Zweites Kapitel. - Name: Erich Dournay. Charakter: Doctor der Philosophie, Hauptmann a. D. ...

Name: Erich Dournay. Charakter: Doctor der Philosophie, Hauptmann a. D. . . . Ort woher: Name einer kleinen Universitätsstadt . . . Reise wohin: 0 . . . Zweck der Reise: 0 . . .

So schrieb Erich früh am Morgen in das ordnungsmäßige Fremdenbuch des Gasthofs und jetzt bemerkte er, daß vor seinem Namen eingeschrieben stand: Landrichter Vogt mit Frau, geb. Landen, und Tochter aus . . . ., ein kleines Städtchen singenden Namens vom Oberrhein war genannt.


Das war also der Gesprenkelte von gestern mit den beiden Damen.

Erich machte sich mit seinem Reisegepäck auf den Weg nach der Landungsbrücke, wo das Dampfschiff anlegte. Der Morgen war frisch und klar, ringsum jauchzendes, singendes Leben, nur ein schmaler Wolkenstreif hing noch wie ein Nebel in der halben Höhe der Gebirgskette. Mit festem Schritt, hoch aufgerichtet, frei aufathmend in der frischen Morgenfrühe ging Erich dahin. Er stand am Geländer der Landungsbrücke und schaute hinein in die Wellen, wo jetzt ein Nebelstreif sich hob und in der Luft zerfloß. Dann starrte er lange nach der Insel hin, wo nun die Frühglocke läutete und die Kinder aus dem Schlafe rief, die gestern Abend vor sich selber zum Märchen geworden waren.

Er zog das Blatt aus der Tasche und las noch einmal die Anzeige, in der die Bewerbung um eine einträgliche Hofmeisterstelle ausgeschrieben war.

Das Dampfschiff brauste heran, die Brust den Wellen entgegendrängend.

Erst auf dem Schiffe bemerkte Erich, daß auch zwei Nonnen aus dem Kloster – die Eine war die zierliche, scheue Französin – mit eingestiegen waren. Er grüßte; er wurde ohne Erwiderung verwundert angesehen. Die Nonnen nahmen ihr Brevier, setzten sich auf dem Verdecke nieder und beteten.

Auf dem zu Berg gehenden Schiffe waren noch wenig Reisegefährten, und die Morgenfrühe läßt ungesellig.

Erich setzte sich nicht weit von dem Steuermann, der fort und fort leise vor sich hinpfiff. Nachdenklich schaute er in den aufgewühlten Strom und in die Landschaft. Er preßte die feingeschnittenen Lippen fest zusammen, es schien als ob er mit stummer Lippe den noch nie gehobenen Nibelungenschatz der Schönheit dieses Stromes und dieser Landschaft erkennen wolle. Er schüttelte oftmals den Kopf, wenn er hörte, wie da und dort zwei Menschen durch sogenannte Unterhaltung sich die Frische des Morgens und die stille Erquickung des landschaftlichen Anblicks verplauderten.

Erich hatte das Glück des schönen wohlumhegten Familienlebens und der höchsten Bildung genossen. Von den Eltern sorgfältig erzogen, war er in den Militärdienst eingetreten, gab denselben freiwillig auf und widmete sich den Studien. Es sind heut erst wenige Tage, seitdem er den Doctorgrad erworben. Er hatte mit großer Anstrengung diesen Abschluß beschleunigt, denn erst zwei Monate sind es her, seitdem sein Vater gestorben war.

Es war am Abend, als Erich zum Doctor ernannt war, da die Mutter mit ihm ging und ihn ermahnte, sich nun einige Tage freien Athemschöpfens zu gönnen.

Erst wenn Erich von der Reise zurückgekehrt war, wollten sie bestimmen, was nun aus ihnen werde solle. Die Mutter empfand es dabei schmerzlich und konnte den Gedanken nicht unterdrücken, daß man aus dem stetigen, ordnungsmäßig sich fortsetzenden Lebensgange heraustreten und stündlich einem fraglichen, erst selbst zu schaffenden Dasein gegenüberstehe; sie hatte das nie gekannt und nie geahnt. Und mit einem Kummer, den sie zu unterdrücken suchte, aber nicht ganz verbergen konnte, sah sie, sich eines Wortes von Lessing erinnernd, ihren Sohn am Markte stehen und nach Arbeit ausschauen. Sie hoffte indeß, daß sich das Widerstreben des Sohnes, sich durch eine Gunst eine Lebensstellung geben zu lassen, legen würde; vor Allem aber sollte er wieder seine Jugendfrische erhalten. Hätte die Mutter ihn jetzt gesehen, sie hätte gestaunt, wie schnell sich das bewerkstelligte; es war ein Glanz in seinen Augen und eine Farbe in seinem Antlitz, die in den besten und ruhigsten Tagen nicht leuchtender und blühender gewesen.

Nur um ihm ein Ziel zu geben, hatte sie ihm einen Gruß an die Oberin des Klosters aufgetragen. Jetzt war Erich bereits auf dem Rückwege. Eine einfache Anzeige in der Zeitung hatte seiner Reise eine ungeahnte Richtung gegeben.

Er hatte indeß jugendliche Spannkraft genug, um wegen des Zieles die Freuden des Weges nicht zu vergessen. Mit hellem Blick betrachtete er das Getriebe auf dem Schiffe, das Leben auf dem Strom und an den Ufern.

Schon an der zweiten Station stiegen die beiden Nonnen aus und die zierliche Französin nickte ihm rückwärts zu, als sie die kleine Flügeltreppe hinabstieg. Im Kahn faltete sie die Hände und schaute vor sich nieder; auch als sie ans Ufer stieg, schaute sie nicht mehr rückwärts.

Von Ort zu Ort wechselten die Reisegefährten; an einem Dorfe kam eine Schaar Wallfahrer, meist Frauen mit weißen Tüchern auf dem Haupte. An dem Halteplatz, wo sie ausstiegen, kam ein Trupp Turner in hellgrauen Gewändern auf das Schiff und stimmte auf dem Verdeck ein Lied an, während die Wallfahrer am Ufer sangen. In allen Städten und Dörfern, an denen man vorüberfuhr, tönten die Glocken, es war ein heller, klingender, blühender Frühlingstag und Erich fühlte jene Berauschung, die das rheinländische Leben über das Gemüth bringt, eine Spannung und Erhöhung aller Lebensgeister, von der sich nicht sagen läßt, von wannen sie kommt, wie sich nicht scheiden läßt, was dem Weine an den Bergen hier seine Würze, sein Feuer gibt. Es ist der Hauch des Stromes, der Duft der Berge, die Kraft des Bodens, es ist das Sonnenlicht, das wie im Weine, auch im Menschen glüht, einen beflügelten Frohmuth erzeugt, den Niemand abwehren und Niemand erklären kann.

Oftmals wurde auch Erich angesprochen, er hielt aber jede Genossenschaft ab; er wollte in sich allein sein inmitten der Menschenbewegung, inmitten der wonnigen Landschaft.

Es war hoher Mittag, als er bei dem Städtchen mit altersgrauem Thurme, das einen fröhlichen Namen in der ganzen Welt hat, ans Land stieg. Ein schlanker blonder junger Mann stand hier am Ufer und sah ihn scharf an, endlich rief er:

»Dournay!«

»Herr von Prancken!« erwiderte Erich.

Die Beiden reichten sich die Hände.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 1