Kongressgegner.

Leider hatte Herzl in der Reinheit seiner Gesinnung und dem Wunsche, der ihm heiligen Sache zu dienen, mit den Schwächen der menschlichen Natur nicht genügend gerechnet. In der Presse und hinter den Kulissen begann ein wahres Kesseltreiben gegen den Kongreß. Das war noch nicht dagewesen! Jüdische Dinge in der Öffentlichkeit vor zahlreichen Zuhörern erörtert! Und noch dazu unter der Führung eines Mannes, der einen jüdischen Staat wollte! Die einen sahen schon die Judenemanzipation gefährdet, andere fürchteten wenigstens ein riesiges Anschwellen des Antisemitismus und ein Abrücken der liberalen christlichen Verteidiger.

Ein Teil der alten Chowewe Zion fürchtete ein Verbot der Kleinkolonisation durch den Kongreß, und endlich fanden sich jene niedrigen Charaktere ein, denen die Größe eines Gedankens, einer Tat ein steter innerlicher Vorwurf ist. Die ihre eigene Jämmerlichkeit zwingt, das Edle zu verhöhnen, mit Kot zu bewerfen und mit vergifteten Waffen zu bekämpfen. Es gehörte ein ganzer Mann dazu, gegenüber alledem fest zu bleiben. Aber Herzl war unerschütterlich. Für ihn gab es nur eine Antwort: „die Größe des Kongresses*).


*) Brief an Dr. Ehrenpreis vom 24. Juni 1897 in der „Welt“ vom 20. Mai 1910.

Und er war sich der Schwere der zu erwartenden Gegnerschaft bewußt gewesen. Zunächst hatte sich der Chief Rabbi Dr. Adler gegen das Nationaljudentum gewendet; er ist Herzl übrigens auch bei der Bankgründung später in den Weg getreten. Ihm folgte mit einer Broschüre der Wiener Oberrabbiner Dr. Güdemann, der anfangs der Sache so freundlich gegenüber gestanden hatte, daß er nach der Durchsicht der Bürstenabzüge des „Judenstaats“ an Herzl schrieb: „Ich habe alles gelesen und finde nichts zu monieren“. Die Erwiderung in Blochs Wochenschrift vom 23. April 1897 zeigte bei aller Vornehmheit der Form, daß Herzl eine sehr scharfe Klinge zu führen verstand*).

*) Herzl hat aber stets scharf unterschieden zwischen den unversöhnlichen Gegnern der Sache, und denen „avec lesquels nous nous — entendrons plus tard“. Wenn er eingreifen mußte, war er doch stets bemüht, dem Feind eine Rückzugsbrücke zu bauen. „Unser Banner soll möglichst seidig wehen“, hat er gesagt und geschrieben. Das Judentum war seiner Ansicht nach in Gefahr, wenn es starke Zerklüftung im Innern zeigte.

Er sollte bald Gelegenheit finden, sich ihrer oftmals nach außen wie nach innen zu bedienen. Vor allem bedurfte er nun eines Zeitungsorgans, denn die Presse war fast ganz in gegnerischen Händen. Geld war freilich zur Unterhaltung des Blattes nicht vorhanden. Aber Herzl war überhaupt nie geneigt, sich bei der Verfolgung von Plänen durch Bedenken äußerlicher Natur aufhalten zu lassen; und gar in materiellen Dingen war er fast mehr als großzügig.

Seine Freigebigkeit und Uninteressiertheit in Geldsachen stimmte harmonisch zu seinem ganzen Wesen. Auch in späteren Zeiten, als die Organisation geschaffen war und über größere Geldmittel verfügte, hat er kaum daran gedacht, sich selbst erhebliche verauslagte Beträge erstatten zu lassen. So kam es, daß sein Vermögen sich erschöpfte und daß er sorgenvoll an die Zukunft seiner Kinder dachte. Er hat eben mit der Selbstlosigkeit alles geopfert, die ihm natürlich war; so selbstverständlich, daß er ihr Fehlen bei anderen gar nie begriff und hundertmal sich täuschen ließ. Er gab alles hin: Gesundheit und Kraft, Ruhe und häusliches Behagen, sein Vermögen und zuletzt sogar sein Leben*).

*) Herzl hat sich darüber nicht lange vor seinem Tode — 1903 in Kairo — eingehend zum Verfasser ausgesprochen. Er hatte nie unter irgendwelchen Formen eine Entschädigung von Seiten der Organisation angenommen, weil er sich ein ideales Streben nicht bezahlen lassen und sich nicht der Verleumdung aussetzen wollte, er verfolge materielle Interessen. Aber da er nicht von der Bewegung abhängig sein wollte, mußte er abhängig von der Neuen Freien Presse bleiben, deren Besitzer seine Ideen systematisch totzuschweigen versuchten. Ein Musterbeweis dieser kleinlichen Methode sind die Nummern des Blattes nach Herzls Tode, wo seine Lebensaufgabe knapp erwähnt wird, während man mit der Miene des Leidtragenden spaltenlang Beileidsbezeugungen an die Zeitung wiedergibt. Herzl hat dieses Verhältnis als überaus lästig empfunden, als „siebenjährigen Kampf“. Kam es doch vor, daß er zu einem der mächtigsten Souveräne Europas beschieden wurde, und daß er nicht aus der Redaktion fort konnte. Freilich kann man daraus nicht einseitig der Zeitung einen Vorwurf machen. Aber das Gefühl materieller Gebundenheit hat Herzl oft aufs schwerste bedrückt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls