Der „Charter“.

Als er, begeistert begrüßt, auf die Tribüne trat, konnte er mit guten Gewissen sagen: „Es war ein gutes Jahr, wir sind um ein Stück weiter gekommen.“ Und weiter heißt es in der Eröffnungsrede: „Unsere Bemühungen sind darauf gerichtet, einen Charter von der türkischen Regierung zu erlangen, einen Charter unter der Souveränität Sr. Majestät des Sultans.“ . . . „Für die Gewährung dieses Charters werden wir der türkischen Regierung große Vorteile vermitteln.“ Der zionistischen Politik werden damit für die nächsten Jahre ihre Wege vorgeschrieben.

Das Organisationsstatut wurde sodann eingehend beraten. Wichtig war, daß von Leitung und Delegierten betont wurde, der Zionismus werde nie etwas gegen irgendeine religiöse Richtung im Judentum unternehmen. Prinzipielle Fragen hat der Kongreß nicht entschieden. Die Wiederwahl Herzls erfolgte unter stürmischen Kundgebungen des Vertrauens.


Die nächsten Monate sind mit Arbeiten für die Bank, politischen Bestrebungen und organisatorischen Maßnahmen ausgefüllt. In einer großangelegten Rede vor Wiener Kaufleuten und Bankiers spricht er im Frühling 1900 über die Bank vom geschichtsphilosophischen Standpunkte aus und über ihre jüdischen Gegner, die sie zu boykottieren versuchen. Der Ton der Rede ist gereizt, das Urteil über andere jüdische Organisationen, z. B, die Alliance, schärfer als gewöhnlich. Man merkt, daß der Kampf auf seinem Gipfel angelangt ist, und daß Herzl nervös und abgearbeitet ist. Er erklärt sich, wie auch schon früher, bereit, zu demissionieren, wenn diese Tatsache die anderen großen Institutionen gewinnen könne, überdies sieht er, daß der erhoffte schnelle politische Erfolg ausbleibt. Es folgt eine Zeit der Depression, aber sein unverwüstlicher Optimismus siegt, und sein erfinderischer Kopf beginnt mit neuen politischen Faktoren — vor allem mit den Engländern — zu rechnen. Durch Mr. Sidney Whitman tritt er an das rumänische Königspaar heran.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls