Achtes Kapitel. - Sonnenkamp war ungewöhnlich heiter bei Tische; er hatte heute wieder neuen ...

Sonnenkamp war ungewöhnlich heiter bei Tische; er hatte heute wieder neuen Grund zur Menschenverachtung bekommen und seine Kraft gefühlt, mit den Menschen zu spielen. Wie eine Befreiung empfand er es daneben, daß dieser Herr Dournay nun abgethan war. Dennoch mußte er sich gestehen, daß er vielleicht keine bessere Wahl für seinen Sohn hätte treffen können.

Prancken ließ den Landrichter, der Eile hatte, in einem Wagen Sonnenkamps nach der Stadt fahren; er selber blieb in vertraulichem Gespräche bei Sonnenkamp, der die Kunst bewunderte, mit welcher ein junger Mann, der um ein reiches Mädchen wirbt, sich dabei eine Schwärmerei einredet.


Als auch Prancken abgereist war, ging Sonnenkamp nach dem Pflanzenhause; bald stand Roland vor ihm und sagte:

»Vater, ich habe eine Bitte.«

»Es freut mich, wenn Du eine Bitte vorträgst, die ich erfüllen kann.«

»Vater, gib mir Herrn Dournay wieder. Ich kann nur bei Herrn Dournay lernen und ich werde keinem Andern gehorchen, als nur ihm.«

»Nur ihm? Also auch mir nicht?« rief Sonnenkamp. Der Knabe schwieg und der Vater wiederholte:

»Auch mir nicht?«

Seine Stimme war heftig, seine große Faust ballte sich.

»Auch mir nicht?« fragte er zum dritten Male, die Hand erhebend.

Der Knabe wich zurück und rief mit durchdringender Stimme:

»Vater!«

Die Faust Sonnenkamps entballte sich und mit erzwungener Ruhe sagte er:

»Ich habe Dich nicht berühren wollen, Roland . . . komm her . . . komm näher.«

Der Knabe ging zu ihm, der Vater legte ihm die Hand auf die Stirn; die Stirn des Knaben war heiß, die Hand des Vaters war kalt.

»Ich liebe Dich mehr als Du verstehen kannst,« sagte der Vater. Er beugte sich nieder, aber der Knabe streckte beide Hände aus und rief mit angstvoller Stimme:

»Ach, bitte, Vater! . . . ach, bitte, Vater! Nicht küssen! Laß mich! Laß mich gehen!«

Er stürzte davon. Sonnenkamp erwartete, daß der Knabe wiederkommen und ihn umhalsen werde; aber er kam nicht.

Im Warmhause bei den Palmen stand Sonnenkamp, ihn fröstelte; aus den Wasserdämpfen rieselte und tröpfelte es so leise und märchenhaft von den großen Blättern, von dem Glasdache. Sonnenkamp hielt die Hand ans Auge, sein Auge war trocken. Ein Deutscher, jener Doctor Fritz, hatte ihm einst in einem offenen Briefe zugerufen: Du, der Du Eltern und Kindesliebe in Deinen Mitmenschen ausrottest, wie kannst Du Liebe von Deinen Kindern hoffen? . . .

Diese Worte gingen ihm jetzt durch den Sinn, eine Erinnerung aus einem Kampfe, den er vergessen wollte, der längst abgethan war.

God bless you, massa! tönte es, wie von einer Geisterstimme. Sonnenkamp erschrak.

Er forschte nach und fand den Papagei seiner Frau, der mit dem Käfig ins Warmhaus gebracht war. Der herbeigerufene Gärtner berichtete, daß Frau Ceres befohlen habe, man solle den Papagei hieher bringen, da es ihm im Wohnhause zu kalt sei.

God bless you, massa! rief der Papagei hinter Sonnenkamp drein, als dieser das Palmenhaus verließ.

Unterdeß stand Roland bei dem umgelegten Stuhl unter der Hänge-Esche; der Park, das Haus, Alles schwamm vor seinen Blicken. Er überdachte, ob nirgends ein Zufluchtsort sei. Er ging in das Zimmer Manna's, aber die Bilder an der Wand und die Blumen im offenen Kamin sahen ihn fremd und fragend an. Er wollte Manna schreiben, ihr Alles klagen, aber er konnte nicht schreiben. Er stand am Fenster und starrte hinaus ins Weite. Die Schiffe zogen auf dem Strom auf und ab. O, wer dort wäre! Die Vögel flogen in ihr Nest. O, wer auch eine stille Heimat hätte! . . .

Roland verließ das Haus und ging in den Hof. Der Chevalier kam; Roland sah ihn mit einem Blicke an, wie wenn er ihn gar nicht kenne; er gab auf keine Frage eine Antwort. Er holte seine Armbrust, aber spannte sie nicht. Die Sperlinge und Tauben flogen hin und her, die schönen Hunde drückten und schnupperten an ihm herum; er starrte wie verloren drein.

Von Satan, seinem großen Hunde, gefolgt, ging er nach dem Ufer; dort saß er unter den dichten hohen Weidenbäumen und legte den Hut neben sich; der Kopf brannte ihm. Er wusch sich die Stirn mit Wasser, aber die Stirn wurde nicht kühler. Da hörte er seinen Namen rufen. Unwillkürlich hielt er schnell dem neben ihm liegenden Hunde die Schnauze zu, er selbst hielt den Athem an, um sein Versteck nicht zu verrathen. Die Stimme zog weiter und verlor sich. Er saß noch immer still und ermahnte leise den Hund, ganz ruhig zu sein; der Hund schien ihn zu verstehen.

Die Nacht brach herein. Unhörbar wie ein Jäger, der ein Wild beschleicht, verließ Roland sein Versteck und wanderte die Straße landeinwärts enge Pfade durch die Weinberge. Er wollte zum Krischer, er wollte zum Major, er wollte zu Menschen, die ihm helfen. Plötzlich hielt er an.

»Nein! zu Niemand . . . zu Niemand!« hauchte er leise vor sich hin, als vertraute er es kaum der schweigsamen Nacht. »Zu ihm! Zu ihm!«

Er duckte sich nieder, daß man ihn nicht in den Weinbergen sehe, und doch war's Nacht. Erst als er oben wieder auf einer Landstraße war, richtete er sich auf.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 2