Empfang durch den Sultan.

Aber zugleich ist er unermüdlich politisch tätig in Deutschland, England, Osterreich, der Türkei. Schon im Jahre 1900 wird ein Charterentwurf gefertigt, und er leitet die nötigen Schritte ein, um ihn dem Sultan selbst vorlegen zu können. Er will die bisher durch Agenten geführten Verhandlungen selbst zum Abschluß bringen. Herrmann Vámbéry, der berühmte Forscher, bereitet ihm den Weg. Als Lehrer der Prinzessin Fatma Sultan hat er einst ihren Bruder, Hamid Effendi, einen fünfzehnjährigen Knaben, kennen gelernt. Nach langer Wanderung durch Asien wird er der vertraute Ratgeber jenes Hamid Effendi, der als Abdul Hamid den Thron der Kalifen bestiegen hat. Obwohl dem zionistischen Gedanken fremd, stellt er sich Herzl zur Verfügung und es gelingt ihm, den Intriguen des Palastes wie diplomatischer Kreise zum Trotz, das Mißtrauen des Sultans gegen den Führer des Zionismus zu überwinden. Herzl soll empfangen werden und reist Mitte Mai 1901 nach Konstantinopel ab, begleitet von Oskar Marmorek und Wolffsohn. Freitag, den 17. Mai wird er nach dem Selamlik durch einen Adjutanten ins Palais gebeten und vom Sultan in einer 2¼ Stunde währenden Audienz empfangen. Er legt dem Sultan seine Pläne dar und macht auf ihn einen überaus günstigen Eindruck*).

*) „Dieser Herzl sieht ganz wie ein Prophet, wie ein Führer seines Volkes aus. Er hat sehr kluge Augen, spricht behutsam und klar.“ Worte des Sultans zu Vámbéry, vgl. dessen Aufsatz in der „Welt“ vom 20. Mai 1910. Nach einem Bericht Wolffsohns sagte ihm der Oberzeremonienmeister Ibrahim, der Sultan habe bewundernd über Herzl gesprochen und geäußert: „So muß Jesus Christus ausgesehen haben“.


Nach der Audienz erhält er vom Sultan den Großkordon des Medschjidie-Ordens, eine außerordentlich hohe Auszeichnung. Am nächsten Morgen wird er wieder in den Yildiz berufen, wo er von ½11 bis 4 Uhr verbleibt. Im Begriff abzureisen, wird er zwei Tage später nochmals in den Palast beschieden und weilt dort von 9 Uhr früh bis 5 Uhr nachmittags. Der Sultan beschenkt ihn mit einer prachtvollen Brillantnadel und verlangt ein Exposé von ihm. Herzl reist voller Hoffnungen über Konstantinopel nach Wien ab und begibt sich nach Paris und London, um für den Fall der Chartererteilung die nötigen Geldmittel aufzubringen. Während er in Paris verschlossene Türen findet, wird ihm in London die Besorgung der Land Co. versprochen, wenn er die Charterzusicherung erlangt. Er arbeitet in London das Exposé für den Sultan inmitten des Trubels von Besprechungen, Versuchen und angeknüpften Verbindungen aus, und am 24. Juni kommt es in Abdul Hamids Hände. In dem Exposé wird der Charter im voraus verlangt, „weil unsere Leute etwas Greifbares haben wollen, ehe sie schwitzen“*).

*) Brief vom 29. Juni 1901 an Kokesch.

Am 11. Juni ist er Gast der Maccabaeans. Zangwill führt den Vorsitz und begrüßt ihn unter großen Ovationen als den ersten jüdischen Staatsmann seit der Zerstörung Jerusalems. „An seinen Namen“, sagt er, „knüpft sich der Ruhm, in einer Zeit, wo das jüdische Volk, geknechtet und gedrückt von den anderen, in Skeptizismus und Selbstverachtung zu versinken droht, den Ruf nach Mut und Selbstvertrauen erhoben zu haben.“

Herzl gibt in seiner Antwort zu verstehen, daß ein Erfolg in Konstantinopel wohl erreichbar sei, wenn die nötigen Geldmittel beschafft werden könnten. Er appelliert an die Judenheit, sich „für die historische Hilfe, die man bringt“, erkenntlich zu zeigen, und fordert die Aufbringung von zwei Millionen Pfund.

Aber die Verhandlungen über das Geld schleppen sich hin, und ohne große Mittel ist ein Abschluß nicht zu erzielen. Vámbéry rüstet im September zu einer zweiten Reise und Herzl versucht alles, um Geld aufzutreiben. Er denkt jetzt an Carnegie, an die Südafrikaner, an Cecil Rhodes, der denn auch von Stead, dem bekannten Friedensapostel, in einem Tischgespräch interessiert wird, aber nicht lange darauf stirbt. Er sieht, daß all sein rastloses Arbeiten für sein Volk an der Taubheit und Gleichgültigkeit der Satten und Reichen zerschellt. Der Bankapparat funktioniert noch immer nicht, weil die Raten der 330 000 Subskribenten unregelmäßig eingehen, und der Erfolg der Audienz ist im Verblassen. Zeitweise ergreifen ihn tiefe Depression*). Er siegt bei allem, was er unternimmt und bleibt doch erfolglos.

*) Brief an Kokesch, d. d. Alt-Aussee, 6. August 1901, Mandelstamm vom 18. August 1901 (s. Anhang S. 114—115). Brief an Gustav G. Cohen, d. d. Alt-Aussee, 15. September 1901: „Mir sind in meinem Leben schon so viele Schiffe untergegangen, daß ich schlechte Nachrichten gut vertragen kann.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls