhandene Moment ist, das zwei Leute zusammenführt, wird in der geistigen Knetmaschine so lange bearbeitet, bis ihn niemand mehr zu erkennen vermag, und selbst die, die es in letzter Linie allein angeht, von tiefster Hochachtung vor der Reinheit und Tiefe ihres „edelsten Empfindens“ erfüllt sind. Es wäre unsagbar komisch dieses Versteckenspielen à la Vogel Strauß, wenn es nicht so jammervoll betrübend wäre, wie dies wohl eigentlich jede Selbsttäuschung ist, die auf dem ungesunden Boden der Phrase lustig wuchert.

Das ist es aber, was einen wesentlichen Unterschied zwischen dem sexuellen Triebe und anderen Naturtrieben ausmacht. Bei den anderen fabuliert und idealisiert man weniger oder überhaupt nicht; man gibt sich keinen Täuschungen über die Natur des eigenen Bedürfnisses und Empfindens hin und sucht auch andere nicht zu täuschen. Wer Hunger hat, der hält es nicht für notwendig, eine poetische und auf Edelmut gestimmte Hymne zu singen; wer müde ist, der sagt dies sich und anderen ohne Schönfärberei usw. Diese anderen Triebe dienen zur Erhaltung des Individuums, der sexuelle Trieb dient der Erhaltung der Art; er will ihr wenigstens dienen, dient aber in Wirklichkeit sehr, sehr oft nur dem individuellen Vergnügen. Schon hieraus muß die Lust zum Fabulieren resultieren.



Ein noch viel wesentlicherer Unterschied liegt aber in den Moral- und Sittlichkeitsanschauungen, die bekanntlich nicht überall die gleichen sind, und die auch am gleichen Orte doch mit den Zeiten wechseln. Wir leben nun einmal in der traditionellen Anschauung, daß alles, was auf das sexuelle Gebiet im engeren Sinne gehört, als unsittlich zu betrachten sei oder doch, ohne unsittlich zu sein, das Schamgefühl verletze. Der Tausend, da kann es ohne Fabulieren, ohne Idealisieren, aber auch ohne Kontradiktionen nicht abgehen. Mit Recht nennen wir die Mutterschaft etwas Heiliges. Das Mysterium der Menschenwerdung ist das höchste und heiligste Naturwunder, denn die Häufigkeit eines Wunders lehrt uns doch nur, das Wunder als etwas Alltägliches, nicht mehr als ein Wunder anstaunen, hebt aber das Wunder als solches deshalb für den denkenden Menschen — mag dieser auch so selten vorkommen, wie das Wunder häufig auftritt — nicht auf. So sind wir also schon in dem prinzipiellen Widerspruch verfallen, daß die Mutterschaft etwas Heiliges, alles, was sie verursacht, aber etwas Unsittliches, oder mindestens doch etwas, ohne unsittlich zu sein, Schamverletzendes sei. Der Unterschied ist dabei nur in der Form der stattgehabten oder unterbliebenen Eheschließung begründet. Ich will mich hier, um nicht allzu weit vom Wege abzuirren, an dieser Stelle nicht auf eine Kritik, ob dieser Widerspruch notwendig oder auch nur nützlich ist, einlassen; er besteht und ist eigentlich die Kehrseite der Medaille: „Zweck heiligt das Mittel!“

So hat die — ich will es zugeben — unter den obwaltenden Zuständen notwendige Lust zum Fabulieren das eigentlich recht alberne Märchen vom Klapperstorch geschaffen und damit bewirkt, daß in der Großstadt die Kinder — Il n'y a plus d'enfants, überhaupt nicht mehr recht daran glauben wollen, daß es wirklich Störche gibt. Ob dieses Märchen die Wahrheitsliebe der Kinder besonders kräftigt, ob es das Ansehen der Eltern bei ihren Kindern hebt, wenn diese wissen, daß ihre Eltern ihnen mit handgreiflichen Lügen aufwarten müssen, um sich — die kindliche Phantasie arbeitet äußerst lebhaft — wenigstens formell zu den anständigen Menschen rechnen zu dürfen, das sind Fragen, die wohl auch der Erörterung wert sind, zumal es eine pädagogische Weisheit ist, den Kindern zu sagen, daß von allen Lastern die Lüge das größte sei. Wir belügen unsere Kinder; wir tun es mit dem Bewußtsein, daß sie wissen, es sei eine Lüge, die wir ihnen kaltlächelnd servieren, und wir haben dennoch den Mut, sie zu bestrafen, wenn auch sie uns gegenüber den Pfad der Tugend verlassen und uns eine Unwahrheit sagen. Das ist eine sehr schlimme, eine sehr peinliche Tatsache, die eingehend zu erwägen, kein Mensch sich ersparen dürfte, dem es mit der Erziehung seiner Kinder ernst ist. Man hat das wohl eingesehen und sucht durch die sexuelle Aufklärung dem Übel zu steuern. Es ist dies aber, wie der Jurist sagt, ein Versuch mit untauglichen Mitteln, der so wenig zum Ziele führen wird, als wollte ein Baumeister das Haus beim Dach anfangen, statt beim Fundament. Nein, die sexuelle Aufklärung ist wohl insofern wertvoll, als sie verhüten kann, daß unwissende Mädchen mehr das Opfer ihrer Dummheit und Unerfahrenheit als das ihrer Lüste werden — ich gebe auch zu, daß dies wertvoll ist —; aber daß die allgemeine Moral gehoben werden könnte durch die sexuelle Aufklärung, besonders die, die für Schulen usw. geplant ist, das halte ich für absolut ausgeschlossen. Lehrt doch die tägliche Erfahrung, daß „sexuelle Aufklärung“ nicht vor den schwersten Exzessen in ludo Veneris schützt. Es fehlt den liederlichsten Männern und Weibern ganz gewiß nicht an „sexueller Aufklärung“; sie sind vielmehr „alle Schulen durch“, und das Resultat? Ich hülle mich in Schweigen, möchte aber, obwohl ich mir nicht anmaße, ein Prophet zu sein, der sicheren — Vermutung Ausdruck geben, daß die sexuelle Aufklärung in den Schulen für die öffentliche Sittlichkeit nicht günstiger wirken wird als die sexuelle Aufklärung, die leider den jugendlichen Geschöpfen noch immer im Beichtstuhl geboten wird.

So lange man über sexuelle Dinge in der Öffentlichkeit den geheimnisvollen Schleier wie über das Bild zu Sais breitet, Märchen erzählt und das Heiligste mit dem Gemeinsten in einen Topf wirft und geradezu durch dicke Bretter die Erkenntnis dessen, was auf sexuellem Gebiete gut und böse ist, abzuschließen bemüht ist; so lange man heuchlerisch sich den Anschein gibt, als entrüste man sich moralisch über die natürlichsten und berechtigsten Dinge, während man die pikanten zotigen Abenteuer eines Wüstlings mit breitem Behagen und innigstem Vergnügen erzählen hört, so lange man über die Mysterien der Liebe geheimnisvoll lächelt, über das wirklich Gemeine den Mantel der Duldsamkeit und den idealisierenden Glorienschein echter Liebe zu breiten sucht, dagegen selbst ganz harmlose und wohlgemeinste Ausführungen in Büchern als Sittlichkeitsdelikte mit bewundernswerter Interpretationskunst zu brandmarken sucht, so lange wird die sexuelle Aufklärung viel mehr schaden als nützen. Man sollte auch hier beim Fundament und nicht beim Dach beginnen.

Betrachten wir also die Sache so objektiv, wie sie sich überhaupt von uns Menschen, die wir doch alle auf diesem Gebiete Partei sind, betrachten läßt, d. h. geben wir dem Sinnlichen, was des Sinnlichen ist, und dem Psychischen, was dessen ist. Nur so läßt sich das Liebesleben, und besonders das orientalische, prüfen und verstehen. Ich habe nun schon gesagt, daß gerade im Zauberlande des Morgens die schroffsten Gegensätze sich berühren. Diese schroffsten Gegensätze sind aber sehr oft nur scheinbare Gegensätze, wie Körper und Geist eigentlich an sich Gegensätze sind und doch in uns eine Einheit bilden, mag auch der Geist willig, das Fleisch aber schwach sein. Wir können nicht Geist und Körper trennen, wenn wir eine konkrete Handlung bewerten sollen; d. h. wir können nicht sagen, der Geist des N. war willig und gut, aber sein Fleisch war schwach, und deshalb ist eine Handlung entstanden, die uns sehr missfällt; sondern wir werden stets sagen, das, was N. getan hat, war verdammenswert. N. ist die Person, an die wir uns halten für alles, was diese Person tut. Anders liegt die Sache aber, wenn wir eine Tat prüfen und erklären wollen; dabei werden wir nicht bloß mit der nackten Tatsache rechnen dürfen, daß etwas geschehen ist, was uns nicht behagt, sondern wir werden auch zu prüfen haben, warum die Tat begangen wurde, welche Motive für den Täter vorlagen, und ob es etwa nur ein Versagen der Hemmungsenergie war, die ihn einer augenblicklichen Regung oder Begierde erliegen ließ. Es wäre zu wünschen, daß auch die Gerichte etwas weniger nach der toten Schablone und etwas mehr nach dem sogenannten psychologischen Moment urteilten. Wenn es auch bedeutend schwieriger ist, so bietet es doch die einzige Möglichkeit, daß die irdische Gerechtigkeit Garantien, wirklich eine Gerechtigkeit zu sein, geben kann.



Das orientalische Liebesleben zeigt nun als schroffe Gegensätze auf der einen Seite die brutalste Sinnlichkeit, auf der anderen den zartesten poetischen Duft. Der Orientale kann in einer einzigen Person der Asra sein, der stirbt, wenn er liebt, d. h. vergeblich liebt, und der wilde Tiger, der sein Opfer zerfleischt. Ich wiederhole, das ist nur ein scheinbarer Gegensatz, denn die Grundbedingungen für beide Extreme liegen in seiner Natur. Schlummern doch Haß und Liebe in nächster Nachbarschaft im Menschenherzen, wie viel inniger sind erst die Liebe und die sexuelle Begierde gepaart, die doch so oft überhaupt nur eine einzige Empfindung sind, über die man sich selbst täuscht, weil man gewohnt ist, sie zu idealisieren. Sexuelle Begierde, die beim Anblick des begehrten Individuums das Herz stocken läßt, die plötzliche Röte der Erregung auf die Wangen zaubert und den Atem hemmt, die erscheint uns so viel wunderbarer und herrlicher, wenn wir sie im Strahlenglanze einer idealen Liebe erblicken, als wenn wir uns sagen; es ist nur eine Begierde, nicht viel von der unterschieden, die auch das Tier empfindet, wenn es zur Paarung den Genossen lockt.

Es ist nun sehr wohl zu unterscheiden, ob der sexuelle Trieb ganz allgemein vorhanden ist, also auf irgend ein beliebiges, gleichviel welches, Individuum des anderen Geschlechts gerichtet ist, was ganz ungeheuer häufig der Fall ist, oder ob er einem allein bestimmten Individuum gilt. Nur im letzteren Falle kann man das Wort Liebe allenfalls noch gelten lassen. Nehmen wir also den letzteren Fall hier an.

Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß gerade im orientalischen Liebesleben, mögen dort, wie dies wohl auch anderwärts nicht so überaus selten vorkommt, die Ehen sehr oft geschlossen worden sein oder auch noch geschlossen werden, ohne daß die jungen Leute, die ihr Schicksal für immer aneinander ketten sollen, sich auch nur jemals gesehen hatten. Das wirkliche Liebesleben ist nicht an die Ehe gebunden, die auch im besten Falle nur die Konsequenz der Liebe ist. Es hat zu allen Zeiten der göttliche Funke, wie man es in der Lust zum Idealisieren so gern nennt, die Herzen der Menschen getroffen; erst recht im Orient, wo es viel leichter war, ein Mädchen, nach dem das Herz verlangte, zu gewinnen, selbst dann noch, wenn der Liebende bereits in Ehefesseln schmachtete. Hat es doch zu allen Zeiten Männer gegeben, die sich sterblich auch in solche weibliche Wesen verliebten, die ihnen nicht leicht oder überhaupt nicht erreichbar waren. Gerade dann pflegt die Glut der Liebe bis zur Raserei sich zu steigern, und es ist eigentlich sehr naheliegend, daß der hoffnungslos Liebende sich nach Mitteln umsieht, mit deren Hilfe er doch noch sein Ziel zu erreichen trachtet, so daß er eigentlich in letzter Linie faktisch nicht hoffnungslos ist.

Da ist man denn auf ein recht sonderbares Mittel verfallen. Man hat sich sehr einfach von der Person, die man begehrte, ein Bild verschafft und glaubte, durch dieses Bild auf die Person, die es darstellen sollte, direkt einwirken zu können. Nun wird es allerdings wohl mit der Porträtähnlichkeit, an die wir bei der heutigen Technik der Photographie die weitestgehenden Ansprüche zu stellen gewohnt sind, nicht weit hergewesen sein. Man schuf sich ein Gebilde, in dem wohl nur die ausschweifendste Phantasie eine Ähnlichkeit mit dem Original zu erkennen vermochte; aber das hinderte nicht, daß man felsenfest davon überzeugt war, alle die Bezeugungen von Haß oder Liebe, die man diesem Gebilde angedeihen ließ, müsste die Person direkt empfinden. Wenn man sich vorstellt, daß man im Altertum in einem Bilde nicht bloß ein Stück Papier sah, auf das durch Kunst eine Darstellung gemalt oder gezeichnet oder auf sonst eine Methode übertragen ist, also auf alle Fälle nur ein lebloses Machwerk, sondern daß man wirklich glaubte, das Bild sei ein etwas der dargestellten Person selbst, dann ist schon die Idee, daß es möglich sein müsse, durch dieses Bild die Person zu beeinflussen — sei es in gutem oder bösem Sinne — , ziemlich naheliegend. Für den heutigen Kulturmenschen erscheint es so selbstverständlich, die Züge jeder beliebigen Person im Bilde wiederzugeben, daß man sich wohl selten die Mühe gibt, darüber nachzudenken, ob dies wohl zu allen Zeiten und für alle Völker ebenso gewesen sei. Das ist es nun allerdings auf keinen Fall. Man hat über die Erfindung der Malerei verschiedene Erklärungen und nimmt an, das erste Bild eines Menschen sei dadurch entstanden, daß ein besonders findiger Kopf auf den Gedanken gekommen sei, die Umrisse eines Schattenbildes nachzuziehen, so daß, wenn der Schatten verschwunden war, die Umrisse des Bildes doch noch auf der Erde oder an der Wand vorhanden gewesen seien. Das soll das erste Porträt gewesen sein, das dann allerdings eine gewisse Ähnlichkeit gehabt haben könnte, freilich noch nicht einmal ganz die unserer Silhouetten. Es würde durch diese Entstehungsgeschichte der Bilderkunst wohl auch der alte Glaube, daß das Bild wirklich ein Stück Person sei, erklärt werden können. Chamisso hat in seinem „Peter Schlemihl“ diese Schattenidee trefflich verwertet. Es besteht deshalb heute noch bei vielen Völkern eine starke Scheu, sich abbilden zu lassen, und wir finden, daß sogar der religiöse Kult dieses Abbilden von Personen verbietet.

Der religiöse Kult ist übrigens im allgemeinen wohl als die Quelle des Bilderaberglaubens, denn anders darf man den Bilderzauber wohl nicht nennen, anzusehen. Schon im hohen Altertum begnügte sich die Menschheit nicht damit, sich nach Bedarf ihre Götter zu schaffen. Ich habe schon wiederholt darauf hingewiesen, daß dies eine instinktive Notwendigkeit war. Es wurden vielmehr den Göttern, die man sich ganz mit menschlichen Eigenschaften, menschlichen Leidenschaften und Schwächen vorstellte, schließlich auch menschliche Körper angedichtet, weil der Menschen-Verstand eine rein geistige Gottheit sich nicht vorzustellen vermochte und sie wohl auch niemals ganz begreifen wird. Daß die Körperlichkeit der Gottheit deren Unendlichkeit in Raum und Zeit ohne weiteres widersprechen muß, das störte die Gläubigen nicht und stört sie auch bei den kultiviertesten Völkern nicht, weil der Glaube Sache des Gefühls und Empfindens, nicht aber eine Frucht des philosophischen Grübelns ist, und das philosophierende Grübeln über den Glauben nur einer sehr geringen Anzahl von Menschen geläufig oder auch nur möglich ist. „Credo, quia absurdum.“ Die Bilder, die sich die alten Völker von ihren Göttern schufen, waren in ihren Augen nicht mehr leblose Bildwerke, sondern wirklich die lebendigen Götter selbst, zu denen man betete, und denen man opferte. Wer ein solches Bildwerk beschädigte, hatte nicht gegen eine von Menschenhand gefertigte Sache ein Verbrechen begangen, sondern die Gottheit selbst angegriffen und mußte des Todes sterben. Wieder zeigt sich hier, daß der blinde Glaube oder, wenn man es richtiger bezeichnen will, Aberglaube das logische Denken ausschaltet. Man flehte die allmächtigen Götter bei jedem Vorhaben um ihren Beistand an, glaubte sogar, daß nur diese im Kriege den Sieg verleihen könnten, und doch fand man es begreiflich und selbstverständlich, daß diese allmächtigen Götter nicht sich gegen das erbärmlichste Subjekt selbst verteidigen oder den, der ihr Bild, alias sie selbst, zerstört hatte, strafen könnten. Kein Wunder, wenn zwei Auguren, die sich auf der Straße begegneten, sich verstohlen aber verständnisinnig anzulächeln pflegten, wie alle Leute, die „die große Masse“ in ihrer Dummheit bestärken, diese ausnützen und sich wohl dabei fühlen.



Völker, die ihre Gottheiten in Weltkörpern z. B. der Sonne erblickten und darin insofern auch eine berechtigte Idee verfolgten, weil die Sonne als Licht und Wärme spendender Faktor in der Tat eine lebenserweckende und schöpferische Einwirkung ausübt, oder die Feuer, Wasser usw. anbeteten, hatten es allerdings nicht nötig, sich ihre Gottheiten mit menschlichen Körpern vorzustellen, weil für sie das, was sie verehrten, schon sinnlich wahrnehmbar vorhanden war. Dennoch ist der Gedanke, auch solche Dinge gewissermaßen durch Inkarnation der Vorstellungskraft noch näher zu bringen, damit man sie sich auch als bewußt wollende Persönlichkeiten denken konnte, überall erkennbar und insofern auch verständlich. Es ist aber nicht zu verkennen, daß auch das Altertum, besonders das orientalische, das zunächst hier für uns allein in Frage kommen kann, auch schon stellenweise reifer und reiner dachte, sich die Gottheiten als viel zu groß und erhaben für eine bildliche Darstellung ausmalte und höchstens symbolische Abbildungen und Gegenstände duldete, die nicht die große Gottheit selbst darstellen sollten, also auch nicht angebetet werden durften, sondern nur die Erhabenheit oder fleckenlose Reinheit des höchsten geistigen Wesens versinnbildlichen konnten. So in der ältesten Religion der Inder und Perser, so in der Shintoreligion in Japan. Auch die Vorstellungen des weisen Sokrates von einem allweisen Urwesen ließ die bildliche Darstellung nicht zu. Wir sehen aber auch in unserer christlichen Religion, daß eine reine und klare Vorstellung in religiösen Dingen sich niemals lange rein und klar erhalten kann; stets wird Menschenwitz selbst über göttliche Offenbarungen oder über das, was für solche gehalten, für solche erklärt wird, gesetzt, das reine religiöse Empfinden, das niemals an eine bestimmte Form, an bestimmte Formeln und Sätze gebunden sein kann, verkümmert unter dem Drucke reiner Äußerlichkeiten, die beobachtet, paradoxer Lehrsätze, die als unfehlbar befolgt und nachgeplappert werden sollen, und an Stelle der dem gläubigen Herzen unmittelbar entspringenden Andacht haben wir die — Idololatrie, den Götzendienst oder den Bilderdienst. Die Lust zum Fabulieren offenbart sich in allen Religionen.

Ich sage „allen Religionen“ und meine damit eigentlich nur alle Religionslehren. Es gäbe vielleicht nur eine Religion, wenn die Dogmatik nicht mit so regem Eifer alles heraussuchte, was trennt, sondern sich die gleiche Mühe gäbe, zu entdecken, was vereint. Die vergleichende Religionswissenschaft, die Licht und Schatten über alle Systeme auszubreiten bemüht ist — ich will nicht sagen, daß ihr das schon in allen Punkten gelungen wäre — wird vielleicht ersprießlicher wirken und feststellen, daß der religiöse Grundgedanke überall der gleiche ist. Die sogenannten religiösen Urkunden, die von den verschiedensten Religionen als direkte göttliche Inspirationen betrachtet und gepriesen werden, ändern hieran nicht das Mindeste, denn vor dem kritischen Auge der historischen Forschung fällt der geheimnisvolle Nimbus wie die Hülle vom Denkmal bei der Einweihung. Es bleibt nur der religiöse Grundgedanke, der allein wirkliche Religion, wenn man will, wirkliche Offenbarungsreligion ist. Stets ist aber eine Verbindung zwischen der Magie und der Religion vorhanden, entweder — wenn man es so nennen will, — eine positive oder eine negative, d. h. entweder gilt die Magie direkt für eine religiöse Handlung, oder sie wird als Teufelswerk betrachtet; es gibt danach eine weiße und eine schwarze Magie, je nachdem gute oder böse Geister von den Magiern um ihre gefl. Mitwirkung ersucht werden. Der Übergang ist nicht immer leicht zu finden, und es muß berücksichtigt werden, daß die guten Götter alter Völker von eifrigen Streitern des Christentums einfach zu bösen Dämonen degradiert wurden, so daß je nach dem Glaubensbekenntnis des Beurteilers dieselbe Magie die Farbe wechseln und dieselbe Metamorphose durchmachen kann, zu der man den Göttern des Altertums verholfen hat.

Kehren wir ad medias res dieses Kapitels, also zu den Bildnissen, zurück, so dürfen wir wohl sagen, daß der Glaube, oder wenn man es richtiger benennen will, Aberglaube, daß das Bild einer Person schon ein Stück dieser Person selbst sei, direkt religiösen Ursprungs ist, weil man vergessen hatte, daß die Bildwerke, die man in den Tempeln verehrte und anbete, nicht wirklich die Gottheiten selbst, sondern nur Gebilde aus Menschenhand waren. Man hielt wirklich die Bildnisse der Götter für lebendige Götter, und die Priester solcher Götzenbilder waren ebenso klug wie die Auguren, die sich verstohlen anlächelten, wenn sie sich begegneten. Sie unterhielten das gläubige Volk in seiner Dummheit und taten alles, es in dieser Eigenschaft, die die Götter nicht immer vergeblich bekämpfen würden, wenn sie nicht außer gegen die Dummheit auch noch gegen den Eigennutz deren zu kämpfen hätten, die sich von der Dummheit der Menge behaglich mästen, zu belassen. Die Priester, die als Diener ihrer Götzen auftraten, dienten in Wirklichkeit sich selbst und standen sich recht gut dabei. Selbst die Bibel, die gewiß über religiöse Dinge nicht spottet, auch sehr wenig Grund hat, über Lug und Trug der Priester — gleichviel ob heidnischer — ohne Grund zu spötteln, liefert eine ganze Anzahl von kürzeren oder längeren Belegen für den bewussten Betrug von Priestern. Ich will hier nur das Interessanteste etwas eingehender behandeln, das Buch vom Bei zu Babel, das zwar zu den Apokryphischen Schriften gehört, also kein Lehrbuch im eigentlichen Sinne ist, aber historisch gerade deshalb durchaus als viel einwandsfreier für die gelten darf, die nun einmal gegen alle biblischen Überlieferungen ein schier unbegrenztes Misstrauen nicht zu überwinden vermögen.

Es ist da erzählt, daß nach dem Todes des Königs Astyages Babel an den König Cyrus aus Persien gefallen sei, und daß der strenggläubige Daniel bei Cyrus eine sehr geschätzte Person gewesen wäre. In Babel wurde der Gott Bel verehrt und für einen gar mächtigen und gewaltigen Gott gehalten, dessen Bildwerk nicht nur von den Babyloniern, sondern auch von Cyrus selbst mit großer Andacht angebetet wurde, eine Frömmigkeit, die nicht einmal billig war, denn Bel hatte einen vorzüglichen Appetit; es mußten ihm täglich zwölf Malter Weizen, vierzig Schafe und drei Eimer Wein geopfert werden. Für eine Person, selbst wenn sie eine Gottheit von der Größe des Bel zu Babel wäre, ist das sicherlich eine sehr reichliche Nahrung; aber die 70 Priester des Gottes, die mit ihren Weibern und Kindern schon eine kleine Völkerschaft für sich bildeten, schwuren hoch und heilig, daß der unbewegliche Bei das alles wirklich verzehre, und das war es gerade, was dem guten Cyrus so gewaltig imponierte. Nun erzählt die Bibel ein recht interessantes Gespräch zwischen Cyrus und Daniel, das ich im Wortlaut wiedergebe: „Und der König sprach zu ihm: Warum betest du nicht auch den Bel an? Er aber sprach: Ich diene nicht den Götzen, die mit Händen gemacht sind, sondern dem lebendigen Gotte, der Himmel und Erde gemacht hat, und ein Herr ist über alles, was da lebet. Da sprach der König zu ihm: Halst du denn den Bel nicht für einen lebendigen Gott? Siehest du nicht, wieviel er täglich isset und trinket? Aber Daniel lachte und sprach: Herr König, laß dich nicht verführen; denn dieser Bel ist inwendig nichts denn Lehm und auswendig ehern, und hat noch nie nichts gegessen. Da ward der König zornig, und ließ alle seine Priester rufen, und sprach zu ihnen: Werdet ihr mir nicht sagen, wer dies Opfer verzehret, so müsset ihr sterben. Könnet ihr aber beweisen, daß der Bel solches verzehre, so muß Daniel sterben, denn er hat den Bel gelästert. Und Daniel sprach: Ja, Herr König, es geschehe also, wie du geredet hast.“



Daß Cyrus sehr zornig wurde, das kann man ihm eigentlich nicht verdenken. Einen felsenfesten und unerschütterlichen Glauben scheint er nicht besessen zu haben, denn er war ja ein kluger Mann, und deshalb mußten wohl sehr leicht Zweifel in seiner vielleicht nicht einmal kindlich reinen Seele aufsteigen. Nun liegt es aber in der Natur des Menschen, daß er nicht gern vor sich selbst und noch viel weniger gern in den Augen seiner Mitmenschen als ein leichtgläubiger Narr dastehen will, der sich in der plumpsten und albernsten Weise übertölpeln läßt. War der Bei, was doch eigentlich schon der Augenschein lehrte, wirklich nicht lebendig, sondern innen nichts denn Lehm und außen ehern, dann konnte er in der Tat nicht jeden Tag eine so stattliche Mahlzeit zu sich nehmen, wie sie ihm doch gespendet werden mußte. Vielleicht war auch dem guten Cyrus schon die enorme Schüchternheit aufgefallen, die es dem großen Bei nicht gestattete, jemals in Gegenwart von Menschen etwas von den dargebotenen Schätzen zu berühren. Man kann es dem Cyrus wirklich nicht verdenken, wenn ihn der Gedanke, er könne sehr wohl ein gewaltiger Schafskopf gewesen sein, weil er nicht merkte, was doch eigentlich jeder vernünftige Mensch auf den ersten Blick erkennen mußte, zornig stimmte. Die Priester aber waren, wie sich dies für richtige und würdige Priester eines tönernen Götzen ziemt, schlaue Füchse, die für solche Fälle bestens vorbereitet waren und glaubten, sich auf ihren Humbug bestens verlassen zu können. Da Bel natürlich nicht in Gegenwart Sterblicher, auch nicht in der eines Königs, essen durfte, war es ihnen verhältnismäßig leicht gemacht, den verlangten Beweis zu liefern. Sie sagten deshalb dem König, er möge selbst die Opfer in dem Tempel niederlegen, allein in dem Raume bleiben und als letzter hinausgehen, so daß er sich überzeugen könne, daß bei seinem Fortgange noch alle Opfer vorhanden und absolut keine Personen mehr zugegen seien, die etwas hätten fortnehmen können. Er solle dann selbst die einzige Türe zum Tempel verschließen und auf die Türe resp. das Schloß sein Siegel drücken, so daß also auf keinen Fall noch ein Mensch in den Tempel hinein oder heraus könne, ohne das Siegel zu verletzen. Das leuchtete dem Cyrus ein und war auch eigentlich durchaus plausibel. Cyrus war befriedigt, nahm den Vorschlag an, und die Priester freuten sich schon darauf, daß Daniel, der doch ein ganz gefährlicher und ekelhafter Bursche sei, auf alle Fälle am nächsten Tage sein Leben aushauchen müsse. Es ist immer gut, wenn solch ein Mensch unschädlich gemacht wird; das Ansehen des gewaltigen Bel mußte dadurch sehr gewinnen, Leute, die von der gütigen Natur mit klaren Augen ausgestattet waren, verloren durch dieses Beispiel die Lust und den Mut, etwaige Bedenken gegen die Lebendigkeit und den guten Appetit des Bel laut werden zu lassen, und mit dem Ansehen des Bel mußte auch das seiner Priester wachsen. Die Priester konnten ihrer Sache übrigens wirklich sicher sein, denn sie hatten einen geheimen unterirdischen Gang, der von außen in den Tempel führte und unter dem Tische mündete, auf den die Opfer gelegt werden mußten. Sie hatten also niemals nötig, die Türe zu öffnen, wenn sie in den Tempel wollten, denn es war ihnen von vornherein klar, daß es leicht einmal hätte Bedenken erregen können, wenn die Herrschaften mit Weibern und Kindern täglich den Tempel aufgesucht hätten, oder wenn sie etwa so unvorsichtig gewesen wären, die Opfer durch den offiziellen Eingang fortzuschaffen. Später konnte es viel leichter gehen.

