Elftes Kapitel. - Noch brauste der Kopf von dem Knattern und Prasseln des Feuerwerks, ...

Noch brauste der Kopf von dem Knattern und Prasseln des Feuerwerks, noch flimmerten die wunderbaren Lichtgarben, tönte Hörnerklang in der Erinnerung, als man am Morgen sich rüsten mußte, um Zeugniß vor Gericht in Sachen des Diebstahls abzulegen.

Prancken blieb mit den Gästen auf der Villa zurück; er hatte den Auftrag übernommen, ihnen das neu angekaufte Landhaus zu zeigen.


Sonnenkamp, Roland und Erich, dazu der Castellan, der Kutscher Bertram, der Obergärtner, das Eichhörnchen und zwei Gartenknechte machten sich auf nach der Festungsstadt zum Schwurgerichte. Man kam am Hause des Weingrafen vorüber, der nun Baron von Endlich hieß. Hier sah man noch die Pflöcke und da und dort die Hülsen eines abgebrannten Feuerkörpers; das ganze Haus war verschlossen, die Familie schlief zum ersten Male den Schlaf des Adels.

Man kam zeitig in der Festungsstadt an.

Sonnenkamp ging nach dem Telegraphenamt, um von dort aus Depeschen abzusenden, darunter auch eine an die Professorin nach der Universitätsstadt.

Roland und Erich spazierten noch eine Weile vor die Stadt hinaus rheinaufwärts; Alles war voll Frische und bewegten Lebens, aber die Beiden sprachen kein Wort. Sie kehrten in die Stadt zurück, sie kamen an der Fruchthalle vorüber; da war jetzt lebhaftes Marktgewühl und über Rolands Antlitz ging ein schmerzliches Zucken, als er sagte:

»Damals . . . damals war es ganz anders wie heute. Glaubst Du nicht, daß unter den Sängern auch Schelme gewesen sind, vielleicht ärger als die dort im Gefängnisse?«

Es schmerzte Erich tief, daß Roland so früh die Bitterniß und den Zwiespalt des Lebens erkennen mußte.

Sie gingen mit einander nach dem Gerichtsgebäude.

Der Präsident und die Richter traten ein, sie setzten sich auf eine Erhöhung, rechts saßen die Geschwornen, links die Vertheidiger und die Angeklagten; die Tribüne war voll Zuhörer, denn man war begierig, den geheimnißvollen Herrn Sonnenkamp öffentlich sprechen zu hören, und wer weiß, was man sonst noch erfährt.

Auf der Bank der Angeklagten saßen das Erdmännchen Nicolas, der Reitknecht und der Krischer. Das Erdmännchen schnupfte sehr eifrig, der Reitknecht schaute keck um, der Krischer hielt sich die Hand vor die Augen.

Nicolas sah wohlgenährt aus, die Gefängnißzeit schien ihm gut gethan zu haben; er schaute im Saale fast vergnüglich um, wie wenn er sich geschmeichelt fühle, daß so viele Menschen sich um ihn bemühen. Der Reitknecht, der sich sehr gut frisirt hatte, betrachtete die Versammlung mit verächtlichem Blicke.

Der Krischer war tief abgehärmt, er rückte von seinen Mitangeklagten weg, und wenn ihm das Erdmännchen etwas zuflüstern wollte, wehrte er unwillig ab. Er schaute hinauf nach dem Zuhörerraum, dort sah er seine Frau, zwei seiner Söhne und seine Töchter, der Küfer war nicht dabei. Die Kinder schienen gewachsen in der Zeit, da er sie nicht gesehen, und sie hatten ihre Sonntagskleider an, um die Schande – nein, gewiß die Ehre ihres Vaters mit anzusehen.

Unruhig rückte der Krischer auf der Bank hin und her und sagte mit den Lippen, ohne einen Laut von sich zu geben, etwas hinauf zu seiner Frau. Er sagte ihr in Gedanken: sei ruhig, es dauert nur noch ein paar Stunden, dann gehen wir mit einander heim.

Auf der Bank der vorgeladenen Zeugen saßen Sonnenkamp, Erich und Roland.

Roland hatte den Platz zwischen dem Vater und Erich und schmiegte sich an diesen wie furchtsam.

Der Anklageact wurde verlesen. Sonnenkamp wurde zuerst vernommen, um die entwendeten Gegenstände als sein Eigenthum zu erkennen.

Roland richtete sich auf, da er seinen Vater so gut und so mild sprechen hörte.

Sonnenkamp bedauerte, daß Menschen ins Unglück kämen, aber Gerechtigkeit müsse walten.

Er wurde entlassen, er verließ den Saal.

Der Obergärtner mußte als Zeuge vortreten, man hörte seine Aussage kaum. Erst als Erich aufgerufen wurde, trat wieder Stille und Aufmerksamkeit ein.

Erich erzählte den Hergang. In seiner Stimme war ein nur von ihm empfundenes Zittern, da er hier vor dem öffentlichen Gerichte seinen Aufenthalt auf Wolfsgarten erwähnte. Er faßte sich und erklärte, daß der Krischer allerdings mit Bitterkeit über den Unterschied von Reich und Arm gesprochen habe; er betheuerte indeß, daß er den Mann keines gemeinen Verbrechens fähig halte.

In der ganzen Versammlung erregte es ein seltsames Flüstern, als Erich erzählte, wie der Krischer ihm die Frage vorgelegt habe: Was würden Sie thun, wenn Sie Millionen besäßen? Die Frage war nun hinausgegeben in alle Welt.

Knopf wurde vorgerufen.

Er legte zuerst ein schriftliches Zeugniß des alten Herr Weidmann vor; der Krischer hatte mehrere Jahre bei ihm als Knecht gedient und er gab ihm das Zeugniß eines Mannes, der keines Betruges, viel weniger eines Verbrechens fähig sei. Dann setzte Knopf aus Eigenem hinzu, wie der Krischer über manche Dinge grübele, die er nicht bewältigen könne.

Roland wurde vorgerufen; hochaufgerichtet trat er vor die Stufen des Gerichts; der Krischer nickte ihm zu.

Da Roland noch nicht eidesmündig war, durfte er nicht schwören; es machte aber einen guten Eindruck, als er mit freier Stimme sagte, sein Wort gelte ihm wie ein Eid.

Er erkannte die gestohlenen Sachen als die seinen; er glaube, daß die Zimmer des Vaters verschlossen gewesen seien, doch würde er sich nicht erlauben, das zu beschwören, weil er mehrere Tage vor dem Diebstahl nicht in die Nähe jener Räume gekommen sei. Und jetzt, ohne darum gefragt worden zu sein, sprach er seine Ueberzeugung aus, daß der Krischer keinen Theil an dem Verbrechen haben könne.

Der Krischer stand bei diesen Worten auf; der hinter ihm sitzende Landjäger mußte ihm die Hand auf die Schulter legen, daß er sich wieder setze.

Nochmals wurde Erich vorgerufen, um Näheres darüber anzugeben, daß sich der Krischer wenige Tage vor dem Einbruchsdiebstahl das ganze Haus hatte zeigen lassen. Als Erich sich wieder setzte, erhob sich Roland und fragte:

»Herr Präsident, darf ich noch ein Wort sprechen?«

»Sprechen Sie,« erwiderte der Präsident aufmunternd, »sprechen Sie ganz wie Sie wollen.«

Mit festem Schritt trat Roland vor; er hatte die volle Mannesstimme, da er jetzt ausrief:

»Ja, er hat oft geklagt, daß Ein Mensch darbe und der andere prasse. Aber noch öfter hat er gesagt: die Hand müsse verdorren, die unrecht Gut festhält. Kann das ein Mensch und dann selber nächtlicher Weile in ein fremdes Haus eindringen und stehlen? Ich bitte, ich beschwöre Sie inständig, sprechen Sie es aus: dieser Mann ist so unschuldig wie Sie Alle, wie ich!«

Er hielt inne und stand noch wie festgebannt, eine Weile war es still, athemlos in der ganzen Versammlung.

»Haben Sie noch etwas zu sagen?« fragte der Präsident.

Roland schien jetzt zu erwachen; er erwiderte:

»Nein, weiter nichts. Ich danke.«

Er kehrte zu Erich zurück, der ihm still die Hand festhielt; die Hand Rolands war eiskalt, sie erwarmte in der seinen. Auf der andern Seite faßte auch Knopf nach der Hand seines ehemaligen Zöglings, aber er konnte sie nicht fassen, denn er mußte die Brille abthun; die Brille war naß geworden, große Thränen waren ihm aus den Augen geronnen.

Die Verhandlungen waren kurz. Es ergab sich, daß der Krischer nichts davon wußte, daß man in der Hundehütte Werthgegenstände vergraben hatte. Er hatte dem Kutscher nur aus Gutmüthigkeit ein Nachtquartier gegeben. Der Kutscher und das Erdmännchen konnten nicht mehr läugnen, der Eine suchte nur die Schuld des Einbruchs auf den Andern abzuwälzen.

Die Geschwornen zogen sich in ihr Berathungszimmer zurück; bald traten sie wieder in den Saal und der Aichmeister, der unter den Geschwornen war und den man zum Obmann erwählt hatte, verkündete, die Hand aufs Herz gelegt, den einstimmigen Wahrspruch:

Unschuldig gegen den Flurschützen Claus, genannt Krischer; schuldig auf alle Fragen gegen Nicolas und den Reitknecht.

Der Krischer wurde sofort in Freiheit gesetzt.

Draußen vor dem Gerichtssaal, als Frau und Kinder ihn umringten – jetzt war auch der Küfer da – drängte sich Roland durch, faßte die Hand des Krischers und drückte sie fest.

Der Krischer wehrte Alle ab; er sagte, er müsse zum Sohne Weidmanns, der unter den Geschwornen gewesen. Dieser kam gerade; der Krischer rief, der junge Weidmann möge seinem Vater sagen, daß Alles weggewischt sei, weil die ganze Welt vernommen habe, wie der Herr Weidmann von ihm denke.

Erich bat den jungen Weidmann, den Vater von ihm zu grüßen; er werde bald den versprochenen Besuch auf Mattenheim machen.

Knopf stand unter einer Gruppe Menschen und bat, sie möchten doch Roland nicht loben, das werde ihn verderben. Und vor lauter Abwehren, daß Andere sich nicht zu Roland drängen, kam er nicht dazu, ihm die Hand zu reichen.

Nun erschien auch Sonnenkamp. Er grüßte nach allen Seiten, dann ging er auf den Krischer zu und glückwünschte ihm. Er rief Roland beiseite und sagte ihm, er möge mit Erich allein zurückfahren; er müsse noch in der Stadt bleiben und auf ein Telegramm warten.

Roland bat und drängte, der Krischer und seine Familie sollten sich in seinen Wagen setzen.

Der Krischer verneinte. Er ging mit Frau und Kindern hinaus vor die Festung und als er am Rheines-Ufer stand und die weite Landschaft sich wieder vor ihm aufthat, rief er, die Hände erhebend:

»O lieber Gott, wie schön ist Dein Himmel, Dein Wasser, Deine Weinberge und Deine Felder! Wenn ich nur wüßte, warum Du das verteufelte Geld in die Welt hast kommen lassen.«

»Daß man einen guten Schoppen trinken kann,« rief der Aichmeister, der hinzugetreten war. »Komm mit in die Schippe.«

Aus seiner Rührung heraus ließ sich's der Krischer gern gefallen, mit in das Wirthshaus »zur goldenen Schippe« zu gehen.

Man saß behaglich beisammen, als Erich und Roland im Wagen vorüberfuhren; der Krischer hielt ihnen zum Fenster hinaus das Glas entgegen, sie hielten an. Roland bat nochmals, daß der Krischer sich zu ihm in den Wagen setze. Jetzt willfahrte er und stieg mit seiner Frau ein; die Kinder waren voraus heimwärts gegangen.

Im Triumph führte Roland den Befreiten durch die Stadt, durch die Dörfer. Die Frau schaute immer verschämt vor sich nieder, weil sie so in einer Kutsche fahre; der Krischer aber schaute frei drein und sagte nur manchmal:

»Es ist Alles gut gewachsen ohne mich.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 2