Siebentes Kapitel. - Sonnenkamp und Erich gingen nach dem Park. ...

Sonnenkamp und Erich gingen nach dem Park.

Zwei Menschen wandelten hier im Gleichschritt beim Landhaus am Rhein und sie waren doch so getrennt und verschieden. Sonnenkamp hatte sich mit kühnem Muthe und rücksichtsloser Willenskraft vom Weltbesitze angeeignet, was er habhaft werden konnte; er wollte nun in Ruhe genießen und Alles seinem Egoismus unterthan halten. Erich dagegen hatte nur gestrebt und gearbeitet, die Welt in der Erkenntniß zu durchdringen und für die Mitlebenden zu wirken. Auf jeden Anruf gab er sein volles Denken preis. Er glaubte noch, die Menschen wollten im Gespräche etwas gewinnen, wollten klarer werden und nicht blos die Zeit vertreiben, und so gab er in der Erregung des Augenblicks sich stets ganz und frei in der vollen Naivetät der Hingebung, Verkennung und Vorwurf der Eitelkeit nicht achtend.


So erging er sich nun auch in der Ausführung, welch ein Glück es sein müsse, hier im ruhigen Hause am bewegten Strome, in sich gehalten in die weite Welt zu wirken.

Sonnenkamp hörte geduldig zu, aber innerlich triumphirte er über den Schwärmer. Da sitzen die Gelehrten im kleinen Universitätsstädtchen, und weil sie keine Welt vor sich sehen, leben sie im Phantasiegebilde der Menschheit und erscheinen sich selber als höchst wichtige Weltregierer.

Leise pfiff Sonnenkamp vor sich hin, so leise, daß Niemand außer ihm dies Pfeifen hörte; ja, er wußte seine Lippen so zu stellen, daß man ihm nicht ansah, daß er pfeife.

An einer Erhöhung setzte er sich und wies auch Erich einen Stuhl an.

»Sie müssen bemerkt haben,« sagte er, »daß Fräulein Perini streng katholisch ist, und unser ganzes Haus gehört zur Kirche. Ihre Confession ist für mich indeß kein Hinderniß. Nun aber« – er beugte sich vor, legte beide Hände auf die Kniee und sah Erich scharf an – »nun aber – kurz die Hauptfrage: Wie glauben Sie, daß ein Knabe, der bereits weiß, daß er sich für keinerlei Erwerb zu bethätigen hat, ja, daß er einstmals eine – oder sagen wir, mehrere Millionen besitzen wird – wie glauben Sie, daß solch ein Knabe erzogen werden kann?«

»Darauf könnte es nur eine bestimmte Antwort geben.«

»So?«

»Die Antwort wäre einfach: Er kann gar nicht erzogen werden.«

»Wie? Gar nicht?«

»Ja. Das große Unbekannte, das Schicksal allein kann ihn erziehen. Was wir thun können, ist weiter nichts, als ihn gewöhnen, die ihm gewordene Kraft gehörig zu regieren und zu verwenden.«

»Regieren und verwenden,« murmelte Sonnenkamp vor sich hin; »das hört sich gut. Sie bestätigen mir eine Wahrnehmung. Nur ein Soldat, nur ein Mann, der natürlichen Muth sich erzogen und gebildet hat, kann in unserer Zeit noch Bedeutsames leisten; mit Predigten und Büchern bewirkt man nichts, bezwingt man nicht die alte und schafft nicht eine neue Welt.«

Mit einem veränderten, fast unterwürfigen Tone fuhr Sonnenkamp fort:

»Ich sehe schon, ich selbst werde vielleicht noch mehr bei Ihnen lernen, als Roland. Also bitte, wie würden Sie – denken Sie sich als Vater in mein Verhältniß – wie würden Sie Ihren Sohn erziehen?«

»Ich glaube,« erwiderte Erich, »daß die Phantasie sich Vieles ausdenken kann, aber eine geheime Naturbeziehung kann nur erfahren, nicht ausphantasirt werden. Lassen Sie mich also von meinem Standpunkte als Fremder antworten.«

»Gut.«

»Mein Vater war Prinzenerzieher und ich glaube, seine Aufgabe war leichter.«

»Leichter? Und warum?«

»In einem Prinzen wird schon früh das Bewußtsein der Pflicht erweckt; jede Minute wird ihm der Stolz, aber auch die Verpflichtung gegeben, daß er sich als Prinz zu benehmen habe. Die Repräsentation, in der die Fürstlichkeiten so Erstaunliches leisten, erscheint von früh an als Pflicht und wird zur Lebensgewohnheit.«

Sonnenkamp lehnte sich wieder zurück und ließ sich die Darlegungen Erichs munden wie einen seltenen Leckerbissen. Der Mann soll nur sich in Phantasien ergehen, derweil er nicht den Stuhl, auf dem er sitzt, nicht den Fußbreit Erde, auf dem er steht, sein eigen nennt.

»Fahren Sie fort,« sagte er.

»Es mag lächerlich erscheinen,« nahm Erich wieder auf, »es ist aber von Bedeutung, daß ein Prinz schon in der Wiege einen militärischen Rang erhält. Zur Vernunft erwacht, sieht er dann den Vater immer unter dem Gebote der Pflicht. Ich will damit keineswegs bestreiten, daß diese Pflicht oft sehr leicht genommen, ja ganz vernachlässigt wird; aber ein gewisser Schein der Pflicht muß immer gewahrt werden. Bei einem reichen Manne hingegen sieht das Kind die Pflicht, die der Reichthum auferlegt, nicht so gebietend vor Augen; es sieht Wohlthätigkeit, Gemeinnützigkeit, Kunstpflege, Gastlichkeit, das Alles erscheint aber als freies persönliches Belieben.«

»Sie kommen also auch auf die historische Verpflichtung?« versetzte Sonnenkamp, ohne weiter zu erklären, was er damit meinte, vielmehr wußte er Erich zu immer weiteren Darlegungen zu ermuntern.

Er hatte sich vorgesetzt, Erich nur auszuforschen, nur eine neue Art des Genusses zu haben, einen gelehrten Idealisten sich ausreden zu lassen; er hatte seine besondere Lust daran, daß Erich dies Alles nur zu seinem Vergnügen thun sollte; er empfand eine gewisse Freude, sich auch einmal im Land der Ideale umzuschauen – es sah recht sauber darin aus, aber nur für eine Stunde, für einen halben Tag. Unversehens jedoch sah er sich in lebhaftes Interesse versetzt; er fühlte, daß mit Erich ein gegensätzliches, ja ein feindliches Element in sein Haus eintreten würde. Aber war es nicht vielleicht angemessen, den Sohn diese gelehrte Idealwelt kennen und überwinden zu lassen?

»Wissen Sie,« fragte Sonnenkamp nachdenklich, »was man am meisten wünscht und was man nicht kaufen kann?«

Erich schüttelte den Kopf und Sonnenkamp fuhr fort:

»Gottvertrauen! Da hat man vorgestern einen armen Winzer begraben; mein halbes Vermögen gäbe ich darum, wenn ich ihm sein Gottvertrauen für meine letzten Lebensjahre hätte abkaufen können. Ich wollte es dem Doctor nicht glauben, aber es ist wahr, der Winzer war ein Lazareth von Krankheiten und bei allen Schmerzen sagte er beständig: mein Heiland hat noch schwerer leiden müssen und Gott wird schon wissen, warum er mir das anthut. – Ich wünschte, daß Sie im Stande wären, meinem Sohne ein Aehnliches zu geben, ohne ihn zum Frömmler oder Pfaffenknecht zu machen.«

»Ich glaube wir können das Gleiche gewinnen in dem Bewußtsein, uns nach Maßgabe unserer Kraft und in Uebereinstimmung mit dem Wohle unserer Mitmenschen zu bethätigen.«

Man sah in einem Seitengange Prancken und Fräulein Perini auf- und abwandern und Sonnenkamp sagte, auf dieselben deutend:

»Ihr Freund Prancken versteht es sehr gut, mit Fräulein Perini zu verkehren.«

Erich erklärte, daß er nicht das Recht habe, sich einen Freund Pranckens zu nennen; sie seien in der Cadettenschule und in der Garnison mit einander bekannt geworden, hätten aber nie in ihren Gesinnungen übereingestimmt und sein Streben sei ein ganz anderes, als das eines Majoratsherrn; er erkenne die Güte, mit der Prancken ihm den Eintritt in das Haus Sonnenkamp erleichtert, aber die Wahrhaftigkeit gehe über Alles.

Sonnenkamp pfiff wiederum unhörbar; er war offenbar erstaunt über diese Freimüthigkeit; es kam ihm der Gedanke, daß Erich ein verschlagener Diplomat sei, denn er betrachtete es als eine Haupteigenschaft der Diplomatie, keinerlei Gebundenheit durch Dankverpflichtung zu erkennen. Dieser Mann ist entweder der edelste Schwärmer oder der abgefeimteste Weltling, dachte er.

Als man jetzt Prancken und Fräulein Perini begegnete, begrüßte Sonnenkamp den Baron mit großer Herzlichkeit und faßte ihn unter den Arm.

Erich ging mit Fräulein Perini. Diese hatte stets eine kleine feine Handarbeit. Mit kaum sichtbaren Instrumenten und feinem Zwirn brachte sie mit überraschender Schnelligkeit eine Spitzenguirlande zuwege. Erich gab seine besondere Freude an der zierlichen Arbeit kund, die sie Oechi nannte. Uebrigens stand sofort, als wär's ein geschriebener Vertrag, zwischen den Beiden fest: wir werden uns möglichst vermeiden, und wenn wir doch in denselben Kreis gestellt sind, uns verhalten, als ob wir nicht mit einander auf der Welt wären.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 1