Das Liebesleben im orientalischen Altertum

Das Liebesleben im orientalischen Altertum.

Bei allen orientalischen Völkern des Altertums finden wir eine größere Leidenschaftlichkeit und Wildheit, als wir sie im Abendland gewohnt sind. Die Lüsternheit, die ja in der Regel mit Grausamkeit und Blutdurst gepaart ist, nimmt in der alten Geschichte einen breiten Rahmen ein, und das, was wir heutigen Tages als Strafrechtspflege bezeichnen, wurde überall durch eine maßlose Willkür ersetzt, vor der das Leben des Einzelnen nicht mehr Wert hatte als ein Lufthauch. Geschichtliche Beispiele, durch die diese Tatsache bestätigt wird, sind in großer Menge bekannt. Wenn ein Despot seine Schießwaffen einfach dadurch erprobte, daß er auf den ersten, besten seiner Untertanen anlegte und ihn ohne Besinnen über den Haufen schoß, so läßt diese „harmlose“ Zerstreuung wohl darauf schließen, was die zu erwarten hatten, die durch irgend eine Tat, mag sie auch nur dadurch zu einer Missetat geworden sein, daß sie die augenblickliche Missstimmung eines Gewaltigen erregte, zu „Schandtätern“ geworden waren.




Der Hang zu unmenschlicher Grausamkeit zeigte sich auch in der Auswahl der Hinrichtungsmethoden, die auf eine ebenso reiche Erfindungsgabe wie Grausamkeit schließen lassen. So hatte der Tyrann Phalaris zu Agrigent den Ruf besonderer Bosheit, und ein erfinderischer Kopf, Perillus, glaubte, sich der besonderen Gunst dieser menschlichen Bestie leicht dadurch versichern zu können, daß er ein sehr sinnreich konstruiertes Werkzeug schuf, durch welches den Verurteilten die schwerste Marter zugefügt, dem Tyrannen aber zugleich ein eigenartiger Spaß bereitet werden konnte. Er baute aus Erz einen Ochsen, der hohl war, und in den Menschen eingeschlossen werden konnten. Es war aber eine so seltsame Akustik angewendet worden, daß ein Ton, der im Innern dieses Apparates entstand, ungeheuer verstärkt außen gehört wurde. Brüllte im Innern des Ochsen ein Mensch, so hörte man draußen das laute Gebrüll eines Ochsen so täuschend, daß es ein „wahres Vergnügen“ war, diese akustische Täuschung zu genießen. Der Apparat brachte es nun aber ganz von selbst mit sich, daß bei seiner Anwendung im Innern gebrüllt werden mußte, denn er hatte den Zweck, die in ihm Eingeschlossenen langsam zu braten, da durch eine Heizeinrichtung das Erz erhitzt und allmählich zum Glühen gebracht wurde.

Als Herr Perillus seinem gnädigen Herrn und Gebieter diese Erfindung als Geschenk anbot, war Phalaris in der Tat hocherfreut und so gnädig gestimmt, daß er dem Erfinder „erlaubte“, selbst zu zeigen, ob das Werk alles das wirklich erfüllte, was von ihm versprochen wurde, d. h. Perillus mußte sich als Erster in seiner Maschine braten lassen und merkte zu spät, daß mit großen Herren nicht gut Kirschen essen sei. Jedenfalls hatte er seine Sache vorzüglich gemacht, denn der Ochse brüllte wirklich ganz ausgezeichnet, so daß Phalaris sich oft das kleine Vergnügen gönnte, den trefflichen Effekt zu genießen. So oft ihm dazu die Lust ankam, ließ er irgend einen seiner treuen Untertanen am Kragen nehmen und schmoren; wozu waren denn die Leute da, wenn sie sich nicht eine ganz besondere Ehre daraus machen wollten, ihren Gebieter zu belustigen? Für den braven Perillus war das Schicksal, geschmort zu werden, sicherlich wohl verdienter als für die meisten anderen Opfer, denn die gemeine Gesinnung, die er bewiesen, indem er eine so abscheuliche Maschine zur Qual seiner Mitmenschen schuf, lediglich um dadurch die Gunst eines Scheusals für sich selbst zu gewinnen, hatte eigentlich einen solchen Lohn noch am ehesten verdient. Übrigens soll auch dem grausamen Phalaris die Geschichte übel eingetränkt worden sein, denn die Überlieferung erzählt, daß er schließlich selbst durch die Heftigkeit seines Schmerzgebrülls andere belustigt habe; er soll ebenfalls in der berüchtigten Maschine ein Ende mit Schrecken genommen haben.

Daß sich an den ehernen Ochsen der Aberglaube liebevoll rankte, ist nur ein Beweis dafür, daß die Erfindung überall Beachtung fand. So wurde erzählt, daß verschiedenen Personen, die dem furchtbaren Tode geweiht worden waren, die sonst so verderbliche Prozedur auch nicht das Mindeste geschadet habe. Gallonius berichtet allen Ernstes, daß wiederholt Personen in dem Ochsen geschmachtet hätten, die, nachdem das Feuer gelöscht worden, ohne den geringsten Schaden aus diesem Schmorofen herausgezogen worden seien. Man habe also dasselbe erlebt wie bei den drei Männern im feurigen Ofen, von denen die Bibel berichtet. Gerade dieser Hinweis auf die Bibel macht freilich diese Erzählung nicht wahrscheinlicher, denn offenbar hat Herr Gallonius seine Wundermähr aus der Bibel geschöpft und die biblische Erzählung einfach auf den Ochsen des unglücklichen Erfinders Perillus übertragen.

Dem mag nun aber sein, wie ihm wolle, — die grausame Erfindung ist jedenfalls historisch, und wenn sie wirklich einmal versagt haben sollte, so ist dieser Umstand auch noch nicht geeignet, die unerhörte Grausamkeit in einem milderen Lichte erscheinen zu lassen. Nun ist das alte Agrigent zwar das heutige Girgenti an der Südküste Siziliens, und man könnte ja vielleicht den Einwurf machen, daß Agrigent doch eigentlich nicht die Sitten und Bräuche des Orients beweise. Aber es darf nicht übersehen werden, daß es eine dorische Kolonie war, die etwa 580 v. Chr. gegründet und etwa 5 Lustren [Zeitraum von 5 Jahren] nach der Gründung von Phalaris beherrscht wurde, der 16 Jahre lang dort in seiner sichern Burg mit furchtbarer Grausamkeit die Stadt beherrscht, sie allerdings auch zu einem der mächtigsten Plätze gemacht haben soll. Es ist eben echt orientalischer Geist, der in Phalaris lebte und wirkte. Agrigent hatte zur Zeit der Karthagerkriege 2—300.000 Einwohner, und der Stier soll von den Karthagern geraubt und in die ferne Heimat gebracht worden sein, von wo er 146 von Scipio nach der Zerstörung Karthagos den Agrigentinern zurückgebracht wurde; jedenfalls hat er auch die Karthager ergötzt gehabt, d. h. nur die, die nicht selbst in ihm ein Ende fanden.



Wenn man sich weiter nach Osten wendet und prüft, ob dort ebenfalls eine ganz ungewöhnliche Grausamkeit herrschte, so wird man dies ohne weiteres bestätigt finden, ja bis auf den heutigen Tag ist dieser schlimme Charakterzug der Orientalen noch unverwischt, wenn es auch nicht mehr so entsetzliche Marterinstrumente gibt, wie sie das Altertum kannte und mit besonderer Vorliebe anwendete. Geradezu verrufen waren die Tötungsarten der Perser. Wir finden dort eine Todesmarter, die stark an den ehernen Ochsen erinnert, in ihrer Wirkung fast gleichartig ist, wenn sie auch keine so raffinierte Erfindung darstellt. Es war diese ein hoher eiserner Ofen, an dem eiserne Ringe angeschmiedet waren, in die man Hände und Füße der Opfer schloß, so daß diese mit der ganzen Vorderseite ihres Körpers an den Ofen gefesselt waren. Dann heizte man den Ofen bis zur Glühhitze und erreichte damit, daß die Unglücklichen, die völlig entkleidet waren, allmählich erwärmt und nach und nach völlig verbrannt wurden. Der Effekt, daß das Geschrei der Unglücklichen wie das Brüllen eines wütenden Stieres klang, war dabei allerdings nicht zu erzielen, aber dafür hatten die Herrscher, die der Hinrichtung auf ihrem Thronsessel in aller Gemütsruhe zusahen, das besondere Vergnügen, sich an den Qualen ihrer Opfer weiden zu können.

Ich will mich hier nicht darauf einlassen, die furchtbaren Todesstrafen, die im Orient schon verhängt wurden, wenn ein Mensch das Unglück hatte, dem einmal übelgelaunten Herrscher in den Weg zu laufen, eingehender zu besprechen; ich möchte aber daran erinnern, daß auch die entsetzliche Marter der Kreuzigung echt orientalischen Ursprungs ist. Meder, Perser und Babylonier hielten diese Todesmarter für die beliebteste Hinrichtungsmethode und wendeten sie nicht selten in einem Umfange an, den man einfach nicht für möglich halten könnte, wenn er nicht historisch erwiesen wäre. Darius ließ, als das alte Babylon sich gegen ihn längere Zeit energisch verteidigt und seinem Heere arge Verluste bereitet hatte, nach der Eroberung der Stadt etwa 3.000 der vornehmsten Feinde kreuzigen, und Alexander der Große eiferte ihm hierin nach. Er liebte es nicht, daß sich seinen Eroberungszügen jemand widersetzte, und hielt deshalb die energische Verteidigung der von ihm Angegriffenen für ein besonders todeswürdiges Verbrechen. Die Höhe der Gesinnung, die sich darin zeigt, daß ein Feldherr den Heldenmut auch beim überwundenen Feinde achtet, war den grausamen Völkern des Orients überhaupt fremd. Als Alexander bei der Belagerung von Tyros durch die heldenhafte Verteidigung der Einwohner 6 Monate lang aufgehalten war, steigerte er die Wut des Angriffs bis zur Raserei. Immer neue Scharen seines gewaltigen Heeres trieb er gegen die Stadt, die schließlich einer Insel in einem ungeheuren Blutmeere glich. Erst als über 6.000 der Belagerten gefallen waren, konnte Alexander die Stadt erobern. Er ließ dann, da er ein besonderes Exempel statuieren und seine Feinde vor ähnlichem „Übermut“ warnen wollte, 2.000 der Besiegten kreuzigen, und um diese Greuel noch furchtbarer erscheinen zu lassen, befahl er, daß die Kreuze auf weite Gebiete verteilt werden sollten, so daß überall die grausam Hingerichteten gesehen werden mußten.

Es ist nun ein oft und mit vollstem Rechte betontes Faktum, daß gerade die sexuelle Wollust den Hang zur Grausamkeit am meisten steigert. Bei Alexander dem Großen ist die Wechselwirkung schon deshalb nicht widerlegt, weil von ihm genügend bekannt ist, daß er bei den Weibern ebenso große Siege erfochten hat wie gegen seine Feinde. Vor allen Dingen ist aber die Tatsache, daß die verweichlichtesten Wüstlinge stets zugleich die grausamsten Tyrannen waren, nicht zu übersehen; sie kann kaum dem Uneingeweihten entgehen, und für die Psychologen ist sie weder neu noch unerklärlich, sie bestätigt ihm nur durch eine Reihe praktischer Beispiele den Schluß, zu dem er auch auf rein theoretischem Wege gelangen kann. Die Cäsaren von Nero, Heliogabalus usw. an, sind ebenso als Wüstlinge wie als grausame Bestien bekannt. Die meisten von ihnen waren Wüstlinge, die sexuell so übersättigt waren, daß sie nicht bloß mit Weibern ein Schandleben führten, sondern sich auch, wie man heutigen Tages sagt, homosexuell betätigten. Sie sind als Knabenschänder bekannt, und so wie es in ihrem Liebesleben keine Abscheulichkeit gab, der sie sich nicht mit Leidenschaft zugeneigt hätten, so war auch keine Grausamkeit abscheulich genug, um sie voll zu befriedigen. Gerade die Leidenschaft und Unersättlichkeit, das unstillbare Verlangen nach immer stärkeren und immer neuen Nervenkitzeln, das ist es ja, was dem Psychologen den Zusammenhang zwischen sexuellen und bestialischen Exzessen zeigt und ihn beide Abscheulichkeiten geradezu als aus einer Quelle fließend erkennen läßt.

Noch klarer ist der Zusammenhang zwischen Wollust und Grausamkeit im Liebesleben der alten Griechen zu erkennen. Eine gesunde Erotik, wie sie das griechische Altertum kannte, und wie sie ja naturgemäß auch aus der griechischen Mythologie zu uns spricht, kennt den Grad der Perversität, bei dem die unnatürliche Grausamkeit ausgelöst wird, noch nicht. Eine robuste Erotik, selbst wenn sie dem sexuellen Moment einen breiten Rahmen und einen größeren Einfluß gewährt, als dies nach unseren Moralanschauungen zulässig erscheint, ist noch durchaus nicht krankhaft, sondern im Gegenteil in der Regel ein Zeichen überschäumender Kraft und Gesundheit, ein Ausfluss heiterer, sorgloser Lebensauffassung. Selbstverständlich kann man aber von einer gesunden Erotik nur solange reden, wie noch keine Übersättigung eingetreten ist, durch die der Liebesdrang in Bahnen gelenkt wird, die nicht mehr normal und natürlich sind, sondern gerade durch ihre Unnatur neue Reize schaffen sollen. Dieser Zustand war eingetreten, als Sodomie und Päderastie bei den Griechen ihren Siegeszug hielten. Sofort finden wir aber auch eine Neigung zu Grausamkeiten, die dem heitern Volke der Griechen ursprünglich völlig fremd gewesen war. Es wurde ein beliebter Sport, die Sklaven wegen geringer Vergehen, oft auch nur wegen angeblicher Verfehlungen, die nur behauptet wurden, um einen Vorwand zur Folter zu liefern, zu torquieren. Man führte die sogenannte Privatfolter ein, d. h. es wurde dem Herrn gestattet, ganz nach Belieben die Folter an seinen Sklaven vorzunehmen. Ich habe das einen Sport genannt, und es verdient diesen Namen auch vollkommen, denn die Folter diente nicht etwa der Gerechtigkeit, deren Namen höchstens dadurch schwer missbraucht werden konnte, daß man sich auf sie berief; — nein, man schuf sich ein Vergnügen, das einen ganz besonderen Sinnenkitzel gewährte. Man lud zu solchen Foltern Freunde und Bekannte ein, und die ganze Gesellschaft geriet beim Anblick des vor Schmerzen zuckenden Körpers, beim Niederrieseln des frischen, warmen Blutes in wollüstige Ekstase. Ja, es darf wohl gesagt werden, daß ein solcher Anblick die sexuelle entnervte Gesellschaft viel mehr erregte und bei ihnen eine viel intensivere Wollust auslöste als jede direkte sexuelle Betätigung. Es ist dies dieselbe Erscheinung, die uns beim Sadismus entgegentritt, und die schließlich auch, wenigstens in der Negation, der Masochismus trägt. Man darf doch aber bei Leibe nicht etwa behaupten wollen, daß diese beiden Modezustände, wenn man so sagen darf, Beweise für besondere Gesundheit wären; sie können vielmehr nur gedeihen auf einem durch ständige Überreizung erkrankten Nervensystem. Man soll doch gesunde Erotik nie mit sexueller Übersättigung verwechseln. Es ist aber die Sodomie keineswegs etwa ein Charakteristikum der Griechen gewesen, sondern sie war im Orient erst recht verbreitet und wird doch selbst in der Bibel recht getreu und ausführlich geschildert, nicht etwa bloß soweit, wie sie im mosaischen Rechte verboten ist, sondern noch viel präziser in der Geschichte von Sodom im 1. Mose 19, 5 ff. und schlimmer noch in der Geschichte der Benjaminiter, Richter 19, 22 ff., wo die Männer des Stammes Benjamin zunächst den Mann zur Befriedigung ihrer bösen Lüste verlangen, dann dessen Kebsweib, das ihnen als Ersatz gegeben wurde, zu Tode brachten. „ Die erkannten sie und trieben ihren Mutwillen an ihr die ganze Nacht bis an den Morgen; und da die Morgenröte anbrach, ließen sie sie gehen.“ Es liegt gerade in dieser Geschichte eine ganze Kulturlehre des orientalischen Altertums. Zunächst ist es auffallend, daß die Bewohner einer ganzen Stadt den fremden Gast für ihre Lust verlangen. Das wird zwar als etwas Unerhörtes bezeichnet, scheint aber nur in den Augen des bedrohten Leviten und seines Gastgebers, der ebenfalls nicht zum Stamm Benjamin gehörte, so unerhört, in den Augen der Benjaminiter dagegen etwas ganz Selbstverständliches gewesen zu sein. Dagegen ist wieder etwas, das für alle heutigen Menschen etwas Furchtbares und Entsetzliches war, offenbar für den Leviten und dessen Gastgeber einfach völlig selbstverständlich erschienen. Sie opfern beide ohne jedes Bedenken das Weib des Leviten, über lassen es den viehischen Gelüsten des Stammes und kümmern sich um die Angelegenheit überhaupt nicht mehr bis zum andern Morgen. Dabei hatte aber der Levit erst eine weite Reise gemacht, um sich dieses Weib wieder zu verschaffen. Die Geschichte erinnert allzu lebhaft an die List der von Wölfen Überfallenen, die den hungrigen Bestien ein Pferd opfern, damit sie selbst, während die Raubtiere den ersten Hunger an dem Opfer stillen, entkommen können. Das mag eine kluge Rettung sein; wer aber sein Weib der Lüsternheit der Menge opfert, um selbst deren sodomitischem Hunger zu entgehen, der wird wohl mit vollstem Rechte erheblich weniger anerkennend zu beurteilen sein. Das ist hier aber weniger der Erwägung wert; die Hauptsache ist der Nachweis einer stark entwickelten Sodomie auch bei den Benjaminitern zu alttestamentlichen Zeiten, ebenfalls ein Beitrag zur Geschichte des orientalischen Liebeslebens im Alter tum. Es soll vorgekommen sein, daß sogar regelrechte Ehen zwischen Personen gleichen Geschlechts eingegangen wurden; eine Tatsache, die keineswegs für eine besondere seelische Veranlagung spricht, sondern lediglich beweist, daß das Laster, dem kein energischer Damm gesetzt wird, sich bis ins Ungeheuerliche auszuwachsen pflegt.



Auch im Altertum ist die Notwendigkeit, das Laster durch schwere Strafen auszurotten, erkannt worden, mindestens immer dann, wenn sich die Schäden der um sich greifenden Unnatur mehr und mehr fühlbar machten. So findet sich bei Döpler folgende Stelle: Pausanias, ein schöner Jüngling ward an des Königs Philippi in Macedonien Hoff wieder seinen Willen von Attalo zur Sodomiterey einsten mißbrauchet. Als er es nun dem König klagte, und um Bestrafung bath, auch solches oft wiederholete, aber ausgelachet, und Attalus immer größer und größer bey Hoff wurde, ergrimmete Pausanias und erstach Philippum, als er ihn einsten allein antraff, daß er nicht Justitiam administrieren wollte. Pausanias ward zwar ergriffen und stranguliret, die Königliche Wittbe Olympia aber ließ ihm eine güldene Krön aufsetzen, und mit großem Pomp begraben.“

Der gekrönte Königsmörder hat zwar nur sein eigenes Interesse vertreten, als er den König für die verweigerte Gerechtigkeit so energisch strafte; aber die Geschichte ist doch sehr lehrreich. Schon daraus, daß der schöne Jüngling Pausanias eine Bestrafung des Attalus verlangte, ergibt sich zwanglos, daß dessen Treiben strafwürdig erscheinen mußte, denn wäre sein Tun allgemein als einwandfrei betrachtet worden, so hätte auch Pausanias nicht auf den Gedanken ver fallen können, daß er eine Strafe verlangen dürfe, da man eine solche doch nur für etwas Strafbares und keineswegs für etwas durchaus Erlaubtes beanspruchen darf. Daß nun der König nicht strafte, sondern den Ankläger einfach auslachte, das zeigt weiter nichts, als daß er das Recht äußerst willkürlich anwendete und seinen Günstling schützte. Dafür wendete dann Pausanias eine Radikalkur an, die zwar den König, später aber auch ihn selbst vernichtete. Nun hat die Königin den Mörder ihres Mannes gekrönt, ein Zeichen, daß sie die Gerechtigkeit weit höher schätzte, als der ermordete König. Zwar konnte sie, wieder aus Hang zur Gerechtigkeit, den Königsmörder nicht vor der Todesstrafe schützen; daß sie ihn aber krönte und krönen durfte, das läßt sicherlich darauf schließen, daß auch andere das Verlangen des Pausanias nach einer Sühne für durchaus berechtigt hielten.

Sittliche Verwahrlosung wird niemals das Gefühl für Recht und Gerechtigkeit im Menschenherzen stärken, deshalb werden entsittlichte Könige auch niemals gerecht regieren, sondern die Grausamkeit, die eine Folge ihrer unstillbaren Lüsternheit ist, auch stets mit großer Willkür anwenden. Das ist wieder eine Erklärung für die entsetzliche Tyrannei orientalischer Herrscher.

Ausnahmen hat es aber auch da gegeben, und die alte Geschichte des Orients weist auch Züge des Liebeslebens auf, die so sinnig und zart anmuten, wie der Frühlingstraum eines deutschen Gemüts. Ich will mich hier auf die Geschichte der Stratonike beschränken, die allerdings in ihrem ganzen Verlauf absolut nicht deutsch, sondern echt orientalisch ist.

Seleukos I., dem die Geschichte den Ehrennamen „Nikator“ beigelegt hat, was so viel heißt wie der Siegreiche, beherrschte etwa 300 Jahre vor Chr. das gewaltige Syrische Reich. Seleukos hat gelebt und geliebt, wie dies damals bei den Großen des Orients Sitte war. Noch im Alter von 60 Jahren führte er die jugendliche Tochter seines Verbündeten Demetrius Poliorketes, die schöne Stratonike als Gattin heim. Da diese für den Lebensherbst des Greises viel weniger paßte als für einen Jüngling, und da Seleukos einen erwachsenen Sohn Antiochus besaß, der noch nicht das Glück der Ehe gekostet hatte, war es schließlich gerade kein Wunder, daß Antiochus der Meinung war, Stratonike sei als Gattin unendlich begehrenswerter denn als Stiefmutter. Antiochus verliebte sich sterblich aber hoffnungslos in die schöne Stratonike, die ihm zwar mit aller Freundlichkeit begegnete, aber selbst nicht auf den Gedanken verfiel, daß ihr Stiefsohn ihr eine andere Neigung entgegenbringen könne als das Gefühl liebevoller Verwandtenneigung. Antiochus wußte sehr wohl, daß seine Neigung völlig aussichtslos war, und es ging ihm so ähnlich wie den Männern vom Stamme Asra, welche sterben, wenn sie lieben. Antiochus siechte auch wirklich an seiner hoffnungslosen Liebe dahin und wurde so leidend, daß sein Vater bange Sorgen seinetwegen fühlte.

Der alte Seleukos liebte seinen Sohn, der ihm in der Regierung folgen sollte, und zerbrach sich den Kopf über die schleichende Krankheit, für die sich in der Tat keine Erklärung finden ließ. Seleukos wendete sich deshalb an seinen alten, erfahrenen Arzt Erasitratos, der den Sohn eingehend prüft und gar bald herausfindet, daß nicht ein körperliches, sondern ein seelisches Leiden bestehen müsse. Er vermutete eine heimliche Liebe, war aber keineswegs in der Lage, auch nur die mindeste Vermutung auszusprechen, wem sie gelten könne. Der alte Erasitratos, der zwar nicht den Doktortitel führte und auch nicht den Beweis dafür erbringen konnte, daß er ein erfolgreiches Universitätsstudium hinter sich und das Staatsexamen bestanden habe, der also nach heutigen „aufgeklärteren“ Begriffen nur ein elender Kurpfuscher sein konnte, war in Wirklichkeit ein Arzt, wie er sein soll, also ein Mann, der nicht allein seine Wissenschaft gar trefflich beherrschte, sondern es auch verstand, seine Patienten mit Menschenkenntnis und Wohlwollen zu beobachten und sich dadurch ein klares Bild ihrer Leiden zu verschaffen. Er war viel zu klug und erfahren, als daß er den Antiochus durch eine Anspielung auf dessen heimliche Liebe härte aushorchen wollen; er gab sich vielmehr den Anschein, als stehe er dem Leiden völlig ratlos gegenüber. Da Antiochus immer leidender in seinem Bette lag, wußte Erasitratos es zu veranlassen, daß der ganze Hofstaat, d. h. alle weiblichen Schönheiten am Hofe des Seleukos einzeln nach einander durch das Zimmer gehen mußten. Seleukos litt gewiß nicht an Geschmacklosigkeit, und seiner Gattinnen und Huldinnen, die wohl auf das sehnende Herz eines Jünglings ihren Zauber ausüben konnten, waren nicht wenige, denn der alte Mann sorgte dafür, daß er stets jugendlichen Ersatz erhielt.

Erasitratos hielt nun, während die Schönheiten am Bette seines Patienten langsam vorüberschritten, dessen Puls und beobachtete den Kranken mit aller Schärfe. Nichts deutete aber darauf hin, daß Antiochus gegen irgend eine der Vorüberwandelnden auch nur die geringste Neigung oder Aufmerksamkeit fühle; er blieb so gleichgiltig, als würden leblose Gegenstände an ihm vorübergeführt, die noch nicht einmal durch ihren Anblick ein geringes Interesse erregen könnten. Schon gab der erfahrene Arzt die Hoffnung, einen Anhalt für die Richtigkeit seiner Diagnose zu finden, auf. Da nahte die jugendliche Stratonike. Der Kranke zuckte zusammen, sein leidendes Antlitz wurde von Purpurglut Übergossen, und der Arzt fühlte die Pulse in fieberhafter Erregung schlagen. Selbst einem weniger erfahrenen Beobachter wäre wohl nicht entgangen, daß Stratonike dem Herzen des Kranken nahe stehen mußte. Es war ja nun allerdings für den Arzt recht erfreulich, zu sehen, daß er sich über das Leiden des Kranken nicht getäuscht hatte; aber für den Menschenfreund war dieser Roman doch eine verteufelt dumme Geschichte, denn daß hier nicht viel zu helfen war, erschien auf den ersten Blick sicher. Wie sollte die Liebe des Sohnes zu der schönsten Gattin seines Vaters hoffnungsvoll sein?



Erasitratos war aber, wie gesagt, ein Arzt, wie er sein soll; deshalb gab er die Hoffnung doch nicht auf, denn wo das Latein des Alltagslebens zu Ende war, da konnte doch vielleicht ein ungewöhnlich guter Gedanke retten. Der Arzt suchte den alten König auf und sagte ihm: „O Seleukos, ich kenne das Leiden deines Sohnes wohl; aber ich kann ihm leider nicht helfen!“ Das war für Seleukos eine schlimme Botschaft, und es läßt sich wohl denken, daß ein so gewaltiger Herrscher nicht einfach ergebungsvoll das tragische Schicksal, das ihm den berufenen Thronfolger rauben sollte, ertragen möchte.

Er drang in den Arzt, ihm doch das schleichende Leiden seines Sohnes zu nennen und lachte, als ihm Erasitratos sagte: „Dein Sohn ist verliebt.“ „Was“, rief er aus, „das soll eine Krankheit sein? Ich möchte das Weib sehen, das es wagte, die Werbung eines Königssohnes abzulehnen!“ „Und doch, mein König, ist die Sache hoffnungslos, denn dein Sohn liebt die Gattin eines Andern!“ „Nun,“ meinte der König, „so mag ihm der Andere die Gattin überlassen; das ist doch furchtbar einfach! Wer ist denn der Andere.“ — Der Arzt tat verlegen und meinte dann „der Andere bin ich selbst! Dein Sohn hat mir gestanden, daß er meine schönste, jüngste Gattin liebe, und daß er sterben müsse, wenn er sie nicht bekomme!“

Der König runzelte die Stirn und sagte: „Mein Sohn darf nicht sterben, das weißt du, also rette ihn!“ „O,“ erwiderte der Arzt, „das würdest du selbst für deinen Sohn nicht tun.“ Seleukos aber fuhr grimmig auf: „Das würde ich ohne Bedenken tun, ja, ich würde noch viel mehr tun; ich würde außer der Frau mein ganzes Königreich hingeben, wenn ich damit den Sohn retten könnte!“ „Ist das ein Königswort, das du auf jeden Fall halten würdest?“ „Wagst du es, daran zu zweifeln?“ „Nun wohl, erhabener Herrscher, da du denn zu solchen Opfern mit Freuden bereit bist, so bringe sie und rette deinen Sohn, denn nicht meine Frau ist es, die er liebt, sondern deine jüngste Gattin Stratonike!“

Es hätte vielleicht einiges kulturhistorisches Interesse gehabt, wenn Erasitratos nicht nur ein trefflicher Arzt und Menschenkenner, sondern auch ein geübter Photograph gewesen wäre, der das Gesicht, das der edle Seleukos bei dieser Eröffnung zog, in einer wohlgelungenen Momentaufnahme festgehalten hätte. Da diese schöne Kunst aber leider damals selbst die klügsten Gelehrten noch nicht verstanden, müssen wir uns die Überraschung des großen Syrerkönigs schon selbst ausmalen und uns mit der geschichtlichen Tatsache begnügen, daß Seleukos sein Wort wirklich hielt. Er gab dem Sohne seine schönste Gattin und trat ihm das halbe Königreich ab. Antiochus wurde, als er dies vernahm, noch einmal purpurrot; es war diesmal vor Freude, und da offenbar auch Stratonike mit diesem Tausche außerordentlich zufrieden war, wurde Antiochus sehr schnell gesund.

Es läßt sich nicht verkennen, daß diese keusche Liebe, wenn man sie durchaus so nennen will, etwas ungemein Rührendes enthält, das keineswegs etwa deutsches Gemüt verrät, sondern gerade im Orient, wo das Gemütsleben neben der starken Sinnlichkeit vorherrscht und deshalb den Orientalen so oft als unberechenbar erscheinen läßt, keineswegs selten ist. Ich möchte fast sagen, die romantische Zeit Deutschlands, in der die führenden Geister stark „in Gefühl machten“, so daß sich die Freunde küssten wie Pensionsfreundinnen und ständig in einem Meere von rührseligen Tränen schwammen, freilich alles ohne, daß man dabei auf den modern auffrisierten Gedanken homosexueller Seelenverwandtschaft verfallen wäre, ist viel eher dem Orient abgelauscht, als daß man die Rührgeschichte orientalischen Liebeslebens auf deutsches Gemütskonto zu setzen berechtigt wäre, denn der Orient ist älter in seiner Geschichte, älter in seiner Kultur, die zum großen Teile schon versunken und halbvergessen war, als deutsche Kultur die Kinderschuhe anzog. Man gefiel sich übrigens auch in der deutschen Sturm- und Drangperiode des überschäumenden Gemütslebens darin, die orientalischen Liebeslieder und Liebeslegenden ins Deutsche zu übertragen, wie die schon angedeutete Legende von der Liebe der Männer vom Stamme der Asra, die durch Heine bei uns heimisch und dann auch musikalisch ausgebeutet wurde. Die Asra, die übrigens korrekter Banu Udsra oder Banu Odsra heißen, sind ein Araberstamm, der in Südarabien hauste und besonders durch seine schwärmerischen Liebesoden bekannt ist, wenn er auch ganz bestimmt ebenso wenig wie die übrigen Araberstämme, auf die ich noch etwas eingehender zurückkommen werde, an der Liebe seiner männlichen Mitglieder ausgestorben ist.

Der echt orientalische Charakter der Seleukos-Geschichte tritt darin zu Tage, daß einmal Seleukos noch im Alter von 60 Jahren seine Frauen um die begehrenswertesten Töchter anderer Fürsten oder auch Nichtfürsten vermehrt, daß er aber die Gattin, mit der er die Freuden der Ehe genossen hat, einfach dem Sohne überlässt, und daß Stratonike überhaupt nicht gefragt wird, wie sie über diese sonderbare Metamorphose ihres Liebes- und Ehelebens denkt. Nach unseren Auffassungen wäre eine solche friedliche Lösung des Konflikts überhaupt nicht möglich gewesen. Don Carlos, dessen Liebesleid uns Schiller in seiner unvergänglichen Bühnendichtung schildert, befand sich ja in ähnlicher Situation wie Antiochus; aber wie wesentlich weichen die Lösungen beider Irrungen und Wirrungen voneinander ab. Abendland und Morgenland. Daß man es im Orient nicht so genau mit den Heiraten nahm, wenigstens nicht, wenn ein Herrscher als Beteiligter in Frage kam, ist ja bekannt; wir finden dafür sogar in der Bibel nicht wenige Beispiele, z. B. in der Geschichte Johannes des Täufers, die uns in der „Salome“ möglichst lebenswahr auf die Opernbühne gebracht zu haben, das nicht unangefochtene Verdienst Richard Strauß ist, in der Geschichte des Königs David und noch an anderen Stellen. Es ist bei den Völkern des Orients gar nicht so selten im Altertum vorgekommen, daß ein Weib nacheinander die Ehe mit dem Vater und dem Sohne einging. Die Ehehinderungsgründe, die wir als etwas Selbstverständliches betrachten, kannte man im orientalischen Altertume zum großen Teile nicht, und es gibt ja auch heute noch orientalische Völker, deren Ansichten in diesem Punkte sehr erheblich von den unsrigen abweichen.

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Geschwisterehen waren ebenfalls keineswegs selten, sie kommen sogar in den Mythologien sehr, sehr oft vor, und die Mythologien sind ja in der Regel die besten Spiegelbilder alter Kulturen und Moralanschauungen, weil die Völker sich die Götter genau so schufen, wie sie sie brauchten und verstanden. Besonders bei den Persern, Assyrern, Galatern und Ägyptern ist es nichts Ungewöhnliches gewesen, daß Männer ihre Schwestern, ja selbst ihre Mütter oder Töchter zur Gattin machten; diese letztere Eheart wird beispielsweise auch dem Artaxerxes nachgesagt. Selbst bei den Lacedämoniern, die doch einen ganz anderen Menschenschlag darstellten als die meisten Orientalen, war es Brauch, daß ein Mann dem andern seine Frau borgte, damit dieser für Nachkommen sorgte. Es ist das offenbar etwas ganz anderes gewesen als die Ehehelferschaft unseres alten Bauernrechts. Diese war nur dann erlaubt, wenn der eigene Mann impotent war; bei den Spartanern aber ist auch ein Austausch der Frauen vorgekommen, so daß also nicht wegen der Impotenz des einen Mannes der andere einspringen mußte, sondern es hat wohl das alte Sprichwort „Variatio delectat“, den Ausschlag gegeben. Freilich mag auch eine Impotenz das Ausleihen der Frauen begründet haben. Vorgekommen sind solche Frauenaustausche auch bei den Römern und den Athenern. Herr Dr. Joh. Philipp Pfeiffer (Antiq. Graec. Lib. 4. Kap. 3, Pag. 602) behauptet, daß selbst Sokrates sich dieser Sitte angeschlossen und seine böse Xanthippe ab und zu verborgt habe. Sokrates hat in diesem Falle wirklich als Weiser gehandelt, denn die Xanthippe läßt es viel eher begreiflich erscheinen, daß der gute alte Sokrates sie gern mindestens zeitweilig los sein wollte, als daß ein Anderer wünschte, sie zu besitzen. Herr Doktor Pfeiffer führt auch an, daß Sokrates zwei Gattinnen besessen habe. Das trifft übrigens tatsächlich zu; aber der Wortlaut der Pfeifferschen Ausführungen läßt vermuten, daß er auf ein anderes Verhältnis hindeuten wollte: offenbar hat er da den alten griechischen Brauch nicht berücksichtigt, nach dem die Gattin das Haus leitete und die Kinder zur Welt brachte, während der Herr Gemahl noch außer dem Hause eine Geliebte hatte, die ihn geistig fördern sollte. Geliebte ist freilich nicht einmal der richtige Ausdruck, denn die „Freundinnen“ waren in der Regel etwas anderes; im schlechten Sinne das Wort Geliebte verstanden, trifft es über das Ziel weit hinaus. Im alten Griechenland nannte man diese Damen Hetären. Das ist aber auch nur ein Ausdruck, denn Hetärie ist durchaus nicht mit Prostitution usw. äquivalent, sondern bedeutet nichts als einen Verein, ein Freundschaftsbündnis, und wenn man in der Ethnologie Hetärismus für Gruppenehe braucht, so ist das absolut nicht durch den eigentlichen Sinn des Wortes, der nichts Sexuelles darstellt, gerechtfertigt.

Hetären war wohl auch ein Kunstausdruck, mit dem man ein Verhältnis beschönigen wollte, das zwar an sich nicht als entehrend galt, doch immerhin nicht gerade der Harmlosigkeit ein Ehrenzeugnis ausstellte. Die Hetären verstanden es meisterhaft, den lebenslustigen Männern gründlich die Taschen zu leeren; aber sie unterschieden sich doch wesentlich von unseren heutigen Prostituierten, die diese Kunst nicht selten mit derselben Virtuosität betreiben, die aber doch niemals das sein werden, was die Hetäre Griechenlands war, deren Niveau noch am nächsten dem einer Maitresse steht, wie sie an deutschen Fürstenhöfen „regierten“, nur mit dem Unterschied, daß die Maitresse, wenigstens offiziell, nur einem Manne gehörte, während die Hetären viele „Freunde“ besaßen, die sich in die Ehre teilten, für ihr Wohlergehen zu sorgen. Erklärlich wird die Institution des Hetärenwesens ziemlich leicht, wenn man erwägt, welche niedrige Stufe die griechische Frau in der Gesellschaft und Familie einnahm und der Bildung wegen auch nur einnehmen konnte, denn die Sitte erlaubte es einfach nicht, daß die Frau mehr hervortrat; das ist übrigens echt orientalisch.

Wenn nun ein Weib die Sitte nicht achtete, sondern sich geistig glänzend ausbildete und auch sonst über alle den Frauen gezogene Schranken kühn hinwegvoltigierte, so war es sehr einfach und selbstverständlich, daß sie den hochgebildeten, heiteren und lebenslustigen Männern viel mehr ein Magnet sein mußte, als daheim die Gattin, die das Haus versorgen und die Nachkommen zur Welt bringen mußte, im übrigen aber nur eine Null war. Die Hetären konnten in der Tat eine geistige Anregung bieten, die der sinnlich veranlagte Mensch, der trotzdem auf einer hohen Kulturstufe steht, unendlich höher schätzt als der Durchschnittsmensch für möglich hält. Bei den Griechen war der Verkehr mit den Hetären so wenig eine Schande oder auch nur bedenklich, daß die größten Philosophen offen und frei sich solchem Verkehr hingaben, und es hat Hetären gegeben, die heute noch bekannt sind, nicht dadurch, daß sie fürstliche Reichtümer erwarben, sondern hauptsächlich dadurch, daß sie dauernd die geistige Elite Griechenlands in ihre Netze zu fesseln wußten. Das Hetärenwesen ist ein äußerst wichtiger Faktor im Liebesleben des griechischen Altertums, und des orientalischen Altertums überhaupt. Daß die Hetären nicht bloß geistige Anregung gaben, sondern daß sie nebenbei auch noch den sexuellen Begierden dienten und in letzter Beziehung unsittliche Dirnen waren, das ergibt sich aus dem ganzen Charakter der Orientalen, die ja an sich über den sexuellen Verkehr ganz andere und viel urwüchsigere, wenn man will, auch viel natürlichere Ansichten hegten.

So wurde bei vielen Völkern des Altertums, namentlich im Orient gar nichts darin gefunden, wenn die Mädchen sexuellen Verkehr suchten. Tiraquell berichtet, daß es bei den Illyriern, den Phöniziern, Thebanern und Syrakusanern usw. durchaus üblich gewesen sei, Frauen und Töchter den sexuellen Verkehr mit anderen Männern nach Herzenslust pflegen zu lassen. War das aber allgemeine Sitte, dann kann natürlich ein solcher Verkehr auch im Einzelfalle die Ehre nicht geschädigt haben, denn als entehrend und schändend kann doch immer nur das gelten, was nicht erlaubt ist und deshalb, wenn auch nicht gesetzlich, so doch wenigstens moralisch verboten ist. Wie es scheint, folgten aber nicht überall die Weiber nur ihren sinnlichen Begierden, wenn sie einen Verkehr suchten, der nach heutigen und überhaupt späteren Anschauungen als unsittlich galt, sondern sie gaben sich diesem Vergnügen aus kluger Berechnung hin, um so viel wie möglich Geld zu gewinnen.

Besonders stand die Insel Cypern in dem Rufe, daß dort die Jungfrauen um Geld stets zu haben seien, daß diese sogar eifrigst jede Gelegenheit suchten, durch die Gestattung des sexuellen Verkehrs Geld zu erwerben. Es soll geradezu Sitte dort gewesen sein, daß die Jungfrauen „so zum heyrathen tüchtig, sich an das Ufer des Meeres verfüget und denen anlandenden Fremden ihre Jungfernschaft verkauft, und so lange Handel und Gewerbe getrieben, bis sie ein gut Stück Geld zur Morgen-Gabe verdienet hatten. (Justinus lib. 18, Kap. 5.) Daher das Land der Heydnischen Hurerey Göttin Venen gewidmet gewesen, welche auch deswegen Dea Cypria oder potens Cypri genennet worden. (Horat. lib. 1, ad. 3.) Solches ist bei den Scytikis und Corsis gleichfalls üblich gewesen. (Tiraq.)“

Es ist dies eigentlich ein Bild, das auf große Einfalt der Sitten schließen läßt. Man nahm damals das Natürliche natürlich und wußte das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Da nun in jenen Gegenden ein schwunghafter Handel getrieben wurde, der reiche Kaufleute in Massen herbeiführte, da aber andrerseits diese Kaufleute immer geneigt waren, die Gelegenheit zu einem interessanten Liebesabenteuer zu benutzen, ist es fast selbstverständlich, daß die Jungfrauen keine törichten Jungfrauen waren, weil sie ganz sicher stets auf ihre Rechnung gekommen sind. Wenn nun auch die „anlandenden Fremden“ sicher eine reiche Anzahl von Mädchen vorgefunden haben, so daß sie nicht in Verlegenheit zu kommen brauchten, wenn sie außer einem guten Handelsgeschäft ein noch besseres Liebesabenteuer suchten, so werden doch die liebenden Weiber wohl auf Preise gehalten haben, einmal wollten sie ja für ihre zukünftige Ehe eine möglichst große Morgengabe haben — hier ist der Begriff der Morgengabe offenbar satirisch angewendet worden — , und zweitens wußten sie recht gut, daß die Fremden in hohem Grade zahlungsfähig waren, diese besonders gute Eigenschaft der Abenteuer Suchenden werden sie sich wohl zu nutze gemacht haben. Die zukünftigen Ehemänner dieser geschäftsgewandten jungen Damen müssen allerdings an die Tugend und Reinheit ihrer Gattinnen keine besonders großen Anforderungen gestellt haben, denn sie wußten doch ganz genau, auf welchem mehr praktischem als sittlichem Wege ihre Holden die Reichtümer erworben hatten; vielleicht hat ein Bräutigam auch die Ehe möglichst lange hinausgeschoben, damit der Schornstein des eigenen Haushalts desto besser rauchen konnte, wenn der schnöde Mammon in reichlicher Fülle vorhanden war. Geld riecht nicht. Im übrigen beweist diese Mitteilung nichts, als daß das Weib keine dominierende Stellung einnahm, es war gesucht und begehrt als Mittel zum Zweck, nicht aber als gleichberechtigte Persönlichkeit.

Auch da, wo das Weib den Gatten wählte, statt von ihm gewählt zu werden, ist die Stellung der Frau kaum eine bessere gewesen. Daß solche „Damenwahlen“ in verschiedenen Gegenden Sitte waren, berichtet Athenäus: „Bey den Messiliensern freieten die Jungfern um die jungen Gesellen, und wenn deren mehr waren, so auch affection zu ihnen hatten, reichten sie nach dem Essen denenjenigen, so ihnen am besten gefiehl, eine Schale voll Wasser, und dem dieses widerfuhr, war hernach der rechte Bräutigam.“ Es ist nicht nachzuprüfen, ob diese Wahl, wenn die Sache wirklich so gehandhabt wurde, immer zur Ehe geführt hat; man wird das aber wohl kaum annehmen dürfen, denn dazu wäre die Männerwelt wohl schwerlich zu bewegen gewesen, weil ja sonst jeder ohne Widerspruch gezwungen gewesen wäre, die zu heiraten, die ihm das Wasser reichte. Ob nicht auch das Sprichwort „es kann mir jemand nicht das Wasser reichen“, auf diese alte Sitte zurückgeführt werden darf? Man nimmt meist allerdings einen anderen Ursprung dieser Redensart an.



Die Bräuche, durch die der Ehestand geschlossen oder doch dessen Schließung wenigstens angebahnt wurde, sind allerdings recht verschieden und teilweise außerordentlich absurde gewesen. Da, wo die Vielweiberei herrschte, wie fast überall im Orient, ist es den Männern in der Regel nicht so wichtig gewesen, welche Holde sie als Gattin heimführen konnten, denn einmal waren die Männer in der angenehmen Lage, ein Weib, das ihnen nicht gefiel, recht schnell wieder los zu werden, und ferner konnten sie auch stets eine neue Gefährtin, für die sie mehr empfanden, zu den übrigen hinzunehmen. Die Stelle über die Massilienser betont ja nun freilich, daß die Töchter des Landes unter den jungen Gesellen die Wahl durch die Überreichung der Schale Wasser getroffen hätten. Unter jungen Gesellen ist dabei ein lediger Mann zu verstehen, den wir ja auch bei uns noch in der Regel als einen Junggesellen bezeichnen; aber man darf derartige unkontrollierbare Geschichten schließlich nicht allzu genau nach dem Buchstaben nehmen. Gemeint sind nicht etwa die Massilienser, die im 4. Jahrhundert eine Sekte in Syrien bildeten, wohl auch Eucheten, Euphemiten, Coelicolae hießen und halb Heiden, halb Christen waren, sondern die Semipelagianer, die nach ihrer Hauptstadt Massilia benannt wurden. Diese Semipelagianer waren ebenfalls eine Sekte, die 425 n. Chr. gegründet wurde und lehrte, daß eine menschliche Freiheit bestehe, die zwar durch die Sünde der ersten Menschen geschwächt aber nicht aufgehoben sei. Diese Sektierer gaben sich alle Mühe, durch besondere Bräuche sich von anderen Leuten zu unterscheiden. Es ist deshalb die Möglichkeit, daß sie es den Weibern gestatteten, den zukünftigen Gatten zu wählen, keineswegs ausgeschlossen, obwohl für das orientalische Liebesleben diese Sekte, wie überhaupt alle christlichen Orientalen nicht viel beweisen, weil sie stets nur Ausnahmen von dem, was ganz allgemeiner Brauch war, gelten ließen. Ich habe gleichwohl geglaubt, auch diese Mitteilung aus alter Zeit nicht unerwähnt lassen zu dürfen, mag sie selbst für das orientalische Leben des Altertums wenig oder nichts beweisen.

Es hat aber auch bei anderen Völkern offenbar höchst eigenartige Bräuche gegeben, durch die man versuchte, alle Mädchen an den Mann zu bringen und auch den Männern eine Frau zu verschaffen. So lese ich bei einem alten Schriftsteller, der aus dritter Hand geschöpft hat und den Born seiner Weisheit in Plutarchos nachweist, das Folgende: „Es ist auch eine Arth Leuthe, Dapsolyber genennet, gefunden worden, bey welchen diese Närrische Gewohnheit gewesen, daß zu einer gewissen Zeit des Jahres sich diejenigen Personen, so heyrathen wollen an einen finstern Orth versamelen müssen, und zwar die jungen Gesellen besonders, die Weiber und Jungfrauen auch besonders. Wenn sie nun alle beysammen gewesen, hat man die Lichter ausgeleschet, und beyde Hauffen zusammen belassen, da nun Männer und Weiber also durcheinander gelauffen, hat ein jeder eins erwischt, und was einer in demselben Gemenge vor eine erhaschet, sie sey schön oder heßlich, jung oder alt, gut oder böse gewesen, hat er auch müssen behalten, und also sind die heßlichen in der Summa mit verthan worden.“

Die Ehe ist zwar sonst auch ein Lotteriespiel, bei dem jeder in der Regel behalten muß, was er erhaschet; aber bei den Dapsolybern ist die Sache doch noch erheblich anders gewesen. Ich muß allerdings bekennen, daß ich über die Dapsolyber außerordentlich wenig unterrichtet bin. Es ist deshalb auch nicht zu bestimmen, ob das, was von diesen Leuten als eine „Närrische Gewohnheit“ gesagt wird, wirklich korrekt und wahrheitsgemäß geschildert wird, denn erstens sind an und für sich bei der Kritik fremder Bräuche den Irrtümern und Missverständnissen Tür und Tor geöffnet, und zweitens kann man da, wo erwiesen Übersetzungen aus fremden Quellen vorliegen, meist annehmen, daß auch bei der Übersetzung noch Einzelheiten so unrichtig übertragen werden, daß zu den alten Fehlern neue hinzukommen. Ist doch selbst die Bibel durch verschiedene Übersetzungsfehler zum Teile in ihrem Inhalt wesentlich verändert worden, einmal weil für die morgenländischen Worte den abendländischen Übersetzungen zum Teil die richtigen Begriffe fehlten, und schließlich auch noch, weil derartige Fehler bei Übersetzungen an sich fast natürlich sind. Nimmt man aber an, daß alles, was über die Dapsolyber gesagt ist, völlig stimmt, und „in dubio pro reo“, so besagt die Stelle, daß die Dapsolyber jedenfalls in Polygamie gelebt haben. Es ist da zwischen Männern und jungen Gesellen, und zwischen Weibern und Jungfrauen ausdrücklich unterschieden worden, d. h. es haben Verheiratete und Ledige sich an der „Närrischen Gewohnheit“ beteiligt. Nach Lage der Sache ist es natürlich völlig ausgeschlossen gewesen, daß eine einzige der beteiligten Personen auch nur den leisesten. Anhalt dafür hatte, ob er eine ledige oder verheiratete Person erhaschte, denn es ist ja sogar gesagt, ob jung oder alt, sei nicht vorher festzustellen gewesen, ehe das Licht wieder angezündet wurde; da ist es also selbstverständlich auch vorgekommen, daß ein Ehemann eine Jungfrau, oder ein Junggeselle eine Frau erhaschte. Was im letztern Falle? Daß der Verheiratete sich noch eine weitere Frau nahm, das ist bei der Vielweiberei durchaus nicht auffällig, sondern selbstverständlich, weil es eben sonst keine Vielweiberei gegeben hätte. Der Verheiratete, der an der Ehelotterie teilnahm, ging einfach darauf aus, seinen Haremsstand um eine weitere Frau zu vergrößern. Sehr schwierig ist aber die zweite Eventualität nämlich die, daß die verheiratete Frau, von einem neuen Manne erhascht wurde. Hier kommt man mit der Vielweiberei deshalb nicht mehr aus, und man müsste schon Gruppenehen annehmen, wie sie ja das orientalische Altertum tatsächlich gekannt hat, d. h. ein Mann konnte mehrere Frauen haben, da aber auch die Frauen mehrere Männer nehmen konnten, mußte der Mann seine Frauen wieder mit anderen Männern teilen. Ich halte diese Erklärung jedoch keineswegs für zutreffend, denn für solche Gemeinschaftsehen hätte man wahrlich der sonderbaren Ehelotterie nicht bedurft, und der Schluß des Berichts, daß auf diese Weise die Häßlichen in der Summa mit vertan worden seien, würde absolut nicht zu der Geschichte gepasst haben; er scheint überhaupt nichts weiter zu sein als ein witziger Zusatz des Autors, der sicherlich selbst nicht recht gewußt hat, was er mit der Sache eigentlich anfangen sollte.

Es gibt aber eine andere Erklärung für die seltsame Zusammengebung der Paare, nämlich die, daß es sich überhaupt nicht um Eheschließungen gehandelt habe, sondern daß eine gleiche Anzahl von Männern und Weibern sich lediglich zu dem Zwecke in den geheimnisvollen Zusammenkunftsraum begeben haben, um einmal einen Begattungsakt zu vollziehen, wobei es dann allerdings nicht so wesentlich war, welche Personen sich zu diesem einmaligen Zwecke erhaschten. Daß dabei auch die Häßlichen einmal auf ihre Rechnung kamen, liegt in der Natur der Sache, und jedenfalls ist das Arrangement das gewesen, daß nicht nur das Erhaschen, sondern auch die ganze Orgie sich in dem dunklen Räume abspielte. Daß dabei jeder die behalten mußte, die er erhaschte, ist selbstverständlich, wenn man dabei das Behalten nicht über die Orgie hinaus ausdehnen will, und dazu liegt doch absolut kein zwingender Grund vor. Es ist nicht einmal gesagt, ob die einzelne Person überhaupt erfuhr, mit wem sie die Freuden der Liebe genossen hatte, denn es kam doch lediglich darauf an, daß sie Jeder und Jede genoss, die zu diesem Zwecke sich eingefunden hatten. Daß auf solche Weise auch die Häßlichen ebenso versorgt wurden wie die Schönen, das war ein Gedanke, der auch bei dieser Erklärung nur als geistreich und gut bezeichnet werden kann. Vielleicht war es beabsichtigt, auch dem Schönheitsideal Rechnung zu tragen und es der Phantasie der einzelnen Person zu überlassen, ob sie sich vorgaukeln wollte, daß sie mit einem bildschönen Partner zu tun gehabt habe.

Vielleicht klingt die Erklärung des seltsamen Brauches, die ich mir hier scheinbar aus den Fingern gesogen habe, doch allzu kühn und willkürlich, als daß sie hätte in einem ernsten Buche niedergeschrieben werden dürfen. Ich habe aber keineswegs meine Phantasie allzu lebhaft spielen lassen, sondern sehr eingehend geprüft, ob ähnliche Dinge wie die von mir geschilderten nicht auch anderwärts vorgekommen sind, nämlich bei anderen Völkern des orientalischen Altertums. Ich brauche da faktisch keine Trugschlüsse gelten zu lassen, denn es sind die unglaublichsten Dinge in der Tat erwiesen. Es ist dabei noch nicht einmal die zarte Rücksicht geübt worden, den Raum zu verdunkeln; man ist allerdings andererseits auch nicht so berechnend gewesen, die Häßlichen gewissenhaft zu versorgen, sondern folgte stets nur der augenblicklichen Lüsternheit, hielt es dagegen aber auch für angemessen, natürliche Dinge frei und offen zu treiben.



Im übelsten Rufe, wenn man so sagen darf, standen wohl die Mastageten oder Massageten. Dieses Volk lebte in der Gegend des Kaspischen Meeres bis zum Aralsee und führte in den Steppen ein Nomadenleben. Diese Nomaden waren aber keineswegs etwa harmlose Hirten, sondern gefürchtete rohe Krieger, die für unbesiegbar galten und jedenfalls auch unbesiegbar waren, da sie 530 v. Chr. selbst das gewaltige Heer des sieggewohnten Cyrus vernichteten. Cyrus selbst soll nach alten Überlieferungen bei den Massageten umgekommen sein. Dieses rohe und gewaltige Volk wurde von einer Königin Tomyris beherrscht, und es ist fast wunderbar, daß solche raue Männer, die sicherlich keine Feministen waren, sondern im Gegenteil das Weib sehr gering, lediglich als Werkzeug für ihre Gelüste und die „Erhaltung der Art“ betrachteten, sich von einem Weibe beherrschen ließen. Die Massageten waren, wie viele Orientalen, Sonnenanbeter; die Sonne war ihre höchste Gottheit, vor der sich auch diese wilden Horden in Furcht und Demut beugten und durch Opfer Gnade und Gunst zu erlangen suchten. Sie opferten Pferde, die ihnen selbst als sehr wertvoll galten, und können wohl als eine Type für die Behauptung angeführt werden, daß auch das roheste Volk auf religiöses Empfinden nicht verzichten kann. Nur der starke Krieger galt im übrigen etwas bei diesem Volke; das Weib, das nicht kämpfen konnte, war naturgemäß nur ein Geschöpf zweiten Ranges, und es wird berichtet, daß die Weiber selbst diese Ansicht geteilt und sich deshalb nicht selten entschlossen hätten, es den Männern im Kampfe gleich zu tun. Vielleicht ließe sich hieraus die Erklärung dafür finden, daß die Massageten von einer Königin beherrscht wurde. Greise duldete man nicht. Sie nützten nichts im Kriege und halfen nur die Nahrung vermindern. Deshalb war es Brauch, sie zu schlachten und zu verzehren. So konnten sie wenigstens noch durch ihren Tod dem Stamm nützen.

Das Abscheulichste war aber das Liebesleben des arg verrohten Volkes. Eine Ehe, die diesen Namen auch nur einigermaßen verdient hätte, gab es nicht; es herrschte vielmehr die unbedingteste Geschlechtsgemeinschaft. Wo ein Mann ein Weib traf, das ihn gerade reizte, da legte er die schweren Waffen nieder und vereinigte sich mit der Holden auf offener Straße. Ob dieser Akt sich vor einer Anzahl von Zuschauern vollzog, das galt völlig gleich; es war eine durchaus natürliche Sache, und niemand war der Ansicht, daß er etwas so Selbstverständliches vor den Augen der Andern verbergen müsse. Das war ein Gedanke, den ja auch einige griechische Philosophen auf Grund reiflichen Nachdenkens gefaßt hatten. Man nannte diese Philosophengruppe deshalb die Cyniker, ein Wort, das von dem griechischen Namen des Hundes = Küon gebildet wurde und besagen sollte, daß die Gelehrten lebten wie die verachteten Hunde, die ja auch für unrein galten, weil sie auf offener Straße ihren sexuellen Gefühlen freien Lauf ließen. Bei den Massageten war aber die Philosophie keineswegs entwickelt; man gab sich nicht die Mühe, über philosophische Ideen oder sonstige philosophische Probleme nachzudenken, sondern handelte aus natürlicher Roheit. Das ist aber schließlich ebenso gut eine Entschuldigung wie ein Vorwurf, jedenfalls dann eine Entschuldigung, die jene Leute keineswegs sympathisch erscheinen läßt.

Sicherlich ist ein gewaltiger Unterschied zwischen den Dapsolybern und den Massageten, aber der Zusammenhang ist doch im Punkte des Liebeslebens unverkennbar da, daß offenbar bei beiden eine Geschlechtsgemeinschaft bestanden hat, die bei den Massageten dauernd als Normalzustand herrschte, während sie bei den Dapsolybern, falls ich den oben zitierten literarischen Erguß richtig interpretiert habe, aber nur periodisch auftrat. Ich will es auch hier völlig dahingestellt lassen, was vom Standpunkte der Moral als das Schlimmere zu gelten hat, denn in der Tat kann man wohl sagen, daß ein Volk, das eine rechte Ehe kennt, schlimmer handelt, wenn es diese gelegentlich verletzt, als ein Volk, das überhaupt keine andere Geschlechtsgemeinschaft kennt als die unbedingteste Gemeinschaftsehe, sofern man dabei das Wort Ehe nun einmal anwenden will.

Auch die Garamantes, ein großes Volk, das in Libyen hauste, standen nicht viel höher als das Volk der Massageten, dafür scheinen sie aber auf einer noch etwas tieferen Kulturstufe gestanden zu haben. Herodot berichtet, daß diese Menschen, die im Lande „Phazania“ lebten, halb oder selbst ganz Wilde gewesen seien. Nicht einmal bis zu wirklichen und menschenwürdigen Wohnräumen hätten sie es gebracht, sondern sie bewohnten Höhlen und ähnliche Schlupfwinkel und lebten ähnlich wie die Tiere. Die Kleidung dieser Leute sei liederlich und schäbig gewesen und überhaupt kaum als eine wirkliche Kleidung anzusehen. Es läßt sich schon nach dieser Schilderung nicht annehmen, daß die Eheverhältnisse und das Liebesleben der Garamanten besonders hoch entwickelt gewesen seien, denn je höher die Kultur, desto idealer pflegt auch das Liebesleben zu sein. Nach Tiraquell gab es bei den Garamanten nur eine Gruppenehe, d. h. Männer und Weiber lebten untereinander in Gemeinschaft. Ich kann allerdings nicht sagen, ob die intimeren Liebesakte sich ebenso öffentlich abgespielt haben wie bei den Massageten; vielleicht ist es in dieser Beziehung etwas manierlicher zugegangen, weil die Garamanten weniger roh und weniger verwildert waren; aber da die allgemeinste Geschlechtsgemeinschaft bestand, wird es ja wohl auch etwas anders zugegangen sein als da, wo Europas übertünchte Höflichkeit sich darüber streitet, ob das, was schamverletzend sei, ohne unzüchtig zu sein, doch in Schrift und Bild von der Öffentlichkeit streng entfernt werden müsse. Ich meine, die Garamantes werden sich nicht die Köpfe darüber zerbrochen haben, ob das, was sie in ihrem Liebesleben mehr oder weniger öffentlich taten, unzüchtig oder schamverletzend sei, sondern sie haben über alle diese Dinge mit der Naivität einfacher Naturmenschen höchst wahrscheinlich — gar nicht nachgedacht.

Tiraquell hebt noch ein Moment hervor, daß mir nicht unwesentlich erscheint; nämlich die Familienangehörigkeit der einzelnen Personen. Es ist zwar eigentlich einleuchtend, daß bei einer absoluten Geschlechtsgemeinschaft von einer Familie nicht die Rede sein kann, weil die Familienbildung schon die allgemeine Geschlechtsgemeinschaft ausschließt; aber es soll auch bei den Garamantes und bei anderen Völkern des orientalischen Altertums, auf die ich noch etwas weiter eingehen will, doch eine Art Vaterrecht gegeben haben. Zunächst konnte natürlich, wenn ein Weib in die Lage kam, die Zahl der Stammesmitglieder zu vermehren, kein Mensch wissen, welchem von den Männern des ganzen Stammes die Ehre der Vaterschaft zuzubilligen sei. Man habe, so behauptet Tiraquell, die Kinder bis zu deren 5 Jahre auf gemeinsame Kosten erzogen und sie einfach als Angehörige des Stammes betrachtet. Dann aber habe man Umschau gehalten, ob so ein Kind etwa einem einzelnen Manne besonders ähnele. Sei eine solche auffallende Ähnlichkeit festgestellt worden, dann habe der Mann, der auf diese einfache Methode als der Vater ermittelt worden sei, sich des Kindes angenommen und es völlig groß gezogen. Es ist möglich, daß an dieser Behauptung etwas Wahres ist, denn eigentlich ist die Methode gar nicht so übel. Würde man sie überall anwenden, um den Vater zu finden, wo er sich aus bestimmten Gründen nicht gern finden läßt, weil die Sache zuweilen doch mit nicht gerade erwünschten Kosten verknüpft ist, so würde sich vielleicht bei uns jeder Junggeselle, der moralisch nicht völlig mit dem Joseph übereinstimmt, den die Geschichte den Keuschen nennt, möglichst bemühen, sein Exterieur immer und immer wieder zu verändern, und trotzdem wäre unseren Gerichten noch die größte Gefahr bereitet, Fehlsprüche abzugeben und Männer zu Alimenten zu verurteilen, die nichts weiter verbrochen hätten, als daß sie nach der Ansicht irgend eines Sachverständigen eine gewisse Ähnlichkeit mit einem unehelichen Kinde aufzuweisen hätten. Das würde vielleicht noch schlimmer sein als die Geschichte mit den Schreibsachverständigen, die doch schon so unendlich oft ihrer unrichtigen Gutachten überführt worden sind, und gleichwohl kommt es immer wieder vor, daß Gerichte auf solch ein Gutachten hin die Verurteilung selbst unbescholtener Personen aussprechen. Da hatte Napoleon einen bessern Blick, als er das Suchen nach dem unehelichen Vater ein für allemal gesetzlich untersagte. Na, das ist ja nun aber schließlich Sache der Garamanten gewesen. Ich will hier noch ein Volk beleuchten, dessen Herodot (lib. 4, § 123) Erwähnung tut; das Volk der Giodaner. Diese Völkerschaft lebte in Libyen und hat wohl mit den bisher besprochenen Völkern das übereinstimmend gehabt, daß Kultur und Moral ebenfalls auf einer sehr niedrigen Stufe standen. Die Weiber, die in keiner besonderen Ehe lebten, sondern für alle Männer gemeinschaftlich da waren, wie auch jedes Weib wieder Anspruch an alle Männer hatte, wurden von den Männern auserwählt, und hielten es für eine große und besondere Ehre, möglichst vielen Männern so gut zu gefallen, daß diese der Liebe letzte und liebste Gunst begehrten. Da dieses Vielverlangtwerden aber nun einmal die höchste Ehre war, die einem Weibe widerfahren konnte, war man bemüht, diese Ehre auch nach Möglichkeit zur Schau zu tragen, und man verfiel auf eine eigenartige Idee. Die Weiber trugen zottige Röcke, die wohl aus Pelzwerk gefertigt gewesen zu sein scheinen. Wenn ein Mann nun eines Weibes begehrte, machte er ihr einen deutlich sichtbaren Knoten in den Rock, d. h., es wird wohl in das Pelzwerk ein Knoten geschürzt worden sein, da der Rock selbst zu diesem Zwecke sich wohl sehr wenig geeignet haben dürfte. An der Zahl der Knoten ließ sich nun erkennen, welcher Anzahl von Männern die betreffende Frau den Liebesdienst erwiesen hatte. Ich bin allerdings nicht darüber unterrichtet, ob jeder Mann nur einen Knoten machen durfte, oder ob es ihm freistand, bei jedem Besuche einen neuen zu schürzen, nehme aber das letztere schon deshalb an, weil es ein zu gutes Gedächtnis verlangt hätte, wäre immer nur ein einziger Knoten erlaubt gewesen, denn die Männer werden sich doch schwerlich jedes ihrer Liebesabenteuer genau gemerkt haben, ebenso wenig aber wohl die Personen, mit denen sie es erlebt hatten. Es mag nun aber auch dabei noch eine hohe Ehre für eine Frau gewesen sein, einen total mit Knoten übersäten Rock tragen zu dürfen, fast so wie bei uns die Männer die zahlreichen Orden, die ihre Brust schmücken, mit Stolz zur Schau tragen, wenn auch nicht wenige davon noch leichter verdient sind als die Knoten, die den Giodanerfrauen in die Röcke geschürzt wurden.



Unter den Völkern, die in Geschlechtsgemeinschaft lebten, nennen die alten Schriftsteller auch die Brachmanen. Das macht nun allerdings die Angaben im allgemeinen zweifelhaft. Über die Massageten und Garamanter läßt sich ja freilich der Nachweis ihres absurden Liebeslebens führen; mit den Brachmanen aber scheint die Sache doch nicht zu stimmen. Diese wohnten allerdings auch in einer sehr weit vom Gebiet der andern entfernten Gegend, und wurden ihrer Eigenart wegen schon von alten griechischen Schriftstellern vielfach erwähnt. Sie sind vor allen Dingen in Wirklichkeit kein Volk, sondern nur eine Sekte gewesen, die bei den Hindus in großem Ansehen stand und es sich auch gewiß nicht leicht werden ließ, dieses Ansehen zu erringen. Der Weg, der zu Ruhm und Ehren führte, war für sie etwa derselbe, den die überspanntesten christlichen Asketen später wandelten, d. h. sie verbrachten ihre Zeit mit Bußübungen. Diese Übungen aber waren nichts als die furchtbarste Selbstpeinigung. Wer sich die größten Qualen auferlegte und seinen Leib zermarterte, der galt als der Größte unter ihnen, und da nach diesem Ruhme alle trachteten, läßt sich ungefähr ermessen, welche Leiden sich jeder auferlegte. So etwas hat die profane Menge stets bewundert; bei den Hindus war aber die Achtung vor der Heiligkeit der Brachmanen so gewaltig, daß diese sogar den Herrschern als Ratgeber stets willkommen waren.

Das hat freilich wohl auch noch eine andere Ursache gehabt, denn die Brachmanen waren nicht bloß Asketen in des Wortes grausamster Bedeutung, sondern sie waren auch gelehrte Philosophen, die aus den Sternen zu lesen vermochten, was das Geschick jedem Menschen vorbehielte. Sie waren Astronomen und mehr wohl noch Astrologen, die die Kunst des Wahrsagens verstanden und eine religiöse Geheimlehre besaßen, die es ihnen allein gestattete, das Licht der Wahrheit, also die höchste Gottheit, zu sehen. Die Brachmanen lebten äußerst dürftig, hielten sich in den Wäldern auf und gingen völlig nackt einher. Das erregte damals durchaus kein Ärgernis. Wenn diese Sekte als ein Volk geschildert wird, so liegt dies wohl daran, daß es trotz des schweren, qualvollen und freudearmen Lebens dieser Männer doch zahllose Mitglieder der Sekte gegeben haben soll. Die Schüler waren verpflichtet, 37 Jahre der Sekte anzugehören, und während dieser ganzen Zeit die Selbstmarter zu betreiben.

Es erscheint danach kaum denkbar, daß auch diese Leute gemeinsame Weiber gehabt haben sollten, denn offenbar ist doch bei einem Asketenleben kein Raum für Weiber und die Freuden der Liebe und Ehe. Es ist aber gleichwohl von allen, die uns über jene seltsamen Menschen Kunde bringen, betont, daß die Brachmanen, wenn sie 37 Jahre „aktiv“ gewesen waren, in eine Art Ruhestand traten, bei dem es ihnen auch erlaubt war, Weiber zu nehmen. Daß ein 37 jähriger Peinigungszustand den Männern die Lust zu Liebe und Ehe nicht zu vertreiben vermochte, das läßt allerdings darauf schließen, daß ihre Herzen von recht dauerhaften und unverwüstlichen Empfindungen beseelt gewesen sein müssen. Hat nun aber die lange Zeit des Leidens nicht die sexuellen Regungen zu erdrücken vermocht, dann ist auch die Wahrscheinlichkeit oder doch wenigstens Möglichkeit vorhanden, daß es bei den „ausgedienten“ Sektierern auch eine Weibergemeinschaft gegeben haben kann, die jedenfalls nicht als unsittlich empfunden und gedacht war, sondern vielleicht nur den Zweck hatte, den Heiligen Nachkommen zu sichern. Jedenfalls hat im Altertum weder die Gelehrsamkeit noch die besondere Heiligkeit in allen Fällen dahin geführt, die Weibergemeinschaft als etwas Verwerfliches zu betrachten. Sie resultierte vielmehr auch bei höher kultivierten Menschen aus der Stellung der Frau im allgemeinen und teilweise sogar aus der besonderen Erwägung, daß es sittlicher und eines ernsten Mannes würdiger sei, sich nicht an eine bestimmte Frau zu ketten, sondern nur aus Opportunitätsgründen, d. h. aus Gründen des öffentlichen Wohles, dafür zu sorgen, daß das Geschlecht der Menschen nicht aussterbe. Das war im wesentlichen der Gedankengang, der auch griechische Philosophen auf die Theorie brachte, daß eine Weibergemeinschaft eigentlich das würdigste Verhältnis für den Mann sei. Vielleicht sind die Brachmanen weiter gegangen und haben diese Theorie zur Praxis erhoben. Es ist aber wohl auch die Wahrscheinlichkeit, daß die Berichte des Altertums nicht besonders zuverlässig waren, nicht zu übersehen. Jedenfalls sind die Brachmanen des Altertums nichts anderes gewesen als die Brahmanen, die ja jetzt noch existieren, ihren Lebenswandel allerdings im Laufe der Jahrhunderte wesentlich geändert haben werden, ebenso wie die Moralanschauungen.

Unter den alten Völkern, denen die allgemeine Geschlechtsgemeinschaft nachgesagt wurde, sind auch die Troglodyten genannt. Das Wort läßt schon seiner ursprünglichen Bedeutung nach auf eine nicht gerade hohe Kulturstufe schließen, denn Troglodyten heißt eigentlich nichts als Höhlenbewohner; es würde also auf alle Völker zutreffen, die nicht genügend fortgeschritten waren, um sich ihre Wohnungen zu erbauen, die sich deshalb auf Höhlen und ähnliche von der Natur gelieferte, mietsfreie Behausungen beschränken. In diesem Allgemeinsinn ist das Wort auch auf eine ganze Reihe unkultivierter Völker angewendet worden. Wenn also noch ein Volksstamm besonders als Troglodyten bezeichnet wurde, so beweist dies, daß dieser Stamm erst recht als unkultiviert galt. Das war auch durchaus zutreffend. Das Land Troglodytica, das diese Höhlenmenschen beherbergte, zog sich an der Abessinischen Küste hin. Das Volk war halbverwildert, und es ist wohl kaum zu bestreiten, daß dort wirklich die Geschlechtsgemeinschaft allgemein herrschte. Jedenfalls hat es dann auch keine gesonderten Höhlenwohnungen gegeben, sondern wenn ein solcher Schlupfwinkel gefunden wurde, stand er allen zur Verfügung, und in diesem Loche erfreute sich die Gesellschaft ihres Lebens und ihrer Liebe.

Nicht viel besser waren die Tyrrhener oder Tyrsaner, die geschichtlich schon vor dem trojanischen Kriege bekannt waren. Dies Volk war schon im hohen Altertum von den Nachbarvölkern gehaßt und befeindet und soll vor dem trojanischen Kriege aus seiner damaligen Heimat Thessalien vertrieben worden sein und sich dann nach Attika geflüchtet haben. Auch dort wurden diese Barbaren nicht geduldet, sondern überfallen und in alle Welt zerstreut. So gab es denn zahlreiche Kolonien, besonders auf Lemnos und der thracischen Küste. Die Tyrrhener waren nicht bloß wegen ihres wüsten Liebeslebens und ihrer üblen Sitten verhaßt, sondern teilweise auch gefürchtet, weil sie das Mein und Dein nicht nur in bezug auf ihre Weiber nicht zu unterscheiden vermochten, sondern weil sie diese Rechtsbegriffe auch im allgemeinen nicht mit genügender Klarheit auseinanderhalten konnten. Die meisten Kolonien waren verrufene Seeräubernester, die dem griechischen Handel sehr gefährlich wurden. Die Männer waren kühn bis zur Verwegenheit, und da sie das Meer als ihre Heimat betrachteten, mußten sie natürlich auch als Räuber zur See große Erfolge erringen können. Wie die gefürchteten Wikinger im Norden unsere deutschen Lande gefährdeten und sich mit ihren Schiffen dem Laufe der Ströme folgend auf Raubzüge bis ins Innere des Festlandes wagten, so waren die Tyrrhener in ihrer kühnen Wildheit eine Geißel für den griechischen Handel. Daß dieses Volk sich nicht an bestimmte Ehegesetze fesselte, sondern daß alle Männer mit allen Weibern verkehrten, wie sie gerade Lust hatten, ist gewiß nicht der schlimmste Vorwurf, der ihnen mit Recht gemacht werden durfte. Viel auszurichten war ohnehin gegen die Gesellschaft nicht, die sich im Falle eines Raubzuges stets schnell in Sicherheit zu bringen wußte und den Feinden doch wieder viel zu schaffen machte, ehe sie recht entdeckt werden konnte. Die Eigenart des Landes begünstigte das Seeräuberhandwerk in hohem Maße. Das Hauptgebirge, der Hämus, bot viele Schlupfwinkel, und der Scomius, der sich im Südwesten an dieses Gebirge anschloss und einzelne Zweige als Vorgebirge bis ins Meer erstreckte, ließ eine erfolgreiche Überrumpelung von der See her überhaupt nicht zu, gestattete es vielmehr der Seeräuberflotte, sich zu verbergen und plötzlich über nahende Feinde herzufallen. Wild wie die Natur, war auch der Volksstamm, der sie bewohnte und dort ein Leben führte, das alles andere eher war, als ein geordnetes und gesittetes Staatsleben.



Ebenso wie die Griechen unter den Troglodyten Menschen verstanden, die ihnen als entsetzliche Barbaren erschienen, weil sie auf so niederer Kulturstufe standen, daß sie sich keine Wohnungen bauen konnten, nannte das hochgebildete Griechenvolk die unkultivierten Bewohner verschiedener Meeresküsten Ichthyophagen. Das heißt zwar nur Fischesser und würde für heutige Begriffe nicht auf Barbarismus schließen lassen, weil wir die volkswirtschaftliche Bedeutung der Seefischkost kennen und würdigen gelernt haben. Im Altertum freilich dachte man hierüber wesentlich anders, da war das Wort Ichtyophage der Ausdruck großer Verachtung und deutete eine Kulturstufe an, die der etwa gleich ist, die wir den Menschenfressern zutrauen. Ichtyophagen gab es natürlich nur in den Küstenländern, das ist schon in der Natur der Sache begründet, denn Flussfische als Nahrung kamen nicht in Betracht. Den Griechen waren die Küstengebiete der Ichthyophagen nicht besonders bekannt, und die Völker ebenfalls nicht, denn es lohnte sich für sie nicht, jene Gegenden, in denen ja weder für den Handel Schätze noch für den Verkehr Vorteile zu haben waren, genauer zu durchforschen; das, was sie aber von diesen Barbaren kennen gelernt hatten, war nicht geeignet, sie mit besonderer Hochachtung zu erfüllen. Die bekanntesten waren die äthiopischen Ichthyophagen, die im äußersten Osten die Küsten der südlichen Meere bewohnten. Von diesen war die genaueste Kunde bis nach Griechenland gelangt. Es ist ja nun freilich die Frage, ob es wahr ist, daß diese guten Leutchen ausschließlich sich von Fischkost nährten; angenommen wurde es jedenfalls. Das wäre nun aber wohl noch nicht ausreichend für die allgemeine Beurteilung gewesen. Das Volk war auch sonst als roh und barbarisch bekannt. Das Liebesleben dieser Küstenbewohner war auf den einfachsten Instinkten aufgebaut. Es gab überhaupt keine bestimmte Form, in die der Verkehr der Geschlechter gezwungen gewesen wäre. Die unkultivierten Leute kannten keine Ehe, wohl auch nicht die Liebe in ihrer poetischen Gestalt, die das Leben veredelt, und den Sinn für weitere Entwickelung und das Streben nach Vervollkommnung weckt, sondern es war ihnen nichts zum Bewußtsein gekommen als der Trieb der Erhaltung der Art, d. h., die Notwendigkeit der Fortpflanzung, also der rein animalische Instinkt. Dabei kam es ihnen, ebenso wie allen Völkern, bei denen die allgemeine Geschlechtsgemeinschaft bestand, nicht darauf an, wer sich an der Erreichung dieses Zieles beteiligte, sondern es blieb der augenblicklichen Laune und Neigung von Mann und Weib überlassen, ob sie sich zu einem gelegentlichen Begattungsakte entschließen wollten, aus dem für keinen der Beteiligten irgend welche Rechte und Pflichten entstanden.

Diese primitive Ausgestaltung des Liebeslebens war für die hochkultivierten Griechen und überhaupt für die gebildeteren Völker des Altertums ein Greuel, obwohl man doch im allgemeinen an die Sittlichkeit durchaus keine hohen Ansprüche stellte und gar nichts so bedenkliches darin fand, wenn „in Venere“ exzediert wurde. Im Gegenteil, gerade die hochgebildeten Völker hätten für eine Enthaltsamkeit so gut wie kein Verständnis besessen, sondern den keuschen Joseph für ein Muster von Dummheit und Unverstand gehalten. Das zeigt sich nicht bloß in der Mythologie, sondern im ganzen öffentlichen Leben des sogenannten klassischen Altertums. Man war weder prüde, noch ein Verächter des Vergnügens, sondern liebte es sehr, wie der Schmetterling von allen Blüten zu naschen, mochten es auch verbotene Früchte sein, nach denen man griff; im Gegenteil das Verbotene reizt bekanntlich viel mehr als das Erlaubte. Es war aber als ein Beweis wüstester Barbarei verhaßt, wenn das Liebesleben so wenig ausgebildet war, daß es eben verbotene Früchte gar nicht mehr geben konnte, weil einfach alles erlaubt war. Weder Rücksichten auf Verwandtschaft konnte es bei einer allgemeinen Geschlechtsgemeinschaft geben, noch eine Pietät, die doch von den Alten sonst viel mehr in Ehren gehalten wurde als in unserer Zeit. Wer kannte denn überhaupt bei den Barbaren seine Verwandtschaftsgrade? Es wußte doch niemand anzugeben, wer sein Vater, wer sein Kind war, und eine allgemeine Verwandtschaft mußte man selbst da annehmen, wo man den oben geschilderten geistreichen Gedanken ausgeheckt hatte, daß die Ähnlichkeit eines Kindes mit irgend einem Manne dessen Vaterschaft beweisen sollte. In der Tat kann es für einen gesitteten und gebildeten Menschen kein abscheulicheres Liebesleben geben als die unbedingte Geschlechtsgemeinschaft des ganzen Stammes.

Im ganzen Orient war das Liebesleben wenn man so sagen darf, überhaupt erst das eigentliche Leben, der eigentliche Lebenszweck bestand beinahe darin, die Freuden der Liebe zu genießen und alles diesem Genuß hintanzustellen. Das war ja wohl bei der Geschlechtsgemeinschaft auch nicht anders; der Unterschied bestand aber darin, daß die höher kultivierten Völker die Weiber, die sie für sich nahmen, auch absolut für sich allein haben und niemals mit einem anderen Manne teilen wollten. Deshalb erfolgte der strenge Abschluß des Harems, und wo es weder den Harem noch die Vielweiberei gab, hielt doch jeder Mann sein Haus rein, die Frau von andern Männern fern. Keine Regel ohne Ausnahme. Hier ist die Ausnahme, die schon früher erwähnte Idee, die Frauen sich gegenseitig auszuleihen. Wir haben eine ähnliche Erscheinung auch im deutschen Altertum zu verzeichnen. Es handelt sich da um die sog. Ehehelferschaft, die allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich war, aber doch — und das ist gerade der springende Punkt — vorkam. Ich werde auf diesen Punkt gelegentlich noch zurückkommen.

Von den alten Babyloniern, die alles andere viel eher waren als Sittlichkeitsfexe, wurde nach Herodot eine sehr sinnreiche Verheiratungsmethode geübt, die vor allen Dingen dahin abzielte, alle Jungfrauen zu versorgen und nicht bloß die schönsten, sondern auch die häßlichen an den Mann zu bringen. Es sollen da alljährlich einmal alle heiratsfähigen Töchter versammelt worden sein. Man suchte dann die schönsten aus und bot sie für Geld aus, d. h. es wurde eine Art Auktion veranstaltet; wer am meisten zahlte, der erhielt die Schönheit als Eigentum und konnte sie in sein Heim führen. Je nach dem Grade der Schönheit waren natürlich auch die Gebote verschieden, und es kam dann schließlich soweit, daß für die mit weniger Reizen ausgestatteten Töchter niemand mehr etwas bieten mochte. Damit war aber die Auktion noch nicht beendet; sie wurde im Gegenteil nun erst interessant. Die schönsten Mädchen hatte man sicherlich mit Neid in die Hände der „Beati possidentes“ übergehen sehen. Wenn die Angebote recht hoch ausgefallen waren, so hatte man doch wenigstens den schönsten Trost, daß die glücklichen Erwerber immerhin ihren Sieg teuer bezahlen mußten, und daß diese Summen nun anderen zufließen würden. Das, was durch den Verkauf der Schönheiten erlöst worden war, das floß nämlich weder in die Taschen der Verkauften, noch in die von deren Eltern, sondern diente dazu, die Hässlicheren, die ja auch auf die Freuden der Liebe nicht verzichten wollten und sollten, anzubringen. Es wurde nämlich nochmals sortiert und festgestellt, welche von den noch zu vergebenden Jungfrauen die hässlichsten, und welche minder hässlich waren. Die Hässlichsten erhielten das Geld, das für die Schönsten erlöst worden war, und die minder Häßlichen erhielten das, was für die minder Schönen erzielt worden war. Wenn nun erst für die schönsten Mädchen große Summen geboten waren, weil die reichen Männer in ihrer Leidenschaftlichkeit für den Besitz solcher auserlesener Weiber kein Opfer scheuten, so war nun die Sache gerade umgekehrt, die, für die niemand mehr etwas geboten hatte, fanden Männer, weil diese dafür, daß sie ein solches Weib erwählten, das Geld erhielten, das diesem aus dem Auktionserlös zugefallen war, so daß nun eigentlich die Männer gekauft wurden, wobei die, die an die Schönheit ihres neuen Weibes die niedrigsten Ansprüche stellten, das meiste Geld erhielten. Ein Zeichen, daß man im alten Babylon äußerst praktisch dachte und sich durch Geld über das Glück anderer in der Liebe zu trösten wußte.



Jedenfalls zeigt dieser Brauch aber, daß die Weiber eigentlich nichts waren als ein Handelsobjekt, daß sie eine eigene Wahl des Gatten nicht treffen konnten, sondern dem Manne angehören mußten, der sie verlangte, bezahlte oder sich auch dafür bezahlen ließ, daß er das Weib zu sich nehmen wollte. Letzteres kommt ja auch wo anders vor und ist immer ein beliebtes Mittel, einen Mann zu erhalten, der Geld zu schätzen weiß, und zwar in so hohem Grade, daß er dafür auch eine Gattin mit in den Kauf nimmt, die doch nun einmal die einzige Bedingung ist, unter der das Geld zu erlangen ist. Freilich so deutlich wie im alten Babylon werden die Herren Mitgiftjäger ihr „berechtigtes Interesse“ öffentlich nicht gleich betonen.

Nach Strabo hat bei einem indischen Volksstamm, den er Taxilli nennt, ein Brauch bestanden, durch den der Vater einer heiratsfähigen Tochter sich mehr oder weniger leicht einen Schwiegersohn verschaffen und dabei, wenn das Mädchen schön genug war, auch ein ganz gutes Geschäft machen konnte. Der Vater nahm seine Tochter, wenn er glaubte, daß sie zum Heiraten reif sei, wohl geschmückt mit auf den Markt, ließ die Trommeln rühren, damit die Leute aufmerksam wurden und in genügender Menge erschienen und bot dann die Tochter aus. Da die Taxilli aber sehr praktische Leute waren, die nicht gern die Katze im Sacke kauften, so begnügte man sich nicht damit, daß der Vater die Vorzüge seines Kindes in grellen Farben schilderte, sondern man wollte sehen, ob es sich auch wirklich lohne, das Mädchen zur Ehe zu nehmen. Das Gesicht mochte noch so schön sein, was half es? Auch die Schönheit vergeht, und ein schönes Gesicht beweist doch noch lange nicht, daß auch der Körper schön und ohne Fehler sein müsse, und ein schönes Gesicht allein kann den Mann nicht glücklich machen und eine Frau nicht begehrenswert, wenn der Körper etwa Fehler aufzuweisen hat, die auch das schönste Gesicht nicht aufzuwiegen vermag. Vor allen Dingen war es nach der Ansicht der Taxilli nicht mehr als recht und billig, daß man ein fremdes Weib, das man sich aussuchen und behalten sollte, allermindestens doch ganz angesehen haben müsse. So wurde dann, wenn sich genügend viele Interessenten auf dem Markte versammelt hatten, die Vorstellung eröffnet. Das Mädchen drehte zunächst den Schaulustigen den Rücken zu und hob dann die Kleidung bis zu den Schultern hoch, so daß der Körper in seiner Gesamterscheinung den Blicken der Männer freigegeben war. In dieser Stellung verharrte die Schöne eine ganze Weile, bis sich annehmen ließ, daß die Beschauer nunmehr ihre Studien mit der genügenden Gründlichkeit beendet haben könnten. Das Mädchen drehte sich dann herum und enthüllte wiederum durch Hochheben des Kleides die Vorderansicht des Körpers. Das soll in der Regel den gewünschten Erfolg gehabt und die anwesenden Männer bewogen haben, den Vater um Überlassung der Schönen zu bitten. Da natürlich die Stärke des Wunsches, die Tochter zu besitzen, in erster Linie von deren Körperschönheit abhing, versteht es sich von selbst, daß die Sache für den Vater umso angenehmer gewesen sein muß, je schöner die Tochter war, denn in diesem Falle wurde natürlich dem die meiste Aussicht, seine Wünsche erfüllt zu sehen, der seine Bitte durch den stärksten „Metallzusatz“ zu unterstützen vermochte. So wurde der Vater nicht nur die Tochter los, sondern er erhielt auch noch ein schönes Stück Geld. Das ist sicherlich ein weit angenehmeres Los als das, was heutigen Tages den Vater, der eine Tochter zu verheiraten hat, zu treffen pflegt. Er muß dabei recht energisch in den Beutel greifen und außer der standesgemäßen Ausstattung meist auch noch eine möglichst reich bemessene Mitgift geben, und doch wird das wohl jeder Vater der Taxilli-Sitte vorziehen.

Die Szene, die Strabo beschreibt, erinnert lebhaft an die Sklavenmärkte, bei denen die zu verkaufenden Sklaven und besonders die Sklavinnen ebenfalls nackt den Kauflustigen vorgestellt wurden. Das war auch ganz bestimmt die beste Anpreisung, die jemals gegeben werden konnte, vorausgesetzt natürlich, daß die Menschenware körperlich einwandsfrei war. Daß die Sklavinnen nicht sittlich als unantastbar galten, ist bekannt, gerade das nackte Vorstellen zielte in erster Linie dahin, daß sie außer zu schweren Arbeiten auch dazu Verwendung finden sollten, die sinnlichen Gelüste ihrer Käufer zu befriedigen. Auch darin herrschte volle Übereinstimmung mit der von Strabo geschilderten Verheiratungsmethode der Taxilli.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Liebesleben im Orient