Die Bibel erzählt den weiteren Verlauf der Sache wörtlich: „Da nun die Priester hinaus (aus dem Tempel) waren, ließ der König dem Bel die Speise vorsetzen. Aber Daniel befahl seinen Knechten, daß sie Asche holten, und ließ dieselbige streuen durch den ganzen Tempel vor dem Könige. Danach gingen sie hinaus, und schlossen die Tür zu, und versiegelten sie mit des Königs Ringe, und gingen davon. Die Priester aber gingen des Nachts hinein nach ihrer Gewohnheit mit ihren Weibern und Kindern, fraßen und soffen alles, was da war. Und des Morgens sehr frühe war der König auf, und Daniel mit ihm. Und der König sprach: Ist das Siegel unversehrt? Er aber antwortete: Ja, Herr König. Und sobald die Tür aufgetan war, sah der König auf den Tisch, und rief mit lauter Stimme: Bel, du bist ein großer Gott, und ist nicht Betrug mit dir! Aber Daniel lachte, und hielt den König, daß er nicht hinein ging, und sprach: Siehe auf den Boden, und merke, wes sind diese Fußtapfen? Der König sprach: Ich sehe wohl Fußtapfen von Männern und Weibern und Kindern. Da ward der König zornig, und ließ die Priester holen mit ihren Weibern und Kindern. Und sie mußten ihm zeigen die heimlichen Gänge, dadurch sie waren ein- und ausgegangen, und verzehret hatten, was auf dem Tische war. Und der König ließ sie töten, und gab Daniel den Bel in seine Gewalt; derselbe zerstörte ihn und seinen Tempel.“ So weit die einfache Erzählung der Bibel, die fast an einen modernen Detektiv-Roman erinnert, denn der List, die schlauen Priester durch das Streuen von Asche auf den Fußboden, auf dem sich dadurch jeder Schritt deutlich ausprägen mußte, würde sich auch ein Sherlock Holmes nicht zu schämen brauchen. Was würde aus manchem Kult geworden sein, wenn es stets einen Daniel mit der nötigen Asche und dem nötigen Salz — ich meine attisches — gegeben hätte, so daß die „geheimen“ Gänge hätten entdeckt werden können!

Die Geschichte lehrt aber klipp und klar, daß selbst die Götter eines Cyrus nur Gebilde von Menschenhand — innen Lehm, außen Erz — waren, oder, mit anderen Worten, daß man immer bloße Bildwerke für lebendige, mächtige Götter hielt. Ist es da ein so weiter Schritt bis zu dem Gedanken, daß es dem schwachen Menschengeschlecht ebenso gehen müsse wie den mächtigen Göttern, daß also auch das Bildnis eines Menschen schließlich selbst fühlender und lebender Mensch sei? Es kann wohl kaum etwas Näherliegendes geben.

Als das Christentum in seinen Vorstellungen noch ziemlich rein, ich meine frei von dem dogmatischen Nebenkram kluger Köpfe und blinder Fanatiker war — ganz rein ist es ja wohl niemals gewesen, ebenso wenig wie das klarste Gesetz frei von entstellenden Interpretationen bleiben kann — war die Verehrung oder gar Anbetung von heiligen Bildern, die doch in der Tat der christlichen Lehre geradezu einen Faustschlag ins Gesicht versetzen, absolut ausgeschlossen. Ich will nicht an die Bilderkriege denken, die der byzantinische Kaiser Leo der Isauricus (716 — 741) eröffnete; es ist aber auch da das Heilige mit dem Profanen verquickt und nicht die Materie von Gottesbildern, sondern auch jede Materie einer Person, ja schließlich jeder Landschaft als Teufelswerk verboten worden. So hat die Kirche oder auch die heidnische Hierarchie stets dafür gesorgt, daß der Bilderaberglaube — sei es im guten, sei es im bösen Sinne — niemals aussterben konnte. Selbst im spätesten Christentum, bis auf unsere Tage hat sich die Meinung erhalten, daß die toten Bilder doch lebendige Kraft besäßen, daß bemalte Leinwand angebetet werden müsse, daß sie Wunder tun, Kranke heilen und den Naturkräften gebieten könne.

Nahm man aber einmal an, daß ein Bild schon mit dem Gotte oder dem Menschen, den es darstellen sollte, so weit eins sei, um fühlen und handeln zu können wie das Original, dann verstand es sich fast mit logischer Selbstverständlichkeit, daß dies Bild den Menschen, den es darstellte, auch in die Gewalt dessen, der das Bild besaß, bringen mußte, oder daß der Mensch selbst alles das fühlen müsse, was man seinem Bilde antue. Das ist, wenn man so sagen will, der logische Grundgedanke des ganzen Bilderzaubers. Magie oder Zauberei nahm man trotz aller Vernunftdeduktionen doch an, wenn es sich um die Einwirkung durch Behandlung eines Bildes handelte. Es war und blieb doch eine wunderbare Zauberwirkung in die Ferne, wenn man einem Menschen Freude oder Leid bloß dadurch zuzufügen vermochte, daß man seinem Bildnisse irgend etwas antat. So war es zunächst auch nicht jedem beliebigen Menschen in die Hand gegeben, eine derartige Fernwirkung hervorzubringen, sondern man glaubte, daß nur den Magiern eine solche Leistung gelingen könnte.

Die Magie stand nun aber im orientalischen Altertum keineswegs so auf dem Index wie in den Zeiten des christlichen Mittelalters bei uns im lieben Deutschland, wo die Zauberer oder die, die man dafür halten zu dürfen glaubte, gehaßt waren wie der Gottseibeiuns, und wo die qualmenden Scheiterhaufen doch wohl die ebenso intensiv gehassten wie gefürchteten Zauberer abhielten, das Wort des Caligula: „Oderint dum metuant“ zur Richtschnur ihres Erdenwallens zu machen. Im alten Orient, den man als die Heimat der Magie zu betrachten hat, waren die Herren Magier sehr angesehene Leute. Man mochte sie vielleicht auch fürchten, wie der Mensch sich ja stets am meisten vor dem fürchtet, was ihm ein unverständliches Geheimnis ist. Bei den Medern und Persern gehörten die Magier der Priesterkaste an; sie gingen nur aus einem bestimmten Volksstamme hervor, der die Kenntnisse der geheimen Wissenschaften und die der Zoroastrischen Religion als geistiges Eigentum wohl zu behüten und zu bewahren wußte. Auch eine Art Theologenkaste! Die Magie dieser alten Priesterkaste war übrigens etwas wesentlich anderes als die Magie, die später, wohl zuerst bei den Chaldäern, schon ein erheblich bedenklicheres Handwerk bildete. Ich will damit aber nicht etwa gesagt haben, daß die medischen Magier Menschen gewesen wären, vor denen man mit unbedingter Hochachtung hätte den Hut abziehen müssen. Sie waren sehr kluge Leute, die ihre Künste behüteten, weil sie wußten, daß sie ihnen für alle Zeiten eine ungeheure Macht und einen gewaltigen Einfluß sicherten, die sie beide sehr wenig zum Nutzen ihrer Mitmenschen, dafür besser zum eigenen Vorteil verwerteten. Wehe dem, dem diese Leute nicht gewogen waren. Wo hätte wohl jemals die herrschende und herrschsüchtige Priesterschaft das eigene Wohl hinter das der Allgemeinheit gestellt? Die Priester des Bel zu Babel waren mit ihrem sträflichen Eigennutz immer noch ganz harmlose Leutchen im Vergleich mit mächtigen Priestern, auch mit den priesterlichen Magieren der Meder, und doch kostete sie ihr Betrug schließlich das Leben, das sie erst mit seiner Hilfe so behaglich gefristet hatten. Ich habe keinen Anhalt dafür, ob auch die medischen Magier schon den Bilderzauber anwendeten; in der Regel hatten sie ihn nicht nötig, denn die Personen, denen sie ein Übel zufügen, oder die sie mit der Zähigkeit des hasserfüllten Orientalen verfolgen wollten, konnten sie in persona ipsissima haben. Wozu da in die Ferne wirken?



Es ist bekannt, daß die alten medischen Magier auch die Traumdeuterei bis zur Virtuosität verstanden; ob sie aber ihre heilige Kunst auch in den Dienst von Privatpersonen stellten, erscheint doch recht zweifelhaft; jedenfalls haben sie sich aber nicht dazu hergegeben, die Liebesaffären von Hinz und Kunz zu ebnen. Das taten spätere Magier, als die Magie schon etwas in Verruf gekommen war, und diese Leute werden zuerst den Bilderzauber als ein für ihre bescheideneren Verhältnisse immerhin lohnenderes Geschäft eifriger kultiviert haben.

Benutzt wurden zu diesem anmutigen Zauber in der Regel Bildwerke, die aus Wachs geformt wurden. Es mögen nicht immer Kunstwerke ersten Ranges gewesen sein; aber man war damals in dieser Hinsicht nicht übermäßig verwöhnt, und die Wachsgebilde verrichteten ihren Zweck vorzüglich, wenigstens hat es gewiß nicht an der künstlerischen Qualität des Bildwerks gelegen, wenn der Zauber nicht glückte, sondern von helleren Köpfen sofort als ein „fauler Zauber“ erkannt werden konnte. Über das Versagen solcher Künste verlautet aber natürlich nichts, und das erscheint gewiß nicht so übertrieben wunderbar. Wo man glaubte, daß eine Lehmfigur 40 Schafe, 12 Malter Weizen und drei Eimer Wein täglich vertilge, da konnte man doch schließlich auch davon überzeugt sein, daß alles, was sich mit einer geliebten Person ereignete, die Tat des Magiers sei. Der Magier hatte also alle Chancen, und es ist durchaus verständlich, daß er sie auszunützen verstand. Blieb seine Kunst ohne Erfolg, so gab es sicherlich tausend Gründe, aus denen dieses Misslingen erklärt werden konnte. Gründe sind im allgemeinen wohlfeil wie die Brombeeren. Selbst in unserem sogenannten Zeitalter der Aufklärung findet man, wenn man sich nur die Mühe gibt, etwas genauer zu beobachten, eine Leichtgläubigkeit und Geistesverblödung, sofern es sich um Wunderdinge handelt, die geradezu besorgniserregend sind. Man denke doch an den groben Schwindel, den Spiritisten, oder meinetwegen Pseudospiritisten so oft schon in Szene gesetzt haben. Man versteht es schon nicht, daß ernste Männer an die fliegenden Schinkenknochen, Kartoffeln, Töpfe und den übrigen Spuk des Knaben von Resau hineinfallen konnten. Daß aber nach der Entlarvung und Bestrafung des Spukschwindlers immer und immer wieder alle möglichen Leute auf denselben Schwindel hineinfallen, daß den Taten einer Valeska Töpfer oder einer Bertha Rothe immer wieder neue Medien folgen konnten, die in noch plumperer Weise ihre andächtige Gemeinde betrogen, das ist ein Beweis dafür, daß auch Menschen, die durch reichere Erfahrungen und durch eine reifere Erziehung doch eigentlich kritisch genug veranlagt sein sollten, um einigermaßen die Spreu von Weizen sondern zu können. Ich will mich auf die „Tatsachen des Spiritismus“ nicht ausführlich einlassen, ich will insbesondere nicht in Abrede stellen, daß es wirklich Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt. Ich bin von einem Weiterleben der Seele nach dem leiblichen Tode aus Vernunftgründen überzeugt; ich bin aber — ebenfalls aus Vernunftgründen — überzeugt, daß dieses Weiterleben der Seele denn doch unter sehr wesentlich anderen Daseinsbedingungen erfolgt als denen für unser körperliches Leben, und daß die weiterlebenden Seelen wahrlich nicht durch jeden x-beliebigen Charlatan und Schwindler gezwungen werden können, sich zu manifestieren oder mit kindischem Gehorsam alle die unglaublichen Albernheiten und Dummheiten zu vollführen, die der Herr Geisterbeschwörer befiehlt. Vor allen Dingen sollte doch jeder die Absicht merken und verstimmt werden, wenn das Medium ungeheure Geldopfer verlangt, die in erster Linie ihm persönlich zu gute kommen. Denken, denken und wieder denken sollte die Menschheit lernen, sie sollte lernen, die Umgebung und alle ihre Erscheinungen kritisch zu durchdenken, dann würde es wohl gelingen, was die ernsten Spiritisten, — darunter verstehe ich solche, die den Problemen ihrer Lehre mit wissenschaftlichem Forschungseifer nachgehen wollen — stets verlangen, nämlich Klarheit und Gewißheit über manches zu schaffen, was in der Tat als noch nicht festgestellt und noch nicht ergründet gelten darf. Fanatische Sekten aber, die meist aus ungebildeten und unwissenden Leuten bestehen, gefallen sich in erster Linie darin, gegen die Wissenschaft zu eifern, die nach ihrer Ansicht nur die eine Garantie bietet, daß ihre Vertreter weder etwas leisten, noch etwas entdecken können. Fragt man solche Leute, welche Disziplin der Wissenschaft sie eigentlich meinen, dann sperren sie Maul und Nase auf, denn von einer Disziplin der Wissenschaft oder von dem, was die Wissenschaft in ihren einzelnen Zweigen lehrt und leistet, haben sie noch niemals ein Sterbenswörtchen gehört. Diese Leute, die auf Staat und Kirche schimpfen und in ihrer Selbstüberlebung nur sich selbst anerkennen, bilden eine große Gefahr, für ihre nächsten Anhänger schon deshalb, weil sie die christliche Nächstenliebe, die sie predigen, meist nur dahin verstehen, daß sie ihre Anhänger aussaugen bis auf den letzten Blutstropfen. Es läßt sich leider auch das als christliche Nächstenliebe deduzieren, denn umso viel mehr der Hang nach irdischem Gute bekämpft und unterdrückt wird, um so viel mehr ist für das Seelenheil gesorgt, und man muß über die Selbstlosigkeit der führenden Geister staunen, die das eigene Seelenheil so wenig fördern und sich für ihre Brüder aufopfern. Für die Allgemeinheit sind solche Sekten eine Gefahr, weil sie in den Kreisen unwissender und urteilsunfähiger Menschen Verirrungen anrichten, gesunde Existenzen vernichten und den bedauernswerten Opfern den Größenwahn einimpfen, daß auch sie auserlesen seien, die Welt zu reformieren, die heutige Staatsordnung und die Wissenschaft (dieses Karnickel) zu stürzen und das Reich der — Sekte zu errichten und auszubreiten. Es ist ein Jammer, daß so etwas geduldet, und wie es scheint, an einigen Orten sogar liebevoll gehegt wird, was wohl nur daran liegen kann, daß die zuständigen amtlichen Stellen über den wahren Charakter solcher Sekten sich täuschen lassen, obwohl ihnen doch die erforderliche Aufklärung gegeben worden ist. Auch das ist Magie. Wir haben gesehen, daß Religion und Magie keineswegs immer als Gegensätze betrachtet worden sind, so wenig, daß die ersten Magier die berufenen Religionsdiener sein konnten. Es ist dies natürlich ein Widerspruch, sofern es sich um eine Religion, die diesen Namen wirklich verdient, handelt. Ich will mich dabei auf eine wörtliche Übersetzung des Wortes, das aus dem Verb relego-ere abgeleitet ist und eine sehr verschiedene Deutung zulässt, im römischen Sprachgebrauch auch tatsächlich eine sehr verschiedene Bedeutung hatte, nicht einlassen, sondern mich nur an das klammern, was wir unter Religion oder Religiosität verstehen. Immer wird sich der Religiöse von der Gottheit abhängig fühlen müssen, weil eben nur der Glaube an eine allmächtige Gottheit, von deren Willen und Gesetzen die Menschen, jeder einzelne Mensch, abhängig sind, Religion sein kann, denn wollte man ein Schemen anbeten, das nicht existierte, keine Macht auf das Menschenschicksal hätte und den Lebenspfad oder das Geschick des Einzelnen nicht leiten könnte, so wäre diese Anbetung ein heller Wahnsinn.

Die Magie wieder würde Wahnsinn sein, wenn sie nicht völlig einen umgekehrten Standpunkt einnähme. Die Magier glaubten an die Gottheiten — sonst hätten sie nicht zugleich Priester sein können; sie glaubten aber auch, daß sie durch Zauberei auf die Gottheit zu wirken vermöchten, daß sie also die Gottheit sich dienstbar machen, ja sie zu ihren Diensten zwingen könnten. Das ist also das Sonderbare und Vernunftwidrige an der ganzen Sache, daß die Diener der Gottheit zugleich Herren der Gottheit sein wollten oder sogar zu sein glaubten. Das war ein unlösbarer Widerspruch, der wohl nur deshalb als solcher nicht besonders auffiel, weil, wie schon gesagt, die Menschen in der Kunst, logisch zu denken, mindestens da ein erschreckendes Manko aufzuweisen hatten und, wie es scheint, immer aufzuweisen haben werden, wo der Glaube oder der wüste Aberglaube ins Spiel kommt. Es ist das auch an unseren heutigen Dogmen noch so klar nachweisbar, daß es sich erübrigt, längere Ausführungen darüber zu machen. Im Altertum hat man natürlich in diesen Dingen das X für ein U angesehen, und als der Widerspruch so handgreiflich erschien, daß man die Zauberer als Feinde Gottes und Werkzeuge des Teufels verbrannte, da wurde der alte Widerspruch in Wirklichkeit nicht etwa beseitigt, sondern nur in eine andere Form umgegossen, die den Herren kirchlichen Teufels-, Hexen- und Zaubererverfolgern besser in den Kram paßte, in Wirklichkeit aber eigentlich noch dümmer war. Die alte Religion der Meder und Perser nahm eine Gottheit an, die die Schicksale der Menschen lenkte, selbst aber unter den Naturgesetzen stand, also auch durch Naturgesetze zu zwingen waren. Die Magier waren nach ihrer Meinung zwar immer noch mächtiger als die Götter, wenn sie glaubten, daß sie die Naturkräfte auch gegen diese ausspielen könnten. Das Christentum aber, daß doch an einen allmächtigen Gott, der Sturm und Wellen gebieten, Berge versetzen und die Naturgesetze beherrschen konnte, statt ihnen zu unterstehen, glaubte, räumte dennoch dem Teufel eine höhere Macht als Gott ein und nahm an, daß die Zauberer zwar Diener aber doch auch zugleich Herren des Teufels seien, und daß sie dadurch Gottes Ratschlüsse zum großen Teile umstoßen könnten. Hätte man allein dem Teufel die Gewalt zugemessen, dann wäre es ein Widerspruch gewesen, anzunehmen, daß der Teufel auf die Tätigkeit seiner menschlichen Knechte angewiesen sei. Es wäre der zweite noch fatalere Widerspruch gewesen, die Leute, die doch den Künsten und der Macht des Teufels gegenüber wehrlos waren, so furchtbar zu bestrafen, denn wer die Macht des Teufels, gegen die selbst Gott nichts vermochte, weil es doch Gottes Wille nicht sein konnte, daß der Teufel seine Gebote und Gesetze verletzte und Menschen, die Gottes Kinder waren, für sich selbst beanspruchen dürfte, verfiel, der konnte doch in Wirklichkeit nur als ein Opfer des Teufels, das man hatte beklagen müssen, nicht aber selbst als ein Schuldiger angesehen werden. Nahm man aber an, daß die Zauberer durch ihre Kunst, die sie allerdings wieder erst von dem Teufel erhalten haben mußten, dem Teufel gebieten könnten und deshalb schuldiger als der Teufel selbst seien, dann stellte man sie wieder über Gott und Teufel; aber dann war es ein Blödsinn, zu glauben, daß diese Menschen von Menschengewalt so einfach besiegt und vernichtet werden konnten. Also, auch hier ist ein unentwirrbarer Knäuel von Irrungen, Wirrungen und blödestem Unsinn.



Ich hätte mir diese in gedrängter Kürze gehaltene Ausführung gänzlich ersparen können, wenn es mir nicht auf den psychologischen Nachweis angekommen wäre, daß in Sachen des Aberglaubens nichts auf der Welt so dumm und widersinnig sein kann, daß es nicht doch in ein Dogma gebracht werden könnte, auf das die Welt schwört, bis das Morgenrot einer besseren Erkenntnis nach langer, furchtbar langer Nacht endlich, meist sehr, sehr langsam am Horizont heraufdämmert. Im Orient geht ja die Sonne eher auf; auch die Sonne der klaren Menschenvernunft? Ich möchte das bestreiten.

Wir haben aus dem fernen Osten die Magie als ein Danaergeschenk erhalten, das wir mit schwerer Mühe überwinden mußten; aber der Orient ist heute noch das Land, in dem die Magie üppig in Blüte steht. Man denke nur an die indischen Magier und Gaukler, über die wir überlegen lächeln, und die doch auch uns noch unlösbare Rätsel aufgeben. Am grünen Tisch läßt sich's gemütlich docieren; aber in der sonnigen Wirklichkeit des indischen Morgenlandes da sieht die Sache schon recht anders aus, da haben auch Leute die Köpfe geschüttelt und eingestanden, daß sie das Wunderbare nicht zu fassen und nicht zu erklären vermöchten, Leute, die daheim am grünen Tische ebenso überlegen, ebenso überzeugt das große Wort ausgesprochen hatten, daß vielleicht ein blöder Hindu den plumpen Schwindel solcher Gaukler anstaunen könne, daß aber der gebildete Europäer dem Gaukler sofort seine Taschenspielerkunststücke als solche nachweisen könne. Und doch — auch in Indien gibt es für den gebildeten und sogar für den gelehrten Europäer, der weiß, daß es keine Zauberer geben kann, daß alles mit natürlichen Dingen zugeht, und daß es sich höchstens darum handeln kann, Naturkräfte und Fähigkeit in bisher unbekannter Weise zu verwerten, Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich selbst die europäische, hoch entwickelte Schulweisheit nichts träumen läßt. Es ist, als sollte da jeder Skeptiker aus einem Saulus zum Paulus gemacht werden, denn wer das sieht, was die indischen Magier, Schlangenbeschwörer und ähnliche Künstler leisten, der muß schon sehr fest davon überzeugt sein, daß alles mit natürlichen Dingen zugehe, wenn er nicht durch den Anblick in seiner Zuversicht wankend werden will.

Diese kunstfertigen Inder sind aber kein Produkt der neuesten Zeit oder einer neuen Kultur; ihre Künste haben sich von Generation zu Generation vererbt und reichen in Zeiten zurück, um die die ältesten Ahnengeschlechter, die so gern ihren geheiligten Stammbaum bis auf Adam zurückleiten möchten, in blassen Neid verfallen könnten. Ich meine nun, man hat im Orient schon im grauen Altertum die Kunst der Magie trefflich verstanden, und es ist dieser Tatsache gegenüber durchaus verständlich, daß man Leuten, die in der Tat „ohne alle Apparate“ vor den Augen der Menge Dinge vollbrachten, die als vollendete Wunder erscheinen mußten, wohl das ungetrübteste Vertrauen entgegenbrachte und sie auch für fähig hielt, in Herzensangelegenheiten eine heißersehnte Wendung herbeizuführen, die noch dazu an sich nicht einmal wunderbar, sondern ganz natürlich war.

Wie man auf den Gedanken kam, ja geradezu kommen mußte, daß man durch eine bloße Behandlung eines Bildes aus Wachs die Person, die das Bild darstellen sollte, direkt beeinflussen könne, habe ich schon ausführlich auseinandergesetzt. Der Bilderglaube hat sich dann ebenfalls bis ins Abendland verpflanzt, und ist vielleicht der Redensart, daß Jemand in den Händen eines Anderen Wachs sei, zu Grunde zu legen. Die Herren Magier mögen wohl von der Wirkung ihrer Kunst selbst felsenfest überzeugt gewesen sein; vielleicht haben sie auch der Idee gehuldigt, daß doppelt besser halte, und sich nicht immer so sicher auf ihre Wachsgebilde verlassen, sondern sich wohl nebenbei auch an die Person selbst gewendet, die ihren Absichten geneigt zu machen, ihrem großen Ansehen gewiß nicht allzu schwer gefallen sein dürfte. Haben sie diese weise Vorsicht walten lassen, dann wird ihnen wohl sehr oft ihre „Magie“ glänzend gelungen sein, und dem Auftraggeber, dem es doch sicherlich ganz gleichgültig war, auf welchem Wege sein Helfer zum Ziele kam, der einfach zufrieden war und sein konnte, wenn dieses Ziel überhaupt erreicht wurde, war geholfen. Auch dem Magier, der in immer besseren Ruf kam. Wäre der Erfolg immer ausgeblieben, dann hätte sich das Märchen vom Bilderzauber unmöglich behaupten, geschweige denn sein Ruf sich bis ins Abendland ausbreiten können.

Wenn man nun aber bedenkt, daß es Leute gab, die zur Magie ihre Zuflucht nahmen, um ihrem Liebessehnen Trost und Befriedigung zu verschaffen, dann darf man daraus doch mindestens den Schluß ziehen, daß das Liebesleben durchaus nicht bloß den rohen Sinnenrausch in seiner ganzen und abstoßenden Brutalität kannte, sondern daß es auf keinen Fall an romantischen und sinnigen Episoden und Affären gefehlt haben kann. Mag die Sinnlichkeit das bewegende Agens gewesen sein; wer will denn von Fall zu Fall feststellen können, wie weit eine Herzensneigung von der Sinnlichkeit diktiert oder doch wenigstens beeinflusst ist?

Nicht allein für die verliebten Leute bildete die Bildermagie eine Zuflucht, durch die sie zum Ziele zu gelangen hofften, sondern auch für Haß und Rache war diese Magie die einzige Möglichkeit Befriedigung zu finden, wenn einer gehassten Person auf direktem Wege nicht beizukommen war. Haß und Liebe wohnen sehr dicht beieinander und entspringen nicht selten dem gleichen Grunde, ja es kommt nicht nur vereinzelt vor, daß Liebe sich in Haß verwandelt So war denn auch dabei der Magier eine geschätzte und gesuchte Person. Als erst einmal bekannt war, wie riesig leicht diese Liebes- und Haß-Magie ausführbar war, da bedurfte man nicht einmal des Magiers mehr, um zum Ziele zu gelangen. Das einzige Mittel, das unentbehrlich blieb, war das Bild. Dieses herzustellen, erforderte weder eine besondere Übung noch hervorragende Geschicklichkeit. Wachs ist leicht zu haben und, wenn man es hat, leicht zu bearbeiten. Die Masse wird durch das Kneten weich und biegsam, läßt sich in jede Form bringen, und ein Bildwerk herstellen, das eine nicht allzu verwöhnte Phantasie allenfalls für ein menschenähnliches Bild halten kann, das bringt doch schließlich auch der Ungeübteste fertig. Zudem, — Liebe macht erfinderisch, Haß nicht minder.

Ich bin mir nun allerdings nicht darüber klar, was man mit einem solchen „Kunstwerk“ vorzunehmen hatte, um dadurch zu erreichen, daß die Person, die man damit meinte, sich zur Liebe bewege, denn etwaige Liebkosungen, die man dem Wachsbild zuteil werden ließ, können wohl keinen Zweifel gelassen haben, daß der der Magie Beflissene selbst liebte; was aber soll die andere Person bewogen haben, den Liebenden nun auch ihrerseits zu lieben? Darauf kam es aber doch gerade an. Was soll einer geliebten Person, die vielleicht wiederliebte, aber durch äußere Verhältnisse verhindert war, zu dem Geliebten zu gelangen, die Möglichkeit gewährt haben, dies zu erreichen? So groß konnte doch selbst der wirklich vorhandene Zauber nicht wirken, daß er feste Türen und Schlösser öffnete oder den Durchgang durch vergitterte Fenster ermöglichte. Lassen wir also dieses Rätsel ein Rätsel bleiben. Die Liebe macht erfinderisch; deshalb will ich es meinen sehr geehrten Lesern überlassen, die geeignete Methode selbst zu erfinden, falls sie von der Vortrefflichkeit des Bilderzaubers sich überzeugt haben, was ich keineswegs für ausgeschlossen halte. Der Versuch bringt kein Risiko, da man ja jetzt die Zauberer nicht mehr verbrennt. Auch die Beschaffung eines Bildes ist nicht mehr mit allzu großen Schwierigkeiten verknüpft, und man hat außerdem noch den großen Vorteil, daß man an die Phantasie keine allzu hohen Anforderungen zu stellen braucht, um in dem Bilde wirklich die Person, die man meint, zu erkennen.

Mit dem Haß war die Sache schon erheblich leichter. Wer haßt, braucht keine Erwiderung seiner Gefühle zu erwecken; es wird ihm im Gegenteil in der Regel ziemlich gleichgültig sein, ob sein Haß erwidert, oder ob ihm gar nach dem am wenigsten befolgten christlichen Gebot sein Haß mit Liebe vergolten wird. Der Haß verlangt nur Rache und fragt nicht danach, ob der Gegner etwa einverstanden ist oder nicht, ja er wird sogar viel sicherer zum Ziele gelangen, wenn das Übel, das er zufügen will, unerwartet, überraschend kommt. Die Liebe ist, wenn es gestattet ist, durch nicht völlig passende Bezeichnungen, Begriffe verständlicher zu machen, mehr relativ, der Haß mehr abstrakt, d. h. die Liebe will gewinnen, sie ist ja eigentlich nichts weiter als das intensiven Sehnen nach einer dauernden oder wenigstens nur zeitlich begrenzten, sonst absoluten Vereinigung. Ich habe sie deshalb mehr egoistisch genannt. Der Haß verlangt keine Vereinigung, er ist ein von anderen Gedanken völlig losgelöster Begriff, der weiter nichts will, als den Gegner schädigen oder ihn vernichten, dabei aber nicht davon ausgeht, für sich selbst einen Vorteil oder einen Genuß zu schaffen, wenn auch durch die Befriedigung des Hasses ein Vorteil entstehen, in der Befriedigung ein Genuß liegen kann. Wenn ich diesen Gegensatz nenne, so meine ich natürlich nicht die Liebe, von der der Apostel Paulus sagt, daß sie alles dulde, alles ertrage, alles verzeihe, sondern die für mein Thema allein in Frage kommende Geschlechtsliebe.

Der Haß, der soweit gediehen war, daß sich der Hassende des Magiers oder wenigstens der Magie bediente, um seiner rasenden Leidenschaft ein Genüge zu tun, war natürlich ebenfalls über das Stadium, in dem man ihn noch als etwas Abstraktes bezeichnen dürfte, hinaus entwickelt. Er suchte und verlangte gebieterisch eine Handlung, die dem Gehassten verderblich werden mußte. Das nächstliegende Übel, das einer Person zugefügt werden kann, ist stets ein direktes, also ein körperliches. Wer einem Menschen, den er erlangen kann, ein Übel zufügen will, wird dies am besten und sichersten erreichen, wenn er ihm körperliche Schmerzen bereitet. Deshalb artet so leicht ein erregter Streit in Tätlichkeiten aus, deshalb die Prügeleien in allen ihren Abarten und Abstufungen. Ich will nicht darauf eingehen, ob diese rohe Gewalt, die doch nur beim hinterlistigen Überfall quasi als Produkt heimtückisch boshafter Überlegung, sonst stets im plötzlichen Effekt angewendet wird, etwa lobenswerter als das geheime Wirken aus dem Hinterhalte sein müsse. Denn das, was jemand mit Hilfe der Magie tut oder auch nur zu tun meint, vereinigt in der Regel Gewalttat und Heimtücke, wenn es auch hierbei stets das Nächstliegende sein und bleiben wird, dem Gehassten einen körperlichen Schaden zuzufügen, wenigstens da, wo das Wachsbild benutzt und angenommen wurde, daß die Person dasselbe „fühle“ und leide wie ihr Bild. Mit dem „Fühlen“ trifft dieser Aberglaube auch wohl zweifellos das Richtige, denn wenn man ein Gebilde aus Wachs noch so brutal mißhandelt, so wird es doch von dieser Behandlung nichts „fühlen“, und dasselbe wird mit der Person, deren Bild mißhandelt wurde, der Fall sein. Auch sie wird nichts gefühlt haben, so daß in Wirklichkeit nur der Magier, oder falls dieser nicht in „eigener Sache“, sondern nur im Auftrage eines Andern „arbeitete“, dessen Auftraggeber den Genuß hatte. Ein Genuß mag das wirklich gewesen sein, denn ein wütender Mensch kennt kaum einen größeren Genuß als den, seinem gehassten Gegner Schmerzen zu bereiten. Glaubte er, dies auf so einfache und bequeme Weise erreichen zu können, noch dazu ohne daß ihm auch nur der geringste Vorwurf gemacht werden konnte, so war die Freude subjektiv berechtigt; objektiv freilich unsinnig, weil immer der Gehasste gewiß über das heiße Bemühen seines Gegners nur gelächelt haben würde, wenn er es gewußt hätte, und wenn er genügend Philosoph gewesen wäre. Im Zeitalter des blinden Zauberglaubens freilich hätte sich ein solcher Philosoph wohl mit der brennenden Laterne auf dem tagshellen Markte ebensowenig finden lassen wie ein Mensch im Sinne des großen und satirisch veranlagten griechischen Philosophen. Es wird aber wohl selten jemand gewußt haben, daß ein anderer Mensch sein Wachsbild prügelte, und da der Prügelnde wohl felsenfest glaubte, daß sein Gegner die Prügel empfindlich fühlen müsse, sich doch aber nicht davon überzeugen konnte, ob dies wirklich der Fall war, so wird es ja wohl nicht so leicht möglich gewesen sein, den Zauber zuverlässig auf seine Wirksamkeit zu prüfen, und der Glaube konnte nicht leicht als falsch erwiesen werden. Es wäre deshalb wohl begreiflich gewesen, daß der Aberglaube köstlich grünte und blühte, und alle die Racheakte, die man sich mittels eines Wachsbildes erlaubte, wären im Grunde genommen recht harmlose Spaß der rachsüchtigen Magier gewesen.



Aber ganz so einfach lag die Sache doch nicht, denn die hasserfüllten Leute begnügten sich keineswegs damit, ihre Mitmenschen hin und wieder indirekt durchzuprügeln, sondern sie taten ihnen auch viel schwereres Leid an. Sehr beliebt war das Ausstechen der Augen, das Abtrennen eines oder auch verschiedener Glieder, und selbst der gefährliche Stich durchs Herz war eine höchst beliebte Manipulation. Es kann da nun sehr wohl vorgekommen sein, daß ein Mensch, dessen Wachsbild man aus Rache in der schwersten Weise versehrt hatte, ebenfalls ein ähnliches Unglück an seinem Körper erlitt. Daß dies in einer Zeit, in der das Menschenleben einen so furchtbar geringen Wert hatte, vorkommen, verhältnismäßig leicht vorkommen konnte, ist einleuchtend. Es ist außerdem bekannt, daß auch umgekehrt in Fällen, in denen Jemand ein besonderes Unglück erlebt und an seinem Körper Schaden genommen hatte, ohne weiteres angenommen wurde, daß eine Hexerei im Spiele sei, daß also irgend Jemand dieses Unglück durch Zauberei verursacht haben müsse. Über die Person des Täters brauchte man sich keine großen Kopfschmerzen zu machen. Irgend ein Individuum, das mit den Unglücklichen besonders stark verfeindet war, gab es wohl überall, denn Menschen, die gar keine Feinde haben, sind bis auf den heutigen Tag weiße Raben. So nahm man denn einfach einen Menschen, der hinreichend verdächtig erschien, den Zauber begangen zu haben, am Kragen und ließ ihn seine Schandtat furchtbar büßen. Hatte er geleugnet, was wollte das wohl sagen? Konnte man von einem Menschen, der so verdorben war, daß er durch eine hinterlistige Zauberei seine Mitmenschen ins Unglück stürzte, erwarten, daß er den Mut besitzen würde, seine Scheußlichkeit auch noch offen einzugestehen? Da wurde einfach kurzer Prozess gemacht, oder vielmehr, man ließ sich auf einen Prozess erst gar nicht ein, sondern bestrafte den Unhold so schwer wie möglich, in der Regel am Leben, und alle Welt war davon überzeugt, daß dem Manne nur sein Recht geworden war. Durch alle solche Ereignisse mußte aber der Aberglaube, daß es wirklich eine Magie gäbe, die so einfach durchzuführen war, neue Nahrung erhalten. Das ist wohl die beste Erklärung dafür, daß sich ein, objektiv betrachtet, so alberner Aberglaube so lange halten konnte wie der von dem Bilderzauber, der — mochte seine Entstehung, wie ich nachgewiesen zu haben, wohl annehmen darf, auch eine logische Konsequenz alles dessen sein, was man im allgemeinen über Bildwerke von Personen und Göttern dachte und schließlich bei dem Entwicklungsgänge religiöser Dogmen auch denken mußte, — in Wirklichkeit doch jeder realen Grundlage entbehrt. Was man jetzt durch Suggestion, Telepathie und ähnliche Dinge zu erklären sucht, trifft auf den Bilderwahn gar nicht oder doch nur im allerbescheidensten Umfange zu.

Man soll aber nicht denken, daß der Bilderzauber etwa nur im orientalischen Altertum bekannt und in Übung gewesen sei. Auch bei uns im Abendland hat er seinen Siegeszug gehalten und sich einer außerordentlichen Lebensfähigkeit erfreut. Ich will nicht darauf eingehen, wie unendlich oft „Zauberer“ verurteilt worden sind, weil sie durch Ausstechen der Augen eines Bildes oder durch Stiche durch das Bild ihren Mitmenschen nach dem Leben getrachtet haben sollten.

Selbst die mittelalterliche Justiz pflegte, wenn der Delinquent glücklich entwischt war, das Todesurteil an dessen Bilde zu vollstrecken, und dieser Gebrauch hat das Mittelalter lange, lange überlebt und selbst noch im 18. Jahrhundert bestanden. Es ist richtig, daß derartige Exekutionen an einem Bilde oder einer Strohpuppe auch der Abschreckungstheorie dienen und zeigen sollten, wie die Obrigkeit mit einem Menschen, der das in Frage kommende Verbrechen begehe, umzuspringen pflege. Das mag dann ein bei aller Lächerlichkeit eines solchen Verfahrens immerhin noch ganz leidlich vernünftiger Gedanke gewesen sein. Das ursprüngliche Motiv war aber doch das, daß man glaubte, der entwichene Verbrecher müsse das wirklich körperlich empfinden, was man seiner Puppe oder seinem Bilde antue. Mindestens wurde dieser zweifellos allgemein gehegte Glaube durch die öffentlichen Hinrichtungen von Strohpuppen usw. lebhaft genährt.

Wenn man aber annimmt, dieser Aberglaube habe nur im sogenannten finsteren Mittelalter bestanden, so irrt man sich gewaltig; es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß es sich bis in unsere Tage erhalten hat. Freilich nicht so allgemein wie einst, wo alle Kreise ihm zuneigten, denn jetzt dürfte wohl ein gebildeter Mensch über derartige Magierkünste kaum noch ein mitleidsvolles Lächeln übrig haben. Noch im Jahre 1897 hat sich in Rom eine Zauberer-Tragikomödie abgespielt. Die Zauberin war eine 47 jährige Frau Adele Fabi, die in Rom Via Santi 4 ihre Hexenküche aufgeschlagen hatte und sich offenbar bei der Bevölkerung eines großen Ansehens erfreute. Der Polizei fiel diese Magierin wegen einer Affäre in die Hände, die ziemliches Aufsehen erregte. Eine Frau Hermelinde Scaccia scheint die eheliche Treue, die sie ihrem Gatten gelobt hatte, nicht allzu peinlich gehalten zu haben, wenigstens wollte ihr Mann gern auf das ihm sehr zweifelhaft erscheinende Glück, sie weiter eine Genossin nennen zu dürfen, verzichten. Er hatte die Scheidung beantragt und sich dadurch den Zorn der edlen Hermelinde in so hohem Maße zugezogen, daß diese beschloß, es dem sauberen Herrn Gemahl gründlich anzustreichen. Sie selbst konnte allerdings ihren Rachedurst nicht direkt befriedigen, denn zu einer Gattenmörderin hatte sie erfreulicherweise wenig Talent, und zu einer Züchtigung des Herrn Gemahls wollte sie sich nicht aufraffen, da sie bei einem Angriff, wie sie wohl selbst einsehen mochte, jedenfalls sehr schlecht weggekommen sein würde. So wendete sie sich denn Hilfe erbittend an die berühmte Zauberin der Via Santi, Adele Fabi. Diese erklärte sich sofort bereit, die erbetene Hilfe zu leisten, jedenfalls nachdem die rachsüchtige Gattin bewiesen hatte, daß sie die Mittel besitze, sich solche Extravaganzen „leisten“ zu können. Zunächst erhielt die Scaccia von der Hexe ein Paket mit irgend einem Zauberpulver, das sie dem Herrn Gemahl in die Suppe streuen sollte. Jedenfalls war dieses Pulver, wenn auch gerade keine angenehme Suppenwürze, so doch auch kein gefährliches Gift. Geschadet hat es Herrn Scaccia wenigstens nichts, obwohl es wirklich vorschriftsmäßig in die Suppe gemischt worden war. Die Hexe hat auch selbst dem Pulver keine besondere Wirkung zugetraut, es wohl nur als Hokuspokus gegeben, um ihrer Kundin den regen Eifer, mit dem sie dieser helfen wollte, zu beweisen. Die eigentliche Hexerei sollte erst später vorgenommen werden; zu dieser Tätigkeit erbat sich die Hexe ein Bildnis des Herrn Scaccia, das sie natürlich auch erhielt, denn der schönen Hermelinde war die Rache bitterer, grimmiger Ernst. Es ist nun zur Ausführung des Zaubers in diesem Falle nur zum Teile gekommen. Die Welt, in der man sich nicht langweilen will, hat eine kräftige Akustik, und so war denn auch die Verbindung der Frau Hermelinde Scaccia mit der wundertätigen Zauberin nicht unbemerkt geblieben. Vielleicht hat Hermelinde, die weise Vorsicht, daß man beim Zaubern nicht sprechen dürfe, wenn man die Wirkung nicht stören wolle, außer Acht gelassen und selbst nicht reinen Mund gehalten; jedenfalls wußten verschiedene Personen, daß die Tage des Herrn Scaccia gezählt seien, da ihn die Fabi durch ihre Zauberkünste auslöschen wolle wie eine Unschlittkerze.

Das wußte schließlich auch Herr Scaccia selbst, denn ein gefälliger Freund hatte ihm die interessante Neuigkeit brühwarm mitgeteilt, und man kann es ihm nicht so sehr verübeln, daß er seinerseits das Komplott wieder der Polizei berichtete, denn ein Vergnügen ist es sicherlich nicht, sich von seiner Frau und einer gefährlichen alten Hexe nach dem Leben trachten zu lassen. Man kann ja niemals wissen, was bei so einer Verschwörung herauskommt, und schließlich war Herr Scaccia nicht minder abergläubisch als seine bessere Hälfte, die er allerdings für die schlechtere hielt. Um so eher aber war seine Furcht berechtigt.

Die Polizei nahm diese Sache durchaus ernst, und sofort begab sich ein Kommissar in die Wohnung der Magierin. Er hatte sogar zu seinem Schutze mehrere Schutzleute mitgenommen, denn ob man in die Höhle des Löwen oder in die Hexenküche einer berüchtigten Zauberin geht, — man kann niemals wissen! Das Bild, das sich dort den Vertretern der irdischen Gerechtigkeit bot, war einigermaßen überraschend. Ein Tisch vertrat die Stelle des Hexenaltars. Auf diesem standen zwei brennende Kerzen und zwischen diesen das Bild des Herrn Scaccia, das mit einem feuerroten Bande umschürt war — die rote Farbe spielt immer eine besondere Rolle. Vor dem Tisch-Altar kniete die Hexe, rang die Hände und murmelte ihre Formeln. Sie war nicht allein. Die schöne Hermelinde hatte sich offenbar nicht überwinden können, der Zaubersitzung beizuwohnen, da sie aber doch wissen wollte, „Wieso und wie“, hatte sie ihre Freundin Maria Crescentia entsendet, die aufpassen sollte, ob die Zauberin auch wirklich ihre Pflicht tue und ihr Handwerk verstehe. Maria war tief ergriffen. Aber auch die Fabi war bald ergriffen, allerdings nicht vom frommen Schauder, sondern vom weltlichen Arme der Gerechtigkeit. Es stellte sich heraus, daß auf dem Bilde des Herrn Scaccia die Augen ausgestochen waren, und außerdem waren dem Bilde noch einige Nadeln in die Seiten gesteckt. Es hatte also eine sehr böse Rache werden sollen. Ob nun das Ausstechen der Augen und das Durchlochen des Bildes mit Nadel seine Wirkung nicht erfüllen konnte, weil die Hexe bei ihren Zauberformeln gestört worden war, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls aber hat diese Prozedur Herrn Scaccia nicht das Mindeste geschadet. Man sollte es aber nicht für möglich halten, daß noch im Zeitalter der Aufklärung solche Dinge passieren! Als ob nicht heutigen Tages noch Schlimmeres an Dummheit geleistet würde.

Ich will mich, wie gesagt, nicht darauf einlassen, hier festzustellen, wie unendlich oft „Zauberer“ verurteilt worden sind, die durch Ausstechen der Augen eines Wachsbildes usw. ihre Kunst geübt hatten oder doch wenigstens geübt haben sollten; ich glaube aber, doch mindestens soweit auf diese im höchsten Grade kulturhistorisch interessante Sache eingehen zu müssen, um beweisen zu können, daß dieser Aberwitz geradezu zu einem Kirchendogma erhoben wurde, so daß es hieraus doppelt und dreifach erklärt, wenn die Menschheit kritiklos den Unsinn glaubte und, wie wir aus dem letzten Beispiel ersehen haben, auch jetzt noch glaubt, mindestens in Gegenden, in denen die Kirche und ihr Oberhaupt noch höher gestellt wird als Gott selbst und der Erlöser, auf dessen Namen sich das Christentum gründet. Das Oberhaupt der Kirche ist Meister, und auf des Meisters Worte schwört man bekanntlich.



Es versteht sich von selbst, daß die alten, von der Kirche anerkannten und weiter erzählten Beispiele die Wirklichkeit und Gefährlichkeit des Zaubers, für den die Franzosen das schöne Wort „Envoutement“ erfunden haben, beweisen sollten, daß also in diesen Beispielen, von denen ich natürlich nur einen sehr bescheidenen Teil wiedergebe, die Wirkung des Zaubers als eine erwiesene Tatsache geschildert wird. Das ist etwa dasselbe, was wir bei allen Judenverfolgungen finden. Geschah irgend ein Unglück, brach ein Krieg oder eine Seuche oder selbst eine Überschwemmung usw. aus, so war es einwandsfrei erwiesen, daß die Juden durch Vergiftung der Brunnen, Wiesen oder sonst einen heimtückischen Akt das Übel verschuldet hatten. Das war eben „bewiesen“. Wodurch? Ja, man glaubte es einfach oder behauptete es, und was ein Christmensch gegen einen Juden behauptete, das war einfach hinreichend bewiesen und genügte, über die Juden herzufallen. Nebenbei ein recht gutes Geschäft, denn die Judenverfolgungen waren stets mit einer großen Plünderung verbunden, die in der Regel reiche Beute brachte, da die Juden, die das Wucherprivilegium besaßen und schließlich auch besitzen mußten, weil man ihnen die ehrlichen Erwerbszweige sperrte, trotz allem äußeren Elend doch es trefflich verstanden, Schätze zu sammeln, die die Motten fressen und die der Rost verzehrt — falls man den chemisch-wissenschaftlich widerlegbaren Glauben, das Gold und Silber rosten, einmal nicht so gründlich auf seine Berechtigung prüfen will. Jedenfalls gab es bei den Juden immer so viel zu holen, daß auch die Herrscher sich nicht genierten, diese geduldeten und wenig beliebten Untertanen gelegentlich gründlich zu erleichtern. Ja, es fällt nicht einmal schwer, wenigstens für einen Teil der bekannten Judenmassaker den historischen Nachweis zu erbringen, daß das ursprüngliche Motiv des Judenmordens lediglich das schon von Vergil angewendete „Aurisacra fames“ war. Durch die kühn aufgestellte Anschuldigung, daß die Juden durch irgend eine schier unmögliche Schandtat den Christen den Untergang hätten bereiten wollen, dann wurde der brutale Raubmord zu einer heiligen Handlung.

Mitten hinein in diese Materie führt uns ein kirchlich anerkanntes Beispiel, das ich deshalb nicht übergehen will, weil es ganz besonders lehrreich ist. Im Jahre 1067 hatte der Erzbischof von Trier sich die Bekehrung der Juden zum Christentum ganz besonders angelegen sein lassen. Er verlangte einfach, daß innerhalb einer bestimmten Frist alle Juden Christen werden müßten; wer sich weigerte, diesem Befehl zu folgen, der sollte aus der Stadt fortgejagt oder, was in damaliger Zeit bei solchen Gelegenheiten so ziemlich dasselbe war, totgeschlagen werden. Wenn nun die Christen stets ihre Märtyrer als Heilige verehrt haben, weil sie weder durch Drohungen, noch durch Gewalt zu bewegen waren, ihren Glauben zu wechseln, so wurde es mit derselben Inkonsequenz, die auch sonst das Dogma „ausgezeichnet“, den Juden als ein todeswürdiges Verbrechen angerechnet, daß sie ihrem Glauben treu bleiben wollten. Jedenfalls dachten auch 1067 in Trier die Rabbiner gar nicht daran, sich dem unberechtigten Gebot zu fügen, und auch die strenggläubigen Juden, die dort ihres Judentums wegen schon soviel zu leiden hatten und doch ihren Glauben nicht ablegten, waren fest entschlossen, alles zu dulden, alles zu leiden aber — Juden zu bleiben, und wenn es schon nicht anders sein könne, als Juden zu sterben. Der Erzbischof, der ein sehr eifriger und jedenfalls auch ein leicht erregbarer Herr war, hatte an einem Sabbath eine Taufe zu vollziehen, und wie die Geschichte behauptet, starb er an einem Schlaganfall, während er diese amtliche Handlung ausführte. Das war, wie gesagt, an einem Sabbath, also an dem Feiertag der Juden, die wohl zu derselben Stunde bei ihrem Gottesdienst versammelt sein mochten. Der Tod des Bischofs erfolgte zu einer Zeit, zu der die den Juden gewährte Frist fast abgelaufen war. Das mußten also doch Indizien sein, die nicht den leisesten Zweifel daran aufkommen ließen, daß nur die Juden den Tod des Erzbischofs verschuldet haben konnten. Es war gerade eine Art Notwehr, die natürlich nur insoweit als eine Notwehr gelten durfte, wie dieser Begriff als Beweismaterial verwendet werden konnte, d. h. das Motiv ergab, aus dem die Juden ihre Verbrechen beschlossen hatten.

Es wird nun, wohl als wahrheitsgemäßer Bericht der damaligen Vorgänge, weiter erzählt, die Rabbiner hätten in ihrer Verzweiflung über die nahe bevorstehende Ausweisung resp. Niedermetzelung, die sie nicht durch eine erheuchelte Bekehrung abwenden mochten, sich an einen Zauberer gewendet, der auch ein Wachsbild angefertigt und auf den Namen des Erzbischofs Eberhard feierlich getauft habe. Dieses Wachsbild hätten die Juden am Sabbath verbrannt, um dadurch den gefährlichen Erzbischof zu vernichten, dem doch natürlich das geschehen mußte, was seinem Bilde widerfuhr, wenn auch nicht gerade auf die gleiche Weise die Vernichtung herbeigeführt wurde. Die Wirkung sei nicht ausgeblieben, denn der plötzliche Tod nach einem kurzen Unwohlsein, das ebenfalls erst entstand, als die Juden das Bild anzündeten, konnte keine andere Ursache haben als die Zauberei der Juden, die als eine erwiesene Tatsache betrachtet wurde und den hochwillkommenen Vorwand zu einer Metzelei gab, die zwar ohnehin nicht ausgeblieben wäre, auf diese Weise aber noch viel gerechtfertigter erscheinen mußte.

Man hatte diesmal also die Tätigkeit des Zauberers bloß auf das Anfertigen und Taufen des Wachsbildes beschränkt, jedenfalls um die Aktivität der Juden zu steigern. Ob diese nun wirklich ein solches Wachsbild besessen und verbrannt haben? Wer sollte das sagen! Die Beweisführung machte man sich außerordentlich leicht; der Tod des Erzbischofs unter immerhin nicht alltäglichen Erscheinungen stand fest, daß er den Juden gelegen kommen mußte, konnte nicht bezweifelt werden, folglich hatten sie ihn herbeigeführt. Da sie der heiligen Handlung des Erzbischofs weder beigewohnt, noch sonst irgend eine Gelegenheit gefunden hatten, dem kirchlichen Würdenträger ein Gift oder dergleichen direkt beizubringen, konnten sie natürlich nur durch Zauberei den Tod verursacht haben. Und da gab es wieder kein bekannteres Mittel als das Wachsbild; ergo war diese Art des Zaubers erwiesen. Das wäre dann wohl der übliche Verlauf reiner solchen Sache gewesen. Möglich wäre es nun freilich, daß die Juden, denen das Wachsbildzaubern wohl ebenso gut bekannt war wie den Christen, sich wirklich ein Wachsbild verschafft und es auf den Namen des Erzbischofs hätten taufen lassen, es wäre ferner denkbar, daß sie es verbrannt hätten, als der Erzbischof dem Herzschlag erlag. Das wäre dann ein Zusammentreffen gewesen, wie es im Menschenleben nicht allzu selten vorkommt, ohne das deshalb ein Zauber wirksam wäre. Es ist aber, wie gesagt, absolut nicht die Spur von einem solchen Zusammentreffen der einzelnen Ergebnisse erwiesen, und daß die Juden das Bild verbrannt haben sollten, das war auch wieder eine hübsch erfundene Auslegung, die es den Anklägern ersparte, das Wachsbild als Corpus delicti zur Stelle zu schaffen; es war eben verbrannt! Wie schön hätte man sonst vorgehen und den Beweis für alle Zeiten aufbewahren können! Etwa ein mit Nadel durchstochenes Wachsbild, das bei den Juden gefunden worden wäre, als der Erzbischof eben verschieden war. Eigentlich schade, daß das Wachsbild verbrannt war. Oder auch nicht schade, denn daß die Juden wirklich die feigen Mörder waren, die den von ihnen ebenso gefürchteten wie gehassten Erzbischof durch Zauberei ums Leben gebracht hatten, daran zweifelte doch auch so kein „vernünftiger“ Mensch, mindestens wäre es unvernünftig gewesen, die Anschuldigung nicht zu glauben, die den wundervollen Grund zu blutiger Rache bot. Was man von ganzem Herzen wünscht, das glaubt man ja stets so gern und überredet sich so gern mit einer Eloquenz, die einem Demosthenes zur Ehre gereicht haben würde, es zu glauben, wenn der Verstand sich gegen diesen Glauben sträuben will. Das letztere war aber 1067 zu Trier wohl ebensowenig der Fall wie an allen anderen Orten; die Menschen waren Fanatiker, besonders wenn die Kirche, die nicht bloß einen guten Magen, sondern auch ein ebenso widerstandsfähiges Gewissen besaß, es wünschte und für vorteilhaft fand.

Daß hohe Geistliche häufig unter dem Bilderzauber zu leiden hatten oder doch wenigstens zu leiden behaupteten, versteht sich von selbst. So ein kleines Attentätchen zur rechten Zeit kann ja auch die Popularität weltlicher Herrscher gewaltig heben und wird, wie böse Menschen behaupten, auch zuweilen zur Hebung der Popularität, für die sich sonst beim besten Willen kein Grund entdecken ließe, verwendet, wie wohl auch Bühnengrößen zuweilen die Geschichte eines bei ihnen verübten Einbruchs oder sonst eines Unfalles ausposaunen lassen, damit die Welt wieder einmal darauf hingewiesen wird, daß wirklich die Berühmtheit noch lebt und beileibe nicht in Vergessenheit geraten möchte. Selbst die Päpste haben derartige Reklamen nicht verschmäht, sie sogar zuweilen offenbar für ganz unerläßlich notwendig gehalten, um ihr Ansehen, das zuweilen gefährdet war, zu erhöhen.



Der Papst Johann XXII., nach anderer Bezeichnung wird erst sein Nachfolger, der wegen 70 gemeiner Verbrechen, wie Mord, Raub, Unzucht, Blutschande usw. abgesetzt, dann aber begnadigt und zum Kardinalbischof von Tuskoli ernannt wurde, als Johann XXII. bezeichnet, residierte zu Avignon, wurde von den berühmtesten Ratslehrern wegen seiner völlig unberechtigten Übergriffe in weltliche Angelegenheiten hart bekämpft, von den Mönchen der Ketzerei beschuldigt und war wegen beispiellosester Gelderpressungen verrufen. Dieser Edele behauptete ebenfalls, daß ihm böse Zauberer nach dem Leben getrachtet und von ihm Wachsbilder gefertigt hätten. Er bezeichnete als Übeltäter die bösen Zauberer Brabancon und Jean d'Amant. Der letztere war ein bekannter Arzt, und beide mögen wohl Ursache gehabt haben, den Papst — Johann hatte 1316 den päpstlichen Stuhl bestiegen — nicht gerade mit wohlwollenden Augen anzusehen; vielleicht hatte auch der Papst gegen beide eine private Abneigung. Kurz und gut, — Johann XXII. beschuldigte diese beiden Männer, ihm und seiner ganzen Umgebung nach dem Leben getrachtet zu haben. Sie sollten zunächst giftige Tränke zubereitet und versucht haben, diese dem Papste beizubringen. Da ihnen die schlimme Absicht aber auf keine Weise gelungen sei, hätten sie Wachsbilder angefertigt, die sie bezaubern wollten, um auf diese Weise dem Papste den Garaus zu machen. In dem päpstlichen Bericht über diese angebliche Schandtat ist sehr salbungsvoll betont, daß Gott den Papst behütet und drei der teuflischen Bilder in seine Hände geliefert habe. Diese Bilder sollen schon durchbohrt gewesen sein, so daß der Papst also schon mausetot gewesen sein müsste, wenn es einem solchen Zauberer faktisch gegeben hätte. In Wirklichkeit hat aber der Papst das Alter von 90 Jahren erreicht, so daß man wohl schon hieraus erkennen muß, wie wenig nachteilig der Zauber auf ihn gewirkt hat.

Der Papst hat, vielleicht ohne es zu wissen, in seinem Schreiben ein großes Wort gelassen, niedergeschrieben; er hätte damit, wenn er selbst oder die Menschen, die es zu Gesicht bekamen, logisch zu denken vermocht hätten, dem ganzen Zauberaberglauben den Todesstoß versetzen müssen. Er sagte, daß Gott ihn behütet und die teuflischen Zauberbilder in seine Hände geliefert habe; er hat damit doch klipp und klar gesagt, daß der Zauberer nicht mächtiger sein könne als Gott, der im Gegenteil allmächtig und deshalb auch in der Lage sei, die Zauberkünste eines Menschen unschädlich zu machen, mit anderen Worten, daß ohne Gottes Willen ein Zauber überhaupt nicht existieren, mindestens doch nicht gelingen könne. Das ist doch aber gerade das strikte Gegenteil von dem, was die Kirche — auch die protestantische — bei ihren Hexenverfolgungen lehrte. Danach wäre doch der große Gott, auf den die Kirche schwört, in Wirklichkeit nicht mehr der Lenker und Leiter der Welt und der Menschenschicksale, sondern nur ein machtloser Schemen gewesen, der nicht einen einzigen Menschen vor der Tücke eines gemeinen und verkommenen Subjekts hätte retten können, der erst recht machtlos zusehen mußte, wenn ein schlechter Mensch beliebte, durch irgend einen Zauber ganze Völker oder deren Wohlstand, den doch Gott gewollt haben mußte, weil er ihn ihnen sonst nicht gewährt hätte, zu vernichten. Das ist ein Moment, das an sich klar beweisen muß, daß eigentlich viel weniger der Zauber selbst eine Gotteslästerung war, als der Glaube an den Zauber. Es ist aber das auch wieder ein Beweis dafür, daß nichts auf der Welt so schwer gegen die wirkliche Gottesreligion verstoßen kann als das Nachbeten all des Blödsinns, den im Laufe der Jahrhunderte für die wahre und wirkliche Religion auszugeben, hirnverbrannte Menschen den traurigen Mut besessen haben.

Was soll ich weiter eingehen auf alle die öden Historien, in denen berichtet wird, daß Päpste die Opfer des Bilderzaubers werden sollten oder wirklich geworden seien? Ich will aber noch einige Große erwähnen, die dem Bilderzauber zum Opfer gefallen sein sollen. Katharina von Medizi wird nachgesagt, daß sie Carl X. nach dem Leben getrachtet habe. Sie soll sich nach dem Orient gewendet haben, dem Heimatlande des Zaubers, um dort Hilfe zu finden, und es soll ihr auch gelungen sein, von einem Orientalen ein Wachsbild Carls X. zu erhalten, mit dem sie den Zauber ausführen konnte. Katharina ist allerdings historisch als eine der ränkesüchtigsten Personen bekannt; in der Erzählung ist aber doch wohl hinsichtlich Carls X. ein historischer Schnitzer enthalten, auf den ich hier aber nicht ausführlicher einzugehen brauche, da ich nur die Erzählung so wiedergeben will, wie ich sie aufgezeichnet finde. Man hat es damals offenbar nicht gewagt, gegen die ränkesüchtige Katharina vorzugehen, sondern nur deren bevorzugten Günstling Cosmus Ruggieri ergriffen. Das war im Jahre 1574. Ruggieri leugnete jede verbrecherische Absicht, da er aber der versuchten zauberischen Mordtat hinreichend verdächtig erschien, machte man nicht viel Umstände mit ihm, schleppte ihn in die Folterkammer und „redete“ ihm dort so nachdrücklich zu, daß er sich zu dem Geständnis bequemte, er habe wirklich und wahrhaftig die Zauberei angewendet, um Carl nach dem Leben zu trachten.

Wieder kann diese Erzählung nur beweisen, daß einmal der Aberglaube des Bilderzaubers bestand und allgemein gehegt wurde, ferner aber auch, daß diese Zauberkunst in Wirklichkeit eine recht harmlose und ungefährliche Spielerei war, ungefährlich allerdings nur für den, dem sie schaden sollte, denn für den, der einem anderen schaden wollte oder auch nur in den Verdacht kam, dies gewollt zu haben, war sie sehr gefährlich. Freilich dem bekannten Jesuiten Delrio paßte das sehr wenig. Zweck heiligt das Mittel! Der Zauber mußte auf alle Fälle rehabilitiert werden, denn was hätte sich wohl mit einer Zauberei großes verrichten und anfangen lassen, die dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen mußte, weil sie stets wirkungslos blieb? Nach Delrio ist Carl lediglich gestorben infolge des Zaubers; gestorben ist ja allerdings Carl auch wirklich, aber dem braven Delrio kam es auf den Zauber an, ergo mußte Carl ein Opfer der Zauberei werden, und da es recht vorteilhaft ist, gleich zwei Fliegen auf einen Schlag zu erlegen, ließ Delrio als Täter protestantische Zauberer auftreten, die aus Rache für die Bartholomäusnacht die Wachsbilder Carls geschmolzen und diesen dadurch vernichtet haben sollten.

Nicht alle Schriftsteller besitzen den Mut und die Unverfrorenheit eines Delrio. Wo es durchaus nicht gehen will, daß der gefährdete Herrscher wirklich als Opfer der Zauberei bezeichnet wird, da findet sich zur Not auch ein anderer Ausweg, der das Ansehen der Zauberkunst nicht so schwer gefährdet, den Bedrohten aber am Leben lassen darf. So wird von dem alten schottischen Könige Duffo berichtet, daß er einst sehr krank gewesen sei. Man habe sich aber über die Natur des Leidens zunächst den Kopf zerbrochen, dann aber entdeckt, daß einige Zauberer ihr Wesen getrieben hatten. Diese böse Herren wollten das Lebenslicht des Königs durchaus verlöschen und hatten deshalb ihre behexten Wachsbilder bei einer Feuersbrunst mit verbrennen lassen. Sie wurden ergriffen und legten das Geständnis ab — man wird wohl genügend nachgeholfen haben, — daß sie durch ihre Zauberei das Leiden des Königs herbeigeführt hätten, und daß dieser Erfolg von ihnen auch beabsichtigt gewesen sei.

Die Festnahme der Zauberer war in diesem Falle das Radikalmittel für die Herstellung des Königs, der von Stund an wieder gesund wurde. Demnach müsste also der Zauber, der doch längst vollendet war und auch schon so wunderbar wirkte, durch die nachträgliche Festnahme der Übeltäter wieder aufgehoben worden sein. Das wäre dann bei der Geschichte eigentlich das Wunderbarste gewesen; es zeigt aber, auf welche Auswege der menschliche Geist verfiel, wenn es galt, die Ehre der Zauberei, die man bekämpfen wollte, wiederherzustellen.

Auch gegen Ludwig X. war ein Envoutement begangen worden. Der Schatzmeister Enguerrando de Marigny war beschuldigt, die Ermordung des Königs durch Zauberei betrieben zu haben und gestand auch zu, daß er das Bildnis des Königs hergestellt und die Zauberei begangen habe. Er wurde zum Tode verurteilt und auch hingerichtet. Wieder ein Fall, in dem nur der Zauberer selbst den Schaden von seiner Kunst hatte. Dem König hat die Sache nichts geschadet, was freilich nicht dazu führte, daß man Zweifel in die Wirksamkeit der Zauberei gesetzt hätte.

Verhältnismäßig günstiger schnitt ein anderer Zauberer ab, der 1331 nur aus dem Lande gewiesen wurde, allerdings nachdem man alle seine Güter annektiert hatte. Dieser Frevler sollte den König, die Königin und außerdem noch den Herzog von der Normandie verzaubert haben, erfreulicherweise wieder ohne den mindesten Schaden anzurichten.



Ich will es mit dieser Reihe von Beispielen bewenden lassen und nur noch des armen Hyacinthus Continus gedenken, der den Feuertod erleiden mußte, weil er beschuldigt war, den Papst durch den Bilderzauber haben töten zu wollen, damit sein Onkel, der es bis zur Würde eines Kardinals gebracht hatte, auch noch die höchste Stufe der Gottähnlichkeit erklimmen und den Stuhl Petri besteigen könnte. Daß dieser Weg nur über einen Mord führen konnte, das änderte ja glücklicherweise an der Heiligkeit des Amtes nichts. Auch in diesem Falle hat dem Papste die Zauberei nichts geschadet. Der Onkel des Hyacinthus Continus blieb Kardinal; aber Continus wurde verbrannt. Das Märchen vom Bilderzauber aber lebte weiter und hat eine Lebensfähigkeit bewiesen, die nichts umzubringen vermochte; ja, man müsste das Märchen sogar für eine wirkliche und unumstößliche Wahrheit halten, wenn es richtig wäre, daß ein Glaube, der sich Jahrhunderte oder vielleicht Jahrtausende zu erhalten vermag, schon durch dieses Alter seine völlige Berechtigung zu erweisen vermöge.

Gerade das letztere Argument ist in der Tat von sonst recht vernünftigen Leuten zu Gunsten des Märchens angeführt worden. Man hat immer wieder gesagt, es sei doch unmöglich, daß die Menschheit solche Ewigkeit in einem Wahne befangen bleibe, wenn nicht doch an der Sache etwas Wahres sei. So dumm, etwas weiterzuglauben, was sich in jedem einzelnen Falle als ein lächerlicher Humbug entlarvt habe, sei die Menschheit denn doch nicht.

Nun, ich habe mir große Mühe gegeben, an den von mir gewählten Beispielen zu zeigen, ob dieses Argument begründet ist. Ich würde es gern dem alten Abraham gleichtun, der zum Herrn sagte, als Sodoms Untergang beschlossen war: „Man möchte vielleicht zehn Gerechte drinnen (in Sodom) finden!“ Ich würde noch weiter gehen und sagen: „Finde ich nur einen einzigen erwiesenen Fall des Bildzaubers; ich will diesen Wahn nicht verwerfen um des einzigen Falles!“ Es ist mir aber leider nicht gelungen, auch nur einen einzigen Fall zu entdecken, in dem der Zauber als wirksam wirklich bewiesen worden wäre. Nicht einen unter Tausenden! Und da muß man sich trotz alledem immer wieder fragen, wie es möglich sei, daß dieser Aberglaube nicht allein den Jahrtausenden getrotzt, sondern sich auch über die ganze Welt verbreitet haben konnte. Ovid und Horaz schreiben über den Bilderzauber, nicht gerade als überzeugte Gläubige, Horaz sogar in Satyre, aber das Wunder ist, daß selbst bei der Entdeckung Amerikas dort auch der Bilderzauber bereits entdeckt und gefunden worden sein soll. Wenn man annimmt, daß der Orient die eigentliche Heimat dieses sonderbaren Zaubers ist, so kann man wohl ohne weiteres verstehen, daß bei dem nun einmal bestehenden Hang zum Mystizismus, bei der Neigung, überall geheimnisvolle Kräfte wirkend zu wähnen und an die übernatürliche Gewalt einzelnen Personen zu glauben, dieser Aberglaube sich schnell ins Abendland fortpflanzte. Wie aber konnte der Wahn sich bis nach Amerika übertragen? Es ist eine direkte Übertragung von der alten Welt nach der neuen völlig ausgeschlossen, da man die neue ja zum ersten Male betrat, und eine Gedankenübertragung über das Weltmeer in unbekannte Welten, deren Dasein niemand ahnte, wird wohl selbst denen als eine gewagte Erklärung erscheinen, die an sich Gedankenübertragungen als eine über jeden Zweifel festgestellte wissenschaftliche Tatsache betrachten. Es müßten denn schon die Gedanken ähnlich wie bei der drahtlosen Telegraphie die elektrischen Wellen überall frei in den Weltenraum ausstrahlen. Selbst wenn man ein solches geistiges Fluidum aber auch annehmen wollte, so würde das noch nichts beweisen. Auch die drahtlose Telegraphie, die wirklich frei ausstrahlenden elektrischen Wellen, haben nur dann einen Wert, wenn sie von einem dem Abgabeapparat äquivalent abgestimmten Empfangsapparat aufgefangen werden. Ich meine, daß — um voll im Bilde zu bleiben — dieser äquivalent abgestimmte Empfangsapparat jenseits des großen Wassers nicht vorhanden war, und daß, wäre er vorhanden gewesen, — sich doch wahrhaftig nicht nur diese eine Idee den Weg bis zu unseren Antipoden gebahnt haben würde, sondern, daß auf der bequemen und einmal entdeckten Gedankenstraße doch wohl erst recht die bedeutenderen und großartigeren Ideen verbreitet sein würden, Ideen, die weltbewegende Bedeutungen gehabt haben, nicht die eine Idee, daß man durch Misshandlung eines Wachsbildes eine lebende Person schädigen oder vernichten könne. Die Eingeborenen Amerikas haben aber keine Ahnung von den großen Gedanken gehabt, die die alte Welt bewegten; sie haben nicht einmal das Schießpulver und die Feuerwaffen gekannt und deshalb die Europäer, die Blitz und Donner gebieten konnten, für Götter gehalten. Wahrlich schöne Götter, die sich benahmen, daß der leibhaftige Teufel sich bis in die tiefste Tiefe seiner schwarzen Seele hinein geschämt hätte, wenn das seine offiziellen Diener gewesen wären.

Sehr richtig, sagen vielleicht einige Spiritisten, es ist keine Gedankenübertragung im Spiele, sondern es handelt sich um Inspirationen inferiorer Intelligenzen. Das klingt bedeutungsvoll. Die auf einer niedrigen Stufe stehenden Geister, die quasi zum Schabernack der Menschheit die Idee des Bilderzaubers eingeblasen haben, sind eine vortreffliche Erklärung, wenn man einmal die spiritischen oder meinetwegen die spiritualistischen Gedanken als Wahrheiten gelten läßt, auch in ihren weitesten Ausdehnungen, wobei man sich dann freilich wieder darüber wundern müsste, daß weder gute noch böse Geister der Menschheit Dinge einblasen, die offenbar ganz bedeutend wichtiger wären als ein Unsinn, der doch wahrlich weder im guten, noch im schlechten Sinne eine erhebliche Bedeutung haben kann. Es ist übrigens auch eine den logisch Denkenden peinlichst verletzende Willkür, die jedes Streben nach Wahrheit und Erkenntnis ersticken müsste, anzunehmen, daß der menschliche Geist nach Belieben quasi ausgeschaltet, statt dessen aber im Menschen irgend ein „Geist“ spuken und seine Ideen unter falscher Flagge der Menschheit aufoktroyieren sollte. Was sind denn alle Erfinder, wenn sie sich bloß mit fremden Federn schmücken, d. h. sich der Ideen irgend einer unbekannten Intelligenz rühmen sollten, die in ihnen tätig war, während sie selbst schliefen? Lassen wir das also.

Viel einfacher würde die Erklärung sein, daß ganz unabhängig von einander die Bewohner zweier Weltteile auf den gleichen Gedanken gekommen seien, wie dies absolut nicht so selten vorkommt, auch ohne daß fremde „Intelligenzen“ die Welt beglücken, auch ohne daß von einer Gedankenübertragung die Rede sein könnte. Man müsste dann natürlich einen instinktiven Hang zum Mysteriösen als bei allen Menschen vorhanden annehmen. Tut man dies, so begeht man keinen Irrtum, denn dieser Hang ist tatsächlich tief in eines jedem Menschen Herzen ausgeprägt, weil sich nach den sinnlichen Wahrnehmungen die Erkenntnis aufdrängt, daß es doch noch eine große Anzahl geheimnisvoll waltender Naturkräfte rings um uns gibt, für die wir keine Erklärung finden können, die wir als aufgeklärte Menschen selbstverständlich nicht für übernatürlich halten dürfen, die wir aber noch nicht ergründet haben, und die uns, selbst wenn wir einen Schritt vorwärts tun in der Erkenntnis, wie bei der Entdeckung der Röntgenstrahlen, des Radiums, der drahtlosen Telegraphie usw., doch als Wunder anmuten. Wir sehen eine Kraft, wir sehen eine Wirkung und wissen doch nicht „von wannen sie kommen, wohin sie gehen.“ Warum soll der gleiche Hang zum Mysteriösen nicht zu dem gleichen Gedanken führen können, wenn der Weg über die Götterbilder, die man statt der Gottheit verehrt — übrigens ebenfalls eine unabhängig von allen Völkern entwickelte Institution — so nahe liegt?

Nun läßt sich wohl nicht bestreiten, daß diese Erklärung sehr einfach und ungezwungen ist; es gibt aber gleichwohl eine noch bedeutend einfachere. Als Amerika entdeckt wurde, stand der Bilderaberglaube in der ganzen alten Welt bereits in der üppigsten Blüte, ja er hatte sozusagen längst die kirchliche Weihe erhalten und galt deshalb natürlich auch bei den „sehr frommen“ Eroberern als eine Art Dogma. Ist es da nicht außerordentlich naheliegend, daß die Europäer den Bilderzauber im neuentdeckten Wunderlande tatsächlich überhaupt nicht vorgefunden, sondern ihn lediglich vermutet haben, da sie die Gebräuche des Landes nicht kannten und das, was sie erblickten, deshalb ganz falsch auslegten, weil sie es einfach nach ihren eigenen Gebräuchen und Ansichten bewerteten? Das erscheint mir in der Tat als die einfachste Lösung der Frage. Es ist bekannt, daß die Einwohner des neuen Weltteils, soweit sie zuerst mit den Europäern in Berührung kamen und dabei einen sehr sonderbaren Eindruck „höherer Kultur“ erhielten, selbst auf einer sehr hohen Kulturstufe standen, daß sie besonders in der Baukunst und nicht minder in der Goldschmiedekunst erfahren waren. Sie stellten sich nicht bloß ihre großen Götterbilder aus edlen Metallen her, sondern fertigten auch kleine Gottheiten aus Gold usw. an, die dem Hausgebrauch dienten. Da ist es wohl sehr naheliegend, daß diese Götterbilder nicht als das, was sie wirklich waren, sondern als Zauberbilder angesehen wurden. Dazu kam noch, daß es die „frommen Eroberer“ recht günstig fanden, die Eingeborenen als eine Art Teufelsknechte bezeichnen zu dürfen. Die Zauberei, besonders die Bilderzauberei war ihnen als wüste Ketzerei verschrieen, sie war ein todeswürdiges Verbrechen; da kam es doch den Eroberern eigentlich ganz gelegen, wenn sie die Eingeborenen auch nach dieser Richtung hin etwas anschwärzen konnten. Das entschuldigte vielleicht eher das gemeine und perfide Niedermetzeln der friedfertigen und gegen die Waffen der Europäer geradezu wehrlosen Bevölkerung.



Man könnte hier vielleicht den Einwand erheben, daß ich mir die Sache gar zu leicht mache und bloße Vermutungen als Widerlegung hinstellen möchte, oder daß einfache Zweifel schon als Widerlegung von Berichten gelten sollten. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Sache gerade umgekehrt liegt. Es wird doch so oft die Realität des Bilderzaubers daraus geschlossen, daß dieser über die ganze Welt verbreitet gewesen sei. Dieses Argument stützt sich auf eine Annahme, die in keiner Weise erwiesen ist Ich meine deshalb, daß es doch wohl lohnt, die Quellen, aus denen das angebliche Beweismaterial fließt, etwas genauer zu prüfen, und daß, wenn man dies tut, auch nicht der geringste Beweis dafür vorliegt, daß wirklich den Eingeborenen Amerikas auch nur das geringste Detail eines Bilderzaubers bekannt gewesen sei. Wenn man sagt, es stehe fest, daß im alten Ägypten und in Assyrien dieser Zauber bekannt und verbreitet gewesen sei, so ist damit lediglich das bestätigt, was ohnehin schon feststeht, daß nämlich die Magie mit Bildwerken aus dem alten Orient stammt. Nun hat auch der Oberst de Rochas, Direktor der technischen Hochschule in Paris, sich vielfach mit dem Phänomen beschäftigt und zunächst berichtet, daß auch in China und bei den Eingeborenen der französischen Antillen der Zauber mit den Bildnissen bekannt sei. Vorausgesetzt, daß diese Mitteilung buchstäblich wahr ist, daß sie nicht auf einer falschen Deutung irgend eines Brauches beruht, ist auch damit nicht viel gesagt, denn der Weg der Ausbreitung dieser Magie des Orients schimmert hier klar erkennbar hindurch. Abgesehen davon, ist es aber noch sehr die Frage, ob gerade de Rochas der objektive Beobachter ist, der berufen erscheinen könnte, eine solche psychologisch doch immerhin hochinteressante Frage zu lösen. Mir erscheint der Mann viel eher als Partei, d. h. als ein Mann, der nicht über der Sache steht, sondern der unmittelbar für das Wunder eintritt, es freilich nicht als Zauberei gelten lassen will, dafür aber eine andere Erklärung gibt, über die sich nicht weniger streiten läßt. De Rochas meint nämlich, daß es möglich und ihm tatsächlich gelungen sei, die Sensibilität bei gewissen hypnotisierten Personen exteriorisieren zu können. Er will mit anderen Worten die Sensibilität einer Person aus dieser herauslocken und in einen andern Gegenstand laden können. Nimmt er als solchen Gegenstand z. B. ein Bild der betreffenden Person, so würde diese genau an derselben Stelle, an der er das Bild berühre, die Berührung fühlen. Selbst wenn de Rochas das mit der Sensibilität der Person geladene Bild mit der Nadel steche, so fühle die Person selbst an genau derselben Stelle ihres Körpers deutlich den Nadelstich und greife unwillkürlich mit der Hand nach der schmerzenden Stelle. Das Experiment soll in der Weise vorgenommen worden sein, daß die Person den Experimentierenden während des Versuchs nicht einmal sehen, geschweige denn bemerken konnte, was er tue, oder daß er etwas mit ihrem Bilde tue. Vorausgegangen war allerdings eine Hypnose. Man wird trotzdem auf des Meisters Worte nicht schwören dürfen.

Daß es sich, wenn man wirklich jede Silbe in diesem Bericht für ein Evangelium halten und jede „Nebenwirkung“ ausschalten wollte, doch immer nur um ein hypnotisches Experiment, allerdings um ein mehr als wunderbares, handeln würde, kann gar nicht in Abrede gestellt werden. Dann ist aber auch keine Erklärung für den Zauber gegeben, der doch in allen Fällen wirken müsste, ohne daß der Bezauberte hypnotisiert werden, und ohne daß man vorher seine Sensibilität sozusagen auf Flaschen füllen und zu beliebiger Verwendung getrost nach Hause tragen konnte wie etwas, das man schwarz auf weiß besitzt. Es ist ausgeschlossen, daß die „Zauberer“ älterer Zeit nach der Methode des Herrn de Rochas gearbeitet haben sollten. Ob etwa im Orient, als die Kaste der medischen Magier noch mit Eifer das große Geheimnis der Naturkräfte, auf dem ihre Kunst basierte, hüteten, etwas von Hypnose verstanden, wage ich nicht zu entscheiden, halte es aber auch nicht für unmöglich, da, wie ich schon weiter oben ausgeführt habe, doch auch die Gaukler des Orients noch heutigen Tages Künste vollbringen, die selbst der mit allen Naturwissenschaften Vertrauteste nicht zu erklären vermag. Dabei ist zu betonen, daß die heutigen Magier des Orients auf keiner wissenschaftlich höheren Stufe stehen als ihre Kollegen im grauen Altertum, daß aber die Kenntnisse, die ihnen die Ausführung ihrer Künste gestatten, in der Tat uralte Geheimnisse sind, die sich von Generation zu Generation vererben. Trotzdem fällt es schwer, hier an eine Hypnose zu glauben. Vielleicht wäre an Suggestion zu denken, die bekanntlich die moderne Wissenschaft in das große Gebiet der hypnotischen Erscheinungen einrechnet. Es ist da allerdings bei dem Bilderzauber wohl nicht viel mit der Suggestion zu machen. Immerhin ist aber anzunehmen, daß im alten Orient schon etwas angewendet wurde, was man wohl Suggestion nennen kann. Fasst man den Begriff nicht pedantisch eng, dann spielt im Liebesleben die Suggestion überhaupt eine erhebliche Rolle, und sie hat dort auch das dankbarste Feld. Schon das Ansehen der alten Magier wirkte unbedingt suggestiv, und das Nestelknüpfen, das doch ebenfalls aus dem Orient stammt, ebenso die Liebestränke und ähnliche Dinge, durch die man im Liebesleben bestimmte Absichten zu erreichen suchte, konnten nur wirken, wenn die Suggestion eine Rolle spielte, meinetwegen die Autosuggestion, die ja selbst in der medizinischen Praxis — ich möchte sagen — unbewusst und ungekannt verwendet wurde. Bereits Plato hat auf die Gefahren des Nestelknüpfens, d. i. ein Verfahren, durch welches Liebende, besonders junge Eheleute, impotent gemacht wurden, hingewiesen. Es ist jetzt wohl schon lange kein Geheimnis mehr, daß die Impotenz, sofern sie nicht auf einer organischen Anomalie basiert, meist auf Suggestion oder richtiger Autosuggestion beruht. Die Vorstellung, daß der sexuelle Akt nicht gelingen werde, der infolge dieser Vorstellung entstandene Mangel an Selbstvertrauen bewirkt in der Tat sehr häufig wirklich das Misslingen, die temporäre Impotenz. Schon ehe die Suggestion als solche bekannt war, wurde in der Medizin von erfahrenen Ärzten das Übel lediglich dadurch gehoben, daß durch Verabreichung völlig indifferenter Mittel der Leidende in den Glauben versetzt wurde, er mache eine Kur durch, die unter allen Umständen in kürzester Zeit das Übel beseitigen müsse. Das schaffte das Selbstvertrauen und mit ihm die alte Kraft zurück. Kein Wunder, daß Leute, die sich behext wußten, wirklich impotent waren, sofern sie halbwegs sensitive Naturen waren, sehr verständlich aber auch, daß es den Hexen so leicht wurde, den Bann zu brechen. Es war das nichts als die Suggestion, die den „Behexten“ sofort das Selbstvertrauen zurückgab. Hier war also keine Hexerei im Spiele, aber da man an sie glaubte und sich den Vorgang nicht anders zu denken wußte, haben wir hier vielleicht den besten Schlüssel zu dem Rätsel, warum sich der Glaube an Zauberkünste auf dem Gebiete des Liebeslebens so lange halten konnte.






Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Liebesleben im Orient