Viertes Kapitel. - Im offenen Wagen fuhren die beiden jungen Männer die Straße dahin, ...

Im offenen Wagen fuhren die beiden jungen Männer die Straße dahin, die bald bergan lenkte. Die Luft war voll thauiger Frische und hoch über den Rebengeländen im Laubwalde sangen die Nachtigallen, es war wie eine endlose Kette von Gesang.

Die beiden Männer saßen schweigend. Jeder wußte, daß der Andere in seinen Lebenskreis eingetreten, und man konnte nicht ahnen, was daraus erfolgen würde.


Als Erich jetzt den Hut abthat, und Prancken das jugendfrische Antlitz und den Ausdruck ruhiger Sicherheit in demselben betrachtete, war es ihm, als hätte er ihn noch gar nicht gesehen. Er erwog, in welches Verhältniß von unberechenbaren Folgen er sich gebracht. Spott und gütiges Lächeln wechselten in seinen Mienen, er murmelte sogar unverständliche Worte vor sich hin und stieß ein kurzes unerklärbares Lachen aus.

Er legte den Kopf zurück in die Wagenkissen und schaute in den Himmel hinein. Er wird schon dafür sorgen, daß der Mann ihm nicht in die Quere kommt, und was er selber nicht vermag, wird Schwester Bella fertig bringen.

Prancken hatte, seitdem er Civilkleider trug, etwas Gewaltsames in seiner Haltung. Von Kindheit an in die Uniform gesteckt, hatte ihm diese nicht nur ein Gefühl der Geschlossenheit, sondern auch einen bestimmten, jederzeit kenntlichen Charakter gegeben, der ihn von dem gewöhnlichen Troß ausschied. In der Gemeinschaft der Genossen, in Reih und Glied, war er stramm und frischauf; er zeichnete sich durch nichts Besonderes aus, aber er war ein guter Officier, der seine Pferde und seine Leute gut zu regieren und einzuüben wußte. Nun, da er die Uniform ausgezogen, war es ihm, als müsse er in dem bürgerlichen Gewande auseinanderfallen; er hielt sich daher gewaltsam stolz aufrecht und suchte in jeder Bewegung kundzugeben, daß er nicht zu den gewöhnlichen Menschenkindern gehöre. Im Regimente hatte es stets feste Ordre gegeben, jetzt war er in das Commando der Pflicht und der lästigen Selbstbestimmung eingetreten; auf sich allein gestellt, ward er schmerzlich inne, daß er ohne Kameradschaft Nichts war. Das Leben erschien ihm öde und schal, er hatte sich daher in eine ironisch bittere Stimmung hineingearbeitet; das gab ihm vor sich selber eine gewisse Erhabenheit über dieses trockene Getriebe ohne Parade, ohne Spiel, ohne Ballet.

Mit einer Art Verwunderung sah er auf Erich, der, von aller äußeren Stellung entblößt, ja in Armuth versetzt, so ruhig und zuversichtlich dreinschaute und sich am Ausblick in die Landschaft ergötzte, als wäre das ein Fest.

Erich war in der That besser gestellt. Er war auch in Reih und Glied ein Mensch für sich geblieben, nie ganz in das kameradschaftliche Leben aufgegangen, und nun, da er das Bürgerkleid trug, hatte sich seine Erscheinung neu und frei entfaltet.

»Es ist vielleicht ein Glück, wenn man sich um des Erwerbes willen zu Etwas zu bestimmen hat,« sagte Prancken, nachdem man lange lautlos dahingefahren.

»Das eben,« erwiderte Erich, »wird die schwere Aufgabe bei dem jungen Millionär sein. Die Idee und das materielle Erträgniß bewegen die Menschenkraft. Die steile Bergwand würde nicht mit Wein bepflanzt, der Wald nicht gerodet, das Schiff nicht gelenkt, der Pflug nicht geführt, wenn nicht die Noth riefe. Wo ein höherer Antrieb sich damit vereinigt – und mir scheint das möglich in jeder Sphäre – da ist das schön Menschliche.«

Wieder waren die Beiden still.

Im Thale lagen bereits die Schatten, während oben auf den Bergen die Sonne noch hell glänzte. Man fuhr durch das Städtchen; aus den offenen Fenstern klang Musik, es war fröhliches Tummeln in den Straßen, die Mädchen wandelten Arm in Arm dahin, die jungen Männer vereinzelt oder in Gruppen, es gab heiteres Grüßen, Necken und Scherzen; die Alten saßen vor den Häusern, der Marktbrunnen rauschte, und weiter hinauf, die Landstraße am Ufer entlang, war lustiges Singen.

»O, wie erquicklich ist unser deutsches Leben!« rief Erich unwillkürlich. »Die gewerblich thätigen Menschen vergnügen sich am Abend, der Kühlung und Schatten gibt in dem baumlosen Weinlande.«

Prancken schwieg und plötzlich zuckte er zurück, da ihm – er wußte nicht woher – wie ein Traum, wie ein Gesicht in der Ferne, die Vorstellung kam, daß er dem Manne, der neben ihm saß, mit der Pistole in der Hand im Duell gegenüberstehe.

Gewaltsam zwang er sich zum Sprechen und erzählte, wie er auf Anrathen seines Schwagers, des Grafen Clodwig von Wolfsgarten, einen Besuch bei einem hochangesehenen Landwirth in der Umgegend gemacht, um, falls man sich gegenseitig gefiele, dort sich zum Landwirth auszubilden.

Der Gutsbesitzer Weidmann galt in der ganzen Umgegend als Autorität in landwirthschaftlichen wie in politischen Dingen.

»Ich möchte wissen,« sagte Prancken, »wie Ihnen dieser Mann erscheinen würde. Er hat auch« – bei diesem Worte stockte er und setzte schnell hinzu – »auch wie die großen Weltverbesserer beständig einen Train von guten Lehren, daß man ein ganzes Capuziner-Kloster damit verproviantiren könnte.«

Erich entgegnete scherzend, daß es vielleicht auch eine Gastfreundschaft durch Lehren gäbe, und Prancken fuhr fort:

»Ach, die Welt besteht aus lauter Aberglauben! Die gepriesene Poesie der Landwirthschaft ist nichts als Erwerbssucht, die die Schminke des Abendroths und Morgenroths auflegt. Dieser Herr Weidmann mit seinen Söhnen denkt an nichts als an Gelderwerb. Er hat sechs Söhne, fünf davon kenne ich, sie sehen alle impertinent gesund aus, mit prätentiös weißen, fehlerlosen Zähnen und sind alle ungeschornen Bartes. Die Berge, die von Reisenden mit Entzücken bewundert werden, müssen der Weidmannischen Sippe auf der Oberfläche Wein geben und aus ihrem Innern Schiefer und Braunstein, Erz und Chemikalien. Sie haben fünf verschiedene Fabriken, der Eine ist Bergmann, der Andere Maschinenbauer, der Dritte Chemiker, und so arbeiten sie für einander und mit einander. Ich habe mir sagen lassen, daß sie vierzig verschiedene Stoffe aus dem Buchenholz ziehen, und dann senden sie die ausgemergelte Kohle noch nach Paris in die Restaurants. Ist das nicht eine schöne Naturschwärmerei? Und nun gar Vater Weidmann. Nicht wahr, Sie freut der Gesang der Nachtigall? Vater Weidmann hat bei der Regierung ein Toleranzedict erwirkt, weil die Nachtigallen Ungeziefer fressen und für Land- und Forstcultur überaus nützlich sind. Wenn heute ein Sänger nach Burg Mattenheim käme, er fände kein Gehör, wenn er nicht ein Lied sänge von der edlen Minne, durch die sich Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak verbindet. Mir ist ganz wirbelig von lauter Superphosphat und Kali. Glauben Sie,« fragte Prancken jetzt geradezu, »glauben Sie, daß das ein Loos ist, des Strebens werth, den Nahrungsstoff der Menschheit um einige Säcke Kartoffeln zu vermehren?«

Ehe Erich antworten konnte, setzte aber Prancken hinzu:

»Ach! Es gibt eigentlich gar nichts, was man sein möchte. Soldat ist doch das Einzige.«

Als man jetzt einen steilen Berg hinanfuhr und den weiten Strom mit den Inseln übersah, deutete Prancken stromaufwärts auf ein hellweißes Gebäude am Ufer und sagte:

»Sehen Sie, dort ist Villa Sonnenkamp, auch Villa Eden genannt. Die große Glaskuppel, auf der die Abendsonne glänzt, ist das Palmenhaus. Herr Sonnenkamp ist passionirter Gärtner, seine Gewächshäuser und Obstpflanzungen übertreffen die des Fürsten.«

Erich stand im Wagen aufrecht und schaute rückwärts auf die Landschaft und auf das Haus, in welchem er vielleicht eine neue Lebenswendung zu erwarten hatte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 1