Herzls Herkunft.

Sein Vorfahre, Löbel, war ein spanischer Jude gewesen, der von der Inquisition gezwungen zum Christentum übertrat und Mönch wurde. Es gelang ihm später, nach der Türkei zu entkommen, wo er sich wieder zum Judentum bekannte. Prinz Eugen verlieh der Familie das Recht, in Semlin zu wohnen, wo noch Herzls Großvater Simon Low Herzl lebte. Sein Vater, Jakob, übersiedelte nach Budapest und verheiratete sich dort mit Jeanette Diamant. Die Ehe, der außer Theodor Herzl noch eine früh verstorbene Tochter — Pauline — entspross, war überaus glücklich. Jakob Herzl erscheint als ein ernster, kluger, gemütstiefer Mann. Jeannette Herzl war eine sehr schöne, geistvolle und wahrheitsstolze Frau, die sich in jener unendlich selbstlosen Liebe zu Mann und Kindern erschöpfte, die jedes Opfer der eigenen Persönlichkeit ganz unbewusst zu bringen bereit war. Als Jakob Herzl infolge eines unglücklichen Waldgeschäftes sein ganzes Vermögen verlor, verdoppelte sie ihre Zärtlichkeit. Weit entfernt von Vorwürfen, bemühte sie sich, ihn durch tausend kleine Aufmerksamkeiten über den Verlust zu trösten. Vor allem sollten die Kinder nichts vermissen.

Vater und Mutter legten sich heimlich allerlei Entbehrungen für „Dori“ auf, um dem Sohne, der eine äußerst sorgfältige Erziehung genossen hatte, das Studium und die Schriftstellerlaufbahn zu ermöglichen*).


*) Herzl hat denn auch an den Eltern mit geradezu schwärmerischer Liebe gehangen. Nach jeder Reise, jeder Abwesenheit galt der erste Gang der Mutter. Als er im August 1903 von Aussee über Wien zu Plehwe reiste, war er den Freunden in Wien plötzlich entschwunden. Bei der Rückkehr entschuldigte er sich: vor wichtigen Unternehmungen pflege er stets das Grab seines Vaters aufzusuchen.

An Lilien, der ihn auf der Rheinbrücke photographiert hat, schreibt er am 30. I. 02: „Bitte doch auch um zweite Kopien für meine Mutter, d. h. sie kriegt die erste und die zweite bleibt bei mir“ (vgl. Ost und West vom August/September 1904, S. 639).

Diese selbst gegenüber Halbfremden erzeigte Zärtlichkeit erfüllt ihn vor allem für seine Frau und die Kinder. Sie zeigt sich in allen Handlungen und allen Briefen, während der Krankheit, selbst in der Sterbestunde. Mitten im wildesten Sturm der Ostafrikadebatte bittet er den Verfasser: „ich kann's heute nicht, schreiben Sie für mich dem Hansel. Er soll nicht denken, daß sein Vater ihn vergessen hat.“ Es scheint, daß bei ihm die Gefühle nicht, wie bei anderen Menschen, nach den Stimmungen sinken und anschwellen, er ist stets von der gleichen, überfließenden Herzenswärme gegen die Seinen und die Freunde. Auch von gleicher Güte gegen jeden Fremden. Wie vielen jungen Schriftstellern hat er geholfen! Nur wenn seiner Ansicht nach etwas der Volkssache Schädliches geschieht, wird er scharf und kalt wie Eis. Gelegentlich selbst gegen die verdientesten Freunde.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls