Drittes Kapitel. - Am Morgen wünschte Roland, daß man vor Allem ausreite, aber Erich wollte, ...

Am Morgen wünschte Roland, daß man vor Allem ausreite, aber Erich wollte, daß man den Tag damit weihe, ein Gutes in die Seele zu nehmen; er ließ sich daher von Roland die ersten Capitel aus dem Leben Benjamin Franklins vorlesen.

Als sie nun zum Frühstück gerufen wurden, waren sie frisch belebt. Sie konnten sich eines Aehnlichen erfreuen wie Fräulein Perini, die mit Herrn von Prancken aus der Messe kam.


Erich wurde von Prancken mit einer gewissen achtungsvollen Eleganz begrüßt, aber Prancken bekannte offen, er habe bisweilen geglaubt, es wäre besser, wenn Erich nicht in die Stelle eintrete. Mit großer Bestimmtheit und im Tone der Befriedigung fügte er hinzu, daß es geheimnißvolle Vorgänge in der Seele gäbe, die wir in Demuth anerkennen müssen, und so sei die eigenwillige That Rolands das Zeichen einer Bestimmung, die Erich wie ihnen Allen die Pflicht auferlege, sich ihr zu unterwerfen.

Erich sah staunend auf. Er hatte sich in diesem Manne geirrt, Prancken brachte eine Begründung für Thun und Lassen vor, die er ihm nie zugetraut hätte.

Nach dem Frühstück ersuchte Erich Herr Sonnenkamp, daß er und Roland künftig von dieser Gemeinsamkeit befreit und bis zur Mittagstafel sich allein überlassen blieben.

Sonnenkamp schien betroffen und Erich sagte, daß er dies schon am ersten Tage verlange, damit keinerlei Gewohnheit eintrete. Es sei durchaus nöthig, Roland unzerstreut und in einer ständigen Stimmung zu erhalten; das sei nur möglich, wenn ihnen mindestens der halbe Tag und die Frische des Morgens verbliebe. Sonnenkamp stimmte achselzuckend ein.

Beim Frühstück war auch leichthin die Rede gewesen, daß Bella und Clodwig erwartet würden.

Erich sah sofort die Hauptschwierigkeit seines Berufs, die darin bestand, die Zerstreuungen nicht zu Unterbrechungen werden zu lassen. Er zog eine Grenzlinie zwischen sich und allen Hausbewohnern, besonders gegen Sonnenkamp, die nicht überschritten werden konnte. Er arbeitete mit Roland und lernte nun genau kennen, wo der Knabe einen guten Grund des Wissens hatte, wo Lücken und wo vollständige Leere war.

Ein Wagen fuhr in den Hof.

Roland schaute zu Erich auf. Aber dieser beachtete das Rädergerassel nicht.

»Deine Freunde sind angekommen,« sagte Roland.

Er scheute sich zu sagen, daß er für sich voll Ungeduld war, Clodwig und Bella zu begrüßen. Erich beharrte dabei, daß Nichts und Niemand für sie da sei, bis sie ihre Schuldigkeit gethan.

Roland preßte unter dem Tische die Hände in einander und zwang sich zur Ruhe.

Plötzlich, mitten in einem mathematischen Satze, sagte er:

»Entschuldige, man hat Greif an die Kette gelegt, ich hör' es an seinem Bellen; das darf man nicht, das verdirbt ihn.«

»Laß Greif und laß Alles, es muß Alles warten,« hielt Erich fest.

Bald indeß ging er mit Roland selbst hinab in den Hof. Roland hatte richtig gehört; Greif lag an der Kette. Er löste ihn und der Knabe und der Hund waren gelöst, sie tollten mit einander herum.

Bella war bei Frau Ceres.

Ein Diener meldete Erich, daß Graf Clodwig ihn erwarte. Clodwig kam ihm mit großer Herzlichkeit entgegen und begrüßte ihn als Nachbar.

Von Bella wurde Erich freundlich, aber gemessen begrüßt; sie nannte ihn wiederholt »Herr Nachbar« und war geflissentlich unbefangen. Es mochte ihr als eine lächerliche Pedanterie und Aengstlichkeit erscheinen, daß sie einmal mitzuwirken gesucht, Erich aus der Gegend fern zu halten. Hatte denn der Mann in der That einen Eindruck auf sie gemacht? Es schien ihr wie ein Traum, wie eine Phantasie.

Werden Sie die Bibliothek Ihres Vaters hierher bringen lassen?« fragte Clodwig.

Erich bejahte und Bella sah ihn starr an. Er wußte nun, warum sie ihn so frei und leichthin behandelte; er hatte Geld von ihrem Manne bekommen, dadurch war er in eine ganz andere Rangstufe eingerückt.

Bella lobte Roland über seine kühne That und hier zeigte sich wieder eine Uebereinstimmung mit Sonnenkamp. Erich sah die Gefahr, die in solchem Lobe für Roland lag, aber er konnte sie nicht abwenden.

Als Erich Frau Ceres zum ersten Male wieder nahte, sagte sie sehr leise: »Ich danke Ihnen,« weiter nichts; das Wort war sehr vieldeutig.

Bella sagte, die Reise werde Frau Ceres sehr wohl thun, es sei eine angemessene Probe für die Badereise; man nannte den einen und den andern Tag, wann man die Reise ausführen wolle.

Erich wußte nicht, was das bedeute; Roland sah seinen fragenden Blick und sagte ihm leise:

»Wir reisen Alle mit einander zu Manna, wir holen sie, um mit uns ins Bad zu reisen. Das wird lustig und schön!«

Von Neuem sah Erich, wie die Hauptschwierigkeit eines so reich ausgestatteten pflichtlosen Lebens darin besteht, daß Alles im Hause, und der Knabe vielleicht am meisten, entweder in der Nachwirkung einer Zerstreuung, oder in der Hoffnung auf eine Zerstreuung lebe. Er wollte ruhig abwarten, bis die Frage an ihn kam, um dann seine Entschiedenheit geltend zu machen.

Wie zufällig fügte sich's, daß Bella mit Erich ging. Sie erzählte zuerst, wie glücklich Clodwig sei, daß Erich nun doch in der Nähe bleibe, und dann plötzlich stillstehend und mit einem lauernden Blicke sagte sie:

»Sie werden nun in den nächsten Tagen auch Fräulein Sonnenkamp sehen.«

»Ich?«

»Ja. Sie reisen doch mit uns?«

»Es ist noch von Niemand etwas darüber bestimmt.«

Bella lächelte und fuhr fort:

»Ich habe genug von der Welt gesehen, um kein Vorurtheil zu haben. Die Tochter des Hauses und mein Bruder Otto . . .«

»Herr Sonnenkamp hatte bereits die Freundlichkeit, mir von der Verlobung zu erzählen.«

»Wissen Sie,« rief Bella schnell, »wissen Sie, daß ich mir von Ihnen sehr viel Annehmlichkeiten verspreche?«

»Von mir? Was könnte ich leisten?«

»So ist es nicht gemeint, reden wir gradaus. Ich habe viel über Sie gedacht, Sie sind mir doch ein Räthsel und ich hoffe, ich bin es Ihnen auch.«

»Ich hatte mir noch nicht erlaubt . . .«

»Ich erlaube, daß Sie es sich erlauben. Also Herr Hauptmann oder Herr Doctor oder Herr Dournay, aber am besten, Herr Nachbar, wir wollen einen Vertrag schließen. Ich suche mir die Widersprüche und Seltsamkeiten Ihres Wesens zu erklären und spüre ihnen nach, so viel ich kann; dagegen gestatte ich Ihnen, das Gleiche auf mich anzuwenden. Finden Sie das nicht anziehend?«

»Anziehend und gefährlich.«

Bella richtete sich hoch auf und Erich fuhr fort:

»Gefährlich für mich, denn Sie wissen, wie Freund Hamlet sagt: Wer kann bestehen, wenn man ihn ganz kennt?«

»Es freut mich, daß Sie nicht höflich sind, aber Sie sollten auch nicht bescheiden sein.«

Während Bella mit Erich ging, hatte Prancken Roland an die Hand genommen und besichtigte mit ihm die Ställe und die jungen Hunde; dann führte er ihn in den wenig besuchten Theil des Parks, der sich längs der Landstraße hinzog. Wie von selbst kam das Gespräch auf Erich, und Prancken prägte ihm scharf ein, daß er von dem weltlichen Manne wol Vieles lernen könne, was in der Welt nützlich sei, aber es gebe ein Höchstes, das er ihm nicht anvertrauen und worin er ihm in keiner Weise Folge leisten dürfe.

Und nun sprach er von Manna. Es war ein Ausdruck von Andacht in seinen Worten wie in seinem Ton. Er zog das Buch, das er stets auf dem Herzen trug, aus der Tasche und zeigte Roland genau, wo Manna heute lese; durch die Flucht habe Roland zwar einige Tage versäumt, in welchen er das Gleiche hätte lesen sollen, aber er könne mit Muße jetzt nachholen. Vor Allem aber brauche Herr Dournay nichts davon zu wissen, denn es dürfe kein Fremdgläubiger zwischen Roland und seinen Gott treten.

Es war Roland wie eine Befreiung, als jetzt Bella und Erich munter scherzend vorübergingen. Er rief sie an und bald ging er mit ihnen.

Als Roland und Erich davongegangen waren, begann Prancken der Schwester ins Gewissen zu reden, daß sie mit dem jungen Manne so tändle und scherze.

Bella stand still; sie schien nicht zu wissen, ob sie ihren Bruder auslachen oder scharf zurechtweisen solle; sie blieb bei dem Ersteren und höhnte den Neubekehrten.

»Ach,« rief sie, »eigentlich fürchtest Du doch, daß dieser Herr Dournay der verklärten Manna gefalle, und da traust Du mir ein Gleiches zu. Der Mann hat etwas Bezauberndes für uns Frauen, seien wir nun in einen Ehebund oder in ein Kloster eingeschlossen.«

Bella wendete indeß schnell wieder und sagte, sie spiele mit dem jungen Manne, der ein empörendes Selbstvertrauen habe.

»Jetzt aber im Ernst,« schloß sie. »Sollen sich die Guten einen freundlich belebenden Umgang versagen, weil die Schlechten allerlei Ungehöriges dabei verdecken? Das wäre verkehrte Welt, das wäre Unterjochung der Guten durch die Schlimmen.«

Bella wußte nicht, oder hielt auch nicht nöthig, es zu wissen, daß sie sich hier mit einem Ausspruch ihres Mannes ausputzte. Prancken war in Verlegenheit. War er in der That befangen von seinem neu erwachten Eifer oder war das nur eine aus lauter Tugendschein gewobene Verhüllung? Er wußte auf den schäkernden und tänzelnden Ton, auf ihre schmiegsamen und biegsamen Ausweichungen nicht zu erwidern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 2