Adresse der österreichischen Akademiker im Mai 1896 *)

Sr. Hochwohlgeboren Herrn Dr. Theodor Herzl

in Wien.


Hochverehrter Herr Doktor! Der Ruf, den Sie in Ihrem „Judenstaate“ an das jüdische Volk haben ergehen lassen, findet einen mächtigen Wiederhall in den Herzen von Tausenden Ihrer Stammesgenossen. So alt wie unser Exil ist auch die Sehnsucht unseres Volkes nach Freiheit; aber nur vereinzelt waren die Stimmen, die diesem Wunsche lauten Ausdruck gegeben haben. Sie, hochverehrter Herr Doktor, haben den Mut gehabt, diese Gefühle in klarer und prägnanter Weise auszusprechen und den nationalen Bestrebungen unseres Volkes neue und für die Zukunft verheißungsvolle Bahnen zu weisen. Hiefür gebührt Ihnen der Dank der Nation, den die Gefertigten — geistige Arbeiter des Judentums — nicht besser dokumentieren können, als indem sie das Wiederaufrollen unserer nationalen Fahne freudig begrüßen und sich in den Dienst der heiligen Sache des jüdischen Volkes hingebungsvoll stellen.

*) Der Aufruf zur Unterzeichnung dieser Adresse ging von folgenden im „Verband der österreich. Vereine für Kolonisation Palästinas und Syriens“ organisierten Verbindungen aus: Akademische Verbindung „Kadimah“ in Wien; Verbindung österr.-schles. Hochschüler „Ivria“ in Wien; Vereinig, jüd. Veter.-Med. „Libanonia“ in Wien; Akademische Verbindung „Hasmonaea“ in Czernowitz; Jüd. Akadem. Verbindung „Unitas“ in Wien; Akademischer Verein „Gamala“ in Wien; Theologischer Verein der Hörer an der isr. Theolog. Lehranstalt in Wien; Akademischer Verein „Humanitas“ in Graz.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls