Folgen von Marco Polos Reisen

Wenn wir einen Atlas zur Hand nehmen, können wir uns bis auf wenig Ausnahmen hinsichtlich der Reisen Marco Polos leicht orientieren und es gewinnt der Geograph die Überzeugung von der Wahrhaftigkeit der Berichte dieses bedeutendsten reisenden Kaufmanns im Mittelalter. — Die erste Reise der Gebrüder Poli, die an der Wolga (wahrscheinlich 1254) begann und die Venetianer durch die heutige Bucharei bis nach Caracorum führte, währte 15 Jahre, wenn wir von dem Verweilen der Gebrüder in Konstantinopel und dem Aufenthalt wegen der nun folgenden Zurüstungen zur Reise nach dem inneren Asien absehen. Die zweite Reise, bei welcher besonders Marco der Gegenstand unserer Aufmerksamkeit wird, legte derselbe während der Jahre 1271 bis 1295 zurück, welches wiederum 24 Jahre macht. Rechnet man hiervon vier Jahre auf die Reise nach der Residenz Kublai-Khans und drei Jahre für die Rückkehr aus China nach Europa, so bleiben 17 Jahre, während welcher sich Marco Polo in kaiserlichen Diensten befand, dem Hoflager oder den Heeren seines Gönners folgend oder in öffentlichen Ämtern verwendet. In diesen einflussreichen Stellungen lernte unser Venetianer sämtliche Provinzen Ostasiens, mit Ausnahme von Kuang-si und Kuang-tong sowie der großen chinesischen Mauer, kennen. Er besuchte nicht allein die wichtigsten Punkte und Städte des heutigen Reiches der Mitte, sondern gewann auch, wie wir wohl versichert sein dürfen, in Folge der damaligen Art mühsamen und langsamen Fortkommens, schon während der Hinreise eine richtige Anschauung von den Ländern, welche die große armenische Handelsstraße über die westlichen Länder von Giazza im Issischen Golfe nach Tauris durchkreuzte, von den Umgebungen des Kaspischen Meeres bis zu den fruchtbaren Teilen Irans, und weiter auf dem Wüstenpfade nach Ormus und von da über Kerman zu den Hochgebirgsländern. Im Verlaufe seiner Reise, die ihn aus Beludschistan im westlichen Tibet nach Kaschmir und in den chinesischen Teil von Turkistan führt, gelangte er zu den drei wichtigen Handelsplätzen Kaschkar, Yarkand und Chotan am Südabhange des Thianschan, in das den Mongolen gehörende Reich der Uiguren, von wo er nicht den westlichen, meist üblichen Karawanenpfad, sondern den Weg durch die Wüste Gobi (Lop) einschlug, der ihn nach dem großen Durchgangspunkt von Mittel-Asien nach China brachte. Seine ungewöhnliche Kenntnis von Land und Leuten ist mit Ursache gewesen, dass der Großkhan den so gewandten und wohlerfahrenen Mann in seine Nähe gezogen. Sicherlich haben seine Schilderungen viel dazu beigetragen, im Abendlande den Gedanken, zu Meere einen westlichen Weg nach den gepriesenen Wunder- und Goldländern des nördlichen und östlichen Asiens aufzufinden, zu nähren. Es war ja so natürlich, dass in Folge von Marco Polos an- und aufregend wirkendem Berichte über das prächtige Quinsay (jetzt Hang - tschéu - fu), damals die größte Stadt der Welt, die Abendländer direkt mit dem reichen Gewürzmarkte Zaitun (Tschiuen-tschéu-fu) und dem Ostlande der Chinesen Zipango oder Dschi-pon (Japan) in Verbindung zu treten wünschten. Da Marco Polo selten übersieht, die vorzüglichsten Produkte der Länder namhaft zu machen, welche er kennen gelernt, so erhalten wir einen Begriff von der kommerziellen Bedeutung der ostasiatischen Reiche, die zu jener Zeit fast sämtlich die Oberherrlichkeit des Großkhans anerkannten. Überall sind Händler und Kaufleute tätig, den Austausch der überreichen Erzeugnisse der ostasiatischen und indischen Welt zu vermitteln, und so gelangen wir schließlich zu Wasser auf den Weg, auf welchem ein guter Teil dieser Reichtümer Europa zugeführt wurde. Diese Dorados des Gewürzhandels dachte Cristoforo Colon zu erreichen, und von dorther reiche Ausbeute aus den Tiefen des Meeres und dem Innern der Erde heimzubringen, als er absegelte, Zipango zu erreichen, und 1492 die Entdeckung Amerikas zu Stande brachte.

Wir wissen, dass Marco Polo bei seinen Zeitgenossen für einen Aufschneider galt und dass besonders seine mächtig großen Zahlen, seine für Viele unglaublichen Angaben von Städte-Bevölkerungen und die noch unglaublicher erscheinenden Einkünfte der mongolischen Kaiser, wiewohl sie eben so oft mit stummen Staunen aufgenommen wurden, doch mehr noch Zweifel erregten. — Von einem anderen kulturhistorischen Standpunkte gewinnen Marco Polos Reisen an Bedeutung, wenn wir mit gutem Grunde annehmen, dass in Folge seiner Anregungen sich Johannes von Montecorvino, von Rom aus, 1291 über Täbris nach Indien, von hier nach Peking begab, um daselbst eine christliche Gemeinde zu stiften. Und in der Tat, es gelang ihm, nachdem Peking zun: Erzbistum erhoben worden war, dort die uns bekannten Absichten des christenfreundlichen Kublai-Khans in Erfüllung zu bringen. Von dieser Zeit an wandten sich auch in den folgenden Zeiten christliche Sendboten nach Peking, unter denen der Franziskanermönch Odorico von Pordenone genannt zu werden verdient. Ein Aufenthalt während 14 1/2 Jahre im Morgenlande hätte ihn in Stand setzen können, achtbare Kenntnisse über das Innere Asiens unter seinen Zeitgenossen zu verbreiten: auch er spricht begeistert von der Größe der „Himmelsstadt“ Quinsay, deren Häuser er auf 850.000 schätzt: er untermischt jedoch seine Schilderungen mit einer Menge fabelhafter Dinge, die bei der Leichtgläubigkeit seiner Zeit in Europa lange für bare Münze angenommen wurden.


Als um die Mitte des XIV. Jahrhunderts Johannes Marignola seinen Einzug in Kambalu (Peking) als päpstlicher Legat hielt, hatte die Begünstigung des Christentums in China ihren Höhepunkt erreicht. Der Palast des geistlichen Würdenträgers war prachtvoll ausgestattet, Kirchenglocken riefen die christlichen Gemeinden nach den Gotteshäusern, das Ordenshaus der Franziskaner stieß an die kaiserliche Hofburg und der päpstliche Legat durfte sich, als er zum Kaiser gerufen ward, ein Kreuz, das Symbol seiner hohen Würde, vortragen lassen. Reich beschenkt verließ Marignola den duldsamen Mongolen-Khan. Als jedoch die eingeborenen Ming die Mongolenherrschaft stürzten, hörte auch die Begünstigung der Christen auf und es währte lange, bis das Abendland wieder in direkte Verbindung mit Indien und dem Reich der Mitte trat.

Der bedeutendste Reisende, welcher im XV. Jahrhundert über Indien hinaus gelangte, war wiederum ein venetianischer Kaufmann, Nicolo Conti. Er durchwanderte das indische Dekan, besuchte die Länder der Taumlen, gelangte bis zur Küste von Koromandel (Maabar), und von hier nach Ceylon und Sumatra: er befuhr später den Ganges und überschritt die Grenzgebirge des Küstenlandes von Arakan, um durch das Land Irawadi nach Awa zu gelangen. Die Heimreise führte ihn über Aden nach Dschidda am Roten Meere, und dies ist insofern bemerkenswert, als die Mehrzahl aller Europäer, die nach Indien und China zogen, entweder den Weg durch die asiatischen Steppen, oder über Persien nach Ormus einschlugen, um von hier zur See weiter zu reisen: den kürzeren Weg über Alexandrien und das Rote Meer zu wählen, gestattete die Engherzigkeit der Mamelucken-Sultane den Ungläubigen nicht. Mit der Auffindung des Seeweges um das Kap der guten Hoffnung durch die Portugiesen trat der Verkehr mit dem Osten von Asien in eine neue Phase. Was seitdem zur Bekanntwerdung des größten aller Weltteile und zur Hebung seiner Schätze durch den Welthandel geschehen ist, beschäftigt uns besser an einer anderen Stelle.