Das Huttenweiblein.

Neugesammelte Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden.
Autor: Baader, Bernhard ca. 1801-1859, Erscheinungsjahr: 1859
Themenbereiche
Eine Bäuerin von Sölden pflegte Sonn- und Feiertags mit Holzhippe und Hutte[6] auf den waldigen Schönberg zu gehen und Holz zu lesen. Wegen dieser Entheiligung muß sie, seit ihrem Tode, auf dem Berg und in dessen Umgegend spuken und wird, weil sie eine Hutte trägt, das Huttenweiblein genannt. Sie ist alt und klein, stützt sich auf einen Stock und hat ein Strohhütlein auf; ihre Jacke und Handschuhe sind mit Pelz besetzt, der eine ihrer Strümpfe ist weiß, der andere roth. Übrigens kann sie sich in viele andere Gestalten, von Menschen und Thieren, verwandeln. Häufig schreit sie: »Hu, hu, hu!« manchmal aber, besonders wenn sie in den Kronen der Tannen sitzt, singt sie:

»Heute strick ich,
Morgen näh ich!«

In ihrer Hutte hat man schon Farnkraut wahrgenommen; auch trägt sie öfters darin Leseholz, das unbewacht im Wald aufgehäufelt liegt, zum Verdruß der Eigenthümer hinweg.

Einer Frau aus Freiburg, die, ehe sie in die Frühmesse ging, im Sternwald Himbeeren sammelte, begegnete das Huttenweiblein und sagte zu ihr: »Hättest Du keine guten Gedanken gehabt, so wollte ich Dich gezeichnet haben!«

Zu einer andern Frau kam es, zwischen Ebringen und Sölden, und fragte sie: »Kätherle! wo willst Du hin?« Auf dieses wußte die Frau, welche nicht Katharina hieß, gar nicht mehr, wo sie war, und fand sich erst wieder zurecht, nachdem sie stundenlang den Wald durchirrt hatte.

Eines Abends traf ein Geflügelhändler, der nach Pfaffenweiler heim wollte, bei Kirchhofen ein schönes Reh, welches das Huttenweiblein war. Auf sein Locken kam es herbei und ließ sich von ihm streicheln. »Das ist etwas in die Küche!« dachte er bei sich und wollte ihm eine Schnur um den Hals binden; aber da ward es so riesenhaft, daß er voll Schrecken davon lief. Die ganze Nacht rannte er in der Irre umher und erkannte erst am Morgen, daß er auf der Eschholzmatte bei Freiburg sich befinde.

Ein Mann, der Nachts durch den Bitterswald ging, rief spottend: »Huttenweiblein, komm und trage mich! hu, hu, hu!« Schnell, wie der Wind, war dasselbe da, packte und trug ihn auf die Todtnauer Höhe und stellte ihn so tief in den Sumpf, daß er nur mit vieler Mühe sich wieder heraus helfen konnte.

Andere Männer, welche im Feld bei Pfaffenweiler das Geschrei des Weibleins spottweise nachmachten, bekamen von ihr solche Ohrfeigen, daß einigen die Hüte von den Köpfen flogen, andere aber sogar zu Boden fielen.

In den Ortschaften, die um den Schönberg liegen, pflegt man die Kinder mit dem Huttenweiblein fürchten zu machen.

[6] Köze.