Edlach.

Am nächsten Morgen, um ½ 6 Uhr, kam er in das Zimmer des Freundes, ein starkes Manuskript in der Hand. Es war ein Memorandum für Petersburg. Der todkranke Herzl hatte die ganze Nacht daran gearbeitet und gefeilt und darüber den Schlaf völlig vergessen. „So wollen Sie gesund werden? Das soll eine Kur sein?“ rief ihm Katzenelsohn vorwurfsvoll zu. „Ja, mein Freund, Sie haben doch gestern gesehen, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Die letzten Wochen oder Tage — wir haben Eile!“

Seine Briefe an Frau und Kinder sind von verdoppelter Fürsorge und Zärtlichkeit. Aber auch heiter, scherzend. Sie sollen nicht um ihn sorgen, es soll eine friedliche Abschiedszeit sein nach langem Ringen.


Ungebessert kehrt er nach Wien zurück. Das Leiden wird qualvoller und die Kräfte schwinden. Eine Liegekur schafft wenig Linderung. Am 3. Juni reist er mit seiner Gattin und Kremenezky nach Edlach, das er sehr liebt. Bevor er sein Heim verläßt, breitet er über seine Briefschaften im Schreibtisch einen Bogen, auf dem die Worte stehen: In mid of live come the death. Die Arzte im Edlacher Hof sehen, daß man einen Sterbenden bringt. Wider alles Erwarten tritt in der frischen Bergluft unter der aufopfernden Pflege seiner Gattin eine kurze Besserung ein. Er beginnt wieder zu arbeiten, Briefe zu schreiben und faßt neuen Lebensmut. Man plant sogar eine Reise nach Hamburg, um eine neue Kur zu versuchen. Aber die Veränderung ist trügerisch. Infolge der Vorbereitungen für die neue Behandlung oder infolge einer Erkältung zeigt sich am 1. Juli ein Bronchialkatarrh, der in eine Lungenentzündung übergeht. Herzl ist sich seines Zustandes völlig bewußt. „Grüßen Sie mir Palästina“ sagt er zu einem christlichen Zionsfreund, der ihn besucht, „ich habe mein Blut für mein Volk hingegeben“. Mit Ungeduld verlangt er seine jüngeren abwesenden Kinder und die Mutter zu sehen, der man bisher auf sein Verlangen die wahre Lage verheimlicht hat.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls