Das erste Buch des Reiseberichtes Marco Polos

Marco beginnt sein Reisewerk mit der Beschreibung von Kleinarmenien und der Hauptstadt Sebastos sowie des Hafens Giazza, dessen Einwohner früher tapfere Kriegsleute gewesen, damals aber üppig und träge geworden waren: er beschreibt dann die Sitten der kriegerischen, jedoch rohen und jeder Bildung abgeneigten Turkmanen, deren treffliche Pferde und Maulesel er rühmt. Griechen und Armenier fand er in allen festen Städten und Plätzen, lebhaften Handel treibend. Prachtvolle Teppiche und Seidenzeuge erzeugten die Länder, welche er durchreiste: sie waren, gleich Großarmenien, Provinzen des Tatarenreiches. Von der Stadt Arzingan wird berichtet, dass sie die schönste und reichste des Landes, der Sitz eines Erzbischofs sei, dass sie eine Menge Fabriken besitze, vorzügliches Baumwollentuch, Bompazin genannt, webe und weit und breit angesehen sei in Folge ihrer warmen und heilsamen Quellen. Im Sommer zieht wegen der guten Weiden ein Tatarenheer ins Land mit allem Vieh und wendet sich beim Herannahen des Winters, der hohen Schnee bringt, wieder nach den südlicheren Gegenden. In der Mitte Armeniens erhebt sich der Ararat, dessen schmelzender Schnee auf den tiefer liegenden Fluren das üppigste Pflanzenleben weckt, so dass im Sommer alles Vieh aus den benachbarten Gegenden hier zusammengetrieben wird. Die an Armenien grenzenden Provinzen sind Mosul, Maredin und Zorzania*) (Georgien), zwischen dem Schwarzen und Kaspischen Meere gelegen. Dort erlangt Marco Kenntnis von Ölquellen (Steinöl), die so reichlich quellen, dass man alljährlich viele Kamele damit beladet. Ein Teil dieses Landes, geschützt durch uneinnehmbare Bergfestungen, widerstand damals noch dem Andringen der Tataren. Die Bewohner, griechische Christen, lernen wir als wohlgebildete, kühne Schiffer, ausgezeichnete Bogenschützen und tapfere Krieger kennen. Hier bei Derbend, zwischen dem Kaukasus und dem Kaspischen Meere, ist der berühmte Paß, den Alexander der Große, da er durch denselben nicht zu dringen vermochte, mit einer hohen, turmbewehrten Mauer verschloss und so die dahinter wohnenden Tataren absperrte. Deshalb heißt dieser Pass das „eiserne Tor“. Marco Polo schildert dieses Land als wohlangebaut, reich an Städten und Schlössern: es hat Alles im Überfluss, was zum Leben gehört, erzeugt viel Seide und fertigt die schönsten Seidenstoffe mit eingewirktem Gold. Hier liegt die schöne, terrassenförmig sich erhebende Stadt Tiflis mit vielen Vorstädten und befestigten Plätzen rings umher, wo armenische und georgische Christen neben Mohammedanern und Juden ihren Geschäften nachgehen. Sie sind dem Großkhan untertan und verstehen sich sehr gut auf Herstellung kostbarer Seidenzeuge und anderer wertvoller Stoffe. Von dem in der Mitte von Armenien liegenden Mosul erfahren wir, dass von Arabern und Christen damals schon die vielbegehrten schönen Zeuge von Gold und Seide in Menge gewirkt wurden, Musselins genannt. Den gebirgigen Teil dieses Landes bewohnen die Kurden, teils Christen teils Mohammedaner, gesetz - und sittenloses Raubgesindel, deren einzige Beschäftigung darin besteht, die Kaufleute zu plündern. Neben diesem Lande liegen die Landschaften Mus und Maredin, wo Baumwolle in großer Menge erzeugt und daraus die Tücher, Boccasini genannt, gewebt werden. Durch Baldach (Bagdad), die mächtigste und vornehmste Stadt dieser Gegenden, fließt der Tigris, auf welchem die Kaufleute ihre Güter bis in das Indische Meer führen, vorbei an Balsora, das zwischen Hainen der schönsten Dattelpalmen liegt. In beiden Städten wurden kostbare Seidenstoffe mit Gold, Damast, sowie Samt mit allerlei Tierfiguren gewebt, und fast alle Perlen, die von Indien nach Europa kommen, durchstochen und gefasst. Auch Tauris, in der Provinz Irak, schildert unser Reisender als eine große Stadt mit vielen Vorstädten und wohlbefestigt. Ihre Einwohner wirken kostbare, in ganz Asien und Europa gesuchte Seiden- und Goldstoffe. Edle Steine und Perlen gibt es hier im Überfluss, köstliche Gärten voll lieblicher Früchte umgeben die Stadt: doch sind nur die Kaufleute, die sich mit dem fremden Handel beschäftigen, reich: das als treulos und verräterisch bekannte niedere Volk wird durch den Arm der Tataren im Zaum gehalten. Nicht weit von Tauris liegt ein Kloster des heiligen Barsamo, dessen Mönche schöne Gürtel weben und als viel gesuchte Mittel gegen Gichtleiden verschenken. Das Land Persien bestand damals aus acht Königreichen, Kasibin (Kazwin), Kurdistan (oder Khusistan), Sulistan (Seistan), Spaan (Ispahan), Schiras, Soncara (das Gebirgsland von Sinjar) und Timocain (Damphan). Seine Pferdezucht stand damals in höchstem Ansehen. Herrliche Tiere, nach Indien ausgeführt, werden nicht selten mit 200 turnesischen Pfunden verkauft. Nicht minder gesucht sind die außerordentlich großen Esel Persiens, die oft noch teurer bezahlt werden, denn sie tragen unglaublich schwere Laften und sind, selbst in unfruchtbaren Gegenden, viel leichter als das Pferd zu erhalten. Auch Kamele werden hier in Menge gezüchtet, doch sind sie langsamer als die Esel. Die Einwohner findet Marco Polo wild und blutdürstig und nur von der Gewalt der Tataren niedergehalten, doch blühen bei ihnen Handel und Gewerbe. In Stoffen von Seide und Gold, in Baumwolle, Getreide, Wein, Früchten, von denen in Überfluss vorhanden ist, bestehen die Haupterzeugnisse des Landes. Eine der bedeutendsten Städte an der Grenze, mitten unter Dattelpalmenwäldern, ist Yasdi (Yezd), wo das unter diesem Namen bekannt gewordene Seidenzeug gewebt wird. An den östlichen Grenzen Persiens liegt das Königreich Kirmän, von tatarischen Statthaltern regiert, in dessen Bergen die köstlichen Türkise gefunden werden.

*) Z, statt des weichen g, gehört dem altvenetianischen Dialekte an; spricht dsch; z. B. Zampa für Gampa, mazor für maggior.


Die Einwohner verfertigen Waffen und Reitgezeuge aller Art in großer Güte, die Frauen und Mädchen sticken in Seide und Gold auf prächtige Decken, Vorhänge und Kissen mancherlei Tiere, sowie die anmutigsten Verzierungen, mit bemerkenswertem Geschmack und außerordentlicher Geschicklichkeit. Von Kirmän führte der Weg acht Tagereisen weit durch freundliche Gegenden und schöne Wälder über einen Bergabhang, der zwei Tagereisen lang sich niedersenkt und nur von Hirten und deren Herden belebt ist: dann auf eine Ebene, die sich sechs Tagereisen weit gegen Süden ausbreitet. Hier liegt die damals von den Tataren zerstörte Stadt Kamandu. Marco Polo rühmt die Granatäpfel, Quitten u. a. Früchte, die edlen Geflügelarten, Turteltauben, Fasanen und rot und weiß gefiederte Birkhühner, die er hier in Menge vorfindet. Unter dem Vieh hält er für merkwürdig große weiße Ochsen mit glattem Fell, kurzen, dicken Hörnern und einem Höcker zwischen den Schultern: sie tragen schwere Lasten und knieen nieder wie das Kamel, um sie aufzunehmen: desgleichen dickschwänzige Schafe, deren Schwänze 30 Pfund und mehr wiegen und für einen köstlichen Leckerbissen angesehen werden. Die zahlreichen Städte des Landes sind mit hohen Mauern zum Schutz gegen die wilden Karaunas umgeben, ein Mischvolk aus lichten Tataren und dunklen indischen Weibern, deren Scharen öfter das Land durchschwärmen und rauben und morden, was sie erreichen. In allen teuflischen und magischen Künsten erfahren, hüllen sie ihre Feinde in Finsternis, um sie dann ungesehen zu überfallen, wie es auch dem Marco einmal erging, so dass er sich mit Mühe in ein festes Schloss rettete. (Die Karaunas benutzen zu ihren Überfällen die schnell einfallenden Nebel.)

Über eine zweite Bergneigung kam Marco in die schöne Ebene von Ormus (Cormos oder Hormus), ein Land voll von klaren Flüssen und Bächen und den schönsten Dattelpalmenwäldern, die unser Reisender von Birkhühnern, Papageien und anderen unbekannten Vögeln belebt fand. Unfern der Küste auf einer Insel liegt die Stadt Ormus, die mächtigste und festeste Stadt im vormaligen Königreich Kirmän, wohin auch Marco schiffte und die Kaufleute aus allen Gegenden Indiens Gewürze und Spezereien, köstliche Steine, Perlen, Gold- und Seidengewebe, Elefantenzähne und viele andere Waren bringen. Im Sommer ziehen die Einwohner wegen der übergroßen Hitze in ihre Gärten an der Küste oder auf die Inseln in den Flüssen, wo sie auf Pfählen Hütten errichten. Jeden Tag weht von der neunten Stunde bis zum Abend der Landwind drückend heiß: um nicht zu ersticken, — so versichert unser Gewährsmann — tauchen dann die Leute bis ans Kinn in das Wasser und bleiben darin so lange, bis er zu wehen aufhört. Man erzählte dem Venetianer, dass ein Heer von 1.600 Reitern und 5.000 Soldaten zu Fuß, welches den Beherrscher von Ormus zur Zahlung des Tributes zwingen sollte, durch diesen heißen Wind (bâdi-zamûm) vernichtet worden sei. Ihre Schiffe bauen die Bewohner von Ormus ohne Nägel, denn das Holz ist so hart und trocken, dass es zersplittert wie irdene Waren, oder den Nagel zurücktreibt.

Vorsichtig werden die Planken an den Ecken gebohrt und mit hölzernen Pflöcken verbunden, dann mit Garn, das aus den Fasern der Kokosnuß gemacht ist, zusammengenäht, mit einem aus Fischfett bereiteten Öl eingeschmiert und mit Fadenwerg kalfatert. Hat ein solches unsicheres Fahrzeug seine Ladung eingenommen, so wird es mit Häuten belegt und auf diese Häute werden dann die Pferde getrieben, die einen gesuchten Ausfuhr-Artikel nach Indien bilden. Wegen der großen Hitze ist das Land meist dürre, so dass die Einwohner nur von Datteln und gesalzenen Fischen leben, Fleisch und Weizenbrod können sie nicht vertragen. Von Kirman reiste Marco drei Tage bis in die Wüste Kobinam, wo sich nur salziges Wasser vorfand, außer einem Fluss mit süßem Wasser, der unter der Erde dahinfließt und nur an einzelnen Stellen zur Oberfläche gelangt. An solchen Stellen hält der ermüdete Reisende an und erquickt sich und sein Vieh, denn die Umgegend weit und breit ist dürr und öde. Mitten in dieser Wüste liegt auf einer Oase die Stadt Kobinam (Khubis), deren Einwohner schöne Spiegel von meisterlich poliertem Stahl fertigen, auch Zink graben und Tutie (künstliches Galmei) bereiten. Acht Tage lang dauerte die Wanderung durch die Wüste, die nichts darbot als salziges Wasser. Endlich wird die große Ebene Timocain an den nördlichen Grenzen Persiens erreicht, wo der Sonnenbaum (arbor secco, der fruchtlose Baum) wächst. Sein Stamm ist hoch und dick, sein Holz gelblich wie Buchsbaum, seine Blätter sind grün und oben weißlich; er trägt Hülsen wie Walnüsse, die keine Frucht enthalten. Auf 100 (italienische) Meilen weit bemerkte man keinen anderen Baum, doch sind die Städte in diesem Lande wohl versehen mit allem Notwendigen, das Klima ist gemäßigt, die Bewohner sind wohlgestaltet und die Weiber, wie Marco rühmt, die schönsten der Welt. Auch von dem „Alten vom Berge“ (d. i. dem Herrn im Gebirge Libanon, dem Oberhaupte der Assassinen) weiß Marco Wunderdinge zu erzählen, jedoch nur das, was er hier von glaubwürdigen Personen gehört hatte. Jener mysteriöse Gewalthaber hieß Aloeddin und bekannte sich zu der Religion Mohammeds, seine Residenz lag in der Landschaft Mulehet, d. i. dem Ort der Ketzer. In einem schönen, von zwei hohen Bergen eingeschlossenen Tale ließ er einen köstlichen Garten anlegen, mit den lieblichsten Früchten und Blumen, prächtigen Palästen und hohen Terrassen, geschmückt mit Gold, Gemälden und seidenen Stoffen. Überall springen Brunnen mit klarem Wasser, rauschen Bäche mit Wein, Milch und Honig. In den Palästen weilen die schönsten Mädchen und Frauen, erfahren in allen Arten des Gesanges und der Musik, geschickt zum Tanz und zu allerlei Freudespenden sowie zur Kurzweil. In köstlichen Kleidern wandeln sie täglich in den Gärten, weilen in den Pavillons, frei von ihren Aufseherinnen, und erfüllen Alles mit heiterer Lust. Doch den Zugang zu diesem Tal des Paradieses versperrt der Fürst mit einem uneinnehmbaren Schloss, durch welches nur ein geheimer Zugang in den Garten führt. Aus den Jünglingen, die ihn umgeben, erwählt er zu gewissen Zeiten zehn oder zwölf der kühnsten und hoffnungsvollsten, versenkt sie, nachdem er ihnen von den zauberischen Freuden des Paradieses, in welches er sie versetzen könne, erzählt, mittels berauschender Getränke in einen bewusstlosen Zustand. In diesem lässt er sie dann in verschiedene Prunkgemächer der Paläste seines Paradieses bringen. Hier erwachen sie mitten unter den entzückendsten Freuden, umgeben von den lieblichsten Mädchengestalten, die Alles aufbieten, ihre Aufmerksamkeit und Gunst zu gewinnen. Was sich nur die Phantasie erdenken kann, steht ihnen zu Gebote. So leben sie vier bis fünf Tage im Rausche des Entzückens, dann werden sie wieder eingeschläfert und zurückgebracht, und wenn sie nun in der gewohnten Umgebung erwachen, sind sie fest überzeugt, durch die Gnade und Macht ihres Fürsten im Paradiese geweilt zu haben. Kein Wunder, wenn sie dem mächtigen Zauberer fortan zu jedem Dienst auf Leben und Tod ergeben sind. So erzog sich der Alte vom Berge eine immer bereite Schaar von blind ergebenen Anhängern, Mordgesellen, durch deren entsetzliche Taten er weithin Schrecken und Furcht verbreiten ließ, bis ihm im Jahre 1262 der Tatarenfürst Hulagu sein Raubhandwerk legte, indem er ihn bezwang und ihn hinrichten, seine paradiesischen Gärten aber zerstören ließ.

Weiter reiste Marco durch eine breite Ebene, in welcher Hügel und Täler anmutig wechselten, sechs Tage lang vorbei an vielen Städten und festen Plätzen (wahrscheinlich durch Jan-Jerm und Nischapur nach Meru-ar-rud), dann durch eine Wüste von 40—50 Meilen ohne Wasser und Gras bis zur Stadt Sapurg an (Schahjehan oder Schahgan), die berühmt ist, weil sie die besten Melonen der Welt liefert. Sie werden in dünne, gewundene Scheiben geschnitten, dann an der Sonne getrocknet und in großen Massen verschickt, denn sie sind süß wie Honig. Von hier gelangte er in die prächtige Stadt Balach (Balk), deren Marmorpaläste damals, von den Tataren zerstört, zum größten Teile darniederlagen. Bis hierher erstreckten sich die Grenzen Persiens in nordöstlicher Richtung. Zwei Tagereisen weiter liegt in heiterer, fruchtbarer Ebene Thaikan, wo gerade großer Kornmarkt gehalten ward. Die Gebirge ringsherum liefern Salz in Menge, das wegen seiner Härte mit eisernen Instrumenten losgebrochen ward. Es ist so weiß, wie kein anderes in der Welt, und in solcher Menge vorhanden, dass, — so versichert unser reisender Kaufmann — alle Länder der Erde damit versorgt werden könnten. Auch mit Mandeln und Pistaziennüssen ward hier großer Handel getrieben: bei alledem ist das ausgestellte Zeugnis den Einwohnern sehr ungünstig. Marco Polo nennt sie verwegene Jäger, blutdürstig und allen Lastern ergeben.

Über die Stadt Scassem (Keschem) kam Marco in das Land Balaschan (Badakschân), dessen König im Berge Sikinan (Sheghanian) auf die köstlichen Balassrubinen (eine Art Hyacinth) graben lässt, sowie auch Gold und Silber in Menge gewinnt. Auch an lapiz lazuli, aus dem die Azurfarbe (Ultramarin) gewonnen wird, sowie an Silber, Kupfer und Blei, fehlt es in diesem Gebirge nicht. Zahllose wilde Schafherden schweifen ringsherum. Die Pferde sind vortrefflich, von außerordentlicher Schnelligkeit und ihr Huf so hart, dass sie, ohne beschlagen zu werden, mit ihren Reitern die steilsten und felsigsten Berge hinauf galoppiren. Auch schnelle Saker- und Geierfalken, sowie Habichte, gibt es hier in Menge, und die Einwohner verstehen gar trefflich die Jagd auf Wild und Geflügel: auch sind sie ausgezeichnete Bogenschützen, bauen Weizen und Gerste und pressen ein duftiges Öl aus Nüssen und dem Sesam. Ihr Land ist geschützt durch enge Pässe und feste Plätze, ihre Kleider bestehen aus Fellen der wilden Tiere, doch tragen die vornehmen Frauen Beinkleider von 60 bis 100 Ellen Baumwollentuch, denn es gelten hier solche Weiber für die schönsten, welche die vollsten Hüften haben. Zu den Füßen der steilen Berge breiten sich weite Ebenen aus, mit Gras- und Blumenteppichen bekleidet, von Strömen des klarsten Wassers durchrauscht und voll der schmackhaftesten Fische. Die Luft an den Bergen ist so rein und heilsam, dass die Bewohner der Städte in Ebenen, wenn sie vom Fieber befallen werden, hier in drei Tagen wieder genesen, was auch Marco an sich selbst erfuhr.

Durch das Land Bascia (Baltistan) gelangte unser Reisender in die Provinz Kesmur, deren Bewohner in der Magie sehr erfahren sind. Sie sind von dunkelfarbiger Haut, dabei aber, wie auch ihre Weiber, sehr hübsch von Gestalt und Aussehen. Sie leben sehr mäßig von Reis und Korn und unabhängig unter ihrem eigenen Fürsten, haben viele Städte und feste Plätze und sind durch dichte Wälder und schwierige Pässe vor feindlichen Einfällen geschützt. Von hier wendete sich Marco über Balaschan zurück in die Landschaft Vokan (Vachan), und gelangte dann in nordöstlicher Richtung, von Berg zu Berg aufsteigend, an einen Punkt, wo man glauben könnte, dass das Land mit den Berggipfeln ringsum das höchste in der Welt sei (die Hochebene Pamer). Mitten in diesen Bergreihen ist ein großer See, aus dem ein lustiger Fluss durch das üppigste Grün hinströmt. Das magerste Vieh, wenn es hierher kommt, wird in zehn Tagen fett. Darum gibt es auch hier Schafe von außerordentlicher Größe, mit Hörnern von 3 — 6 Spannen Länge, aus denen die Schäfer Löffel und Essgeschirre schnitzen und Zäune machen, um ihr Vieh des Nachts gegen die Wölfe zu schützen. Dann aber folgt wieder eine menschenleere Hochebene, deren höchste Gipfel so hoch aufragen, dass in der scharfen, dünnen Luft das Feuer viel weniger Hitze gibt, als in den niedrigeren Gegenden. Vierzig Tage lang hat man hier in derselben Richtung zu wandern und muss sich mit Allem versehen, was man braucht: denn nirgends sieht man eine Wohnung, nirgends einen Strauch, noch weniger einen Baum. Das ist das Land Beloro (Belur) mit rohem, götzendienerischem Volk. Endlich erreichte Marco Kaschgâr, das damals auch dem Großkhan unterworfen war. Die mohamedanischen Einwohner treiben Handel und Gewerbe, bauen Getreide, Obst und Wein, Baumwolle, Flachs und Hanf in Menge, und fertigen viele Baumwollenzeuge. Ihre Kaufleute wandern in alle Welt: doch sind sie ein schmutziges, habsüchtiges Volk, das schlecht ißt und noch schlechter trinkt.

In nordwestlicher Richtung kam dann Marco zur Stadt Samarkand, in einer Ebene voll schöner Gärten und Fruchtfelder: er reiste dann durch die Provinz Karkan (Yarkand) und gelangte endlich in das Land Khotan (Ilitsi der Chinesen), das sich acht Tagereisen weit erstreckt und gleichfalls dem Großkhan unterworfen war. In diesem Lande fand Polo Alles in Menge vor, was zum Leben gehört, seine Einwohner schildert er als gute Kauf- und Gewerbsleute, doch als schlechte Krieger. Durch die Provinzen Pe-yn, wo Chalcedon und Jaspis gefunden werden, und Tschartschan, die noch von den Tataren verheert darniederlag, führte die Reise gegen Nordosten in die Stadt Lop, dem Anfang der Wüste Gobi.

Hier machen die Reisenden, welche die Wüste durchwandern wollen, Halt und belasten eine Anzahl starker Esel und Kamele mit Mundvorrat und allem Notwendigen: wird dieses aufgezehrt, bevor die Wüste überwunden ist, so töten und essen sie die Lasttiere. Dreißig Tage reiste man durch diese Wüsteneien auf dem kürzesten Wege über sandige Flächen und kahle Berge, doch findet man Wasser, das nur an wenigen Stellen salzig ist, nach jedem Tagemarsch, genug für 50 bis 100 Personen und ihre Lasttiere. Nirgends erblickte Marco die Spuren von Tieren, nicht ein Vogel war hier zu sehen: die Wüste erschien ihm nur als Aufenthaltsort böser Geister, welche die Reisenden mit Blendwerk verderben, sie bei ihrem Namen aus dem Schlafe rufen und dann auf Abwege führen, in der Nacht wohl auch das Getrappel eines Reitertrupps nachahmen, am Tage in Gestalt eines solchen erscheinen und die Karawanen mit dem Lärm von Trommelklang und Waffengeklirr in die Flucht scheuchen, so dass die Verirrten vor Hunger elend umkommen. Deshalb bezeichnen die Reisenden am Abend, bevor sie sich zur Ruhe legen, den Weg, den sie am andern Morgen nehmen wollen, mit Signalen und hängen jedem Lasttiere eine Glocke um, damit sie sich nicht zerstreuen. Nach dreißig Tagereisen in ost-nord-östlicher Richtung bot die Stadt Sachion (Scha-tschéu), d. i. Sandstadt, im Lande Tanguth, die meistens von Götzendienern bewohnt ist und viele Klöster mit Priestern und missgestalteten Götzenbildern hat, einen willkommenen Ruhepunkt. Auch die Stadt und Landschaft Kamul (Hami) liegt in der Provinz Tanguth zwischen zwei Wüsten. Ihre Bewohner, gleichfalls Götzendiener, traf unser Reisender im Besitze alles dessen, was sie nötig haben. Er rühmte ihren Sinn für gesellige Vergnügungen, Musizieren, Singen, Tanzen, Lesen und Schreiben, Fremde finden bereitwillig Aufnahme in den Wohnungen: die Weiber und Töchter sind angewiesen, alle Wünsche der Gäste zu erfüllen, während die Männer sich auf ihre Landhäuser zurückziehen und von hier aus senden, was die Fremden bedürfen: doch erwarten sie dafür Bezahlung. In solcher Gastfreundschaft erblicken sie eine gottgefällige Handlung.

Ihre Weiber fand Marco hübsch und sie folgten bereitwillig den Befehlen ihrer Eheherren. Als Mangu-Khan dieses Land bezwang, verbot er dem Volke die Ausübung solcher Sitten, doch in jedem Unglück und Misswachs sah dieses fortan eine Strafe für die Vernachlässigung der Gäste und bat inständig den Grosikhan, es an der Befolgung seiner Gebräuche nicht zu hindern. Gegen Mitternacht grenzt an die Wüste die Landschaft Cineitalas (Tschin-tschi-talas, d. i. Tschin - si - fu), dem Großkhan untertänig und von Nestorianern, Mohammedanern und Götzendienern bewohnt. Hier ward aus Asbest ein Tuch gewebt, das im Feuer nicht verbrennt. Die faserige Substanz gräbt man in den Bergen. An der Sonne getrocknet, reinigt man sie von den erdigen Teilen durch Stoßen in einem Mörser und durch Waschen, dann werden die Fäden gesponnen und gewebt und das Gewebe im Feuer weiß wie Schnee gebrannt.

Wandert man von hier zehn Tage in nordöstlicher Richtung, so kommt man in die Landschaft und Hauptstadt Succuir (So-tschéu), auch zu Tanguth gehörig, wo sich der Rhabarber in allen Bergen in solcher Menge findet, dass er in alle Welt verführt wird. In der Hauptstadt von Tanguth, Kampion (Kantschéu-fu), besaßen die Christen drei schone Kirchen und die Mohammedaner eine Menge Klöster und Priestersitze mit vielen aus Holz und Stein gefertigten, mit Gold überzogenen Götzenbildern. Hier hielt sich Marco mit seinem Vater und seinem Oheim fast ein Jahr auf.

Von Lampion zwölf Tagereisen nördlich, noch in Tanguth, liegt die Stadt Ezina (Azime), von Ackerbauern bewohnt. Wer noch weiter nordwärts reisen will, muss sich auf 14 Tage mit Lebensmitteln versorgen, denn er reist durch eine rauhe, menschenleere Gegend, die nur von wilden Tieren und besonders von wilden Eseln belebt ist. Dann erreicht er die Stadt Karakoran, d. i. schwarzer Sand (Khorin). wo die Tataren in alten Zeiten zuerst ihre Residenz aufschlugen. Dieselbe misst drei (italienische) Meilen im Umfange, ist mit einem starken Erdwalle umgeben und von einer großen Burg mit dem Palast des Gouverneurs beschützt.

Diese Tataren, so erzählt Marco, bewohnten früher die nordlichen Länder Jorza und Bargu (Sibirien) ohne Städte und feste Plätze, dem mächtigen Ungkhan, der auch Priester Johann genannt wurde, untertan. Bald aber vermehrte sich ihr Volk so außerordentlich, dass Ungkhan aus Furcht vor der Überzahl dasselbe über weite Länderstrecken verteilte und große Heerhaufen zu den gefährlichsten kriegerischen Unternehmungen anwandte. Dadurch aber wurde den Tataren ihre Sklaverei nur um so fühlbarer. Sie einigten sich untereinander, entwichen gegen Norden durch eine weite Wüste und kündigten, sobald sie glaubten, weit genug gekommen zu sein, dem Ungkhan den Tribut. Um das Jahr 1162 wählten sie Dschingis-Khan zu ihrem Fürsten, einen Mann von eben so großer Rechtlichkeit und Weisheit wie Beredsamkeit und Tapferkeit, der auch bald alle Tataren unter sein Szepter vereinigte, sie aus den Wüsten und Wildnissen herausführte und mit ihnen viele Länder und Völker teils auf friedlichem Wege, teils durch seine furchtbare Kriegsgewalt unterwarf. Überall setzte er Statthalter ein, die gerecht wie er regierten und jeden in seinem Besitz schützten: überall fesselte er die Vornehmsten der Unterworfenen durch Gunst und Ehren an sich. Im Vertrauen auf seine Macht warb er jetzt um Ungkhans Tochter. Der aber erwiderte: „Wie kann Dschingis-Khan, der mein Knecht ist, meine Tochter verlangen? Saget ihm, wenn er seine Bitte wiederholt, soll er elendiglich von mir zu Tode geschlagen werden!“ Da sammelte Dschingis - Khan voll Zorn ein großes Heer und brach auf der großen Ebene Tentuk in einer gewaltigen Schlacht Ungkhans Reich. Dieser selbst fiel, seine Völker wurden unterworfen, seine Tochter Gemahlin des Siegers, der noch sechs Jahre lang seine Eroberungen fortsetzte, bis er bei der Belagerung der Burg Thaikin von einem Pfeil ins Knie getroffen wurde und an dieser Wunde starb.

Auf ihn folgten fünf Khane, — der Titel Khan oder Kaan ist gleich dem des Kaisers — bis Kublai der sechste Khan aller Mongolen wurde und während seiner fast 60 jährigen Regierung einen großen Teil der Welt eroberte. Alle Khane werden im Berge Altai begraben und wenn sie auch 100 Tagereisen von dort gestorben wären.

Die Tataren haben nirgends feste Wohnungen. Sobald der Winter naht, ziehen sie in die wärmeren Ebenen und im Sommer in die kühleren Gebirge. Während zwei bis drei Monaten steigen sie immer höher hinauf und suchen frische Weide und Wasser, denn das Gras an einem Orte reicht nirgends hin, um die ungeheure Menge ihrer Herden zu ernähren. Ihre Zelte, deren Eingang immer nach Süden sieht, bestehen aus Pfählen, welche sie mit Filz bedecken: sie sind rund und so künstlich gemacht, dass sie sich in ein Bündel zusammenlegen und auf Wagen fortschaffen lassen. Außer vierrädrigen Lastwagen haben sie noch zweirädrige, ganz mit Filz bedeckte Wagen, in welchen sie einen ganzen Regentag trocken sitzen können. Ochsen oder Kamele ziehen diese Zeltwagen, und Weiber, Kinder und alle Lebensmittel sind darin. Die Frauen betreiben die Handelsgeschäfte und besorgen Alles, was zur Wirtschaft gehört: die Männer beschäftigen sich nur mit der Jagd, der Vogelbeize und dem Waffenhandwerk. Sie leben hauptsächlich von Milch und Fleisch, von dem Wild, welches sie erlegen, und von einer Art Kaninchen, Pharaonismaus genannt. Sie trinken am liebsten Stutenmilch, die sie ähnlich dem weißen Wein zu bereiten wissen und Kemurs (Kumis) nennen. Die Frauen sind überaus keusch und ehrbar, denn Treulosigkeit gilt als das ehrloseste und niederträchtigste Laster: die Männer verkehren stets freundlich mit ihren Weibern und diese leben, auch wenn sie ihrer zwanzig sind, stets in Ruhe und Einigkeit, nur der Hauswirtschaft, der Sorge für Mann, Kinder und Diener. Der Mann nimmt so viele Frauen, als er ernähren kann, denn der Aufwand, den er für sie zu machen hat, ist nicht groß, beträchtlich aber der Nutzen, den er aus ihrem Handel und ihrer Arbeit gewinnt. Deshalb bezahlt er auch gern den Eltern des Mädchens, das er zur Frau begehrt, ein Heiratsgeld. Die erste Frau und ihre Kinder gelten als die rechtmäßigen. Nach dem Tode des Vaters darf der Sohn alle Weiber desselben, nur nicht die eigene Mutter und leibliche Schwester, heiraten.

Die Tataren glauben an einen höchsten Gott, groß, erhaben über alles Irdische, bringen ihm täglich Weihrauch und Gebete und flehen zu ihm um Segen und Gesundheit. Erst Dschingis-Khan verkündete diese Religion in seinem Gesetzbuche den Mongolen. Daneben verehren sie einen zweiten Gott Natigay (Itoga), dessen Bild, mit Filz oder Tuch bedeckt, von seinem Weibe und seinen Kindern umgeben, in jedem Hause steht. Dieser Gott steht allen irdischen Angelegenheiten vor, schützt die Kinder und das Besitztum und verleiht den Segen der Ernte. Die Reichen kleiden sich hier in golddurchwirkte Seide, in Hermelin, Zobel und andere köstliche Pelze. Ihre Waffen sind Bogen, eiserne Kolben, auch Speere, doch sind sie in der Führung des Bogens am geschicktesten. Aus dicken Büffel- und anderen Tierhäuten, die sie am Feuer trocknen und härten, machen sie sich sehr feste Rüstungen. In der Schlacht kämpfen sie aufs Tapferste, denn sie achten das Leben nur gering, daher sind sie auch grausam gegen ihre Feinde. Mühe und Entbehrungen tragen sie mit Leichtigkeit. Zwei Tage und zwei Nächte können sie zu Pferde bleiben, ohne abzusteigen und zu schlafen. Kein Volk übertrifft dieses Steppenvolk in Ausdauer und Geduld, im Gehorsam gegen ihre Führer, keines bedarf so blutwenig zum Unterhalt. Deshalb hält sie Marco Polo für fähig, die Welt zu erobern, ein Wagnis, womit sie bereits mit beträchtlichem Erfolge begonnen haben. Will ihr Oberhaupt Krieg führen, so stellt er sich an die Spitze eines Heeres von 100.000 Mann zu Pferde und setzt Hauptleute über je 10, 100, 1.000 und 10.000 Mann, so dass das Heer wohlgegliedert und jedem Befehl gefügig ist. Auf dem Marsche zieht eine Abteilung zwei Tagemärsche voraus, andere Abteilungen decken die Flanken und bilden den Nachtrab. Auf weiteren Märschen leben sie meist von Milch und führen nur Lager- und Kochgeräte und kleine Zelte von Filz mit sich. Jeder Mann muss 18 Rosse und Stuten haben, zum Wechseln und zur Nahrung. So reisen sie wohl 10 Tage, ohne gekochte Speisen zu genießen, öffnen dann, wie uns Marco versichert, den Pferden eine Ader und trinken das Blut. Von dem rahmigen Teile der Milch bereiten sie eine Art Käse, den sie an der Sonne trocknen. Von diesem nimmt jeder Reiter 10 Pfund mit sich auf den Marsch, tut jemalig in der Frühe ein halbes Pfund in eine Beutelflasche mit Wasser, das beim Reiten in einander geschüttelt und in eine dünne Suppe verwandelt wird, das ist des Tataren Mahlzeit. In der Schlacht weichen sie einem Handgemenge aus, umschwärmen lieber den Feind mit ihren behenden Pferden und beschießen ihn mit Pfeilen von allen Seiten, fliehen und töten im Davoneilen Mann und Ross, so dass sie bereits gesiegt haben, wenn der Feind meint schon Sieger bleiben zu können. Ihre Pferde wenden sich auf ein gegebenes Zeichen sofort nach allen Richtungen und erleichtern durch Beweglichkeit und Folgsamkeit den Sieg. Dieses sind die ursprünglichen Lebens - und Kriegssitten der Tataren. Seit der Eroberung von China fangen sie an zu sinken.

Nördlich vom Altai-Gebirge breitet sich die Ebene Bargu (Sibirien) 60 Tagereisen weit aus, von den wilden Horden bewohnt, die meist von Renntieren leben, welche man auch zum Reiten abzurichten versteht. Ihre Sitten gleichen denen der Tataren, und auch sie sind dem Großkhan unterworfen. Das Land der Merkiten grenzt an den Ozean, wo es auf einer weit nach Norden liegenden Insel so viele und treffliche Geierfalken gibt, dass der Großkhan von hier seine Jagdvögel bezieht. — Reist man von Kampion fünf Tage nach Osten, so kommt man in das Königreich Erginul, mit der Hauptstadt desselben Namens (Liangtschéu), das auch zur Provinz Tanguth gehört. Von hier führt eine südöstliche Straße nach Kataia und der Stadt Singui, in welchem Lande (Si-ning) wilde Rinder fast von der Größe der Elefanten leben, schön weiß und schwarz gefleckt, mit glattem Haar, das aber zwischen den Schultern bis zu drei Spannen aufsteht und weiß und weicher als Seide ist (der tanguthische Büffel). Von diesen Tieren brachte Marco einige nach Venedig. Sie lassen sich zähmen, und die Rinder, die von ihnen und der gewöhnlichen Kuh erzeugt werden, sind edler, kräftiger und ausdauernder als irgend eine andere Art. Auch wird hier der schönste und kostbarste Moschus erzeugt, von einer Ziege, die der Antilope ähnlich ist, doch keine Hörner, sondern vier Hauzähne hat, die oben und unten drei Finger lang und weiß wie Elfenbein vorstehen. Zur Zeit des Vollmonds bildet sich ein Schwär voll geronnenen Blutes in der Nabelgegend, dann wird das Tier am leichtesten im Mondlicht gefangen, die Haut abgezogen und an der Sonne mit dem Inhalte, der den Moschus gibt, getrocknet. Auch Fasanen von schönem Gefieder, fast so groß wie unsere Pfauen, gibt es hier. Die heidnischen Einwohner treiben Handel, Gewerbe und Ackerbau, sind hässlich, zum Dickwerden geneigt, haben kleine Nasen, schwarzes Haar und wenig Bart: doch sind die Frauen von weißer Haut, wohlgestaltet und von freien Sitten, deren der Mann so viel nimmt, als er ernähren kann.

Östlich von Erginul kommt man nach Egrigaia (Hing-tscheu am Hoang-ho) mit der Stadt Kalacia, wo Kamelottücher aus Kamelhaar und die feinsten weißen Wolltücher gewebt werden. Von hier nach Nordost liegt Tenduk (oder Tendak, jetzt nur noch in Ruinen vorhanden), dessen König Georg der vierte Nachfolger des Priesters Johann (Ungkhan) und aus dessen Stamme ist. Er ist Christ und Priester, hat sein Land vom Großkhan zu Lehen und wie die anderen Prinzen seines Hauses eine Tochter desselben zum Weibe. Die Einwohner, Christen wie Mohammedaner, sind zu Handwerk und Handel sehr geschickt, fertigen die schönste Azurfarbe, Stoffe aus Kamelhaar und andere. Weiter gegen Osten reiste Marco an vielen Städten vorbei, wo schöne goldene Gewebe mit Perlmutter verziert, prächtige Seidenzeuge, treffliche Waffen und alle Arten von Kriegsrüstungen gefertigt, auch reiche Silbergruben bebaut werden. So kam er in die Stadt Cianganor (Schanganor, Tsahan-Nor), d. i. weißer See. Hier hat der Großkhan einen Palast, umgeben von Seen und Strömen, die mit unzähligen Schwänen besetzt sind, und von Ebenen, die voll sind von Kranichen, weißen, bunten und schwarzen, von Fasanen, Rebhühnern und Vögeln aller Art: darum jagt er hier auch am liebsten mit Falken und Sperbern. In einem nahen Tal lässt er jährlich Hirse, Buchweizen und andere Körner für die Vögel säen, und bei hoher Strafe darf Niemand diese Saat angreifen. Viele Wärter sind aufgestellt zur Pflege, und wenn diese pfeisen, kommen die Vögel von allen Seiten, um ihr Futter zu holen. Auch kleine Hütten sind für sie erbaut, dass sie die Nacht darin zubringen. Drei Tage weiter in nordöstlicher Richtung liegt die Stadt Xandu (Schantu), die Kublai-Khan mit einem Palast aus Marmor von bewunderungswürdiger Pracht hat bauen lassen. Die eine Hauptseite dieser Kaiserwohnung steht gegen die innere Stadt, die andere gegen die Mauer. Eine Mauer von 16 Meilen umgibt ihn und einen weiten Park, zu dem man nur durch den Palast gelangen kann. Im Park wechseln aufs Anmutigste Wälder und Wiesen, von Bächen durchströmt, von Dammhirschen, Rehen und allerlei Wild belebt. In Käfigen werden 200 Jagdvögel gehalten, die der Großkhan selbst wöchentlich einmal besichtigt. Wenn er durch diese Tiergärten reitet, führt er Jagdleoparden auf Pferden mit sich, die, sobald der Wärter sie loslässt, in raschem Jagen einen Hirsch oder ein anderes Wild erfassen, das dann den Falken zur Atzung gegeben wird. Mitten im Park steht ein Lusthaus auf goldenen und bemalten Säulen, um jede Säule entfaltet ein vergoldeter Drache seine Flügel, während sein Kopf den Vorsprung des Daches stützt, das von vergoldetem Bambusrohr ist und mit einem Firnis bemalt, der keine Nässe durchlässt. Die Bambusrohre, 3 Spannen im Umfang und 10 Klafter lang, sind von oben nach unten in gleiche Teile zerschnitten, so dass sie Rinnen bilden, und so mit beiden Enden an den Dachstuhl befestigt. 200 seidene Seile stützen auf jeder Seite das leichte Gebäude, das ganz zerlegt und nach Belieben wieder aufgestellt werden kann, gegen die Gewalt des Windes. Ringsherum ist die Luft überaus mild und heilsam, weshalb hier der Großkhan drei Monate, Juni, Juli und August, sein Hoflager hält. — Er hat einen Marstall von 10.000 Hengsten und Stuten, weiß wie Schnee, von deren Milch Niemand trinken darf, der nicht zum Stamme der Dschingis-Khan gehört. Jährlich am 21. Mondestage des August sprengt der Großkhan nach dem Ausspruch der Sterndeuter die Milch dieser Stute n in den Wind als Opfer für die Geister und Götter, und ruft ihren Schutz dabei an. Wenn aber Regen droht, so besteigen die Sterndeuter das Dach des Palastes und beschwören das Wetter, so dass, wenn es ringsum stürmt, der Ort des Opfers unangefochten bleibt. Auf den Ruf ihrer Heiligkeit sich stützend, erscheinen, so erzählt Marco Polo, diese Priester in unanständigem Äußern: denn sie verachten Reinlichkeit und Lebensgenuss, ja sie essen selbst von den Leichnamen der Hingerichteten. Ihre höllische Kunst grenzt ans Unglaubliche. Wenn der Großkhan an der Tafel sitzt, so bewirken sie, was freilich unsere heutigen europäischen Zauberer am Ende auch zu Stande brächten, dass die Gläser und Flaschen auf dem nahen Büffet sich selbst mit Wein, Milch und anderen Getränken füllen, während ein anderes Kunststück, vermittels dessen die Gläser und Becher durch die Luft zehn und mehr Schritte weit zum Großkhan gelangen und wieder zurück zum Büffet, wenn sie geleert sind, schon in die höhere Magie einschlägt.

005 Ankunft in Ormus. (Nach dem Livre des Merveilles.)

006 Zeltgerüste der Tataren

007 Dschingis-Khans Jurte (Nach einem alten Gemälde)

008 Götterwagen der Tataren