Siebzehntes Kapitel. - Als Bella am andern Tage das Bild betrachtete, war sie unruhig und ...

Als Bella am andern Tage das Bild betrachtete, war sie unruhig und unzufrieden: sie fand Alles, was sie mit Emsigkeit gemacht, falsch und schief; sie wollte ganz neu anfangen, aber Clodwig redete ihr mit Sanftmuth zu und wußte das Gefertigte so günstig auszulegen, daß Bella sich wieder beruhigte. Mit einer gewissen Schärfe sagte sie indeß, Alles, was sie unternehme, werde anders, als ihr Wille gewesen. Da Clodwig dies als nothwendiges Ergebniß jeder schöpferischen Phantasie darstellte, ward sie unwirsch und stieß die Worte heraus: »Ich bin nicht, was ich bin.«

Die strenge Ordnung, die Erich hatte innehalten wollen, wurde dennoch unterbrochen. Bella wußte, daß sie stets Alles durchsetzte, was sie sich vorgenommen hatte; ihr Grundsatz war: man muß den Männern nur den Schein lassen, als ob sie selber etwas zu bestimmen hätten.


Roland brachte bald das Gespräch auf das Leben Franklins. Bella wünschte es auch wieder kennen zu lernen und Clodwig war bereit, nachdem man Bella von dem Vorhergehenden kurz unterrichtet hatte, weiter zu lesen wo man eben stehen geblieben. Erich und Roland, die auf einer Erhöhung saßen, hörten aufmerksam zu. Es gab mancherlei lebhaft angeregte Besprechungen, denn Bella besaß ein großes Talent, geläufig und schnell in Alles einzugehen. Sie hob nun bald »eine gewisse trockene Pedanterie, ein eminent karges Naturell« in Franklin hervor, und mit dem Stifte kühn hin und her fahrend, sagte sie:

»Franklin mag ein sehr sittliches Ideal sein, ein schönes ist er nicht. Wie sollte er auch? Er ist alt geworden, ein ehrbarer Großvater, hat neue Sprüchwörter gedrechselt und sich zuletzt noch eine witzig sein sollende Grabschrift gesetzt.«

Erich fühlte, wie es Roland durchzuckte.

Es ist nun einmal in unserer Zeit und bei einem Jüngling von der Vergangenheit und den Lebensverhältnissen Rolands nicht möglich, ein unangetastetes Ideal aufrecht zu erhalten. Recht geleitet und an die schickliche Stelle versetzt, kann es vielleicht gut sein, daß Roland sein Ideal sofort angegriffen, ja verzerrt sieht.

Mit der ganzen ihm innewohnenden Ueberzeugungskraft sagte Erich, wie das eben die besonders schwierige Aufgabe des freien Menschen sei, daß er, im Gegensatz zum Kirchenthum, Niemand habe, der ihm auf jedem Lebenswege sagen könnte: folge mir nach. Wir neuen Menschen müssen das Hohe und Reine in den erhabenen Naturen erkennen, auch wenn es mit allerlei von der Zeit und dem Naturell Beschränkten verbunden sei.

Während er sprach, zeichnete Bella mit großer Hast und nickte dabei mehrmals vor sich hin. Als er jetzt geendet hatte, schaute sie ihn voll an, ihre Augen glänzten, ihre Wangen glühten.

»Ich möchte nun,« sagte sie hocherröthend, »daß Sie Roland doch die Hand aufs Haupt legten. Bitte, thun Sie es einmal; das ist das Eigentliche, was ich wollte. Folgen Sie mir.«

Erich widersprach dieser Fassung.

Bella schüttelte unwillig den Kopf und arbeitete weiter, sie zeichnete gar nichts mehr an der Figur Erichs, sie hielt sich ganz an Roland und einmal sagte sie:

»Jetzt hab' ich's! Das ist's! Ihr Kopf hat eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Murillo'schen Antonius.«

»Siehst Du? das hab' ich auch gefunden,« rief Roland, »und Manna hat mich darüber ausgescholten.«

Auch Clodwig fand, daß seine Frau Recht habe, und sagte:

»Mir ist das auch ein Lieblingsbild, es steht mir deutlich vor Augen: Die Gestalt des Antonius, wie er auf den Knien liegt, ein Knotenstock neben ihm, die Landschaft nur angedeutet, ein Baum und das Gesträuch hinter ihm, Engel spielen auf dem Boden und Engel schwingen in den Lüften, ein Engel blättert im Buche des Heiligen, ein Anderer hält eine Lilie, die auf der Erde gewachsen ist, dem schwebenden Engel hin, die Blume bildet gleichsam ein Bindungsmittel zwischen Himmel und Erde, sie ist etwas Himmlisches auf Erden.«

Lange wurde kein Wort mehr gesprochen. Bella endete die Sitzung . . .

Die Anwesenheit Clodwigs mit den Seinen auf Villa Eden erregte in der Umgegend großes Aufsehen; der Hauslehrer schien eine ausnahmsvolle Stellung zu gewinnen.

Als unzweifelhafter Sohn des Hauses lud Prancken den aus dem Bade zurückgekehrten Landrichter mit Frau und Tochter ebenfalls nach Villa Eden ein.

Prancken war besonders freundlich gegen Lina, er ging mit ihr im Garten hin und her und ließ sich vom Klosterleben erzählen. Lina that das in heiterer Weise; sie wußte die Schwestern, die Oberin und die Genossinnen von ihrer komischen Seite zu schildern; sie hatte im Kloster eigentlich nichts gewollt, als gut fremde Sprachen lernen. Sie erzählte, wie eine Nonne ihr ein Geheimniß anvertraute und eine andere Nonne ihr das Geheimniß zu entlocken suchte; sie sei aber nicht so dumm gewesen, diese Probe nicht zu durchschauen, sie habe geschwiegen. Von damals an aber habe sie einen Widerwillen gegen das Kloster bekommen.

Prancken wollte nun wissen, welches Geheimniß ihr die Nonne anvertraut hatte. Lina sah ihn groß an und sagte:

»Sie irren sich. Weil ich so viel schwatze, meinen Sie, ich könnte nicht auch schweigen? Ich kann's, wenn ich will.«

Das allzeit tänzelnde muntere Wesen Lina's sprach den schwergemuthen Prancken immer mehr an und etwas vom alten Prancken in ihm sagte: warum die Gegenwart öde und leer lassen? Hat Bella eine Tändelei mit dem Hauptmann, warum sollte er sie nicht mit Lina haben? Warum sollte man sich nicht in leichten Scherzen vergnügen?

Der alte Prancken, der Prancken vor dem grünen Zweige, faßte seinen geretteten Schnurrbart mit beiden Händen und zwirbelte ihn in die Höhe.

Lina wehrte indeß die Huldigungen Pranckens neckisch ab, sie war gegen Erich vertraulich und erzählte viel vom Musikfeste.

Es war fröhliches Schäkern und Lachen auf der Villa und im Parke. Prancken bestimmte sogar seinen Schwager, eine Kahnfahrt mit ihm und Lina zu machen, während Bella zeichnete. Er wollte auch Roland mitnehmen; in einem gewissen Uebermuthe sagte er sich, Bella und Erich sollen einmal ganz allein mit einander sein; aber Roland verließ Erich nicht, er vermied offenbar ein Zusammensein mit Prancken.

Lustig und wohlgemuth war Lina bei der Kahnfahrt und sie sang Liebeslieder so aus voller Seele wie noch nie.

Bella bat den Landrichter und dessen Frau, den versprochenen Besuch Lina's auf Wolfsgarten auszuführen; der Landrichter widerstrebte, aber die Frau stimmte bei und Lina war voll Glückseligkeit, als sie mit Bella und Clodwig davonfuhr.

Prancken ritt nebenher . . .

Nach dem belebten Verkehr der letzten Tage empfanden Erich und Roland die Stille des Alleinseins aufs Neue. Erich war indeß mißgestimmt, abgemattet und verdrossen. Mit einer tiefen Sehnsucht versetzte er sich in den Umgang mit Clodwig, noch mehr aber – er gestand sich's kaum – in den mit Bella. Da war Frisches, Erweckendes, Belebendes, das die Räume erfüllt hatte, und nun erschien Alles so leer. Dennoch gab er erst nach mehreren Tagen dem Drängen Rolands nach, der daran erinnerte, daß man versprochen hatte, Besuch auf Wolfsgarten zu machen.

Erich hatte sich geweigert, das Haus zu verlassen, da es ihm anvertraut war, Prancken übernahm die Verantwortung. Aber es war ein bitterer Ton darin, da er sagte:

»Sie waren ja auch beim Musikfeste und haben das Haus den Dienern überlassen. Uebrigens, wie gesagt, ich übernehme jede Verantwortung.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 2