Herzl und Wilhelm II. in Jerusalem.

Mit diesem Vertrauensvotum in der Tasche, als fast unbeschränkter Führer der außerordentlich angewachsenen Bewegung, unternimmt Herzl den Versuch der Gewinnung des Deutschen Kaisers.

Im Oktober 1898 tritt Wilhelm II. seine Palästinafahrt an, zu deren Beginn er zunächst den Sultan Abdul Hamid in Konstantinopel besucht. In diesem Besuche eines der mächtigsten Fürsten des christlichen Europas bei dem Beherrscher der Gläubigen lag selbstverständlich eine außerordentliche Stützung der türkischen Herrschaft, ein Freundschaftsbeweis für die mohammedanische Welt, wie er seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben worden war. Und aus dieser neu gegründeten Freundschaft zwischen Deutschen und Osmanen mußte sich ein starker Einfluß des Kaisers auf den Sultan ergeben. Herzl war es schon früher gelungen, den ersteren für seine Pläne zu interessieren. Er wünschte aber auch eine öffentliche Bestätigung dieses Interesses zu erlangen, indem ihn der Deutsche Kaiser auf dem Boden des alten Judenlandes empfing und seine Bitte um Hilfe entgegennahm.


Nachdem die nötigen einleitenden Schritte erledigt waren, begab sich Herzl, begleitet von Schnirer, Wolffsohn, Bodenheimer und dem Ingenieur Seidener nach Konstantinopel. Dort wurde Herzl am 18. Oktober zunächst vom Kaiser im Yildiz Kiosk in Gegenwart Bülows empfangen und in ein ausführliches Gespräch gezogen. Sodann reiste die Abordnung am 19. Oktober über Ägypten nach Palästina und erwartete in Mikweh Israel den nach Jerusalem wallfahrenden Zug. Als der Kaiser den das Spalier um Haupteslänge überragenden Führer der Zionisten erblickte, ließ er halten, ritt an Herzl heran, reichte ihm die Hand und begrüßte ihn laut mit freundlichen Worten. Dann unterhielt er sich mehrere Minuten mit ihm über seine Eindrücke vom Lande und verabschiedete sich sehr freundlich.

Die Deputation folgte nach Jerusalem und ward dort am 2. November in feierlicher Audienz empfangen. Der Minister von Bülow war anwesend. Von Böswilligen ist später oft genug gespöttelt worden, die Audienz habe einen Mißerfolg bedeutet, denn praktische Folgen sind nicht ersichtlich gewesen. Wenn einmal der Zeitpunkt für eine rückhaltlose Klarlegung der Tatsachen gekommen sein wird, die heute unmöglich erscheint, wird man den Irrtum einsehen. Lag schon in der bloßen Tatsache des offiziellen Empfanges gerade an dieser Stelle und unter diesen Verhältnissen eine bedeutungsvolle Erklärung, so mußte jeder Zweifel schwinden, wenn man Herzl gestattete, in seiner Ansprache geradezu um die Vermittlung des Kaisers zu bitten. „Für so gut halten wir diese Sache, für so wert der Teilnahme der Großmütigsten, daß wir Ew. Kaiserliche Majestät um Ihre hohe Hilfe zu dem Werke bitten.“ So spricht man zu den Großen dieser Erde nur dann, wenn man vorher weiß, daß man es darf und daß sie helfen wollen, wenn sie selbst es vermögen. Der Kaiser hat eingehend und in freundliebster Weise erwidert. Sogleich nach dem Empfang reiste die Deputation ab. In einem Artikel der „Welt“*) sagt Herzl in Erwiderung der oben erwähnten törichten Spötteleien: „Es ist uns gelungen, das Interesse zweier Herrscher für unsere gerechte Sache zu erwecken. Und sage oder glaube niemand, daß diese Großen dabei etwas Unfreundliches im Sinne führen. Die öde Selbstbespöttelung mancher Juden, durch die wir alle in Verruf kommen, kann ja auch für eine solche Teilnahme die hämische Erklärung finden: sie wollen uns los haben! Aber in Wirklichkeit liegt die großmütigste Absicht vor, Kultur zu verbreiten, unglücklichen, herumirrenden Menschenmassen eine Heimstätte zu verschaffen, Wohlfahrt in eine verwahrloste Gegend zu bringen, und durch all dies den Besitzstand der Menschheit an Glück und Gesittung ein wenig zu vermehren. So ist die Teilnahme gemeint und so haben wir sie dankbarst verstanden.“

*) Nr. 46 vom 18. November 1898.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls