Hudsons Bay Fur Company

„Captain?“

„Mrs. Barnett.“


„Was denken Sie von Ihrem Lieutenant, Mr. Jasper Hobson?“

„Ich halte ihn für einen Offizier, der weit vordringen wird.“

„Was verstehen Sie unter den Worten, weit vordringen? Wollen Sie damit sagen, daß er den 80. Breitengrad überschreiten wird?“

Captain Craventy konnte sich bei dieser Frage Mrs. Barnetts des Lächelns nicht erwehren. Er und sie plauderten nah beim Ofen, während die Eingeladenen zwischen dem Tisch mit Speisen und dem mit Erfrischungen hin- und hergingen.

„Madam“, erwiderte der Captain, „alles, was einem Mann möglich ist, wird Jasper Hobson tun. Die Company hat ihn mit der Durchforschung ihrer nördlichsten Besitzungen und der Errichtung einer Faktorei möglichst nah an der Nordküste Amerikas beauftragt, und das wird er auch ausführen.“

„Da ruht aber eine große Verantwortung auf Lieutenant Hobson“, sagte die Reisende.

„Ja, Madam, doch ist Jasper Hobson nie vor der Durchführung eines Versuchs zurückgeschreckt, und wenn er auch noch so mühsam war.“

„Ich glaube Ihnen, Captain“, antwortete Mrs. Paulina, „und ich werde ja diesen Lieutenant in Tätigkeit sehen. Welches Interesse treibt aber die Company, auch an der Küste des Arktischen Ozeans noch ein Fort zu errichten?“

„Oh, ein sehr großes Interesse, Madam, um nicht zu sagen, ein doppeltes. Voraussichtlich wird Rußland in nächster Zeit seine amerikanischen Besitzungen der Regierung der Vereinigten Staaten abtreten. 1) Tritt diese Zession ein, dann wird der Handel der Company nach dem Pazifik hin wesentlich erschwert, wenn die von Mac Clure entdeckte Nordwestpassage keinen brauchbaren Seeweg bieten sollte. Darüber müssen erst neue Untersuchungen Licht geben, und die Admiralität rüstet eben ein Schiff aus, dessen Aufgabe es sein wird, von der Beringstraße aus längs der amerikanischen Küste bis zur Coronation Bay an der Ostgrenze, wo das neue Fort gegründet werden soll, hinzufahren. Gelingt das Vorhaben, wird dieser Punkt zu einer sehr wichtigen Faktorei werden, in der sich der ganze Rauchwarenhandel des Nordens konzentrieren müßte. Und während der Transport der Pelze über die Indianerterritorien sehr viel Zeit und hohe Spesen kostet, könnten flinke Dampfer den Pazifik von jenem Fort aus in wenigen Tagen erreichen.“

„Das wäre freilich“, erwiderte Mrs. Paulina Barnett, „ein schwerwiegender Erfolg, wenn die Nordwestpassage überhaupt nutzbar ist. Doch Sie sprachen, glaub' ich, von einem doppelten Interesse?“

„Das zweite Interesse“, fuhr der Captain fort, „berührt gewissermaßen eine Lebensfrage der Company. Hierzu muß ich Sie jedoch um die Erlaubnis bitten, Ihnen deren Ursprung mit kurzen Worten zu berichten. Sie werden daraus entnehmen können, wie diese einst so blühende Handelsverbindung jetzt in ihrer Wurzel bedroht ist.“

In wenigen Worten erzählte also der Captain die Geschichte dieser weitberühmten Company.

Es ist bekannt, daß der Mensch schon in den ältesten Zeiten nach den Fellen und Pelzen gewisser Tiere trachtete, um sie zu seiner Kleidung zu verwenden. Der Rauchwarenhandel reicht also bis in das hohe Altertum zurück. Der Kleiderluxus ging ja manchmal so weit, daß mehrere Male sogenannte Aufwandsgesetze (Kleiderordnungen) erlassen wurden, um dieser Mode, die besonders in Pelzwaren Verschwendung trieb, zu steuern. So mußte zum Beispiel das graue Pelzwerk im 12. Jahrhundert verboten werden.

Im Jahr 1553 gründete Rußland in seinen Steppen des Nordens mehrere Niederlassungen, und englische Companies folgten bald diesem Beispiel. Der Handel mit Zobel, Hermelin, Biber usw. wurde damals durch die Samojeden vermittelt. Unter der Regierung Elisabeths aber wurde der Gebrauch kostbarer Pelzwaren durch ein königliches Verbot streng verpönt, und einige Jahre lag dieser Handelszweig völlig brach.

Am 2. Mai 1670 erhielt dann die Hudson's Bay Fur Company ein Privileg. Diese Company hatte eine Anzahl Teilhaber aus den höchsten Kreisen, wie den Herzog von York, den Herzog von Albemarle, den Grafen von Shaftesbury usw. Ihr Kapital betrug anfangs nur 8.400 Pfund Sterling. – Als Rivalen hatte sie besondere Genossenschaften, deren französische, in Canada seßhafte Agenten oft sehr abenteuerliche, aber auch ergiebige Züge unternahmen. Die unerschrockenen Jäger, die unter dem Namen der „Canadareisenden“ bekannt sind, machten der jungen Company eine derartige Konkurrenz, daß deren Fortbestand ernstlich in Frage gestellt wurde.

Die Eroberung von Canada aber veränderte diese bedrohliche Sachlage. 3 Jahre nach der Einnahme von Quebec, im Jahr 1766, blühte der Rauchwarenhandel sehr merkbar auf. Die englischen Faktore hatten sich in die Schwierigkeiten dieses Geschäfts eingelebt, sie kannten nun die Landessitten, die Gewohnheiten der Indianer und das Verfahren, das diese bei ihrem Tauschhandel einhielten. Dennoch war von Erträgen der Company noch keine Rede. Dazu waren, um 1784, Kaufleute aus Montreal zur Ausbeutung desselben Geschäfts zusammengetreten und hatten die mächtige „Northwest Company“ gegründet, die bald alles an sich zog. Im Jahr 1798 belief sich der Umsatz dieser neuen Company auf die enorme Ziffer von 120 Millionen Pfund Sterling, während die Hudson's Bay Company noch um ihren Fortbestand kämpfte.

Freilich schreckte jene Northwest Company auch vor keiner Immoralität zurück, wenn ihr Interesse im Spiel war. Sie beutete ihre eigenen Beamten aus, spekulierte auf das Elend der Indianer, mißhandelte sie, machte sie betrunken, um sie zu berauben, und übertrat das Parlamentsverbot, das den Verkauf von Spirituosen in den Gebieten der Eingeborenen untersagte. So ernteten die Agenten dieser Company reiche Erträge, trotz der Konkurrenz der inzwischen gegründeten amerikanischen und russischen Handelsgesellschaften, unter anderem der „American Fur Company“, die 1809 mit einem Kapital von 1 Million Dollar gegründet worden war und den Westen der Rocky Mountains ausbeutete.

Von allen Gesellschaften blieb die Hudson's Bay Company die bedrohteste, bis sie im Jahr 1821 nach lange hingezogenen Verhandlungen ihre alte Rivalin, die Northwest Company, in sich aufnahm, und sich nun „Hudson's Bay Fur Company“ nannte.

Heutzutage hat diese mächtige Gesellschaft keine andere Rivalin als die „American St. Louis Fur Company“. Sie besitzt zahlreiche Niederlassungen, die über einen Raum von 3.700.000 Quadratmeilen verstreut liegen. Ihre Hauptfaktoreien befinden sich an der James Bay, an der Mündung des Severn, im südlichen Teil und nah an den Grenzen von Ober–Canada, an den Seen Athapeskow, Winnipeg, Superior, Methye, Buffalo, ferner an den Strömen Columbia, Mackenzie, Saskatchewan, Assiniboin usw. Fort York, das den Nelson River, der in die Hudson's Bay mündet, beherrscht, bildet das Hauptquartier der Company, bei dem sich die ausgedehntesten Rauchwarenmagazine befinden. Daneben hat sie, seit 1842, gegen eine jährliche Entschädigung von 200.000 Francs die russischen Niederlassungen im Norden Amerikas übernommen. Sie beutet also auf eigene Rechnung die ungeheuren Ländereien zwischen dem Mississippi und dem Pazifik aus. Nach allen Richtungen hat sie unerschrockene Reisende ausgeschickt, so Hearn nach dem Polarmeer, der 1770 Copernicia entdeckte; Franklin, von 1819 bis 1822, über 5.550 Meilen des amerikanischen Küstenlands; Mackenzie, der nach der Entdeckung des Flusses, der seinen Namen trägt, die Ufer des Pazifiks unter 52° 24' nördlicher Breite erreichte. Von 1833 bis 1834 sandte sie folgende Mengen von Häuten und Pelzfellen nach Europa, die den erstaunlichen Umfang ihres Handels genau angeben:

Eine solche Produktion mußte der Company wohl reiche Erträge liefern; unglücklicherweise waren aber solche Zahlen nicht beständig, und etwa seit 20 Jahren nahmen sie fortwährend ab.

Woher kam nun diese Abnahme, die Captain Craventy jetzt Mrs. Barnett erklärte?

??Bis zum Jahr 1837, Madam“, sagte er, „konnte man den Zustand der Company blühend nennen. In eben–diesem Jahr hatte sich der Export bis auf 2.358.000 Felle erhöht. Seitdem hat er sich aber stets vermindert und erreicht jetzt kaum die Hälfte.“

Biber


1.074

Seehunde und junge Biber


92.288

Bisame


694.092

Dachse


1.069

Bären


7.451

Hermeline


491

Skunks


5.296

Füchse


9.937

Luchse


14.255

Marder


64.490

Nerze


25.100

Fischotter


22.303

Waschbären


713

Schwäne


7.918

Wölfe


8.484

Vielfraße


1.571

„Worin suchen Sie aber die Ursache hierfür?“ fragte Mrs. Paulina Barnett.

„In der Entvölkerung, welche die Tätigkeit der Jäger und, fügen wir hinzu, ihre Sorglosigkeit in den Jagdgebieten erzeugt hat. Man stellte dem Wild nach und tötete es ohne Schonzeit. Die Metzeleien vollzogen sich ohne Ausnahmen. Selbst die Jungen und die tragenden Weibchen wurden nicht verschont. Die Otter ist fast ganz verschwunden und findet sich nur nah den Inseln des höchsten Nordens. Die Biber sind in kleinen Gesellschaften an die Ufer der entlegensten Ströme entflohen. Dasselbe ist mit anderen kostbaren Tieren der Fall, die vor dem Andringen der Jäger fliehen mußten. Die sonst immer gefüllten Fallen und Gruben sind jetzt leer. Der Preis der rohen Felle steigt, gerade wo die Pelzwaren sehr gesucht sind. Auch verlieren die Jäger die Lust, und nur die kühnsten und unermüdlichen dringen noch bis zu den Grenzen des amerikanischen Festlands vor.“

„Ich begreife jetzt das Interesse“, sagte Mrs. Paulina Barnett, „das die Company an der Gründung einer Faktorei an der Küste des Eismeers hat, da sich die jagdbaren Tiere über den Polarkreis hinaus geflüchtet haben.“

„So ist es, Madam“, antwortete der Captain. „Übrigens mußte sich die Company bald entschließen, den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit mehr nach Norden zu verlegen, da vor 2 Jahren eine Parlamentsakte ihr Jagdgebiet wesentlich eingeschränkt hat.“

„Und was konnte der Grund für diese Einschränkung sein?“ fragte die Reisende.

„Ein sehr wichtiger nationalökonomischer war es, Madam, der die Staatsmänner Großbritanniens lebhaft berühren mußte. Die Mission der Company ist offenbar keine zivilisatorische gewesen; im Gegenteil. In ihrem eigenen Interesse mußte sie den Zustand der öden Landgebiete gleich erhalten. Jeder Versuch einer Urbarmachung, welche die Pelztiere verscheucht hätte, wurde unerbittlich von ihr unterdrückt. Ihr Monopol ist der Feind des Landbaus. Alle seinem Handel fremden Fragen wurden von ihrem Verwaltungsrat von der Hand gewiesen. Dieses absolute und von gewissem Gesichtspunkt unmoralische Regime hat jene Maßnahme des Parlaments veranlaßt, und eine im Jahr 1857 vom Kolonialminister ernannte Kommission entschied dahin, daß alle zum Ackerbau geeigneten Ländereien zu Canada geschlagen würden, wie die Territorien des Red River und die Distrikte des Saskatchewan, während der Company künftig nur diejenigen Gebiete als Domäne zu überlassen seien, die für die Zivilisation keine Zukunft hätten. Im folgenden Jahr verlor die Company die Abhänge der Rocky Mountains, die nun direkt unter dem Kolonialministerium stehen und der Jurisdiktion der Hudson's Bay Company entzogen wurden. Und deshalb, Madam, will die Company, statt ihren Handel aufzugeben, die noch fast unbekannten nördlichen Gegenden ausbeuten und Mittel und Wege zu einer Verbindung mit dem Pazifik suchen.“

Mrs. Paulina Barnett war über diese Projekte der berühmten Handelsgesellschaft sehr zufrieden. Sie sollte persönlich an der Gründung eines neuen Forts an der Küste des Eismeers teilnehmen. Captain Craventy hatte sie mit der Sachlage völlig bekannt gemacht, und bald wäre er – denn er plauderte gern – auch noch auf weitere Einzelheiten eingegangen, wenn ihm nicht ein Zwischenfall das Wort abgeschnitten hätte.

Corporal Joliffe meldete nämlich mit lauter Stimme an, daß er mit Mrs. Joliffes Hilfe darangehe, den Punsch zu bereiten. Diese Nachricht fand die verdiente Würdigung. Die Bowle – doch es war vielmehr ein Bassin – war mit dem köstlichen Naß gefüllt; sie enthielt nicht weniger als 10 Maß Branntwein, auf dem Boden lag ein ganzer Haufen Zucker, und auf der Oberfläche schwammen die nötigen, freilich vor Alter schon runzligen Zitronen. Es bedurfte nur noch der Entzündung dieses Sees von Alkohol, und der Corporal wartete, mit der Lunte in der Hand, auf die Befehle seines Captains, so als gelte es eine Mine anzuzünden.

„Los! Joliffe!“ rief nun Captain Craventy.

Sofort flammte unter dem Jubel der Umstehenden das Meer von Punsch in die Höhe.

2 Minuten später wurden die gefüllten Gläser umhergereicht, die stets eifrige Abnehmer fanden.

„Hurra! Hurra! Der Mrs. Paulina Barnett! Ein Hurra für unseren Captain!“

Mitten in diesen Freudenlärm ertönte da plötzlich ein Geschrei von außerhalb. Erstaunt schwieg die Gesellschaft.

„Sergeant Long, sehen Sie nach, was draußen vorgeht“, sagte der Captain.

Und auf den Befehl seines Chefs ließ der Soldat sein Glas halb ausgetrunken stehen und verließ den Salon.



1) Ist inzwischen wirklich geschehen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Land der Pelze