Erstes Kapitel. - Die Rosen im Garten waren aufgebrochen in der Frühlingsnacht ...

Die Rosen im Garten waren aufgebrochen in der Frühlingsnacht und in der Seele des Jünglings Blüthen unnennbarer Art.

Behend eilte Roland durch das Haus zur Mutter, diese aber war so angegriffen, daß er sie jetzt nicht sehen durfte. Er vergaß, wie Fräulein Perini ihm so fremd geblieben war und verkündete ihr mit Jubel, daß Erich da sei und da bleibe; sie solle es nur der Mutter sagen.


»Und nach dem Chevalier fragen Sie gar nicht?«

»Nein, er ist fort, ich weiß es.«

Einen ersten Stoß erhielt die Freude Rolands, da Fräulein Perini sagte, es lasse sich noch nicht ermessen, welch ein unüberwindliches Leid die Mutter von dem Schmerz um die Flucht Rolands behalten werde.

Der Knabe stand still, aber er war der Zuversicht, daß jetzt Alles gut wird; die ganze Welt muß gesund und schön sein.

Im Hofe traf er Joseph und theilte ihm in fröhlichen Worten mit, daß er nun auch seine Heimatstadt kenne; den Bedienten allen winkte er zu, er grüßte die Pferde, die Bäume, die Hunde, Alle sollten wissen und sich dessen freuen: Erich ist da. Staunend sahen die Diener auf Roland, Bertram, der Kutscher, zog mit beiden Händen seinen langen Bart durch die Finger und sagte:

»Der junge Herr hat in den zwei Tagen eine Mannesstimme bekommen.«

Lächelnd setzte Joseph hinzu:

»Ja wohl, ein Tag auf der Universität hat einen andern Menschen aus ihm gemacht.«

In der That, Roland war ein Anderer geworden. Er kam in die Heimat zurück wie von einer Reise übers Meer, ja wie aus einer ganz andern Welt; er konnte es noch nicht fassen, Alles schien verändert, heller beleuchtet.

Erich hatte den Wunsch ausgesprochen, daß er mit Roland gemeinschaftlich in den Zimmern des Thurmhauses wohne, die vom Getriebe des Hauses entfernt waren und freien Ausblick über Strom und Landschaft gewährten. Er fühlte sich hier wohl und frei, und als nun Roland zu ihm kam, gab er seine Freude kund über die Schönheit und Ruhe, in der sie hier lebten; Roland aber bat:

»Gib mir etwas zu thun, etwas recht Schweres; denk' Dir etwas aus.«

Erich erkannte die Erregung, die in dem Knaben vorging; mit großer Ruhe ihn neben sich setzend, faßte er seine Hand und sagte, daß das Leben nur selten eine einzige That biete, an der man die ganze Kraft seines Willensmuthes aufbieten könnte; sie wollten ruhig und stetig arbeiten und einander immer einsichtiger und besser machen.

Nun richteten sie sich wohnlich ein und Roland half dabei mit allerlei Handreichung.

Als vorläufige Ordnung hergestellt war, ging Erich mit Roland auf die Plattform des Thurmes. Hier saßen sie und schauten lange still ringsum.

Ehedem hat man Burgen auf die Höhe gebaut zu Kampf und Fehde und zum Ausraub der Menschen, die die Straße ziehen; wir aber arbeiten mit den Naturkräften, suchen Reichthümer zu gewinnen und dann ziehen wir hinaus und stellen unsere Wohnung auf eine Anhöhe, in ein liebliches Thal, und wollen nichts als die ewige Schönheit empfinden, die Niemand etwas raubt. Der große Strom wird zur Straße, daran sich die Landhäuser arbeitsamer und edel denkender Menschen aufreihen. Die Geschlechter nach uns werden sagen müssen: damals fing man an, der Natur zu huldigen wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit; das ist eine neue Andacht, wenn sie auch noch keine Form hat und vielleicht keine gewinnen soll.

Erich erzählte: als er, zum ersten Mal auf dem Rigi stehend, die Sonne aufgehen sah, habe er sich ausdenken wollen, ob es nicht ein Etwas gebe, das man zum gemeinsamen Ausdruck der Naturandacht für alle hier aus den verschiedenen Völkern Versammelten machen könne. Er habe einsehen gelernt, daß es nicht möglich und auch vielleicht nicht nöthig sei; die Natur und die Freude an ihr gebe Jedem seine eigene, an keine Gemeinschaft gebundene Empfindung und Andacht. Dann das Glück preisend, im eigenen Hause auf einem selbst errichteten Thurme die Schönheit der Erde in sich aufzunehmen, legte er dar, wie der Reichthum, das Streben nach ihm, der Besitz desselben eine große sittliche Grundlage werden könne. Der Reichthum, erklärte er, ist ein Ergebniß der Freiheit, der ungehinderten Kraftbewegung, und soll wieder zur Freiheit werden.

Roland saß lange still, dann sagte er:

»Wir Zwei wohnen auf einer Insel, und wenn ich einmal auf der Burg wohne, mußt Du auch bei mir sein. Weißt du, was ich mir noch wünsche?«

»Nein.«

»Manna sollte bei uns sein. Glaubst Du nicht, daß auch sie jetzt an uns denkt?«

»An mich wol nicht.«

»Doch, doch; ich habe ihr von Dir geschrieben und heute Abend schreibe ich wieder und erzähle ihr Alles.«

Erich wußte nicht, was er thun sollte. Sollte er den Knaben abhalten, der Schwester von ihm zu schreiben? Er wollte die Unbefangenheit Rolands nicht stören.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 2