Pariser Zeit.

Die Pariser Zeit ist, äußerlich genommen, wohl der Zeitabschnitt im Leben Herzls, der als sein glücklichster bezeichnet werden muss. An der Seite einer klugen Frau, die seinem literarischen Schaffen viel Verständnis entgegenbrachte, gefeiert von den Berufsgenossen und dem Publikum, stand er auf der Höhe seiner Kraft. Der Gedanke an eine politische Tätigkeit und gar an eine solche im jüdischen Interesse lag ihm weltenfern; er empfand sich ganz als deutschen Schriftsteller. Die immer enger werdenden Beziehungen zu schriftstellerischen Größen verliehen ihm Befriedigung. Und in dieser Epoche hat er unendlich viel von dem politischen Verständnis, der Routine, sich angeeignet, die er später in den Dienst der zionistischen Bewegung stellen konnte.

Aber bald trat eine Ernüchterung ein. Herzl hat oft darüber gesprochen, wie das Strebertum und die Hohlheit der politischen Glücks-Jäger ringsumher ihn in ein wachsendes Unbehagen versetzten. „Wer die öffentlichen Sitten dieses Landes betrachtet,“ so schreibt er, „der entdeckt, daß alle vier Jahre, zur Zeit der Kammerwahlen, ungefähr fünfzehnhundert Männern, die sich um das Vertrauen ihrer Mitbürger bewerben, die Ehre kurzweg abgeschnitten wird.“ Und weiter: „Da es sich beim Regierungswechsel nicht um Prinzipien, sondern um Personen handelt, sind alle Geschicklichkeiten zulässig ... So denke ich mir oft, wenn ich den behenden Herrn Goblet sprechen höre: „Wie schade, daß er sich nicht gleich selbst widerlegen darf. Da würden die Funken stieben. Es wäre ein Genuss, Goblet gegen Goblet zu hören*).“


*) Palais Bourbon S. 110.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls