„Das neue Ghetto“.

Außer an den politischen und beruflichen Zielen arbeitet er eifrig an dem Roman Alt-Neuland, der agitatorisch wirken soll, nachdem er bereits früher ein anderes großes literarisches Tendenzwerk „Das neue Ghetto“ vollendet hat. In letzterem — das im Januar 1898 seine erste Aufführung erlebte — ruft er die Juden auf, sich aus dem moralischen Gefängnis, in dem sie stecken, zu befreien. Das Schicksal vornehm empfindender Juden wird in dem Advokaten Dr. Jacob Samuel personifiziert. Zunächst verläßt ihn sein bester Freund, der Dr. Franz Wurzlechner. Er will sich in die Politik stürzen, und da hindert ihn der jüdische Umgang. Er will nicht „Judenknecht“ heißen. Samuel scheidet ohne Groll von ihm. „Wenn ich ein Stück aus der Judengasse herausgekommen bin, so war's an deiner Hand. Jetzt kann ich schon allein weitergehen.“ Und er schreitet allein seinen Weg. Sein Verwandter, der Bankier Rheinberg, beginnt ein wenig sauberes Börsengeschäft, eine Gründung, an der ein verkrachter Rittmeister beteiligt ist. Samuel wird zur juristischen Hilfeleistung zugezogen. Er durchschaut den Charakter der Gründung, bleibt nur, um den Rittmeister zu schützen, wird aber gerade durch ihn ein Opfer des Verhängnisses. Als infolge von Unglücksfällen die Aktien sinken und der Rittmeister sich ruiniert sieht, will er sich an Rheinberg halten. Samuel tritt dazwischen, um die Sache gütlich zu ordnen. Der gereizte andere schleudert ihm das Wort „Judenpack“ zu. Jacob schlägt den Beleidiger ins Gesicht. Ein Duell, in dem Jacob fällt, ist die Folge. „Juden, meine Brüder,“ ruft er, „man wird euch erst wieder leben lassen, — wenn ihr“ . . . und „Hinaus aus dem Ghetto“. Das Stück ist eine Fundgrube lebensvoller Züge, ein glänzendes Gesellschaftsbild. Die Großstadtjudenheit wird in heiteren, ernsten, leichtfertigen Persönlichkeiten verkörpert. Der Börsenagent Wasserstein ist wohl die beste Figur des Stücks — kulturlos, gutmütig, lächerlich zugleich. Eine poetische Legende des Josua von Speyer ist wirkungsvoll verwendet.

Trotz all dieser Vorzüge muß man zugestehen, daß das neue Ghetto von dem fast unvermeidlichen Fehler der Tendenzstücke nicht frei ist. Die Figuren reden, was der Dichter bewiesen haben will, und das beeinträchtigt die Lebenswahrheit und die rein künstlerische Wirkung. Immerhin hat das „Neue Ghetto“ bei seinen Aufführungen im Karltheater in Wien, in Prag, Olmütz usw. lebhafte Erfolge erzielt.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls