Herzl und Baron Hirsch.

Während Herzl den Plan zur Wiederherstellung des jüdischen Volkes im eigenen Lande fasste, hatte er doch keineswegs die Absicht, mit ihm an die breite Öffentlichkeit zu gehen. Er wollte nur privatim an seine Freunde, an einflussreiche und angesehene Männer herantreten. Glaubte er doch, daß sein Plan bei einigem Nachdenken so klar und einleuchtend sei, daß er ohne weiteres von jedem Juden erfasst und gebilligt werden müsse. Es sollte gehandelt, nicht disputiert werden, und die öffentliche Agitation erschien nur als das letzte Auskunftsmittel. Vor allem setzte er große Hoffnungen auf einen Mann, der damals infolge seiner großzügigen Hilfsaktionen für die notleidenden Juden in aller Munde war: den Baron M. Hirsch. Im Mai 1895 wandte Herzl sich an ihn mit dem Ersuchen, ihm einen Tag zu einem „judenpolitischen“ Gespräch zu bestimmen. Hirsch antwortete am 20. Mai 1895, daß er in London sei und ihm deshalb anheimstellen müsse, seine Ideen schriftlich niederzulegen. Darauf erwiderte Herzl vier Tage später in einem Schreiben, das sehr charakteristisch für seine Art der Menschenbehandlung erscheint. Er erklärt sich zwar zur schriftlichen Niederlegung seiner Ideen bereit, fügt aber hinzu: „Wenn Sie mir durch Ihren Sekretär irgendeine höfliche Formel der prise en considération antworten ließen, wären Sie für mich dauernd erledigt. Und das wäre vielleicht im allgemeinen Interesse zu bedauern.“

Der überlegene, fast herablassende Ton, den Herzl hier anschlug, verfehlte seinen Zweck nicht. Hirsch erwiderte postwendend, er begebe sich auf 48 Stunden nach Paris und erwarte Herzl zu der gewünschten Aussprache, die denn auch am Pfingstmontag 1895 stattfand. Der von Herzl aufgezeichnete Wortlaut ist überaus interessant. Der große, von philantropischen Ideen getragene Geldjude und der Geistesjude stehen sich gegenüber, von einander gefesselt und doch voll Misstrauen. Hirsch hält die Lösung der Judenfrage nur so für möglich, daß man das geistige Niveau der Juden niederschraubt. Aller Hass kommt von ihrer zu großen Intelligenz. Er sieht in dem Journalisten, dessen Geist er wohl fühlt, einen Schwärmer, dessen Gedanken und Pläne ihm unausführbar erscheinen, wenn er auch die Kritik seiner eigenen Arbeit nicht zurückweist. Er sagt schließlich selbst: „Auswandern wäre das einzige. Es gibt Länder genug zu kaufen.“ Aber er meint: „Woher nehmen Sie das Geld? Rothschild wird 500 Franken unterschreiben.“ Und Herzl, dem die Idee allmächtig scheint, erwidert mit der souveränen Verachtung des Geldes, die ihn sein Leben hindurch ausgezeichnet hat: „Ich werde eine Nationalanleihe von 10 Milliarden Mark aufbringen“*).


Heimgekehrt, fühlt Herzl, daß er dem leise ironisierenden Tone des anderen noch einmal entgegnen, ihm die überlegen-wirkende Kraft des Ideals klar machen müsse. Er zürnt sich selbst, daß er sich hat unterbrechen, vom Hauptpunkte abbringen lassen. Und er schreibt an Hirsch jenen wundervollen dritten Brief: „Ich hätte Ihnen schließlich sagen müssen, welche Fahnen und wie ich sie aufrollen will. Und hätten Sie mich spöttisch gefragt: eine Fahne, was ist das? Eine Stange mit einem Fetzen Tuch! Nein, mein Herr, eine Fahne ist mehr als das! Mit einer Fahne führt man die Menschen, wohin man will, selbst ins Gelobte Land.

Für eine Fahne leben und sterben sie, es ist sogar das einzige, wofür sie in Massen zu sterben bereit sind, wenn man sie dazu erzieht . . . Wissen Sie, woraus das Deutsche Reich entstanden ist? Aus Träumereien, Liedern, Phantasien und schwarz-rot-goldenen Bändern. Und in kurzer Zeit! Bismarck hat nur den Baum geschüttelt, den die Phantasten pflanzten . . . ja,“ so fährt er mit fast biblischem Pathos fort, „nur das Phantastische ergreift die Menschen. Und wer damit nichts anzufangen weiß, der mag ein vortrefflicher, braver und nüchterner Mann sein, und selbst ein Wohltäter im großen Stil. Führen wird er die Menschen nicht, und es wird keine Spur von ihm bleiben“**).

*) Siehe Zionistische Schriften I „Theodor Herzl und Baron Hirsch“.

**) Zionistische Schriften I., S. 55.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls