Das Glueck der Ehe

Autor: Kleist, Franz Alexander von (1769-1797) deutscher Dichter, Erscheinungsjahr: 1793
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Liebe, Ehe, Partnerschaft, Heirat, Treue,
Multa petentibui
desunt multa; bene est cui Deus obtulit
parca, quod saris est, manu.
Horat. Lib. III. Car. XVI.


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Hymen, heilger Fackelschwinger,
goldgelockter Göttersohn,
Seelenlenker, Freudebringer,
schenk uns deinen Segenslohn!
Nymphen, naht im Jubeltanze,
sprengt den dunklen Opferwein;
Komm mit dem Vermählungskranze,
komm, entzückte Psyche! pflanze
Hymen einen Myrtenhain! –


Faune mögen Seine Feste,
Seines Tempels Schwelle fliehn,
und im Schatten dichter Äste für
Kotyttos (*) Töchter glühn;
Amor selbst und Psyche zünden
die geweihte Fackel an,
Hymens treues Glück zu finden,
das, wie Nebelgrau, nicht schwinden,
nicht, wie Rosen, welken kann! —

Selig, selig der Beglückte,
der in Hymens Armen ruht,
Blumen Seines Gartens pflückte,
trank von Seinem Traubenblut;
ihn umgoldet jeden Morgen
lachende Zufriedenheit,
und von Psyche halb verborgen,
werden ihm des Lebens Sorgen
Schatten seiner Seligkeit.

Lieblich, wie ein Sommerabend,
still, wie ein Zypressenhain,
wie der kühlste Zephyr, labend,
segenreich, wie Sonnenschein,
ist sein neidenswertes Leben,
Psyche wandelt ja mit ihm,
wenn auch Stürme sich erheben, und des Waldes Tiefen beben;
tröstend durch das Ungestüm.

Lockt einmal die Kraft der Flügel
auch die kleine Heuchlerin,
Freude, auf beblümtre Hügel
zu den Jüngern Buhlen hin;
o so darf nur Psyche winken,
und die Flüchtge kehrt zurück
in die Arme ihm zu sinken,
neue Lebenskraft zu trinken
aus dem sanft beschämten Blick.

Reißt ein Sturm den Ölbaum nieder,
der der Liebe Schatten gab,
horchte sie der Echo Lieder
beim bestaubten Wanderstab;
o so pflanzt, mit süßer Mühe
Psyche einen andern Baum,
der mit ihrer Liebe blühe,
noch im Abendrote glühe,
scheint ihr Leben einst ein Traum.

Welkt vor Psyche Liebessitze,
wo die schlanken Pappeln wehn,
in der schwülen Sommerhitze,
ein geliebtes Tausendschön;
eilend schöpft sie dann im Kühlen
ihr Erquickung aus dem Bach,
schwärmt in seligen Gefühlen,
girrn des Pappelwalds Gespielen
ihr die Turteltäubchen nach.

Amor hört die Täubchen girren,
sieht im blassen Mondenschein
Psyche durch die Pappeln irren,
und er fliegt zum stillen Hain
an den Busen seiner Teuern,
Rosen jugendlicher Pracht
glüher Sehnsucht zu entschleiern,
Hymens Segensbund zu feiern
in der wonneschwangern Nacht.
Sinkt in Schatten dunkler Myrten
Paphos schöne Schülerin,
mit dem blondesten der Hirten
auf entblühte Rosen hin;
o so sehn mit lüsterm
Neide alle Erdbewohner sie,
und die süße Augenweide
reicht den Kelch der Jünglingsfreude
noch des Greises Phantasie:

Aber wenn zwei schöne Seelen,
von der Tugend selbst geweiht,
Hymens Freuden sich vermählen
in dem Schooß der Häuslichkeit;
o so sehn von I d a' s Spitze
freudig Götter selbst ihr Glück,
und es ruft zum goldnen Sitze
seiner Allmacht, Zeus, die Blitze
und der Stürme Wut zurück.

Hymen ist ein Freund der Tugend,
Beide wandeln Eine Bahn
in den Freuden ewger Jugend,
Beider Wonnen sind kein Wahn,
den ein Augenblick geboren,
und der nächste schon begräbt;
wer zu Freunden sie erkohren,
den umscherzen alle Horen,
der nur, stirbt er, hat gelebt.

Er nur trinkt mit vollen Zügen
aus der Wollust Nektar-Flut
das ätherische Vergnügen,
das dem Herzen neuen Mut,
neue Klarheit dem Verstande,
neue Kraft dem Körper schenkt,
fester knüpft die heilgen Bande
mit dem unsichtbaren Lande,
des entzückt der Weise denkt.

Hymen führt zum Schooß der Stille
aus dem Labyrinth der Welt,
und zerreißt die Zauberhülle,
die den Tor umschlungen hält;
lehret uns den Stolz verachten,
der nach eitler Ehre läuft,
um, wie Tantalus, zu schmachten;
lehret uns die Weisheit achten,
die im Stillen Schätze häuft.

Sie gewährt, was in Palästen
nicht Verschwendung kaufen kann,
was bei schwelgerischen Festen
kein Apicius (**) gewann; —
die Zufriedenheit mit allen
Gaben dieser Welt; es sei
eine Burg mit goldnen Hallen,
sey ein Hain voll Nachtigallen,.
Rosenlager oder Streu.

O wie leicht schafft sie die Hütte
dem zum Freude-Tempel um,
der sie nie aus seiner Mitte
weichen lässt; der nie dem Ruhm,
prächtger Fesseln Last zu tragen,
Häuslichkeit zum Opfer bringt;
dem der Staub der Siegeswagen
jenes Heer verkappter Plagen
nicht verhüllt, das ihn umringt.

O ihr! die des Schwelgers Lehre
von der Häuslichkeit entfernt,
die ihr spät auf offnem Meere
wilder Lüste Weisheit lernt;
auf! entreißt euch dem Gedränge,
naht der Häuslichkeit Altar,
ihre friedlichen Gesänge
höret, ihrer Freuden Menge
seht, sie wachsen Jahr auf Jahr.

Fallen auch von Amors Flügeln
alle bunte Federn ab,
finden auch auf Paphos Hügeln
alle Rosen einst ihr Grab;
blühet auch auf Psyches Wangen
nicht die Jugend mehr so schön;
drohen auch Saturnens Schlangen
mit vernichtendem Verlangen
schönen Formen ihr Vergehn;

O so reicht mit heilger Güte
Hymen einen Säugling dar,
und es strahlt der Liebe Blüte
schöner wieder als sie war;
und wird eine Frucht des Lebens,
keine Pflanze dieser Flur;
an ihr nagt die Zeit vergebens,
ewig sein, im Geist des Lebens,
war die Mitgift der Natur.

Komm an meine Brust, Kind! fühle
wie das Vaterherz mir schlägt,
denk ich's, dass zum bessern Ziele
dich des Lebens Fittig trägt;
dass ich mehr in deiner Hülle
liebe, denn dies Staubgewandt,
dass dich nicht des Grabes Stille,
dass dich, mit des Segens Fülle,
einst empfängt ein Sternenland.

Sollten sich nur Einem Leben
deiner Kräfte Taten weihn,
Götter-Träume dich umschweben,
ach! um nur getäuscht zu sein;
o! so würdest du, wie Leuen
in des Wald’s einsamen Grün,
früher deiner Kraft dich freuen,
ungerührt aus meinen treuen
Vater-Armen früher fliehn!

Nein! der Mensch soll langsam blühen,
denn er blüht der Ewigkeit,
und in seinem Geiste glühen
Funken der Unsterblichkeit,
darum webt ein Band der Liebe
Hymen um das Menschen-Herz,
weckt die Götterstarken Triebe,
Elterntreu und Kindesliebe,
teilt mit ihnen Lust und Schmerz.

Hymen rief aus finstern Höhlen
tierischer Verborgenheit,
sanfte, tugendhafte Seelen,
und erschuf die Menschlichkeit;
gab dem dämmernden Gedanken
einer selbst geschaffnen Pflicht,
Klarheit— und die Schleier sanken,
des Gesetzes heilge Schranken
fesselten den Bösewicht (***).

Da verließ der nackte Wilde
seines Raubes blutge Spur,
suchte lachende Gefilde
und benutzte die Natur;
auf den Hügel pflanzt' er Reben,
sä'te Weizengold ins Tal,
lernte sich Gewande weben,
Hütten bauen, friedlich leben,
mäßig sein beim Freudenmahl;

Hymen schuf die ersten Staaten,
und an ihrer Spitze stand, -
nicht im Schimmer blutger Taten,
nicht im purpurnen Gewand, -
nein! in seiner Kinder Kreise
stand der gute Vater da;
herrschte sanft, gerecht und weise,
denn er war am Ziel der Reise,
die noch Jener vor sich sah.

Nur in diesem schönen Bunde,
wo sich Herz in Herz ergoss
und vom väterlichen Munde
die beredtre Weisheit floss,
konnten wir dem Götterbilde
menschlicher Bestimmung nahn,
durch Erziehung ward der Wilde
menschlich, und der Künste Milde
streute Rosen seiner Bahn.

Ohne Hymen floh die Freude
wie der Traum Auroren's hin,
war, umwallt vom Rosenkleide,
nur der Jugend Königin;
ach! da stand am Scheidewege
der entnervte Greis allein,
bat um Schutz; erseufzte Pflege;
ging auf wüstem Dornenstege,
wie Ödipp, zum Totenhain.

Aber nun, da treue Liebe
Hymen Hekatomben weiht,
nun entflieht des Alters trübe,
freudenlose Einsamkeit!
Seh' ich nicht mit Jugendblicken
dort beim Greis die Enkel stehn? –
ihm die Stirn mit Blumen schmücken? –
ach! sein rührendes Entzücken
sagt's: „das Alter auch ist schön!“

Geußt nicht Hymen aus der Fülle
seiner Liebe, Seligkeit
auf das Hüttchen klein und stille,
wo die Früchte goldner Zeit,
noch im Schatten später Jahre,
Baucis und Philemon glühn?
Ach! noch bleibt im Silberhaare
diesem tugendhaften Paare,
Hymen's Myrtenkrone grün.

Damals, wie der Mensch noch friedlich
unter Palmenzweigen schlief,
und das Leben so gemütlich
jedes Herz zur Freude rief;
wie noch nicht aus goldnem Köcher
Ehrsucht ihre Pfeile schoss,
kein bepurpurter Verbrecher,
ohne schnell erwachten Rächer,
Ströme Menschenbluts vergoss.

Damals weilten oft in Hütten
Götter noch bei Sterblichen,
hörten ihre stillen Bitten,
freuten sich des Redlichen;
setzten zum zufriednen Mahle,
sich zur mäß’gen Hirtenkost,
träuften in die irdne Schale
aus dem göttlichen Pokale
Nektartropfen in den Most.

So saß unter Palmenschatten
Zeus eins vor Philemons Tür,
unerkannt den frommen Gatten,
wie ihr Gastfreund saß er hier;
und sein Innerstes durchglühte
Freude, als dies gute Paar
rühmte Zeus des Hohen Güte,
weil ihr Herbst schön, wie die Blüte
ihrer Frühlings-Liebe war.

„Unsre Liebe, sprach Philemon,
„macht uns glücklich spät und früh,
„nie erreicht des Neides Dämon
„unser Herz, wir klagen nie;
„Segen reift uns; wir erwerben
„was wir brauchen, und die Flur
„schützet Zeus uns vor Verderben;
„Beid' an einem Tag zu sterben —
„Götter, darum flehn wir nur!“

Und im hohen Gottesblicke
winkte Zeus Gewährung zu,
spät, im ungestörten Glücke
nahm die Stätte langer Ruh'
in die schauerlichen Hallen,
Hand in Hand, die Treuen auf;
wo sie jetzt bei Sternen wallen,
sehn sie noch mit Wohlgefallen,
ihren schönen Lebenslauf.

Zeus, o Vater, auch ich bitte
nicht um Ehre, nicht um Gold;
wohnt ja Freud' in meiner Hütte
und die Guten sind mir hold;
aber ruft mit bleichem Munde
meine Baucis einst der Tod,
o so lass an einer Stunde
mich mit ihr, im treuen Bunde,
sehn des Jenseits Morgenrot.

Anmerkungen.

*) Kotytto. Diese Göttin fand in dem üppigen Athen ihre Verehrer; sie hatte daselbst ihren Ursprung den Thraciern zu verdanken, und ward unter liederlichen Feierlichkeiten verehrt, weshalb ich alle Freudenmädchen und jene Horazisch-Wielandschen Nymphen, die sich mit stumpfen Nägeln wehren, Hier Kotyttos Töchter nenne.

(**) Apicius. Es gab In Rom zu verschiedenen Zeiten drei Männer dieses Namens, die sich durch Verschwendung und wollüstige Gefräßigkeit berüchtigt machten. Der berüchtigste von ihnen war M. Gabius Apicius, der sich selbst erhing, weil er bei der Übersicht seines Vermögens, davon der größte Teil verschwendet war, nach Abzug aller Schulden nur noch Eine Million Sestertien zu verzehren behielt, und ihm diese große Sumnie zu gering schien, um davon leben zu können.

***) Könnten wir, mit J. J. Rousseau, einen rohen Naturzustand des Menschen annehmen, so glaub' ich gegen ihn behaupten zu können, dass sich der erste Begriff des Eigentums und der daraus folgenden politischen Gesetze, aus der ehelichen Verbindung. entwickele. Derjenige Mann, der zuerst ein Weib fand, die seine ganze Seele so fesselte und erfreute; dass er nur sie und kein andres Weib zu lieben verlangte; der war auch gewiss der Erste, der sich ein Eigentum auszeichnete, wo er mit ihr von andern Liebesversuchen ungestört leben und aller Freuden der Liebe genießen konnte; der war der Stifter unserer verbesserten Existenz, und nicht der habsüchtige Rousseausche Mensch, der ohne Bewegungsgrund, nur um zu haben, ein Land sich einzäunte, und sagte: das ist mein ! —Nur die Sorgfalt der ehelichen Liebe konnte dem aufwachsenden Kinde gewisses Eigentum zu hinterlassen wünschen, und daher es sich zueignen.


Franz von Kleist.