An Dr. Mandelstamm, Kiew. 1901

Alt-Aussee Steiermark

18. VIII. 1901.


Mein teurer, guter Freund

Müde hab' ich mich gelaufen und bin von dem Gesindel, welches über das Geld verfügt, nicht einmal angehört worden. Es wird Pech und Schwefel regnen müssen, damit diese Steine weich werden.

Es ist unerhört u. in fünfzig Jahren wird man diesen Leuten auf das Grab spucken, wenn man es erfahren wird, daß ich mit . .*) nahezu fertig war und nur die lumpigen Gelder nicht bekommen konnte. Natürlich dürfen wir heute unserem Zorn u. Schmerz nicht Luft machen, denn dann erführe auch . . . unsere innere Schwäche u. ich muß mich bemühen ihn hinzuhalten, Zeit zu gewinnen, Wasser aus dem Felsen zu schlagen u. Gold aus dem Koth zu kratzen.

Bequemer für mich wäre es ja, heute abzuschließen u. eine Proklamation zu erlassen: „So, Juden, ich armer hilfloser Journalist habe es in fünf Jahren so weit gebracht, mit . . . selbst, diese Verhandlung führen zu können. Was an mir war, habe ich gethan u. mehr. Ihr aber laßt mich im Stich, Ihr seid eine Bagage — hol Euch der Teufel! ich kümmere mich um nichts mehr,“

Ce beau geste, der auch so angenehm u. bequem wäre, ist mir versagt. Ich muß es weiterschleppen. Das Schlimmste aber ist, daß nicht nur die Antis u. die Indolenten mir Miseren machen, sondern die eigenen Leute. In der Bank ist man nicht zu einem Entschluß zu bringen, es gibt Reibereien, persönliche Differenzen zwischen den Direktoren. Was Einer proponirt, will der Andere nicht, etc. Bis ich wieder als Gewaltmensch auftreten muß, damit nur etwas geschehe.

Auch im A. C. scheint etwas zu gähren Man spricht von „Jungzionismus“ etc. Das ist wahrlich früh, daß wir unsere Jungtürken haben. Wir sind eben ein geistreiches Volk.

Aber darüber lache ich schließlich. Sie sollen mich nur schon aus der Bewegung hinauswerfen!

Vorläufig ist meine Eine Sorge: Geld. Grands dieux, wo soll ich's hernehmen? Ich zerbreche mir den Kopf, um etwas zu finden.

Der Kongreß wird um Weihnachten in Basel sein. Die ungünstigste Zeit. Aber mein Vorschlag: Juli in London, wurde von den Fraktionen abgelehnt, weil es mein Vorschlag war. Es war nöthiger, sich die Demüthigung von der ICA abzuholen. Darum hatte man für den Congreß keine Zeit.

Dies alles unter uns! Sie haben das Privilegium, daß ich mich bei Ihnen ausweine, weil ich Sie so von Herzen liebe.

Ihr treuergebener Benjamin**).



*) An Stelle der Punkte steht im Original eine Chiffre, die den Sultan Abdul Hamid bezeichnet.

**) Herzls hebräischer Vorname, den er nur im intimen Briefwechsel gebrauchte.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Leben Theodor Herzls