Fünftes Kapitel. - Roland hatte bereits sein Pony und das Pferd für Erich satteln lassen. ...

Roland hatte bereits sein Pony und das Pferd für Erich satteln lassen. Die Beiden stiegen auf und ritten zuerst im Schritt durch einen Theil des Dorfes; am Wege stand ein kleines Haus, es war rebenumrankt und die Fensterladen waren geschlossen. Erich fragte, wem das Haus gehöre und warum es verschlossen sei. Roland berichtete, daß es seinem Vater gehöre; hier habe der französische Baumeister gewohnt, der die Villa baute, und auch manchmal der Vater, wenn er während des Baues und der Herrichtung von Park und Garten aus der Schweiz und Italien hieherkam.

»Nun scharfen Trab,« sagte Erich. »Nimm die Zügel besser in die Linke.«


Lustig sprengten die Beiden Flanke an Flanke dahin. Plötzlich aber scheute das Pferd Erichs und bäumte sich. Roland schrie auf, doch Erich beruhigte ihn, rief nur noch: »Ich zwinge ihn!« und tummelte das Pferd mit solcher Macht, daß es dampfte und ihm nun willig gehorchte. Er ritt wieder zu Roland zurück und ruhig ritten nun die Beiden neben einander dahin.

»Denke Dir,« sagte Roland, »ich soll wieder einen Hofmeister bekommen.«

»Nun? Und Du freust Dich darauf?«

»Ich will keinen.«

»Was willst Du denn?«

»Fort will ich, aus dem Hause fort – in ein Cadettenhaus! Warum durfte Manna ins Kloster? Sie sagen immer, meine Mutter kann nicht essen, wenn ich nicht mehr da bin; sie muß doch auch essen, wenn ich Officier bin.«

»Du willst also Officier werden?«

»Ja, was denn sonst?«

Erich schwieg.

»Bist Du auch von Adel?« fragte der Knabe nach einer Weile wieder.

»Nein.«

»Möchtest Du es nicht auch werden.«

»Das kann man nicht werden.«

Der Knabe spielte mit der langen Mähne seines Pferdes; jetzt schaute er zurück und sah, wie die Fahne vom Thurm herabgelassen wurde. Er zeigte das Erich und setzte stolz hinzu, er werde sie doch wieder aufhissen. Die feinen, plastisch schönen und farblosen, oftmals auch wie übermüdeten Züge des Knaben gewannen Spannung und Farbe; es lag ein kecker Ausdruck auf seinem Gesichte.

»Es ist gut, daß Du stolz darauf bist, ein geborener Amerikaner zu sein,« sagte Erich.

»Du bist der Erste in Deutschland, der mir darin Recht gibt,« rief der Knabe; »Herr von Prancken und Fräulein Perini spötteln immer über Amerika, Du allein – aber verzeih', es ist doch nicht recht, daß ich Sie Du nenne.«

»Laß es immerhin dabei, wir wollen gute Freunde sein.«

Der Knabe streckte ihm die Hand entgegen und Erich drückte sie mit Wärme.

»Sieh, auch unsere Pferde sind gute Freunde,« fuhr der Knabe fort. »Hast Du zu Hause auch viele Pferde?«

»Ich habe gar keines, ich bin arm.«

»Möchtest Du nicht auch reich sein?«

»Reichthum ist eine große Kraft.«

Roland sah ihn staunend an. Das hatte mit denselben Worten auch Kandidat Knopf immer gesagt.

Nach geraumer Weile fragte er:

»Dem Namen nach bist Du ein Franzose?«

»Nein, ich bin ein Deutscher, meine Voreltern sind nur aus Frankreich eingewandert. – Wie alt warst Du, als Du nach Europa kamst?«

»Vier Jahre.«

»Hast Du Erinnerungen an Amerika?«

»Nein, aber Manna hat viele. Ich erinnere mich nur eines summenden Liedes von einem Neger, ich kann's aber nicht mehr zusammenfinden, und Niemand kann mir's vorsingen.«

Die Beiden ritten die Bergstraße hinan; das kleine Männchen, das Erich bei der Gartenerde hatte arbeiten sehen, ging am Wege und grüßte ehrerbietig. Sie hielten an und Roland fragte den Nicolas, so hieß das Erdmännchen, warum er jetzt schon nach Hause gehe.

Nicolas erwiderte, er gehe nur über Mittag nach Hause und dann in den Wald, um die neue Erde zu holen, die der Herr Sonnenkamp entdeckt habe; droben im Walde sei eine Quelle, die Eisen enthalte, und da habe Herr Sonnenkamp nachgraben lassen und Eisenerde gefunden; in diese Eisenerde pflanze er nun Hortensien, die fleischfarbenen Pflanzen färben sich dadurch himmelblau. Nicolas konnte nicht genug rühmen, was für ein Mann Herr Sonnenkamp sei, der Alles kenne und Alles verwende; da sei es natürlich, daß man so reich werde, denn die anderen dummen Menschen gehen auf der Welt umher, wo überall Millionen liegen, und kennen sie nicht.

Besonders rühmte Nicolas eine einfache Methode des Herrn Sonnenkamp, wenn er Obstkörner säete. Er ließ nämlich in die Erde hinein Nadeln vom Wachholderbaum mischen; dadurch kamen keine Würmer und keine Mäuse an den Samen.

Im Weiterreiten sprach Erich davon, wie einsichtige Männer in unserer scheinbar schon durchforschten und ausgebeuteten Welt Neues zu entdecken wissen, und er schätze es hoch, daß Sonnenkamp die Gartenkunst mit solcher Einsicht zu betreiben wisse. Roland richtete sich in den Bügeln auf; noch nie hatte er seinen Vater so rühmen hören.

»Hast Du Niemand in der Gegend, den Du besuchen möchtest?« fragte Erich.

»Nein – oder doch – den Major, aber der ist jetzt auf der Burg. Schau, dort oben im Dorfe wohnt der Flurschütz Klaus, sie heißen ihn auch den Krischer, der hat unsere Hunde – willst du mit zu ihm? Ich muß ihm doch sagen, wie sich die Jungen der Mara befinden; eine Stunde, ehe Du kamst, war er bei mir.«

Erich war gern bereit und in kurzem Trab ritten sie die mäßige Steigung hinan, dann lenkten sie abseits, hielten bei einem kleinen Häuschen an und stiegen ab.

Hunde verschiedener Rasse kamen heran und sprangen an Roland empor. Auch Puck schien hier Freunde zu haben, er spielte mit einem braunen Dachshunde. Aus dem Hause kam ein Mann mittleren Alters, er legte die Hand militärisch grüßend an die Mütze. Er trug die kurze hellgraue baumwollene Jacke, die dem ländlichen Rheinbewohner etwas Freies und Bequemliches zugleich gibt; er rauchte aus einer Porcellanpfeife, auf der eine Himmelfahrt Napoleons in grellen Farben abgebildet war.

Die Art und Weise, wie Roland seinen neuen Freund dem Krischer vorstellte, zeigte, daß er mit untergeordneten Menschen in gebieterischer Weise zu verkehren verstand.

»Denke Dir nur,« sagte er zu dem Flurschützen, »der Herr Hauptmann hat, ohne sie gesehen zu haben, am Winseln gleich gewußt, wie alt die Jungen der Mara sind.«

»Das kann man, und auch von welcher Rasse sie sind,« erwiderte der Krischer; er hatte eine sehr laute Stimme. »Je nachdem ein Hund von einem gescheidten oder dummen Geschlecht ist, hat er ein besonderes Winseln und Bellen; dumme Menschen schreien und weinen auch ganz anders als gescheidte.«

Er blickte schelmisch auf Erich und hielt die Pfeife eine Weile in der Hand.

Er führte nun die Beiden in die Stube, hier waren viele Vogelbauer und darin Gezwitscher und Durcheinandersingen, daß man kaum sein eigen Wort hörte. Der Krischer war stolz darauf, Erich erklären zu können, wie er es verstehe, Käfer und Larven fressende Vögel an Körnerfutter zu gewöhnen, wie er auch Maden und Mehlwürmer bereite; dann schalt er über Roland, der gar keine Freude an der Vogelwelt habe.

»Nein, ich mag keine Vögel,« bestätigte der Knabe.

»Und ich weiß warum,« sagte Erich.

»Das weißt Du?«

»Du hast wahrscheinlich keine Freude an Thieren, die Du nicht besitzen kannst, wenn sie in der Freiheit sind, und gefangen magst Du sie auch nicht. Die Hunde sind Dir lieber, sie sind in der Freiheit und halten doch zu uns.«

Der Krischer nickte Erich zu, wie wenn er sagen wollte: Du bist nicht auf den Kopf gefallen.

»Ja, ich habe euch lieber!« rief Roland, der zwei junge Hühnerhunde auf dem Schooße hatte, während ihre Mutter daneben stand, den Kopf an seine Seite drückte und alle Hunde sich an ihn herandrängten.

»Neid und Eifersucht,« sagte Erich, »ist doch die erste Eigenschaft der Hunde. Sobald man den einen streichelt, wollen die anderen auch etwas davon haben.«

»Dort ist einer, der kümmert sich nichts drum,« lachte der Krischer.

In der Ecke lag ein kleiner brauner Hund, der nur manchmal aufblinzelte. Erich sagte, daß das dem Aussehen nach ein Fuchshund sein müsse.

»Hat Recht, er versteht die Hunde!« rief der Krischer zu Roland gewendet. »Hat Recht! Den Waldmann hab' ich aus einer Fuchshöhle, und er ist und bleibt ein ungutmüthiges Thier, dem nicht zu trauen ist; man mag ihm geben, was man will, er wird nie dankbar und anhänglich.«

Der in der Ecke liegende Hund blinzelte nur einmal auf und schloß die Augen wieder, wie wenn er sich um das Gerede der Menschen gar nicht kümmere.

Roland zeigte nun Erich seine Frettchen, er that sie aus dem Käfig, und sie schienen ihn zu kennen. Das eine goldgelbe bezeichnete er als einen durchtriebenen zähen Racker; er hatte ihm den Namen Buchanan gegeben. Den Namen des andern wollte er nicht nennen; es hieß eigentlich Knopf. Jetzt aber sagte er nur, daß er es Magister nenne, denn es besinne sich immer lange, bis es in die Höhle gehe, und ziehe die Lefzen, als ob es eine lange Predigt halten wolle.

Man ging in den Garten und der Krischer zeigte Erich seinen Bienenstand.

Zu Roland gewendet, sagte er:

»Ja, Roland, Ihres Vaters Blumen thun meinen Bienen wohl; wenn die guten Thierchen nur nicht so weit fliegen müßten bis in Euren Garten hinunter. Was thut's? Ich lasse mein Vieh sich auf fremder Weide nähren, und so weit ist es doch noch nicht in der Welt, daß die Reichen den Bienen des armen Mannes verbieten können, Honig aus den Blumen zu saugen.«

Es war ein scharfer Blick, der aus seinen Augen schoß, als er dies sagte; der ganze Ingrimm des Armen gegen den Reichen zuckte darin auf.

Der Krischer klagte, daß Sonnenkamp so viele Nachtigallen hege. Sie singen freilich schön, aber sie fressen den Bienen den Honig, das heißt die Bienen selbst, sammt dem Honig. Die Nachtigall, die alle Menschen so gern haben, ist ein grausamer Bienenmörder.

»Ja,« entgegnete Erich, »die Nachtigall weiß nicht, daß die Bienen Honig geben, und sie frißt die Thiere überhaupt nicht uns zuliebe, sondern sich zuliebe.«

Der Krischer sah bald Erich, bald Roland an.

Roland fragte, wie weit der Greif dressirt sei. Er erhielt die Antwort, er werde gut auf den Mann gehen, sei aber noch zu wild, sein Sprung noch nicht regelrecht, doch packe er schon an. Roland wünschte das zu sehen; der Taglöhner jedoch, der die Probe an sich machen ließ, war nicht zu Hause. Roland erzählte, daß Nicolas heimgegangen sei, der würde sich auch dazu bereit finden lassen. Er ging selbst und holte den Nicolas.

Als Roland weggegangen war, faßte der Krischer schnell die Hand Erichs und sagte:

»Ich helfe Ihnen, Sie sollen ihn kriegen; ich kann Ihnen den Burschen geschickt in die Hand geben.«

Erich sah staunend drein, und der Krischer fuhr fort, ihm zu erklären, daß er wohl wisse, warum Erich gekommen sei, und wer es verstünde, könne aus Roland einen tüchtigen Mann machen. Er deutete mit verschmitztem Blicke an, daß Erich ihm wol auch einmal dankbar sein würde, wenn er ihm zu der Stelle verhelfe.

Noch ehe Erich etwas erwidern konnte, kam Roland mit Nicolas zurück, der sich nun ein Polster über den Nacken binden ließ und sich am Gartenzaun aufstellte, mit beiden Händen die Latten festhaltend. Ein großer Neufundländer Hund wurde aus einer Hütte herausgeholt, er sprang ungeschickt hin und her, aber auf einen Pfiff des Krischers stellte er sich hinter ihn.

Nun rief der Krischer:

»Greif . . . faß! . . . Auf den Mann!«

Im Sprunge jagte der Hund durch den Garten nach dem Männchen, das am Zaune stand, sprang an ihm empor, biß in das Polster am Nacken und zerrte das Männchen, bis es niederfiel, dann stellte er ihm die rechte Vorderpfote auf die Brust und schaute zum Krischer zurück.

»Bravo! Bravo! Sehen Sie, das ist ein wahrer Satan!«

»Hast Recht!« rief Roland. »Satan! das ist der rechte Name. So soll er heißen! Satan! Nun sollen sie in der ganzen Gegend mich fürchten.«

Erich stimmte dem Krischer bei, daß man einem Hunde, der schon alle Zähne habe, nicht den Namen ändern dürfe.

»Gewiß,« wiederholte der Krischer, »ein Hund, dem man den Namen ändert, verliert seinen Appell.«

»Uebrigens,« fügte Erich noch hinzu, »ist es ganz falsch, einen Hund so zu nennen. Ein Rufname für einen Hund sollte wo möglich einsilbig sein und ein E enthalten; ein E ruft sich leicht laut.«

»Sie sind ein großer Gelehrter; so einer ist mir noch gar nicht vorgekommen, Sie wissen ja Alles,« erging sich der Krischer in Lobpreis und zwinkerte dabei halb verstohlen.

Satan – denn Roland beharrte dabei, daß der Hund nun so heiße – ließ sich von dem am Boden liegenden Männchen nicht wegbringen, obgleich Roland und der Krischer wiederholt riefen. Das war nicht in der Ordnung. Erst als ihm der Krischer die Peitsche zeigte, ließ er ab.

Roland schenkte dem Nicolas ein Stück Geld, er bedankte sich sehr unterwürfig und wünschte nur, daß er täglich dreimal sich so vom Hunde niederwerfen lassen könnte. Erich schaute nachdenklich zu. Die Welt, die sich einem reichen Knaben so zur Verfügung stellt, wie soll er sie lieben, für sie arbeiten und wirken lernen?

Als die Beiden die Hütte verließen, gab ihnen der Krischer mit einem ganzen Rudel Hunde ein Stück Weges das Geleit. Sie führten die Pferde am Zügel, und der Krischer hielt sich ausschließlich zu Erich; er kramte seine ganze Weisheit aus, wie er die Hunde zu erziehen verstehe.

Er schien in schelmischer Weise auch Erich unterrichten zu wollen, indem er sagte: erst, wenn ein Hund sich richtig tragen kann und nicht mehr über seine eigenen Glieder stolpert, könne man etwas mit ihm anfangen. Eine Hauptsache sei aber, man dürfe mit einem Hunde nicht viel sprechen, lauter kurze Worte müsse man haben, geh! komm! hier! – nur keine langen Reden. Man dürfe ihn nicht gewöhnen, daß er meine, er sei was, ganze Tage müsse man ihn gehen lassen; wenn er freundlich sein wolle, es nicht annehmen; denn sowie man sich zu viel mit dem Hunde abgebe, werde er beschwerlich. Wenn ein Hund vor Einem Respect haben solle, dürfe man auf der Jagd nicht fehlen, besonders wenn man ihn zum ersten Male mitnimmt; hat man was geschossen, das der Hund holen kann, so wird er anhänglich und treu; schießt man vorbei, so hat er keinen Respect und kriegt ihn nie.

»Kennen Sie den Herrn Knopf?« fragte der Krischer. Erich verneinte.

»Ja, der Herr Knopf,« rief der Krischer, »er hat mir hundertmal gesagt, die Schulmeister sollten alle bei mir in die Lehre gehen. Die Hunde und die Menschen sind ganz gleich. Die Hunde sind nur ehrlichere Hunde und lassen sich dressiren und beißen nur da, wo der Herr es ihnen befiehlt.«

Erich sah den Mann staunend an, in welchem eine räthselhafte Bitterniß war. Und gerade dieser Mann war der Freund des Knaben!

Der Krischer schmunzelte, da Erich sagte, daß die Thiere etwas vom Verstande der Menschen annehmen, mit denen sie umgehen.

Als man, auf der Ebene angelangt, Abschied nahm, führte der Krischer Roland beiseite und sagte:

»Sie Sausewind, alle Ihre bocksteifen Pfarrer und Schulmeister sind nichts gewesen. Das wäre ein Mann! Solch einen Mann sollte Ihr Vater kaufen, dann könnte etwas aus Ihnen werden. Aber freilich, der ist für all Euer Geld nicht zu haben!«

Der Krischer sagte dies scheinbar nur zu Roland, aber Erich mußte es auch hören, denn er sollte ja wissen, daß er dem Krischer dankbar zu sein habe.

Als man eben aufstieg, sagte der Krischer noch:

»Wissen Sie denn auch, daß Ihr Vater jetzt den ganzen Berg da kauft? Arrondiren heißen sie das! Verfluchtes Arrondiren! Ihr Vater fragt noch: was kostet der Rheingau? Und kauft ihn.« Knirschend fügte er hinzu:

»In hundert Jahren gehört von all den Weinbergen keine Handbreit mehr Denen, die da harken und graben. Muß das sein? Darf das sein?«

Erich antwortete nicht und ließ auch Roland zu keiner Antwort kommen.

Im frischen Trabe ging es nun nach der Villa zurück. Erich war entschieden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 1