Vierzehntes Kapitel. - Der Major saß mit Sonnenkamp in einem Bahnwagen erster Klasse auf einem Extrazuge. ...

Der Major saß mit Sonnenkamp in einem Bahnwagen erster Klasse auf einem Extrazuge.

Zögernd und stotternd, mit einem schwermüthigen Blicke auf den zu seinen Füßen liegenden Hund Laadi sagte er:


»Ich hab' viel erlebt, aber daß ich das auch noch erleben muß! Wenn wir's nur mit gesundem Leibe überstehen. Das heißt ja das Leben übermüthig aufs Spiel setzen . . . und man hat keine Vertheidigungswaffen!«

»In Amerika fahren sie dreimal so schnell mit einem Extrazug,« entgegnete Sonnenkamp.

Er schien eine geheime Lust darin zu finden, dem Major zu zeigen, daß es noch einen Muth gebe, der ganz anders sei, als der auf dem Schlachtfelde. Er wußte von Wettfahrten zu erzählen, die man in Amerika angestellt. Als man jetzt an einer Station Wasser einnahm, verabschiedete sich Sonnenkamp beim Major und sagte, er gehe auf die Locomotive, er müsse wieder einmal versuchen, wie sich's da fahre.

Der Major saß mit der Laadi allein in dem einzigen Wagen, der der Locomotive angehängt war, er starrte immer hinaus, wo Bäume, Berge, Dörfer wie vom Wirbelwind geworfen, vorbeiflogen, und er dankte Gott, daß Fräulein Milch nichts davon wisse, wie er sich dazu verstanden habe, mit Herrn Sonnenkamp solch eine tolle Fahrt in einem Extrazug zu machen.

Und warum eilt der Mann so? Manchmal war er karg auf den Kreuzer und so bescheiden, wollte kein Aufsehen erregen, man sollte ihn nicht merken; manchmal war er dagegen verschwenderisch, warf das Geld hinaus und that Alles, um die Blicke der Menschen auf sich zu ziehen. Der Major verstand den Mann nicht. Also auch Locomotivführer ist er gewesen; was mochte der nicht Alles gewesen sein!

»Ja, Laadi,« sprach er zu dem Hunde, »komm, leg' dich nur neben mich; ja, Laadi, das haben wir nicht denken können, daß wir das erleben müssen. Wenn wir's auch nur wirklich überleben. Ja, Laadi, sie trauert auch um dich, wenn wir todt sind.«

Der Hund knurrte in sich hinein, er war gewiß auch ingrimmig gegen den tollkühnen Sonnenkamp.

Immer wilder wurde die Fahrt; man jagte über Böschungen dahin nahe dem Strom, jeden Augenblick glaubte der Major, daß die Locomotive entgleisen und mit dem Wagen zertrümmert ins Wasser stürzen müsse; es überkam ihn eine solche sichere Erwartung des nahen Todes, daß er die Füße gegen den Rücksitz stemmte und still in sich hineindachte:

»Nun komm, Tod. Ich habe mit Willen Niemand auf der Welt Böses gethan und für Dich, liebe Rosalie, ist ja auch so weit gesorgt, daß Du nicht Noth leidest. Aber hart ist's . . . sehr hart . . .«

Thränen beizten ihm die geschlossenen Augen, es kämpfte in seinen Mienen, er wollte die Thränen unterdrücken; er starb doch nicht gern und dazu so ohne Noth. Er öffnete die Augen und ballte die Fäuste in Aerger; diese Extrafahrt ist eigentlich unnöthig; man wußte ja Roland gut aufgehoben. Aber so ist dieser wilde Mann!

Der Major war sehr ingrimmig auf Sonnenkamp und noch mehr auf sich, daß er sich zu dem tollen Streiche hatte verleiten lassen. Jetzt war all sein Heroismus dahin, er war mit der Sache nicht einverstanden, er hatte sich übertölpeln lassen, das schickt sich nicht mehr für ihn; Fräulein Milch hat Recht, er ist schwach, er kann nicht Nein sagen.

So oft er hinausschaute, wirbelte es ihm vor den Augen. Er fand einen glücklichen Ausweg; er setzte sich auf den Rücksitz. Da sieht man nur, was vorüber ist und nicht was kommt. Aber das war noch schrecklicher, da sieht man erst recht die scharfen Curven, die die Bahn macht, und die Wagen legen sich schräg, wie um zu stürzen. Und jetzt traten wirklich Thränen aus den Augen des Majors. Er dachte an die Trauerloge, die für ihn gehalten wird, er hörte die Klänge der Orgel, die Lieder, und er sagte vor sich hin:

»Ihr lobt mich mehr als ich verdiene, aber ein guter Bruder bin ich gewesen. Gott ist mein Zeuge, daß ich's sein wollte! Und vergeßt mir meine Rosalie nicht. Haltet sie in Ehren, sie verdient's.«

Der Wagen rollte wieder regelrecht dahin und der Major tröstete sich damit, daß auf dieser Bahn noch kein Unglück geschehen. Aber nein, fuhr er in Gedanken fort, vielleicht fährt man sicherer auf einer Bahn, wo schon einmal ein Unglück geschehen; die Leute hier sind zu sorglos und du mußt nun das erste Opfer sein. Was wol Fräulein Milch für gefährlicher hält? Eine Bahn, die schon Unglücksproben bestanden, oder eine solche, die sie erst zu bestehen hat? Ich muß mir's merken, daß ich ihr diese Frage vorlege. Nun hatte er Alles überwunden, er wurde so frei und kühn, daß er seine eigene Aengstlichkeit verspottete, und dachte: Der Millionär auf der Locomotive hat ein viel reicher ausgestattetes Leben, er würde es nicht aussetzen, wenn dabei etwas zu gefährden wäre.

Der Hund mußte die Gefahr der schnellen Fahrt verspüren, er zitterte immer und schaute seinen Herrn ängstlich an.

»Bist auch ein Frauenzimmer und fürchtest Dich!« schalt ihn der Major. »Fasse Muth! . . . Bist doch sonst nicht so feig. Komm! So . . . so . . . leg Dich auf meinen Schooß. Weiß schon . . . weiß schon,« lächelte er, als der Hund ihm die Hand leckte.

Und mitten aus der Angst heraus freute sich der Major bereits, wie er in wenigen Tagen in seiner ruhigen Laube im Garten Fräulein Milch von der überstandenen Gefahr erzählen wird. Er streichelte die Laadi und erzählte innerlich im Voraus alles Ueberstandene.

Man kam auf der Station an, wo die Bahn sich nach der Universitätsstadt abzweigt. Hier, hieß es, könne kein Extrazug gegeben werden, da nur ein einfaches Geleise und dieses besetzt sei. Man mußte eine Stunde bis zum nächsten regelmäßigen Zuge warten.

Sonnenkamp wetterte und schalt über die verhockten Europäer, die die Eisenbahn noch gar nicht zu gebrauchen wüßten; er hatte ja telegraphisch sich freie Bahn bestellt. Es half nichts. Der Major stand am Bahnhof und dankte Gott, daß Alles noch fest gefugt sei. Er ging landeinwärts, er begrüßte die hohen Aehrenfelder, die so still standen und gediehen und sich von keiner Locomotive aus ihrer ruhigen Ordnung bringen ließen; er freute sich, zum ersten Male in diesem Jahre die Wachtel schlagen zu hören, die in den Weinberg-Gegenden keine Heimat hat, er schaute den Lerchen nach, die singend zum Himmel aufstiegen.

Ein Zug war in den Bahnhof eingefahren und hielt still. Der Major hörte schönen Männergesang; er fragte Umstehende und erfuhr, daß viele aus dem Stationsdorfe, die bereits im Zuge saßen, nach Amerika auswanderten. Er sah Mütter weinen, Väter still nicken und in die Lippen beißen. Während die still stehende Locomotive Dampf auszischte, standen viele Burschen auf der Bahnlände in einem Trupp beisammen und sangen den davonziehenden Kameraden Abschiedslieder nach. Sie sangen mit bewegter Stimme, hielten sich aber im Tacte.

Das wird Fräulein Milch freuen, wenn ich es erzähle, dachte der Major und gesellte sich zu den Daheimbleibenden, ihnen Trost zusprechend; er ging zu den Auswanderern und ermahnte sie, gute Deutsche zu bleiben in Amerika. Unter Weinen rief ein alter Mann:

»Was wartet Ihr denn noch? Macht, daß es fortgeht!«

Die andern schalten über den grausamen Menschen, aber der Major sagte:

»Nehmt's ihm nicht übel, er kann nicht anders, es thut ihm zu weh.«

Der alte Mann nickte dem Major zu und alle Anderen sahen ihn staunend an.

Unterdeß war der Localzug angekommen, mit dem man auf der Zweigbahn abfahren sollte.

»Herr Major! Herr Major!« schrieen Schaffner von verschiedenen Seiten und schrie Sonnenkamp. Mit großer Mühe gelang es, den Major auf die andere Seite des Zuges zu bringen.

Halb lächelnd, halb scheltend sagte ihm Sonnenkamp:

»Sie sind wie ein Kind, Sie lassen sich von allen Begegnissen auf dem Wege zerstreuen und vom Ziele ablenken.«

»Ja, ja,« lachte der Major – er hatte wieder sein volles Lachen – »Fräulein Milch sagt mir das auch oftmals.«

Er erzählte Sonnenkamp von dem rührenden Abschied der Auswandernden und Zurückbleibenden, aber Sonnenkamp schien keinen Sinn dafür zu haben. Ja, als der Major sagte, daß die Freimaurer sich alle Mühe geben, den Seelenverkäufern, die die Auswanderer betrügen, das Handwerk zu legen, und auch da noch schwieg Sonnenkamp.

Man kam in der Universitätsstadt an. Niemand war da, der sie erwartete. Sonnenkamp war sehr unwillig . . .

Im Hause der Professorin saß man beim Frühstück. Roland trank seinen Kaffee aus der Tasse, worauf der Name Hermann stand, und Erich sagte, man müsse in einer Stunde am Bahnhofe sein, da Herr Sonnenkamp wol mit dem Courierzuge kommen würde, denn daß er mit dem Localzug kam, der keinen Anschluß von Westen her hatte, war nicht vorauszusehen. Eben als Erich dies sagte, klopfte es an und der Major trat zuerst herein, hinter ihm Sonnenkamp.

»Da ist ja unser Teufelsjunge!« rief der Major. »Da ist ja der Deserteur!«

Die peinliche Stimmung der ersten Begegnung war damit gebrochen. Roland saß starr, Erich ging Sonnenkamp entgegen; jetzt wendete er sich zu dem Knaben und sein Blick ermahnte und ermuthigte ihn. Roland stand langsam auf, ging zögernd zu seinem Vater und sagte mit stockender Stimme, er habe nicht anders gekonnt und bitte, der Vater möge ihm verzeihen.

Sonnenkamp reichte ihm still die Hand und sagte dann zu den Anderen, wie ihn dieser kecke Streich des Knaben eigentlich freue, er zeige Muth, Entschlossenheit und Selbstführung. Roland sah staunend auf seinen Vater, er faßte nochmals seine Hand und hielt sie fest.

Erich bat den Major und Sonnenkamp, mit ihm in das Bibliothekzimmer zu gehen, und hier sagte er Herrn Sonnenkamp offen, daß er sein Verfahren nicht begreife; er habe die Eigenwilligkeit Rolands offen gelobt, das gebe eine schwere Stellung für die Erziehung. Sonnenkamp lächelte und gab in halben Worten zu verstehen, daß er absichtlich Roland vom Inhalte des ablehnenden Briefes unterrichtet habe, um ihn zu einer kecken That zu veranlassen. Er weidete sich an den erstaunten Blicken Erichs und am Kopfschütteln des Majors, der ihm sagen wollte, wie dann die bis zur Raserei gesteigerte Unruhe des Vaters zu begreifen wäre. Sonnenkamp aber hatte nicht nur seine Lust, die Menschen zu verwirren und mit ihnen zu spielen, er wollte auch Erich den Stolz und die Uebermacht benehmen, daß er Roland und durch ihn das ganze Haus beherrsche.

Erich erzählte nun von den Plänen und Aussichten in der Residenz und daß er jedenfalls Bedenkzeit haben müsse. Er bat, daß Sonnenkamp ihm Roland in die Hauptstadt gebe, es wäre das Beste, wenn Roland in Gemeinschaft mit anderen erzogen würde, und er wolle für gute Gemeinschaft sorgen.

Sonnenkamp preßte die Lippen in die Finger und sagte dann:

»Davon kann nie die Rede sein, mir fehlt der Athem, wenn ich das Kind nicht um mich weiß. Ich muß deßhalb bitten, kein Wort mehr hievon. Ich sehe die Schwierigkeit wohl,« setzte er hinzu, »Roland Jemand Anderem zu übergeben als Ihnen; ich habe den Mann, der bei mir eingetreten war, bereits entlassen.«

Er brach rasch ab, ließ Erich und den Major allein und ging zu den Frauen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 2