Vor dem I. Baseler Kongress.

Wollte man eine völkerrechtlich gesicherte Siedelung, so mußte zunächst der Souverän des in Aussicht genommenen Landes um seine Zustimmung angegangen werden. Die Massen aber begeisterten sich nicht für Argentinien, das Land, wo die Ackerbauer auch Juden sein durften. Sie wollten die religiöse und historische Heimat, wo die Juden auch Ackerbauer sein konnten.

Herzl begann also seine Tätigkeit, indem er das Terrain in Konstantinopel erforschte. Auf der Durchreise in Sofia bereiteten ihm die bulgarischen Juden einen stürmisch-begeisterten Empfang*). Und er kam heim mit großen Hoffnungen auf die Zukunft. „Mit glänzendem Resultat bin ich heute von Konstantinopel gekommen, reise morgen nach London“, schreibt er am 1. Juli 1896 an Cohen. Natürlich bestand das gemeinte Resultat nur im Anknüpfen von Beziehungen. Aber er war ernst genommen worden! Herzl hatte auch hier die richtige Psychologie angewendet. Da er mit dem schwierigen Apparat türkischer Verhandlungen nicht genügend vertraut war, engagierte er einen Diplomaten von Fach als Begleiter. Und um den im Orient notwendigen Eindruck zu erzielen, wurde für die Repräsentation nicht gespart. „Mit einer Handtasche in der Hand hätte man über mich gelacht“, sagte er dem Verfasser.


*) Siehe Bericht des Dr. Rüben Bierer in „Zion“ vom 15. Juli 1896.

Am 6. Juli 1896 sprach Herzl in London vor den Maccabaeans. Die besten Männer der englischen Judenheit, unter anderem Goldsmith, Singer, Sir Samuel Montague waren anwesend. In der sehr regen Debatte wurde Herzl warm von dem christlichen Maler Holman Hunt unterstützt, der selbst ganz unabhängig von Herzl den Gedanken der Errichtung eines jüdischen Staates gefaßt hatte. Von den jüdischen Rednern begnügte sich Zangwill mit einigen Scherzen. Die Führer der Chowewe Zion traten für Infiltration ohne politischen Hintergrund ein, während andere den ganzen Plan Herzls als dem jüdischen Missionsgedanken zuwiderlaufend bekämpften.

Diese Erfahrung bestärkte Herzl in der Überzeugung, daß er vor allem die Massen gewinnen müsse, und daß ein Weltkongreß nötig sei. Eine Diskussionstribüne, von der aus mit einer großen Kundgebung Regierungen und Völker von der Nützlichkeit und Durchführbarkeit der Idee überzeugt werden könnten.

Nun beginnt eine fieberhafte Tätigkeit. Herzl tritt an zahlreiche Persönlichkeiten heran und wird von ihnen aufgesucht. Er bemüht sich, die angeknüpften Verbindungen mit Konstantinopel auszubauen*) und neue Beziehungen zu europäischen Souveränen zu finden.

*)„Aus Konstantinopel, wo ich gut angeschrieben bin, hatte ich vor wenigen Tagen günstige Nachrichten. Die Sache wird sich wahrscheinlich so machen, daß ich mit dem fait accompli die Welt überrasche und dann frage: Wer geht mit? Es ist ein Riesenwerk, für das ich zuerst Hohn, jetzt Anfeindungen, später Undank hatte, habe und haben werde. Aber ich bin fest in mir und tu's eigentlich nur, weil ich von innen heraus es tun muß.“ Brief vom 1. IX. 96 an G. G. Cohen. Siehe Anhang, S. 105.

Er verfaßt eine Denkschrift an die Familie Rotschild, auf die er Hoffnungen setzt. Galt doch Edmond de Rothschild, den Goldsmith mit Mohilewer und Erlanger für die Sache der Kolonisation gewonnen hatte, seit lange als ihr Schirmherr. Herzl hat mit ihm eine längere erfolglose Auseinandersetzung, er bietet ihm vergeblich die Führung an*). Die Begeisterung der Massen wächst, zugleich aber auch die Gegnerschaft gegen die programmatische These des Judenstaats und der Forderung Herzls, die „Infiltration“ bis zur Erlangung der staatlichen Sicherung einzustellen. Am 7. November 1896 spricht er in der „Wiener Union“. Wohl unter dem Eindruck der Gegnerschaft beginnt er das Wort „Judenstaat“ erklärend abzuschwächen. Er benutzt es kurz zu Anfang der Rede, dann aber spricht er von „Kolonisation im großen Maßstabe: . . . die unter ihrem Selbstschutze steht und ihre Autonomie hat“, von „Erlaubnis der Masseneinwanderung“ seitens der türkischen Regierung, für die ein Tribut gezahlt werden soll. Für die Zwecke des letzteren will er ev. einen „Nationalfonds“ durch Subskription aufbringen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls