Abend und Morgen

Abend und Morgen.

So grundverschieden die einzelnen Völker des Orients in ihrem Charakter sind, so verschieden das deutsche Volk von seinen Nachbarvölkern ist, so unberechtigt würde es sein, scharfe Gegensätze zwischen Abendländern und Morgenländern in der großen Allgemeinheit dieser Begriffe aufzustellen. Ich will also zunächst den Unterschied zwischen uns Deutschen und dem orientalischen Muselmann im engeren Sinne beleuchten.


Es mag hier nochmals betont werden, daß sowohl unsere Vorfahren wie auch die Ureinwohner des Orients vom Kaukasus ausgewandert sind. Man dürfte hiernach annehmen, daß eine erkennbare Stammesverwandtschaft vorhanden sein müsse. Demgegenüber ist aber zu berücksichtigen, daß der orientalische Muselmann der Hauptzahl nach semitischer Rasse ist, während wir Deutsche arischen Stammes sind, daß wir also mit den Persern und Indern viel eher gleiches Blut haben könnten, als mit den semitischen Stämmen, die durch die Bewegung der Bevölkerung sich mehr und mehr ausgebreitet haben. Selbst die gemeinsame Herkunft würde aber auch völlig außer Acht bleiben dürfen, weil unter ganz verschiedenen Lebensbedingungen, unter großen klimatischen Unterschieden sich auch grundverschiedene Charaktere und Lebensauffassungen herausbilden. Ganz besonders gilt dies auch in bezug auf das Liebesleben.



Es zeigt sich dieser Unterschied schon in der alten deutschen Literatur. In unseren alten Heldenliedern, so im „König Rother“, besonders im „Ortnit“ erkämpfen deutsche resp. lombardische Helden sich morgenländische Frauen. Im Ortnit läßt sich die Jungfrau als Christin taufen und erhält den Namen Sidral. Es wird aber gerade dabei die orientalische Charakterart der Braut besonders herausgehoben und gesagt, daß sie erst einen regelrechten Unterricht in deutscher Tugend, besonders in der Freigiebigkeit, habe erhalten müssen.

Ich habe schon im vorigen Kapitel kurz darauf hingewiesen, daß die Poesie unseres Volkes und der Orientalen der Art nach verschieden war und noch ist. Vilmar sagt über die alte deutsche Dichtung u. a.: „Und dieser Grundton, zu singen Leid aus Freude, ist der Grundton des germanischen Lebens, ist die reine Stimmung des deutschen Herzens, durch welches, wie kaum durch das Herz irgend eines anderen Volkes, das Bewußtsein der Vergänglichkeit, das leise Beben der Todesahnung hindurchzittert. Und wie könnte dies anders sein bei einem Volke, welches mit der Natur und ihrem Leben auf das innigste und geheimste verwachsen ist? Die Stimme der Natur aber, die aus den sprossenden Keimen und heiteren Blumen des Frühlings, wie aus den welkenden Halmen und fallenden Blättern des Herbstes, die aus dem kommenden Tage wie aus dem scheidenden zu uns redet, ist die Stimme der Vergänglichkeit und des Todes für den, die den innersten Sinn der Natur begriffen hat, wie diesem Bewußtsein der größte der neueren Dichter, Rückert, in seinem Gedichte von der sterbenden Blume Worte ergreifender Wahrheit geliehen hat. Ja in den ältesten Zeiten war das Naturgefühl des deutschen Volkes ein Gefühl des Grauens vor der Natur und deren erbarmungsloser Zerstörung, seine Naturpoesie eine Poesie des glühenden Naturgenusses auf der einen, der tiefsten Naturschrecken auf der andern Seite, in starrer, furchtbarer Erhabenheit .... Unsere Naturpoesie ist eine Poesie des Todes.“

Wie anders die orientalische Poesie, die eine Poesie des leichten, sorglosen Lebensgenusses, der girrenden Liebeslust oder — der blutigen Grausamkeit ist. Das Leben in der Natur ist den Orientalen nicht in dem Maße eigen wie den deutschen Stämmen, und die orientalischen Stämme, die mit der Natur eng vertraut sind, denen erzählt die Natur andere Weisen als in unserem strengeren Klima, das allerdings viel eher das Werden und Vergehen aneinander kettet. Auf den Zug blutiger Grausamkeit, der auf das Liebesleben nicht ohne erheblichen Einfluß bleiben konnte, gehe ich sofort noch ausführlich ein. Ich will zunächst nur noch auf das, was im poetischen Empfinden die so verschiedenen Volkscharaktere eint, hinweisen. Ich meine jenen phantastischen Zug, der es in älteren Dichtungen liebte, die Welt mit furchtbaren Ungetümen und Ungeheuern, flammenspeienden Drachen usw. sich bevölkert zu denken, gegen die kühne Helden in Not und Drang kämpften.

Dinge, die in allen alten Sagen fast aller Völker so regelmäßig wiederkehren wie gerade diese Drachen und sonstigen Ungeheuer, sind niemals frei erfundene Vorstellungen, sondern gründen sich auf altüberlieferte Erinnerungen. Wir haben ja jetzt festgestellt, daß das „vorweltliche“ Mammut durchaus nicht vorweltlich ist, daß es vielmehr noch in einer Periode vorgekommen sein muß, in der bereits Menschen lebten, die doch immerhin eine so hohe Entwicklungsstufe bereits erreicht hatten, daß sie bildliche Darstellungen dieses Riesentieres geben konnten, die jedenfalls auch den Kampf gegen diese Ungeheuer aufgenommen haben. Liegt da nicht die Vermutung nahe, daß auch andere „Vorwelttiere“ noch menschliche Pfade gekreuzt haben können? Gerade der Drache läßt auf irgend eine Saurierart schließen, ebenso der Lindwurm, gegen den die Recken der Heldensage angekämpft, den sie im heißen Kampfe bezwungen haben. Es scheint doch mindestens wahrscheinlich, daß in der Urheimat am Kaukasus am Gestade des Kaspischen Meeres, eine Gegend, die ja solchen Ungeheuern alle Lebensbedingungen erfüllt haben würde, die Menschen noch auf diese alten Zeugen einer früheren Welt gestoßen sein mögen, und daß die Überlieferung die Erinnerung an solche Zusammenstöße wach gehalten hat. Daß diese fürchterlichen Geschöpfe in der lebendigen Phantasie noch mit weiteren Schrecken ausgestattet wurden, ist dabei selbstverständlich. So das Feuerspeien. Gerade mit dem Feueratem hat doch die Poesie auch die durchaus historische Person des deutschen Helden Dietrich von Bern ausgestattet. Daß die Sage dann jene Ungeheuer in die neue Heimat versetzte, ist auch nicht auffallend.

So finden wir die Drachensage im Orient so gut wie in Deutschland, und die Vorstellung dieser Ungetüme weicht bei den sonst so verschieden empfindenden Völkern so wenig von einander ab, daß man nur annehmen kann, bei den Sagen müsse dasselbe Modell zu Grunde liegen. Wir finden gerade im Orient noch jetzt zahlreiche bildliche Darstellungen, in denen die Drachenfigur verherrlicht wird. Schon die chinesischen Banner, die den fliegenden Drachen enthalten, gehören hierher. Daß bei diesem heraldischen Bilde die ursprüngliche Form der Darstellung nicht strenge innegehalten worden ist, tut nichts zur Sache; wir finden ja auch bei uns heraldische Löwen usw., die den Zoologen gewiß weniger befriedigen als den Heraldiker. Wir finden andrerseits auch Götzenbilder, die alles andere eher sind als Schönheitsideale menschlicher Körper, die aber doch zweifellos nach dem menschlichen Bilde modelliert sind. Ich möchte daran erinnern, daß auch die Bibel den Drachen genau so erwähnt wie dies die altbabylonische Mythe in Wort und Bild tut.



Bei uns im Abendland hat natürlich die Einführung des Christentums dem Kult — wenn man so sagen darf — der Drachen ein energisches Veto entgegengeschleudert, nicht aber die Drachensage beseitigt, im Gegenteil, sie ist sogar in den Heiligenkult mit hinübergenommen worden. Der heilige Georg als Drachentöter wird auch heute noch verehrt, und wir finden ihn nicht bloß in Bildern dargestellt, sondern können auch seine plastische Figur, die ihn im Kampfe mit dem Drachen zeigt, an verschiedenen Orten bewundern. Wieviel von der Drachensage auf den Teufelglauben übergegangen ist, das würde interessant sein, nachzuprüfen, wenn es nicht meinem Thema zu fern läge. Hier genügt es, die Übereinstimmung in der Drachensage dargetan zu haben.

Der Orientale, soweit er nicht ein Nomadenleben führt, sondern ansässig ist, gilt für uns als ein wollüstiger, verweichlichter Mensch, der nur im Sinnengenuss schwelgt, der sich sogar die himmlische Seligkeit als die höchste Potenz des ewigen Liebesgenusses vorstellt, für den das Weib nichts ist und sein kann als das Spielzeug seiner Lüste. Der Orientale, der einen wohlbesetzten Harem hält, ist schon dadurch allerdings zu einem intensiveren Liebesleben berechtigt und veranlaßt als der Abendländer, für den es nur die Einzelehe gibt. Es ist dabei aber doch verschiedenes sehr stark zu berücksichtigen. Vor allen Dingen kommt es immer darauf an, was man unter einem Liebesleben verstehen soll. Es ist niemals gesagt, daß die Liebe das Denken und Fühlen eines Mannes, der einen Harem hält, mehr ausfüllen müsse als das des in Einzelehe lebenden Abendländers. Das Liebesleben ist an sich nicht an die Ehe gebunden; es kann sehr wohl ein Mensch, der überhaupt nicht verheiratet ist, ein außerordentlich bewegtes Liebesleben führen, und es kann ein Mann, der den glänzendsten Harem besitzt, doch liebearm durch die Welt gehen. Das Liebesleben eines Menschen, der all sein Fühlen und Denken, sein ganzes Herz nur auf eine Person richtet, wird stets das intensivste sein; ein Haremsbesitzer, der wie der Schmetterling von Blume zu Blume nascht, wird schon deshalb sehr oft von einem Liebesleben kaum noch reden können, weil er sehr bald der Übersättigung verfällt, und es im Liebesleben ebenso geht wie bei anderen Genüssen: das, was im Übermaß gekostet ist und stets zur Verfügung steht, verliert gar bald seinen Reiz. Ich habe hier nur ganz allgemein von Möglichkeiten gesprochen, die ich keineswegs als feststehende Tatsachen betrachten will, und die auch, wie wir weiter sehen werden, auf die Veranlagung sehr vieler Orientalen nicht zutreffen. Vor allen Dingen sind nicht alle Orientalen Harembesitzer, sondern nur einige, dann darf man aber den Orientalen nicht mit einem philiströsen Moralfex des Abendlandes vergleichen wollen. Wir werden weiter sehen, daß der Harem in Wirklichkeit auch durchaus etwas anderes ist, als der Nichteingeweihte zu glauben geneigt ist. Und schließlich wollen wir nicht übersehen, daß auch der in Einzelehe lebende Abendländer in der Regel stark zu Extravaganzen neigt, die er mit seinen polygamen Trieben zu entschuldigen sucht, ohne daß die Befriedigung dieser polygamen Triebe ihn übersättigt und für weitere Abenteuer untauglich macht. Daß er dabei etwa deshalb nicht so leicht übersättigt würde, weil er sich die Gelegenheit stets erst suchen muß und sie nicht zu jeder beliebigen Minute zu Gebote hat, das ist ein Grund, der nur scheinbar seine Berechtigung hat.

Auch hierüber gibt die Literatur, soweit sie noch Volksempfinden war, also aus dem Volke selbst hervorging oder beim Volke solchen Anklang fand, daß sie sich, ungeschrieben zwar, aber durch Übertragung von Mund zu Mund als unantastbares Eigentum forterhielt, beredten Ausdruck. Nicht wie die spätere Kunstdichtung, die fremde Stoffe in fremder Form behandelte und vom 16. Jahrhundert ab bis ins 18. Jahrhundert bei uns nur in der Form ohne Inhalt das Heil suchte, im Morgenlande aber bis auf einige Gebiete völlig versagte. Erec, der vielberühmte Ritter von der Tafelrunde, heiratet die schöne Enite, und die Liebe füllt das Leben des sonst so kühnen Ritters derartig aus, daß er über die Minne Pflicht und Ehre vergißt, er „verliegt“ sich. Dagegen die altorientalische Geschichte der schönen Stratonike, die eine so süß duftende Poesie reiner, keuscher und treuer Liebe zeigt, daß sie an das Heinesche Lied vom Asra erinnert. Und doch, welch enormer Unterschied zwischen dieser orientalischen Geschichte, in der der Sohn die junge Gattin seines Vaters liebt, gegen die deutsche Dichtung, ich meine hier eben die deutsche Bearbeitung deutscher Stoffe, denn Schiller hat uns ja im Don Carlos ein ähnliches Thema deutsch bearbeitet, wie die orientalische Geschichte der Stratonike es ist, freilich mit einem völlig anderen Schluß. Ich komme auf die Stratonike noch ausführlich zurück, weil sie mir einen außerordentlich wichtigen Beitrag zum alten orientalischen Liebesleben darstellt. Sie enthält nichts Heldenhaftes, nichts von dem Heroismus, mit denen Liebende einer Welt Trotz bieten, um den Gegenstand der Liebe zu erringen, sondern eine weichliche Sentimentalität, ein tatenloses Hinsiechen, das allerdings wohl dadurch entschuldigt werden kann, daß hier der Liebende für die Gattin seines Vaters entbrannt ist. Es kommt darauf aber nicht an; wichtig ist diese uralte Geschichte deshalb, weil sie in träumerischer Zartheit eine Liebe schildert, die an sich für deutsches Gemüt als ein schöner Beweis innigen Empfindens gerühmt werden würde, wenn es eben nicht — eine orientalische Geschichte wäre.



Nun darf man diese allerdings nicht zur Norm des orientalischen Liebeslebens stempeln wollen. Auch die orientalische Geschichte und Literatur hat genug Beispiele dafür, daß in kühnem Heldenmute die Geliebte erobert wurde. Schon die Erzählungen des Seefahrers Sindbad können als Beweis dafür angezogen werden. Ja, ich halte sogar den trojanischen Krieg für ein Beispiel altorientalischen Liebeslebens, so absurd dies auf den ersten Blick auch erscheinen mag.

Der Orientale ist im allgemeinen in seinem Liebesleben leidenschaftlich bis zur Raserei, und mit den furchtbarsten Strafen und Martern hat er schon im Altertum Eingriffe in seine Liebesrechte zu verhüten und, falls sie vorgekommen waren, zu ahnden gewußt. Die wollüstige Grausamkeit, durch die von jeher das orientalische Strafrecht sich sehr wenig vorteilhaft von dem anderer Völker unterschieden hat, bildet einen Grundcharakterzug des Orientalen. Man hat ja stets auf eine Wechselwirkung zwischen wollüstiger Verweichlichung und unmenschlicher Grausamkeit hingewiesen. Der Orientale kann hierfür direkt als Studientype gelten. Diese Wechselwirkung ist es, die u. a. auch im Sadismus in die Erscheinung tritt, nur daß sie hier gegen das Objekt, das der perversen Sinnlichkeit Befriedigung geben soll, gerichtet ist, während sie sonst, wie im Orient, sich gegen dritte Personen richtet, die mit dem Liebesleben selbst in keinen Zusammenhang gebracht werden können.

Die furchtbarste Grausamkeit zeigt sich aber keineswegs etwa nur da, wo das Liebesleben in Betracht kommt, also etwa bei der Vernichtung und Bekämpfung von Nebenbuhlern, sondern ganz im allgemeinen. Wir haben im deutschen Altertum Strafen gar nicht oder fast gar nicht gekannt, mindestens nicht gegen Freie, sofern diese nicht als Verräter oder als sonst allgemein gefährliche Personen vernichtet werden mußten. Im alten Deutschland hat sich das Strafrecht erst später ausgebildet, und je mehr römischer Einfluß wirkte, desto schärfer wurden die Strafen, die dann allerdings später auch aus eigenem „Bedürfnis“ immer schärfer und grausamer wurden. Nicht so im Orient. Dort hat man schon im hohen Altertum viel, unmenschlich und meist mit entsetzlicher Willkür gestraft. Gerade das letztere Moment ist dabei das beachtenswerteste. Es kam gar nicht so darauf an, für eine bestimmte Tat eine bestimmte Strafe zu erkennen, sondern die Laune eines Despoten genügte, auch über Personen, die nichts verbrochen, sondern vielleicht nur durch eine wirkliche oder vermeintliche Ungeschicklichkeit den Zorn des Vielgestrengen erregt hatten, furchtbare Todesmartern zu verhängen, in deren Erfindung mehr als genial zu Werke gegangen wurde. Willkür herrschte aber auch in der Anwendung der Todesmartern. So kam es vor, daß Herrscher große eiserne Öfen errichten ließen, an die die Opfer angeschlossen wurden. War dies geschehen, dann wurden die Öfen geheizt, und die Verurteilten mußten langsam zu Tode gebraten werden, ein Akt, dem der Herrscher, wohl auch seine Weiber, mit großem Behagen zusah. Es gab gar kein größeres Vergnügen, als die Qualen der Unglücklichen zu beobachten. Es wurde auch der Körper des Verurteilten mit Brennstoffen förmlich gespickt, die dann angezündet wurden und den qualvollsten Tod verursachten. Schon die Bibel berichtet im Alten Testament von grausamen Strafen, die im Morgenlande etwas ganz Alltägliches waren, und die Geschichte erzählt von Herrschern, die zur Übung im Bogenschießen die tödlichen Pfeile auf ihre Untertanen abschossen, nicht etwa, weil diese etwas verbrochen gehabt hätten, sondern einfach weil es ihnen gerade gefiel, auf lebende Ziele zu schießen. Es ist doch heute noch so, daß im Orient die furchtbarsten und grausamsten Strafen bestehen, an denen beharrlich festgehalten wird, während unsere Strafmittel immer milder ausgedacht werden, ja, es ist bei uns die Humanitätsduselei so weit vorgeschritten, daß es Menschen gibt, die es sich geradezu zur Lebensaufgabe machen, dahin zu wirken, daß nur um jeden Preis die Herren Verbrecher mit Glacehandschuhen angefasst werden sollen, ein Prinzip, das ganz gewiß nicht zu billigen ist, weil es über die Grenzen des Vernünftigen hinaus geht. Möchte man doch lieber dafür sorgen, Strafmittel zu schaffen, durch die die unschuldigen Angehörigen eines verkommenen Subjekts nicht viel schwerer getroffen werden als der Übeltäter, Strafmittel zu schaffen, durch die Rückfallshandlungen nicht künstlich gezüchtet würden.

Jene Grausamkeit hat aber einen engen Zusammenhang mit dem Liebesleben des Orients. Es ist eine bekannte Tatsache, die psychologisch ja auch gar nicht so schwer zu erklären ist, daß gesteigerte Wollust einen Hang zu raffinierter Grausamkeit erzeugt. Wir können das schon bei den alten Griechen nachweisen, die desto grausamer wurden, je mehr sie sittlich sanken. Es war bei den Griechen gestattet, die Sklaven furchtbaren Foltern zu unterwerfen. Zu solchen Gelegenheiten ließ man Einladungen an gute Freunde und Gönner ergehen, denen man durch die Vorführung derartiger Martern ein großes Vergnügen bereitete. Beim Anblick des blutenden und zuckenden Körpers geriet man in wollüstige Raserei. Diesen Brauch importierte man auch in dem an sittlicher Verworfenheit und Ausschweifungen verfaulten römischen Reiche. Die grausamsten Christenverfolgungen wurden ebenfalls nur von römischen Kaisern begangen, die durch Unzucht, natürliche und widernatürliche, zerrüttet waren. Nero z. B. ist durch seine ausschweifende Unzucht ebenso berüchtigt, wie durch seine Grausamkeit. Übrigens fallen auch in Deutschland die blutigsten Strafen in die Zeiten der größten sittlichen Verworfenheit. Ja, als noch in unseren Zuchthäusern Willkommen und Abschied von Rechtswegen bestanden, da wurde diese viehische Ausprügelung nicht selten vor geladenem Publikum vorgenommen, und es ist bekannt, daß der Anblick der zuckenden und im Blute schwimmenden Hinterteile bei den Zuschauern eine rasende Wollust verursachte; die teilweise sogar recht anschaulich beschrieben worden ist.



Ich möchte das alles als raffinierte Grausamkeit bezeichnen, eine Grausamkeit, die mit Raffinement im Anblick fremder Qualen eine sexuelle Wollust sucht und findet, gewiß ein geheimnisvoller Zug der Menschenseele, in der Haß und Liebe in so naher Nachbarschaft wohnen, daß sich diese Gegensätze berühren, ja unmittelbar ineinander übergehen, die aber auch untrennbar voneinander sind, denn diese Art Grausamkeit kommt nur bei sexuell überreizten Leuten vor. Volle sexuelle Enthaltsamkeit, d. h. wenn sie durch die Verhältnisse erzwungen ist, nicht die, die das Resultat des eigenen Willens ist, beeinflusst das Gemütsleben ebenfalls; sie macht roh und brutal. Man findet so etwas bei Expeditionen in unbewohnten Gegenden, bei denen Männer nur auf die eigene Gesellschaft angewiesen sind und absolut nicht die erwünschte Gelegenheit zu sexuellem Verkehr finden können. Seefahrer, die bei ihren weiten Reisen in derselben Lage sind, arten leicht zu rohen und brutalen Menschen aus, besonders da sie schon durch die harte Arbeit ihres Berufs und das ständige Leben in reinster, kräftigster Luft kerngesunde Leute mit einem starken Überschuss an Kraft sind. Solche Leute pflegen nicht selten fast ihre gesamte Löhnung, die sie von der mühevollen Fahrt heimbringen, in der ersten Hafenstadt mit Frauenzimmern klar zu machen. Deshalb ist auch das Dirnenwesen in allen größeren Häfen außerordentlich entwickelt, denn lohnend ist das Geschäft mit Jan Matt, wenn es auch nicht frei von Gefahren und rohen Auftritten ist. Man billigt im allgemeinen den starken Einflüssen des sexuellen Lebens auf die männliche Psyche bei weitem nicht den Einfluß zu, den sie beanspruchen dürfen, sondern sucht viel zu viel hinter dem Alkoholismus, wenn man das Motiv zu einer rohen Tat nicht sofort mit Händen greifen kann. Gewiß soll nicht bestritten werden, daß auch der Alkoholismus viele Exzesse auf dem Konto hat; aber man soll auch dabei nicht übersehen, daß der Alkoholismus ebenfalls sehr oft nichts ist als eine Folge unbefriedigten Liebeslebens. Daß er für dieses eine Heilquelle werden könnte, das stelle ich allerdings energisch in Abrede; er kann nur ein augenblickliches Betäubungsmittel sein, das aber in der Regel das Übel größer macht, als es vorher war. Entweder wird der Alkohol noch mehr zu rohen Exzessen anregen, oder er führt zum ewigen Dämmerzustande des Vergessens, d. h. aus dem Betäubungsversuch entsteht die chronische Trunksucht, die den Menschen noch tief unter das Vieh herabwürdigt. Es lohnte, stets festzustellen, was den Säufer zu seinem Laster geführt hat; in der Regel wird man die Quelle im Sexualleben nachweisen können.

Der Orientale, wenigstens der Muselmann, ist der Gefahr, ein Säufer zu werden, weit weniger ausgesetzt, als der Abendländer, weil ihm der Genuß berauschender Getränke verboten ist. Dafür entnervt er sich fast mehr als durch ein exzessives Liebesleben durch den Haschisch- und Opium-Rausch, der ihn doch auch wieder in die lieblichen Gefilde des wollüstigen Sinnengenusses hinüberzaubert, und jedenfalls ganz erheblich gefährlicher und zerrüttender ist als der Alkoholrausch, soweit eben nicht chronische Trunksucht entsteht, die aber viel eher noch vermieden wird als der chronische Opiumismus, der etwa dasselbe ist wie der Morphinismus, der bei uns viel weniger selten ist, als man gewöhnlich glaubt. Es ist fast unmöglich, sich von einem derartigen Narkotikum loszureißen, wenn man ihm erst einmal verfallen ist. Auf den sexuell ausgemergelten Orientalen wirkt aber Opium schon deshalb viel nachhaltiger und zerrüttender als auf uns der Alkohol, weil schon die Ernährung berücksichtigt werden muß. Leute, die Sauerkraut und Erbsen genießen, können viel eher ein Quantum Alkohol vertragen als der Orientale bei seiner Ernährung und seinem Klima das Opium. Der Alkohol wirkt vorübergehend auf das Sensorium, schwächt den Willenswiderstand und setzt das Bewußtsein herab, das Opium zerrüttet das Nervensystem, läßt die Phantasie ausschweifen und schwächt das Sexualsystem. Es ist aber gerade wegen der wunderbaren sexuellen Verzückungen, in die der Opiumrausch versetzt, dessen nahe Beziehung zum Liebesleben viel leichter erkennbar als beim Alkoholrausch, der wohl in seinem Anfangsstadien die Phantasie zu beleben vermag, dann aber abstumpft, der deshalb meist ein Lethetrank gegen die Enttäuschungen des Liebeslebens sein soll, und nur in den seltensten Fällen dazu bestimmt ist, Mut zu gewinnen, denn dazu ist in Liebesangelegenheiten der Alkohol wohl das untauglichste Mittel, sobald er so reichlich genossen wird, daß er überhaupt berauschend wirkt. Er ist schon deshalb nicht geeignet, weil er impotent macht, d. h. entweder eine völlige impotentia viriles, oder die sogenannten ejaculatio praecox zur Folge hat. Man nahm deshalb im älteren Rechte an, daß ein Betrunkener überhaupt kein Sittlichkeitsverbrechen bis zur Vollendung begehen, sondern nicht über das Attentat zu einem solchen hinauskommen könne. Auch Opiumrausch und Alkoholrausch kennzeichnet, wie man sieht, eine starke Charakterverschiedenheit im Liebesleben der Morgen- und Abendländer. Jetzt hat sich hierin allerdings auch schon vieles geändert; der Alkohol ist auch bei den Muselmännern durchaus nicht mehr so allgemein verpönt.

Weit erheblichere Unterschiede als im Liebesleben der Männer findet man aber im Liebesleben der Frauen, denn diese spielen im Orient eine ganz wesentlich andere Rolle als im Occident. Allerdings wird nach dieser Richtung hin unglaublich viel gefabelt und gefaselt. Ich habe schon in meinem Buche über das Liebesleben im alten Deutschland nachgewiesen, daß bei unseren braven Vorfahren die Frau nicht die Rolle gespielt hat, die ihr heutigen Tages angedichtet wird. Es ist deshalb ganz falsch, zu behaupten, daß während die deutsche Frau schon im Altertum eine Art Heilige mit fast abgöttischer Verehrung gewesen sei, die Frauen im Orient heute noch im Harem in einem Sklavenleben dahin schmachten müßten. Nicht einmal ihres Lebens seien sie sicher, denn wenn der gestrenge Herr Tyrann ihrer überdrüssig sei, dann lasse er sie einfach in einen Sack nähen und ins Meer stürzen, wo es am tiefsten sei.

In Wirklichkeit sieht die Sache völlig anders aus. Ich will zunächst gar nicht darauf Wert legen, daß es keineswegs überall im Orient Harems gibt, und daß auch da, wo es diese Zivilversorgung für heiratsfähige Mädchen gibt, doch nur verhältnismäßig wenige Männer in der Lage sind, sich einen Harem zu halten. Bleiben wir vielmehr zunächst bei den Harems, so ist es doch ein recht sonderbares Sklavenleben, das die Damen, soweit sie überhaupt Frauen des Besitzers und nicht bloß Dienerinnen sind, dort führen.



Für die extremste Richtung unserer modernen Frauenbewegung ist freilich auch unsere deutsche Ehe ein entwürdigendes Sklavenleben der Frau. Gleichviel ob diese bedauernswerte Frau den ganzen Tag in ihrem luxuriös eingerichteten Heim sitzen kann, Bälle, Gesellschaften, Theater, Konzerte besuchen, sich überall den Hof machen lassen darf usw., während der Mann in seinem Berufe sich abmühen und nicht selten schwere Sorgen auf sich laden muß, um die Launen der „gnädigen Frau“ — pardon — der Sklavin zu befriedigen. Alles gleich, die Frau ist zu der entwürdigenden Pflicht, Mutter zu werden, verurteilt, das allein ist schon eine widernatürliche Sklaverei. Im Sinne der extremsten Frauenrechtlerinnen. Im ganz allgemeinen Sinne allerdings darf zugegeben werden, daß das Los vieler Frauen der armen Bevölkerung nicht beneidenswert ist. Arme Leute haben in der Regel die meisten Kinder. Da hat nun so eine Frau die Kinder zu versorgen, die Wirtschaft in Stand zu halten, pünktlich für die Mahlzeiten zu sorgen, und bei alledem muß sie auch noch mit erwerben, und wenn der Mann keine Arbeit hat oder ein Lump ist, auch wohl allein für den Unterhalt der Familie sorgen. Wo die bittere Not ihren Eingang hält, da hält leider die Liebe sehr oft ihren Ausgang, die Frau muß sich dann meist auch noch schlecht behandeln, oft sogar roh misshandeln lassen, neben bei aber den Lüsten des Mannes dienen, so daß die Familie immer größer wird, damit auch das Elend. Das ist ein betrübendes, aber leider nur zu wahres Bild des gesegneten abendländischen Kulturfortschritts.

Und nun das Sklavenleben im Harem des Orients! In verschwenderischer Pracht und Üppigkeit, umgeben von dem raffiniertesten Luxus, den verschwenderischer Reichtum zu schaffen vermag, verbringen diese „Sklavinnen“ ihre Tage in süßestem Nichtstun. Mehr ein prunkvolles Zaubermärchen als ein Menschenleben. Keinen Finger brauchen diese Weiber zu krümmen, es sei denn, daß sie ihn krümmten, um den Dienerinnen, die zu ihren Befehlen stehen und stets des Winkes gewärtig sind, einen Befehl zuzuwinken. Und der gestrenge Gebieter ist in der Regel der ergebene Diener dieser Sklavinnen und beeilt sich, jeden ihrer Wünsche zu erfüllen, und es sind meist die absurdesten Launen, die so eine Orientalin hegt. Der gute Papa Gatte besitzt aber eine unglaubliche Geduld und beneidet vielleicht manchmal den Abendländer, der doch wenigstens nur unter einem Paar Pantoffeln zu seufzen braucht. Die Königin des Harems ist die Favoritin. Sie ist, wie sich dies schon aus der Bezeichnung ergibt, die Bevorzugte, die vertrauteste Vertraute des hohen Herrn. Aber deshalb sind die anderen Frauen auch seine Frauen, und sie wissen das. Ich glaube auch nicht, daß der Bedarf an Säcken besonders groß ist, denn es dürfte doch wohl außerordentlich selten vorkommen, daß jetzt noch durch diese grausame Befugnis ein unbarmherziger Strich durch das Dasein einer Haremsdame gezogen wird. Ich habe ja schon die orientalische Grausamkeit mit dem Sadismus verglichen und gesagt, sie unterscheide sich dadurch, daß sie sich gegen Dritte richte und nicht gegen das Objekt des Liebeshandels selbst. Daß früher leichter solche Hinrichtungen stattgefunden haben, wenn irgend ein ernsterer Grund vorlag, also vielleicht ein starker Eifersuchtskampf zwischen den Damen oder sonst ein Ereignis, das geeignet war, den Frieden des Weiberhauses zu gefährden, das ist wohl nicht zu bestreiten; aber man vergesse doch ja nicht, daß auch im deutschen Altertum der Mann seine Gattin töten durfte, daß auch bei den Deutschen die Frau am Gelage der Männer nicht teilzunehmen hatte, daß die Frauen erhielten, was die Männer übrig ließen, und daß die deutsche Frau viel eher Dienerin des Mannes war als die Haremsfrau im Orient, die doch faktisch niemals eine Dienstleistung für den Mann zu erfüllen brauchte und ihm höchstens Liebesdienste zu leisten hatte, wie dies doch übrigens auch Pflicht der deutschen Frau war.

Ich bin weit davon entfernt, etwa behaupten zu wollen, daß trotz aller Pracht und Üppigkeit, trotz Luxus und Reichtum für unsere Begriffe das Haremsleben ein erstrebenswertes Dasein für das schöne Geschlecht sei.

Es gibt aber doch nichts Unsinnigeres als deshalb von einem Sklavenleben im Harem sprechen zu wollen. Wenn man die Herrlichkeit einen vergoldeten Käfig nennen wollte, so hätte das eher eine „Berechtigung“, denn eingeschlossen und von dem Verkehr mit der Außenwelt abgeschnitten sind diese Haremsdamen. Das ist richtig, aber eines dabei ist doch nicht zu übersehen, daß eben die Landessitte diese Klausur vorschreibt, daß die Frauen infolgedessen ein anderes Leben überhaupt nicht kennen, und daß sie, mindestens der Hauptzahl nach, viel zu indolent, apathisch und unwissend sind, um über ihre Lage ernstlich nachzudenken oder gar ein anderes Leben zu wünschen .

In neuerer Zeit ist es ab und zu europäischen Damen gestattet worden, die Harems zu besuchen und mit den Haremsdamen in direkten Verkehr zu treten. Dadurch haben wir zwar einige genauere Mitteilungen über das Haremsleben erhalten, ob sie aber ganz zuverlässig sind, läßt sich schwer beurteilen, denn an und für sich ist es für uns sehr schwer, sich in das Seelenleben anderer hineinzudenken, ganz besonders schwer, wenn der Blick Verhältnisse trifft, die so unendlich verschieden von den bei uns gewohnten sind, und ferner traue ich, ohne etwa gegen das weibliche Geschlecht im mindesten voreingenommen zu sein, gerade in Haremsfragen einer abendländischen Dame überhaupt kein objektives Urteil zu, noch viel weniger als ich es ihnen in der Prostitutionsfrage zutraue. Ich würde übrigens auch den Haremsbesitzern den Rat geben, eher einem Dutzend Gardeleutnants den Zutritt in den Harem zu gestatten, als einer emanzipierten europäischen Dame — die nicht emanzipierten, werden sich ja ohnehin eine solche Erlaubnis schwerlich auswirken. Die zwölf Gardeleutnants würden in das etwas eintönige Leben der Haremsdamen eine interessante Abwechselung bringen, die letzteren vielleicht ganz erwünscht wäre. Ich gebe zu, daß dem polygamen Gatten an einer derartigen persönlichen Entlastung jedenfalls nichts gelegen, d .h. daß sie ihm sehr unerwünscht sein würde. Der Besuch der europäischen Damen müsste dies aber in noch viel höherem Grade sein, denn er trägt in den Harem den Geist der Rebellion, weil den Damen, die sonst zufrieden und gleichgültig ihr Los tragen, europäische Frauenrechtsideen eingeimpft, weil ihnen Reden über das Unwürdige ihres Daseins gehalten werden, die sie mit Unzufriedenheit und mit Sehnsucht nach Freiheit erfüllen. Unzufriedenheit zu stiften, ohne die Lage bessern zu können, das halte ich in jedem Einzelfalle für verwerflich. Ich will gern zugeben, daß hier die sogenannte Aufklärung in guter Absicht erfolgt ist. Ich kann mich aber nicht zu der Höhe des kosmopolitischen Gedankens aufschwingen, die nun einmal erforderlich ist, um diese gute Absicht zu verstehen. Es kann uns im Grunde verdammt gleichgiltig sein, ob die Haremsdamen eine höhere Geistesausbildung und mehr Freiheit genießen sollen oder nicht, denn zunächst ist doch die Haremsordnung gesetzlich bestimmt und zugelassen. Wir haben wahrlich eher den Beruf, unsere eigenen Gesetze zu verbessern, die das außerordentlich notwendig haben, und unsere eigenen Missstände zu beseitigen, die wahrhaftig darnach verlangen, ehe wir orientalische Gesetze und Missstände bekämpfen, die uns nicht das Mindeste angehen. Mich erinnern solche Versuche gar zu lebhaft an das Gleichnis vom Splitter und Balken. Es ist doch gerade in einigen Mitteilungen aus dem Haremsleben besonders freudig betont worden, daß die Haremsdamen den Unterschied zwischen dem eigenen Leben und dem der abendländischen Frauen begriffen hätten und entschlossen seien, für eine Änderung ihrer Lage zu kämpfen. Ist das etwa ein Triumph für uns? Ich wüsste es nicht. Und der praktische Wert dieser Aufklärung wird nur der sein, daß die Haremsdamen, die bisher ihr Leben ganz erträglich gefunden haben, schon deshalb weil sie eben ein anderes Leben gar nicht kannten, verbittert, unzufrieden und aufsässig werden, ohne daß sie dadurch in absehbarer Zeit etwas erreichen können.



Welchen Wert hat es nun, die Harems zu reformieren oder gar abzuschaffen? Welchen Wert würde dies, wenn es gelänge, für uns haben? Vom Standpunkte der Moral geht uns das orientalische Haremswesen nicht das Mindeste an. Es wäre sogar eine starke Heuchelei, wenn wir uns für berechtigt halten wollen, aus Gründen der Sittlichkeit gegen eine Institution einzuschreiten, die weder nach orientalischen Anschauungen, noch auch nur nach alttestamentlicher Lehre unsittlich ist. Man vergleiche nur die Weiberwirtschaft der jüdischen Könige David und Salomo, die doch beide als ganz besonders Gott wohlgefällig bezeichnet wurden, mit dem Orientharem. Man sehe aber auch — und das ist das Gleichnis vom Splitter und Balken — unser wohl entwickeltes Prostitutionswesen, unsere Bordelle und unsere Sittlichkeitsgesetze zunächst einmal genauer an, wer dann noch den Mut hat, zu behaupten, daß wir berufen oder berechtigt seien, gegen die Unmoral des Harems zu eifern, der verdiente ob dieses Mutes ein Denkmal, falls sich für ein solches noch der erforderliche Platz finden sollte. Vor allen Dingen — das muß immer wieder gesagt werden — ist es ein Unsinn, die Moral orientalischer Zustände nach unseren Moralanschauungen bewerten zu wollen. Unsere christliche Ehe geht den Orientalen gar nichts an, soweit er nicht Christ ist, und das ist der Haremsbesitzer ja niemals. Im übrigen ist unsere theoretisch ganz nette Moral ziemlich fadenscheinig, und das ist viel schlimmer als das Haremswesen, das ja gesetzlich Moral ist, die Moral also nicht ungesetzlich und wider besseres Wissen verletzen kann.

Vom Standpunkte der persönlichen Freiheit ließe sich nun wohl einiges über das Leben einer Haremsdame sagen. Ob es ausreicht, um uns das Recht zu geben, im Harem das Evangelium der Freiheit zu predigen, das ist eine andere Frage. Mich erinnert das an unsere deutsche Literaturperiode um 1848 herum, die alles andere eher war als ein Glanzabschnitt und von der Ad. Stern in seiner Ergänzung der Vilmarschen Geschichte der deutschen National-Literatur sehr richtig sagt: „Ein Blick auf die Gesamtmasse der politischen Gedichte jener Jahre gewährt den Eindruck einer Maskerade. Da gab es ungezählte Polen-, Magyaren- und Tscherkessenlieder, die Zustände Spaniens und Irlands wurden poetisch geschildert, den Ansprüchen der Czechen auf die Wiederherstellung der Wenzelskrone liehen deutsch-böhmische Poeten wie Alfred Meißner im „Ziska“ und Moritz Hartmann in den „Böhmischen Elegien“ ihre erste frische Empfindung und jugendliche Begeisterung. Der kosmopolische Taumel dieser Lyrik hatte nachher eine zum Teil sehr hässliche Ernüchterung zur Folge.“ Noch viel gleichgültiger als ob die Czechen ihren Wenzelsthron wieder aufrichten, kann es uns sein, ob einige orientalische Machthaber eine oder mehrere Frauen haben, und ob sie diesen das abgeschlossene Leben im Harem vorschreiben oder ihnen gestatten, nach Herzenslust außer dem Hause zu flirten. Man soll sich ja auch bei uns nicht um fremde Familienangelegenheiten kümmern und tut dies wenigstens da, wo es recht gut angebracht wäre, auch absolut nicht. Wir können wohl die Fragen des Haremslebens erörtern, aber eine tätige Einmischung und Aufstachelung der orientalischen Frauen steht uns nicht zu. Prüfen wir also ganz objektiv die Frage, ob in der Klausur des Haremslebens eine ganz empörende Beschränkung der persönlichen Freiheit liege, so wird man dies nur dann bejahen dürfen, wenn wir den Orient nicht mit den Massen des Orients, sondern mit unserem Maße messen wollen. Es versteht sich aber von selbst, daß wir dabei ein schiefes Bild erhalten müssen.

Nach unserem Maße ist es schon nicht „korrekt“, daß ein weibliches Wesen Gattin oder richtiger gesagt, Haremsgenossin eines Mannes wird, ohne selbst erst um die Einwilligung hierzu befragt zu werden. Ich glaube gern, daß diese Einwilligung ziemlich oft nicht erteilt werden würde, da ja auch das orientalische Weib ein Liebesleben haben kann, d. h. es kann sein Herz an eine andere Person gehängt haben als die des Haremsinhabers. Bei der Abgeschlossenheit der orientalischen Weiber kann dies allerdings nur eine Liebesaffäre sein, die ganz einseitig aus der Ferne angebahnt worden ist. Das wird aber den abendländischen Damen trotz ihrer weitgehenden Freiheit wohl auch nicht selten passieren, daß sie den Mann, der das „Ideal ihrer Jugendträume“ ist, nicht zum Manne bekommen, sondern daß sie, falls sich eine Gelegenheit bietet, einen anderen nehmen, der vielleicht ganz bedeutend weniger ideal erscheint, dafür aber „reelle Absichten“ verwirklicht. Insofern ist die Orientalin also nicht schlechter gestellt. Schlechter gestellt ist sie nur dadurch, daß sie auch den ungeliebten Mann noch mit vielen Genossinnen teilen muß — was ja vielleicht in solchem Falle ganz erträglich ist — , und daß sie eben abgeschlossen von dem freien öffentlichen Verkehr ist, nicht vom Verkehr im Harem, der doch ganz sicher die Klage über drückende Einsamkeit nicht berechtigt erscheinen läßt. Nun liegt aber gerade in dieser Gemeinsamkeit des Frauenlebens ein Moment, das den Gedanken der Freiheitsentziehung bei der Orientalin wenig oder gar nicht aufkommen läßt, sofern sie nicht von fremder Seite darauf hingewiesen wird, daß die Frau gleichberechtigt sei, also dieselben Freiheiten beanspruchen dürfe, die dem Manne zugebilligt werden, eine Theorie, die allerdings nicht einmal für abendländische Verhältnisse unbedingt richtig sein kann.

Eins der interessantesten Probleme tritt uns in der Frage entgegen, ob der Orientale, der eine seiner Frauen leidenschaftlich liebt, trotzdem in der Lage sein könne, auch mit den anderen Frauen des Harems in ehelichen Verkehr zu treten. Mich wundert es, daß dieser Stoff von den Romanschriftstellern nicht ausgenutzt wird, oder vielmehr, es wundert mich auch wiederum nicht, weil eben diese Frage viel zu schwer zu beantworten ist und sich der poetischen Beantwortung fast entzieht. Es kann vor allen Dingen nicht bestritten werden, daß der Orientale heiß und leidenschaftlich zu lieben vermag, er ist in der Glut seiner Liebe dem Abendländer im Durchschnitt sogar erheblich überlegen. Die Liebe aber fragt nichts nach Gesetzen, Institutionen und Traditionen; sie fragt nicht danach, ob Menschenwitz die Einzelne oder die Vielweiberei für die alleinseligmachende und allein sittliche Form der Ehe erklärt hat, sondern ist in jedem Falle darauf abzielend, die geliebte Person ganz zu eigen zu erhalten, und soll dann blind für andere Personen sein, denn nur in diesem Sinne kann man davon sprechen, daß Liebe blind mache; sie ist sonst außerordentlich hellsehend.

Man muß auch hier dem Charakter des Orientalen voll Rechnung tragen und wird dann finden, daß die leidenschaftlichste Liebe zu einer Frau noch keineswegs zärtlichere Gefühle gegen andere ausschließt. Es ist vor allen Dingen die Liebe zum Weibe, die das Herz des Muselmanns beherrscht; diese Liebe kann zwar auf eine Person mit ungeheurer Gewalt ausgegossen werden; deshalb ist aber noch lange nicht Blindheit für die Reize anderer Frauen die notwendige Folge. Wenn der Blumenfreund eine herrliche Rose, deren Besitz er mit Leidenschaft sich gewünscht hatte, endlich erhielt, so wird ihm diese Rose für alle Zeiten kostbar bleiben, sie erfreut ihn immer wieder, und der Besitz dieses Wertstücks ist sein Stolz. Aber wird er deshalb nicht auch gern noch andere schöne und wertvolle Blumen zu erlangen suchen? Werden ihn diese nicht ebenfalls erfreuen, wenn er sie erworben hat? Frauen und Blumen, das ist ja sogar ein beliebter Vergleich, sie erfreuen das Herz und erfüllen das Gemüt mit ihrem köstlichen Duft. Der Orientale würde es nicht verstehen, wenn man durchaus bloß an einer Blume Gefallen finden sollte, und dies würde ja auch der Abendländer durchaus verstehen; wenn aber Frauen Blumen sind, und man an mehr als einer Blume Gefallen finden kann, so würde es der Orientale nicht einsehen, warum man gerade nur eine Frau lieben dürfe. Er denkt sich ja die höchste Seligkeit des jenseitigen Lebens auch durch die schönsten Weiber vergoldet, nicht durch eine einzige bloß. Wenn unsere Dichter so oft behauptet haben, daß der Mensch überhaupt nur einmal in seinem Leben lieben könne, so ist der Harems-Orientale felsenfest davon überzeugt, daß man nicht allein sehr oft lieben kann, sondern zu gleicher Zeit mehrere, von denen höchstens eine die Allerliebste ist. Man darf orientalisches Empfinden nicht nach Bodenstedts „Liedern des Mirza Schaffy“ analysieren wollen, denn diese Analyse würde einen stark deutschen Komponenten ohne weiteres ergeben. Übrigens ist es ja auch in Deutschland wohl nicht so ganz undenkbar und unvorstellbar, daß jemand zu gleicher Zeit mehr als eine Person liebt. Kommt es nicht vor, daß ein Mann eine sehr begehrenswerte Frau hat, der er auch wirklich zugetan ist, und daß er gleichwohl noch außer dem Hause auf Liebesabenteuer ausgeht? Kommt es nicht vor, daß ein Mann außer seiner verlobten Braut, der er wirklich von Herzen zugetan ist, noch ein anderes „Verhältnis“ unterhält, das zuweilen mit dem ganzen poetischen Zauber wirklicher Liebe umstrahlt ist? Man denke doch auch an die entsetzliche Ehe des Dichters Bürger mit den beiden Schwestern Dorethea und Molly. Ich weiß, daß gerade diese Dichterehe erfreulicherweise nur eine sehr vereinzelte Ausnahme bildet; ich weiß aber, daß sehr starke „intime“ Liebschaften zwischen dem Manne und einer Schwester von dessen Frau durchaus nicht so sehr zu den Seltenheiten gehören, wie man glaubt, und doch wahrhaftig auch zu glauben berechtigt ist. Hier kommt es aber auch gar nicht darauf an, ob solche — im wahrsten Sinne des Wortes — Missverhältnisse häufig sind, sondern lediglich darauf, ob sie überhaupt vorkommen. Dies ist aber schon durch einzelne Beispiele hinreichend bewiesen, und ich meine: kommen sie in Deutschland überhaupt vor, obwohl doch bei uns die Einzelehe gesetzlich ist, obwohl auf die reine, keusche, deutsche Liebe Ozeane von Tinte „verdichtet“ werden, obwohl bei uns der Ehebruch von jeher als etwas Sträfliches galt, so wird man sich doch wahrlich nicht so bass zu verwundern brauchen, wenn auch der Orientale trotz glühendster Leidenschaft für ein Weib zu derselben Zeit seine Neigung auch anderen Weibern schenkt, die ohnehin auf diese Neigung einen gesetzlichen Anspruch haben.



Es ist allerdings ganz unmöglich, andern Leuten ins Herz zu sehen, und selbst die wunderbaren Röntgenstrahlen können, wenn sie auch das Herz durchleuchten, doch nicht die geheimsten Regungen und Motive offenbaren, die im Liebesleben eine so große Rolle spielen. Es wäre deshalb mehr als vermessen, möchte man in jedem Einzelfalle feststellen wollen, wie weit wirkliche Liebe, wie weit bloße sexuelle Erregung den Orientalen antreiben, den Verkehr mit einer Mehrzahl von Frauen zu unterhalten. Ich habe mich deshalb nur darauf beschränken können, den Beweis dafür zu führen, daß auch die Liebe zu verschiedenen Personen zu gleicher Zeit sicherlich nicht ausgeschlossen ist.

Den Frauen im Harem muß diese leidenschaftliche und mehrfache Liebe zu gleicher Zeit, sehr oft sogar auch jede Liebe, versagt bleiben. Es ist wohl ziemlich ausgeschlossen, daß alle den einen Mann, zu dessen Frauen sie das Schicksal gemacht hat, wirklich lieben können. Ist dies nicht der Fall, dann müssen sie sich, so oft er es wünscht, ihm ohne Liebe hingeben. So etwas kommt ja allerdings auch bei der Einzelehe vor, die trotz allem Idealisieren doch sehr oft zu reiner Geschäftsangelegenheit herabgewürdigt wird. Ich möchte behaupten, daß die Haremsfrauen, die ihren Gebieter wirklich lieben, eigentlich noch übler daran sind. Mögen Sitte und Gewohnheit auch noch so stark das Denken und Handeln der Menschen beeinflussen, das Ewigmenschliche werden sie niemals beseitigen können, und das Ewigmenschliche im Liebesleben ist das sehnende Verlangen und die eifersüchtige Sorge um den Besitz des Geliebten. Es ist richtig, daß das Haremsleben danach angetan ist, die Frauen träge und bequem zu machen; aber man soll doch nicht übersehen, daß das Weib im Orient ebenso leidenschaftlich von Natur veranlagt ist wie der Mann, und daß die äußerliche Trägheit auf das Liebesleben nicht so leicht übergreift. Die Liebe einer Haremsdame wird deshalb niemals wirkliche Befriedigung bringen, und selbst die rein sexuelle Begierde wird niemals wirklich befriedigt werden können, da schon eine einzige Frau voll die Leistungsfähigkeit des Mannes in Anspruch nehmen kann, sehr oft, ohne selbst dabei volle Befriedigung zu erlangen. Ich meine, daß gerade diese Seite des Haremslebens für die Frauen diejenige ist, die ihnen den größten Zwang auferlegt.

Das mag auch wohl das Hauptmoment sein, aus dem einmal die wesentlichste Unzufriedenheit ihre Nahrung schöpft, und aus dem aber auch andererseits die unberufene Aufklärungsarbeit unternommen wird. Man darf diese Seite nur nicht frivol vom Standpunkte pikanter Lüsternheit auffassen wollen, sondern muß sich objektiv in die Psyche des Weibes hineinversetzen. Es läßt sich nicht verkennen, daß einmal die unbefriedigte oder doch wenigstens nur sehr mangelhaft befriedigte Libido und auf der andern Seite die ganz natürliche Eifersucht auch in der Psyche eines durch Lebensstellung, Trägheit und gewohntes Phlegma indolent gewordenen Weibes arge Verheerungen anrichten müssen. Das kann man aus allgemeiner Humanität bedauern; aber es darf uns keine Veranlassung geben, auf die orientalischen Harems Sturm laufen zu wollen. Wir müssen da vielmehr an die durch Bismarck berühmt gewordenen Knochen des pommerschen Grenadiers denken, die wir für die paar Haremsdamen jedenfalls noch viel weniger riskieren dürfen als für die für uns nicht so unwesentlichen politischen Wirren außerhalb unserer direkten Interessensphäre.

Nun ist aber das Haremsleben keineswegs die typische Form des Liebesund Ehelebens im ganzen Orient; man kann vielmehr sagen, daß die Harems immer mehr vereinzelt in die Erscheinung treten, und daß sie bei einem großen Teile der orientalischen Völker überhaupt nicht vorkommen, wie ja bekanntlich im Orient die schärfsten Rassenunterschiede bestehen. Wir haben dort immer noch Völker, die wir als Halbwilde bezeichnen dürfen, neben Völkern, die eine hohe Kultur besitzen und kräftig aufwärts streben. Die bestialische Grausamkeit mancher Orientalen hat sich im letzten Kriege Deutschlands bei den Hilfstruppen der angeblich an der Spitze der Zivilisation marschierenden Franzosen im klarsten Lichte gezeigt. Ich meine die Turcos und ähnliches Gelichter [Gesindel]. Diese Zierde der französischen Armee repräsentierte das, was wir im Orient heute noch gar nicht so selten finden, Halbtiere, die sich nicht darauf beschränken, den Feind im ehrlichen Kampfe zu töten, sondern auch den Gefallenen noch die Hände, Zunge und Nasen abschneiden, die Augen ausstechen und sie sonst in der barbarischsten Weise verstümmeln. Damit aber noch nicht genug, diese Bestien haben auch noch gegen Sanitätspersonal, das ihnen helfen wollte, geschossen, den Ärzten ins Gesicht oder in die Hände gebissen, und alle nur undenklichen Gräueltaten verübt. Furchtbar war ihre Bestialität gegen Weiber; und wo diese nicht zu haben waren, da begingen sie untereinander widernatürliche Unzucht. Als nach dem Sturz von Sedan zahlreiche entwaffnete Turcos über die belgische Grenze geflohen waren, stellten sie dort den belgischen Landmädchen in so schamloser und gewalttätiger Weise nach, daß schließlich nichts übrig blieb, als diese wilden Horden in die Citadelle von Antwerpen zu sperren. Frankreich hat sich wirklich unvergängliche Kulturverdienste erworben, daß es diese Halbtiere nach Europa brachte, um sie ein Kulturvolk schänden zu lassen; denn die Absicht war doch die, daß dieses Gesindel sich über Deutschland herstürzen und vernichten sollte, was ihm erreichbar war.



Es ist, wie gesagt, ein jammervolles Bild, das uns in diesen wilden Scharen entgegentritt und doch so viel Lehrreiches enthält, daß es ein volles Kapitel orientalischen Lebens ausfüllen kann. Gerade diese tierische Leidenschaft zeigt uns echt orientalisches Liebesleben, wenigstens doch ein vollwertiges Stück davon, und liefert zugleich den strikten und unanfechtbaren Beweis dafür, daß es übel angebracht wäre, wollten wir solche Naturen in unsere Sittlichkeits- und Moralanschauungen fesseln. Geht dies aber beim besten Willen nicht, so sollen wir uns auch hüten, das orientalische Haremsleben lediglich vom Standpunkte unserer Bierphilistermoral betrachten zu wollen. Wer seine Augen nicht gewaltsam verschließen will, der kann den Unterschied zwischen Morgen und Abend unmöglich übersehen.

In den letzten Marokkowirren hat sich auch für das Liebesleben ein eigenartiges Bild entrollt. Der siegende Beherrscher der marokkanischen Gläubigen nahm dem Besiegten nicht allein Macht und Land, sondern kaufte ihm auch seinen Harem ab; er wurde dadurch der rechtmäßige Gatte aller der Frauen, die bisher Gattinnen seines weniger glücklichen Rivalen gewesen waren. Die Frauen wurden nicht gefragt, ob das Band der Liebe, das sie an ihren bisherigen Gebieter gefesselt hatte, jäh zerrissen werden dürfe; es wurde einfach an den neuen Besitzer geknüpft und wird nun vielleicht noch besser halten. Es soll ein besonders schöner und reichhaltiger Harem sein, und ich bin nicht darüber unterrichtet, ob die Damen sich nicht etwa unter dem jetzigen Herrn noch wohler fühlen als unter dem früheren.

In der Türkei, wo so viele Reformbestrebungen sich geltend machen resp. von auswärts geltend gemacht werden, ist auch eine Reform des Haremswesens angebahnt worden. Es wird den Haremsdamen deshalb aus dem Abendlande viel Sympathie entgegengebracht, und man feiert sie gern als Heldinnen. Kenner der Verhältnisse allerdings sind der Ansicht, daß den Haremsgattinnen dadurch ein Loblied gesungen werde, auf das sie nur im allerbescheidensten Maße Anspruch erheben dürften, denn die welterschütternde Haremsbewegung gehe in Wirklichkeit von den Gefeierten überhaupt nicht aus; sie sei nicht aus den Harems hervorgegangen, sondern komme von außen, und es stehe nicht einmal fest, ob den trägen Haremsfrauen mit der Bewegung ein großer Gefallen getan werde. Für die türkischen Verhältnisse selbst lasse sich noch keineswegs sagen, daß eine wesentliche Besserung erzielt werden müsse, wenn der Sturm auf die durch lange Gewohnheit geheiligten Harems-Einrichtungen einen praktischen Erfolg aufzuweisen haben würde. Was übrigens in Konstantinopel geschieht, das ist doch keineswegs für den Orient als solchen entscheidend. In anderen Ländern besteht schon längst eine ziemliche Freiheit der Frau, neben dem Haremswesen, die fast europäisch gestaltete Einzelehe neben der Vielweiberei.

Persien ist in dieser Richtung typisch. Der vornehme Mann unterhält dort sein Zanana oder Enderen, ein Frauenhaus, das fast dem Harem gleicht, den Frauen aber doch eine größere Freiheit gestattet und dem Manne viel mehr Schranken auferlegt, so daß letzterer fast mehr der Beherrschte ist, als die Frauen es sind. Besuche im Zanana sind gestattet, und während in der Türkei die Frau gefangen ist, macht sie in Persien Besuche. Dem Manne ist es nicht einmal gestattet, unangemeldet das Frauenhaus zu betreten. Dagegen steht es den Frauen frei, ihre Eltern und die weiblichen Verwandten zu besuchen, ja selbst mehrere Tage dort zu verweilen, ohne daß sie es nötig hätten, den Mann erst deswegen zu befragen oder ihm überhaupt einen solchen Besuch mitzuteilen. Männlicher Verkehr ist den Frauen allerdings untersagt, und sie haben nicht das Recht, sich unverschleiert vor Fremden sehen zu lassen. Das Leben im Zanana gleicht auch sonst dem Haremsleben sehr wenig, die Frauen sind keineswegs zu einem Leben untätiger Trägheit verurteilt, sondern sie übernehmen den Haushalt und greifen auch tätig mit ein, sind auch meist vorzügliche Köchinnen, die sogar das Konditorhandwerk ganz trefflich verstehen. Ebenso ist ihnen die Erziehung der Kinder überlassen, für deren Wohl sie auch nach der eigentlichen Erziehung insofern tätig sind, als sie in der Regel deren Heiraten arrangieren und die zukünftigen Lebensgefährten bestimmen.

Bei den niederen Ständen gilt fast ausschließlich die Einzelehe, und die Frau wird dann durch ihre Heirat faktisch Genossin des Mannes, erfreut sich auch einer fast unbegrenzten Freiheit. Sie bleibt auch in der Öffentlichkeit unverschleiert und darf ohne Scheu mit fremden Männern sprechen. Es ist nicht bekannt, daß die Frauen diese Freiheiten besonders missbrauchen.

Eine Sekte, die den Frauen absolute Freiheit verschaffen wollte, die sogenannten Babi, ist den furchtbarsten Verfolgungen ausgesetzt gewesen und nahezu ausgerottet worden. Diese Sekte wurde von Ali Mohammed, einem Kaufmann, gegründet. Dieser sonderbare Heilige bezeichnete sich selbst als Bab, d. h. die Pforte, er meinte, daß er die Pforte der Erkenntnis sei, und es dauerte gar nicht lange, bis er seinen Anhängern, die ihn als die Inkarnation Gottes feierten, erklärte, daß er sogar der Mittelpunkt der Welt sei. Die vollste Gleichberechtigung der Frauen war bei den Babis Prinzip und trat auch dadurch in die Erscheinung, daß eine Frau der Hauptapostel dieses Gottmenschen war. Nicht aber wegen der Stellung, die den Frauen bei der Sekte gegeben wurde, verfolgte man die Gläubigen, sondern deshalb, weil sie auch politisch eine Rolle spielen wollten, die dem Staate schwere Gefahren brachte. Mit echt persischer Grausamkeit fiel man über die Sektierer her, die sich aber durch die Ermordung des Schahs rächten und damit bewiesen, daß sie mindestens nicht die Religion der Duldung und Demut lehrten.



Fast bei allen orientalischen Völkern finden wir die Polygamie; aber niemals ist sie allgemein, d. h. von allen Mitgliedern eines Volksstammes geübt. Das würde auch aus sehr zwingenden Gründen nicht durchführbar sein. Der Koran gestattet jedem Gläubigen vier legitime Gattinnen und erlaubt ihm Beischläferinnen ohne Beschränkung. Wollte von dieser religiösen Erlaubnis jeder den vollen Gebrauch machen, so müßte vor allen Dingen schon ein ungeheurer Überschuss von Weibern vorhanden sein, d. h. es müßte, selbst wenn sich jeder nur auf die erlaubte Anzahl legitimer Gattinnen beschränken wollte, mindestens viermal soviel Weiber als Männer geben. Das ist aber keineswegs der Fall, also ist schon rein rechnerisch der Beweis zu führen, daß es eine allgemeine Vielweiberei nicht geben kann. Nun ist aber auch der Kostenpunkt nicht zu übersehen. Weiber kosten viel Geld, nicht bloß den, der die Liebe mit Geld erkaufen will, sondern erst recht den, der viele Gattinnen hat, noch dazu, wenn er sie als Haremsdamen erhalten will, denn diese machen besonders hohe Ansprüche an die Kasse, vermehren aber in keiner Weise die Einkünfte, wie dies im Abendlande die Frauen oft tun müssen. Fast überall im Orient findet sich große Armut, die aus den abscheulich verlotterten sozialen Verhältnissen resultiert. In China sind ca. 9/10 der Einwohner nicht imstande, die Kinder auch nur einer Frau zu ernähren, wieviel weniger können sie daran denken, die zwar gesetzlich gestattete, aber materiell unmögliche Polygamie zu treiben. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Indern.

Noch eine andere absonderliche Art der Gruppenehe findet sich im Orient; es ist die sogenannte Polyandrie, d. h. die Ehe einer Frau mit mehreren Männern. Diese Eheform besteht noch vielfach auf Ceylon; sie kommt aber auch im Nelgirigebirge in Vorderindien vor bei dem dort hausenden Stamm des Tudas und im Himalaya bei den Sikhs. In der Regel sind die Männer Brüder, und das macht nach unseren Begriffen diese Eheart sicherlich noch weniger sympathisch. Die Kinder, die solchen Ehen entstammen, wissen niemals, welcher von den Gatten ihrer Mutter ihr Vater ist; sie nennen deshalb alle Väter und sprechen von dem älteren oder jüngeren Vater. Man kann für diese Art der Ehe schwerlich ein Moment geltend machen, das geeignet wäre, sie annehmbar oder auch nur erklärlich zu finden, jedenfalls ist sie ganz abscheulich und widersinnig. Wenn man bei der Vielweiberei doch immer noch Gründe, die für ihre Anwendung sprechen, finden kann, so sind diese Gründe zugleich Momente gegen die Polyandrie. Hat ein Mann mehrere Frauen, so ist es durchaus möglich, daß die Bevölkerung aus diesem Verhältnis eine stärkere Vermehrung erfährt als aus den Einzelehen, denn jede Frau kann dem einen Gatten Nachkommen bescheren. Ebenso ist die Möglichkeit, daß alle Frauen den natürlichen Zweck der Mutterschaft erfüllen, bei der Vielweiberei gegeben. Wir haben ja schon gesehen, daß der faktische Überschuss an Frauen, den man fast überall findet, noch bei weitem nicht ausreicht, um jedem Manne die Vielweiberei zu gestatten; es ist aber eine „Versorgung“ aller vorhandenen Frauen schon möglich, wenn nur ein Teil der Männer in Polygamie lebt. Das alles sind Gründe, die sehr wohl und gewiß nicht ohne Berechtigung für die Vielweiberei geltend gemacht werden können. Sie alle sprechen aber direkt gegen die Polyandrie, für die nur der eine Umstand geltend gemacht werden könnte, daß bei großer Armut der Bevölkerung der Einzelne nicht in der Lage sei, eine Frau zu erhalten, daß deshalb mehrere Männer die Kosten eines Hausstandes tragen müßten, daß auch der Einzelne nicht auf die Freuden und Wohltaten des Familienlebens verzichten wolle. Allein, das ist, bei Lichte besehen, auch noch kein stichhaltiger Grund. Die Häuslichkeit zwischen mehreren Männern und einer Frau läßt sich schwerlich als den Gipfelpunkt gemütlicher Behaglichkeit denken. Entweder wurde die Frau lediglich als Instrumentum pollutionis betrachtet, wobei ihre Rolle erheblich niedriger war als selbst bei der Vielweiberei, oder aber es hätte eine Neigung zu der Frau auf Seiten aller ihrer Männer bestehen müssen. Im letzteren Falle wäre das Verhältnis kaum idealer gewesen und hätte doch mindestens gegen die Natur verstoßen, denn in eines jeden Menschen Brust schlummert neben der Neigung doch auch der Wunsch, die geliebte Person für sich allein zu besitzen. Daß in der Liebe geteilte Freude doppelte sei, wird man schwerlich behaupten dürfen, mindestens nicht in dem Sinne, daß verschiedene Männer sich in dieselbe Frau teilen sollen. Es kann deshalb auch in solchen Gruppenehen nicht allzu friedlich zugegangen sein. Wer eben nicht die Mittel hat, eine Frau zu ernähren, der wird besser tun, auf die Ehe zu verzichten, als daß er etwa gar mit anderen sich in die Kosten des Verfahrens teilt, damit zugleich aber auch in die Frau. Eine Liebe ohne Ehe wird jedenfalls den Durchschnittsmenschen viel eher zusagen. Freilich kennt der Orient nicht überall unsere Bedenken.



Wenn man nun erwägt, daß selbst die Ehe im Orient so außerordentlich vielgestaltig auftritt — daß ein Teil der Buddhisten auch noch für Zölibat sich begeistert, sei nebenbei bemerkt, — so wird man schon daraus entnehmen müssen, daß das Liebesleben im Orient auf keinen Fall so einfach zu schildern ist wie das des Abendlandes, das ja auch schon kaleidoskopisch genug aussieht, aber doch immerhin offiziell nur die Form der Liebe kennt, die in der Ehe gipfelt, und zwar nur in einer einzigen Form der Ehe, der Monogamie. Wenn sich nun auch das Liebesleben an sich nicht nach den Sittenanschauungen einzelner Völker richtet, sondern überall dem gleichen Naturtrieb entspringt, der unabhängig von Menschendogmen in der ganzen Welt als Instinkt zu finden ist, so läßt sich doch nicht bestreiten, daß dieser Trieb sich doch mehr oder weniger in bestimmte Bahnen lenken läßt, und daß seine Erscheinungsformen stark durch die Sittenanschauungen beeinflusst werden.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Liebesleben im Orient