Herzls Diplomatie.

Wie gelang es nun Herzl, sich das Vertrauen der regierenden Kreise zu schaffen, das ihm solche Aktionen ermöglichte? Zunächst muß festgestellt werden, daß Herzl nicht etwa Bittgänge zu den Großen, mit denen er verhandelte, unternommen, sich ihnen angeboten hat. Er wußte sehr wohl, daß die Männer, auf die er seine Hoffnungen setzte, vor einem politischen Schnorrertum genau so wenig Respekt haben würden, wie vor einem Bittgänger um Geld; daß ihnen der Jude mit besonders hoch erhobenem Haupte als Nachkomme großer Ahnen und Träger uralter Traditionen entgegentreten mußte, wenn er ihre Sympathie erwerben wollte. Stolz und bescheiden. Er selbst war außerordentlich zurückhaltend. Wohl versuchte er durch Mittelsleute in persönlichen Verkehr mit den Stellen zu kommen, die ihm für die Förderung der Arbeit nötig erschienen. Aber alle seine Bestrebungen gingen dahin, daß er gerufen wurde. Selbst gegen geringe Taktfehler in dieser Hinsicht war er sehr empfindlich. Wußte er doch, daß er die Würde der Nation, der lange entwürdigten, zu wahren hatte. So schreibt er in einem Briefe vom 17. April 1903 an einen deutschen Gesinnungsgenossen: „Ich habe oft genug davor gewarnt, mit diesen Hof- und Regierungskreisen in allzu auffallender Weise Fühlung zu suchen. Es macht keinen guten Eindruck und schädigt unsere Sache ganz entschieden. Die größte Zurückhaltung ist diesen Kreisen gegenüber das einzig Richtige; nur dann werden wir richtig beurteilt.“

Neben dieser Taktik war es seine wunderbar vornehme und harmonische Persönlichkeit, der ritterliche Charme seines Wesens und sein außerordentliches Taktgefühl, die ihm überall Freunde gewannen. Seine vornehme Erscheinung, die über sein ganzes Wesen ausgegossene Kultur, die Wärme der Stimme und das stete Formen der Urteile zu kleinen, geistvollen Pointen — das alles bezauberte und zwang den Partner der Verhandlung in seinen Bann. Und dann hatte er, wie es nur der alteingesessene westeuropäische Jude haben kann, natürliches Verständnis für die Anschauungen und Empfindungen derer, die ihm gegenübertraten. Er verstand klar das starke, protestantisch-innige Seelenleben des greisen Großherzogs, der es für einen Teil gottgewollter Sendung hielt, daß er dem Volke der Bibel seine Heimat wieder schaffte, und den jungen Kaiser, den genialer Schaffungsdrang und historische Romantik für die Bewegung gewannen. Er verstand aber auch den großen britischen Kolonialminister Chamberlain, der mit nüchtern geschäftlichen Erwägungen religiöse Unterempfindungen und das großzügige englische Gerechtigkeitsgefühl für die Schwachen und Bedrängten vereinigte.


Ihm selbst war nichts Menschliches fremd in der Weite seines Denkens und Fühlens, und so verstand er die Sprache eines jeden. Die Sprache des armen jüdischen Hausierers und der christlichen Herrscher, die des Sultans und des Papstes. Und da er selbst die an das Gute und Große der menschlichen Natur appellierende Sprache der Wahrheit und Gerechtigkeit führte, wurde er von allen verstanden. Ihr hat er seine Erfolge gedankt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls