Der II. Baseler Kongress.

So kam der zweite Baseler Kongress heran. Zwei Aufgaben harrten seiner hauptsächlich: Die Regelung der Bankfrage und des Verhältnisses der Bewegung zu den Kolonisationsbestrebungen. In der letzteren Frage bestanden nicht unerhebliche Differenzen zwischen den Anhängern der Kleinkolonisation und Herzl fort. Sie hatten sogar zu einer Spaltung innerhalb der englischen Zionisten geführt und ein Ausgleich tat dringend not. Herzl litt infolge der Anstrengungen und Arbeit an nervösen Herzbeschwerden; er wollte die Oberleitung für ein Jahr nach Paris verlegen und Nordau unterstellen, der Gedanke wurde aber aus politischen Gründen wieder fallen gelassen.

War der erste Kongreß ein Fest des Wiedersehens, der Einigung im Geiste gewesen, so sollte die zweite Zusammenkunft der Vertreter des jüdischen Volkes die festen Grundlagen für die Organisation schaffen. Es war eine Feierstimmung, in der man sich versammelte. Sie hat über allen den ersten Kongressen gelegen und sie teilte sich sogar der christlichen Bevölkerung Basels mit. Als der Schweizer Festzug von St. Jakob zurückkam, wo die Eidgenossen den Sieg über die Armagnacs vom 26. August 1444 zu feiern pflegen, stand Herzl mit den anwesenden Delegierten auf dem Balkon des Kongreßhauses. Seine königliche Erscheinung ergriff die Menge, und als einige Delegierten „Hoch die Schweiz“ riefen, senkten sich die Fahnen des Zuges, grüßten das vom Balkon flatternde blauweiße Banner und brausend schallte es wohl zum ersten Male seit Jahrtausenden herauf: „Hoch die Juden!“


Bei der Kongreßeröffnung war Herzl Gegenstand einer Begeisterung, einer jubelnden Ovation, wie sie wohl selbst den gekrönten Herrschern dieser Erde nur selten zuteil wird. Immer von neuem rauschten Beifallsstürme durch den Saal, die er in jener schlichtgebeugten und doch stolzen Haltung entgegennahm, die niemand vergessen kann.

Solche Tage haben ihn für Undank und Verleumdung, Enttäuschungen und Mühsal entschädigt. Was kann das Leben Größeres bieten, als solche Kundgebungen des Dankes und der Liebe?

Auch seine Eröffnungsrede war immer aufs neue von Jubel unters brechen, obwohl er auf alles rhetorische Pathos verzichtete. „Wir wünschen nur eine internationale Diskussion, keinen internationalen Verein. Und das sei hier noch einmal zum ewigen Gedächtnis wiederholt: es kann sich bei uns nicht um Bündeleien, geheime Interventionen und Schleichwege handeln, sondern nur um eine offene Besprechung unserer Gegenwart und Zukunft unter der beständigen Kontrolle der öffentlichen Meinung.“ Herzl ruft sodann nach dem Volks Bewußtsein den Volkswillen wach. Er fordert, es unmöglich zu machen, daß fortan in den jüdischen Kultusgemeinden gegen Zion agitiert werde und stellt als eines der nächsten Ziele der Bewegung die Eroberung der Gemeinden hin. Dann bespricht er die Aussichten der politischen Arbeit, die Schaffung des finanziellen Instruments der Organisation — der Kolonialbank — die demnächst ins Leben treten werde, und wendet sich scharf gegen die Infiltrationspolitik der „praktischen“ Zionisten, die er „Einschmuggelung von Ansiedlern“ nennt. So schafft er einen Vorklang zur Kolonisationsdebatte. In dieser treten Pineles, Bambus u. a. scharf gegen Motzkin auf, der die bisherigen Methoden der Kolonisation kritisiert. Er äußert sich in seinem Referat sehr ungünstig über den bisherigen Stand der Kolonien und verdammt die Infiltration, bevor nicht die Tore Palästinas geöffnet seien, die Juden ungehindert Grundbesitz erwerben dürften, und sie Garantien in bezug auf Abhängigkeit und Privilegien bezüglich der Ertragssteuer erhielten. Schließlich werden die Worte „zweckdienliche Besiedlung Palästinas“ des Baseler Programms dahin durch den Kongreß definiert, daß man unter ihnen verstehen solle: „die Kolonisation, die nach einer von der türkischen Regierung dazu erlangten Erlaubnis und nach einem Plan und unter Leitung einer vom Kongreß gewählten Kommission durchgeführt werden soll“. Herzls Ansichten haben also zwar theoretisch nicht durchwegs gesiegt, denn die Resolution stellt ein Kompromiß dar. Aber praktisch bedeutet sie einen völligen Erfolg, da mit der Überweisung an die mittellose Kommission jede praktische Tätigkeit ausgeschlossen wird.

Der Kongreß wählt sodann einen Ausschuß zur Gründung der Bank mit Wolffsohn und Kann an der Spitze. Endlich wird dem Aktionskomitee das Vertrauen ausgedrückt und Herzl durch Akklamation wieder zum Vorsitzenden des Aktionskomitees gewählt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls