An Samuel Pineles in Galanz. 1897

Neue Freie Presse.
Redaction:
Wien
Kolowratring, Fichtegasse No. 11

Wien IX, Berggasse 6
18. I. 97


Hochgeehrter Herr!

Ihren Brief habe ich mit großem Interesse wiederholt gelesen. Die Verhältnisse in Rumänien beobachte ich natürlich mit der größter Aufmerksamkeit, und ich danke Ihnen für diejenigen Auskünfte, die ich nicht schon besaß. Sie scheinen meine Publikationen (Reden in London u. a. a. 0.) nicht gelesen zu haben. Ich lege hier die letzte bei, eigentlich die vorletzte, denn im Jewish Workingmen's Club zu London fand vorgestern ein großes Meeting statt, in welchem ich Erklärungen abgeben ließ. Am besten ist es, Sie lesen regelmäßig die Londoner „Jewish World“ (8 South Street, Finsbury) der ich alle Mitteilungen zuschicke.

In Ihrem Briefe finde ich wichtige Irrtümer, so weit Sie von außerrumänischen Dingen sprechen. Insbesondere ein Mann, den Sie wiederholt mit Dank und Verehrung nennen, kämpft mit allen Mitteln gegen den nationaljüdischen Plan. Es ist bedauerlich. Ich kann mich jetzt auf Näheres nicht einlassen.

Ihre Lotterie- anderen Sammlungsideen kann ich nicht acceptiercn. Ich wenigstens kann u. werde mich mit dergleichen nicht abgeben, unsere Bewegung hat ohnehin gemeine Verleumder genug.

Es ist freilich schwer, eine große Agitation ohne Geld zu machen, aber es muß geschehen und es geschieht. Ich kann Ihnen die erfreuliche Nachricht geben, daß unsere Bewegung mit wachsender Gewalt um die Erde herumgeht.

Sie werden doch wissen, daß ich gegen die Infiltration in Palästina bin — wir würden dort nur neue massacrirbare Armenier ansiedeln.

Nein, mein Plan ist einfach: das Judenvolk zunächst an seinen jetzigen Wohnorten unter der Nationalfahne versammeln u. mit dem Großtürken vor der Einwanderung über die Garantien der Autonomie Vertrag machen — wobei wir uns natürlich nur mit guten Garantien begnügen werden.

Hiezu habe ich im Juni, als ich in Konstantinopel war, eine Einleitung gemacht.

Wenn Sie von mir das mot d'ordre für die Chowewé Zion in Rumänien haben wollen, so ist es dieses:

Organisiren Sie sich, sammeln Sie Kräfte und halten Sie sich bereit, überziehen Sie Rumänien mit einem Netz von Einzelvereinen, die sich in Ihrer Hand centralisiren. Leiten Sie eine Wanderagitation ein, legen Sie Verzeichnisse unserer Gesinnungsgenossen an und berichten Sie mir von Zeit zu Zeit.

Wenn Sie, wie die Zionisten verschiedener anderer Länder sich meiner Führung unterordnen wollen, werde ich Ihnen selbstverständlich alle wichtigen Vorgänge bekanntgeben.

Mit Zionsgruß Ihr ergebener

Th. Herzl




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls