Erstes Kapitel. - Die zahlreiche Dienerschaft im Erdgeschosse der Villa führte ihr eigenes Leben. ...

Die zahlreiche Dienerschaft im Erdgeschosse der Villa führte ihr eigenes Leben. Herr Sonnenkamp hatte ein weises Gesetz, obgleich es Viele hartherzig fanden: seine sämmtlichen Dienstboten mußten unverheirathet sein.

Es war Mittag. Lange bevor oben die herrschaftliche Tafel angerichtet wird, speist man hier. Zwei Reitknechte und ein dritter Kutscher, die die Stallwacht haben, speisen schweigend allein, denn sie müssen die Anderen ablösen.


Oberster Herrscher hier unten ist der weißgekleidete Chef – so wird der Oberkoch genannt. Er ist wohlbeleibt, von stattlicher Gestalt, bartlosen Antlitzes, mit großer Habichtsnase; er spielt hier den Marquis. Sein Deutsch ist eine Art Kauderwelsch, aber er regiert die ihm untergeordneten Köchinnen und Küchenmägde mit großer Sicherheit.

Die Wachhabenden haben abgespeist. An einer langen Tafel ist für mehr als ein Dutzend Menschen gedeckt, die allgemach herankommen.

Zuerst kommt – denn man läßt ihm den Vortritt – der Oberkutscher Bertram, eine gewaltige, riesenhafte Erscheinung. Er hat einen großen, in zwei dichte spitze Wellen getheilten röthlichen Bart, trägt eine lange, bis über die Hüften hinabreichende gestickte Weste und darüber eine weiß und blau gestreifte Interimsjacke, nur durch eine kleine Auszeichnung von der der anderen Stallbediensteten unterschieden.

Mit einem Gruß gegen das Küchenpersonal setzt sich Bertram zu oberst an den Tisch, ihm zur Rechten nimmt Joseph, zur Linken der Obergärtner seinen Platz. Nach diesem setzt sich ein kleines Männchen mit knolligem Gesicht und sehr beweglichen Augen; es ist Lutz, der Courier. Nun setzen sich die Anderen, je nach ihrem Rang, so daß am unteren Ende die Stallburschen und Gärtnerjungen sitzen.

Die erste Köchin, ein besonderer Günstling der Fräulein Perini, hielt streng darauf, daß, bevor man speiste, gebetet wurde. Bertram, der riesenhafte Kutscher, ein entschiedener Freigeist, machte sich während des Gebets immer mit seiner großen gestickten Weste zu thun, die er stolz über die Hüften herabzog. Joseph faltete die Hände, bewegte aber die Lippen nicht; die Uebrigen beteten leise mit.

Kaum war die Suppe verspeist und etwas vom Wein genippt – denn täglich bekamen die Diener ihren Wein – so begann Bertram:

»Ich warte nur, ob mich der Herr Hauptmann Dournay erkennen wird; ich stand ja bei seiner Batterie.«

Damit waren die Zungen gelöst und war das Thema gegeben.

»So?« fiel Joseph ganz glückselig ein. »Er war gewiß recht beliebt?«

Bertram fand nicht für nöthig, darauf geradezu eine Antwort zu geben. Er sagte nur, er hätte nicht geglaubt, daß der Herr Dournay auch einmal Dienstbote würde.

»Dienstbote?«

»Ja, Dienstbote wird er wie wir, und weil er etwas in den Büchern gelernt hat, dafür wird er Hofmeister.«

Joseph lächelte wehmüthig und gab sich alle Mühe, der Tischgesellschaft die rechte Meinung beizubringen.

Er pries zuerst den hochberühmten Vater Erichs, der gewiß zwanzig Orden gehabt habe, und dessen Frau, die von hohem Adel war. Die Namen aller Wissenschaften – und zwar die schwer verständlichsten: Anthropologie, Zoologie, Osteologie, Archäologie und Petrofactologie – deren er nur habhaft werden konnte, warf er den Genossen an den Kopf und rühmte, daß der Hauptmann Dournay das Alles verstehe; er allein sei eine ganze Universität. Es gelang Joseph aber nicht, die Dienerschaft zu überzeugen, daß Erich etwas Anderes werde als ein Diener.

In hochpreußischem Dialekt sagte der Obergärtner:

»Jedenfalls ist er ein schöner Mann und sitzt gut zu Pferde; von der Gärtnerei versteht er aber nichts.«

Lutz, der Courier, rühmte, daß Erich recht gut Französisch und Englisch spreche; Russisch, Türkisch und Polnisch verstünden natürlich die Herren Gelehrten nicht; denn Lutz, der als Schneidergeselle alle Länder durchreist hatte, verstand alle Sprachen. Er hatte ehedem Fräulein von Prancken, die jetzige Gräfin Wolfsgarten, und zwei Engländerinnen begleitet, nunmehr diente er Herrn Sonnenkamp als Courier auf Reisen, die übrige Zeit war er müßig, wenn man nicht etwa Abholen und Abliefern des Briefbeutels auf der Bahnstation und daneben das Zitherspiel, das er mit Pfeifen begleitete, eine Arbeit nennen will. Es schien ein stillschweigendes Uebereinkommen am Tische, daß man auf eine Rede des Lutz nicht erwidere; nur die zweite Köchin, mit welcher er in einem zarten Verhältniß stand, lächelte ihm zu.

Ein Mann mit sarmatischen Mienen, dem Ton seiner Aussprache nach ein Pole, rühmte, daß es doch wieder Herr von Prancken sei, der den Mann ins Haus gebracht habe. Bertram stieß Joseph ein wenig an und lobte dann Herrn von Prancken übermäßig; Joseph zwinkerte mit den Augen, wie wenn er sagen wollte: Recht so, es ist kein Zweifel, daß der Pole im geheimen Dienst des Herrn von Prancken steht.

Man sprach nun davon, ob Herr von Prancken wol auch im Hause wohnen werde, wenn er Manna heirathe, denn daß dies geschehen werde, war ausgemacht.

Ein Gärtner, der etwas stammelte, berichtete, man habe im Dorfwirthshause gesagt, Herr Sonnenkamp sei ein Schneider gewesen. Alle lachten und der stotternde Gärtner, der ohnedies der Gehänselte des Kreises war, wurde nun zu allgemeiner Erlustigung immer mehr zum Reden aufgereizt.

Bertram nahm die Wellen seines langen Bartes in beide Hände und rief:

»Wenn nur Mir einmal Einer so etwas sagte, ich wollte dem zeigen, wie ihm seine eigenen Zähne schmecken.«

»Lassen Sie doch die Menschen reden,« beschwichtigte der Obergärtner. Er lächelte im Voraus über seine Weisheit, indem er hinzufügte: »Sobald es einem Manne gut geht, muß er sich böse Nachrede gefallen lassen.«

Ein Stallbursche berichtete von Raufhändeln, die man mit den Dienern des sogenannten Weingrafen gehabt habe, da diese die Bediensteten des Herrn Sonnenkamp verspotteten, weil sie einem Manne dienten, von dem man nicht wisse, wer und woher er sei; Einer habe sogar gesagt, Frau Sonnenkamp sei eine gekaufte Sklavin.

Die geheime Geschichte und zwar die nicht sehr erbauliche vieler Häuser wurde erzählt, bis die dicke Köchin endlich rief:

»Laßt doch das Gerede! Meine Mutter hat immer gesagt: Sei ein Haus groß oder klein, vor jeder Thüre liegt ein Stein.«

Der zweite Gärtner, das Eichhörnchen genannt, ein spindeldürrer Mann mit spitzem Gesichte, der sich manchmal zu den Betstunden der Frommen in der Gegend hielt, begann eine salbungsvolle Predigt über Nachreden. Er war früher Gärtner gewesen, dann Polizeidiener in einer norddeutschen Hauptstadt, wo ihn Sonnenkamp kennen lernte und wieder in seinen ursprünglichen Beruf zurück versetzte; er bediente sich seiner zugleich bei manchen Aufträgen, die eines Mannes von treuherzigem Benehmen bedurften.

Eine alte Küchenmagd, die abseits saß, den Teller auf dem Schooße haltend, rief plötzlich:

»Wenn ich so ein junges reiches Fräulein wäre, wie das unsere, ich weiß, was ich thäte.«

»Und was thätest Du?«

»Den schönen Herrn, der angekommen ist, den thät ich heirathen; der gefällt mir viel besser.«

Alles lachte.

Plötzlich erscholl eine Stimme von der Decke:

»Bertram soll den Glaswagen anspannen, Joseph heraufkommen!«

Die Tischgesellschaft löste sich auf; die Stallknechte gingen in den Stall, wo sie ihre Pfeifen schmauchten, die Gärtner in den Park und die Treibhäuser. Joseph sagte noch eilig zweien Dienern, daß sie den Tisch decken sollten, und stille war's unter der Erde. Nur die Kessel brodelten und zischten, und der Chef schaute mit vornehmer Miene nach den Fortschritten seiner Arbeit.

Eine Stunde später empfing Lutz die Briefe, die er zur Station zu befördern hatte, und scheinbar harmlos erzählte er, daß der neue Erzieher in Bertram, der ehemals in dessen Batterie gestanden, und in Joseph, der sich ihm von der Universität her verpflichtet fühle, einen Anhang im Hause habe. Es war nie gesagt, daß Lutz der Spion unter den Dienstboten sein sollte; es verstand sich zwischen ihm und seinem Herrn von selbst.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Landhaus am Rhein, Band 1