Neuntes Kapitel. - Ohne daß es Erich merkte, stand Bella neben ihm. ...

Ohne daß es Erich merkte, stand Bella neben ihm.

»Sie sind heut ungewöhnlich ernst,« sagte sie leise.


»Ich bin nicht an rauschende Feste gewöhnt.«

»Ich meine immer, Sie hätten mir etwas zu sagen,« lispelte sie noch leiser.

Erich schwieg und Bella fuhr fort:

»Geht es Ihnen auch so, daß, wenn Sie Nächstbefreundete in großer Gesellschaft sehen, Sie sich wie in der Fremde vorkommen, ja wie mit einem Strome kämpfend, in den man versunken ist?«

Ein Ausruf allgemeinen Staunens ertönte plötzlich.

Eine Raketengarbe wurde abgebrannt, dazu tönte Musik und vom jenseitigen Berge antwortete eine Trompete im Widerhall. Weit hinaus sah man die Menschen aus den Dörfern und Städten am Ufer stehen und ihre Gesichter erglänzten.

»Ach,« rief Bella, als es wieder dunkel geworden, »wir sind doch Alle Sklaven! So sollte man leben können, das wäre Leben, wie eine Feuerrakete in die Luft! Dann komme Nacht und Tod, du bist willkommen!«

Erich zitterte; er wußte nicht, wie es geschehen war, er hielt die Hand Bella's fest.

Jetzt stiegen helle Feuer vom Strome und von den Bergen auf, es war, wie wenn alle Menschen, die weit hinaus am Strome dreinschauten, die Hand Erichs in der Bella's sehen mußten. Erich zuckte zurück. Da trat der Fürst hinzu, Bella gab ihm sofort den Arm. Erich stand allein, er sah Bella am Arme des Fürsten auf der Landstraße vor dem Hause auf- und abwandeln, er besann sich, ob er nicht zu Bella gesagt: Ich liebe Dich. Es war ihm, als hätte er laut gesprochen, und doch konnte es nicht sein. Feuerräder, der Namenszug des Brautpaares, Leuchtkugeln stiegen auf, und zuletzt stieg aus einem Kahn vom Rhein eine große goldene Weinflasche in die Höhe, zerplatzte in der Luft und streute Leuchtkugeln wie einen Sonnenregen aus. Musik erscholl und vom Ufer tönte ein Jubel, als ob die Wellen plötzlich Stimme gewonnen. In Erich wirbelte es, er wußte nicht mehr, wo er war. Da fühlte er plötzlich einen Arm, der sich in den seinigen legte. Es war Clodwig. Erich fühlte sich unwürdig, ein Wort zu sprechen, und nur innerlich gelobte er sich: Eher schieße ich mir eine Kugel in das Herz, ehe es noch ein einzigmal in solcher Regung erbeben sollte!

Clodwig sprach von Roland und wie er durchaus nicht billigen könne, daß man Roland in eine fremde Existenz dränge. Erich antwortete zerstreut. Clodwig glaubte, daß Erich von dem Vorhaben wisse, dieser aber deutete es nach dem militärischen Beruf und dabei war er zerstreut und innerlich bebend.

Erich vermied es, bei Bella sich zu verabschieden.

Es war spät, als man wieder nach der Villa zurückkehrte. Der Cabinetsrath und dessen Gattin fuhren mit und übernachteten auf der Villa Eden.

Die Cabinetsräthin saß mit Sonnenkamp und Prancken im Wagen; es war natürlich von dem glänzenden Fest die Rede und daß die alte, berühmte Weinfirma nun erlöschen würde, der Weingraf wollte seinen gesammten Vorrath versteigern lassen. Die Cabinetsräthin berichtete, daß Bella ihr vertraut habe, sie lade in den nächsten Tagen die Mutter Erichs und die Tante zu Gaste; Prancken that, als ob er dies schon wisse; in der That aber war er überrascht. Jetzt, da man nun allein war und sich nicht zu scheuen hatte, betonte die Cabinetsräthin, daß Niemand leichter und unbefangener die Ertheilung der neuen Würde an Herrn Sonnenkamp anregen könne als die Professorin. Es wurde nicht gerade beschlossen, aber es wurde doch Herr Sonnenkamp das Vorrecht der Gastfreundschaft zugesprochen; er sollte Mutter und Tante nach Villa Eden einladen.

Sonnenkamp lächelte in sich hinein, denn er hatte noch einen weiteren Plan, zu dem er die Professorin verwenden konnte. Der General hatte wiederholt betont, daß die Mutter Erichs eine vertraute Freundin seiner Schwester sei, die als Oberin auf der Klosterinsel lebte. Es war ein Doppelgriff, der nun zu thun war.

Im dritten Wagen saß Erich wieder bei Roland, sie waren still und der Wagen fuhr langsam. Da rief eine Stimme am Wege:

»Guten Abend, Herr Hauptmann!«

Erich ließ anhalten, es war der Küfer, der Sohn des Krischers, der des Weges kam; er brachte Erich einen Gruß von Herrn Knopf aus Mattenheim und erzählte, daß er heute dort gewesen, denn sein Vater habe Knopf als Entlastungszeugen gebeten zu der auf morgen anberaumten Schwurgerichts-Verhandlung.

Roland rieb sich die Augen und schaute hin und her, als blickte er in eine fremde Welt. Er bat den Küfer, er solle zu ihnen in den Wagen sitzen; der Küfer dankte und erzählte, wie es ihm gewesen sei, als er, über die Höhe von Mattenheim kommend, aus dem Walde tretend, plötzlich drunten am Rhein die wunderlichen Feuer am Himmel aufsteigen sah und er eben dort stand, wo das Echo von den Böllerschüssen widertönte. Er reichte Erich die Hand, Roland gab er sie nicht.

Als nun die Beiden weiterfuhren, sagte Roland:

»Also der Krischer hat in seinem Gefängniß die Böllerschüsse auch gehört und vielleicht auch das Feuerwerk gesehen? Ach, er hat nicht einmal einen Hund bei sich, mit dem er sprechen kann. Wie oft habe ich ihn früher bedauert, daß er so Tag und Nacht durch die Felder wandern muß. Jetzt wird er sich nach dieser Ermüdung sehnen. Und derweil er im Gefängniß sitzt, wächst Alles fort da draußen und die Diebe, die Hasen und die Füchse merken, daß Niemand ihre Löcher so gut weiß wie der Krischer, und ich glaube doch, er ist unschuldig. Ach, warum muß es denn arme und unglückliche Menschen geben, warum ist nicht die ganze Welt glücklich?«

Zum ersten Male sah sich Erich genöthigt, Roland zu ermahnen, seinem Vater nichts davon mitzutheilen, daß er heute so an den Krischer und an die Armen und Unglücklichen gedacht.

Erich war sicher und beruhigt; die so viel belobte Erscheinung als Apollo hatte dem Gemüthe Rolands nichts geschadet.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 2