Das Börsengebäude in St. Petersburg

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1971
Autor: O. M., Erscheinungsjahr: 1871

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, St. Petersburg, Börse, Kaufmannschaft, Börsenspiel
Unter der Zahl der prachtvollen palastartigen Bauten, welche sich auf dem rechten Ufer der großen Newa erheben, fällt namentlich das Börsengebäude sehr ins Auge, kenntlich gemacht durch die beiden Säulen mit Schiffsschnäbeln, die sich zu Leiden Seiten der Anlände und der Doppelrampe am Strome erheben. Die Börse ist auf Kosten der St. Petersburger Kaufmannschaft zu Anfang dieses Jahrhunderts errichtet worden, gehört nach Stil und Ausführung zu den gelungensten und schönsten öffentlichen Bauten der „Stadt der Paläste“, und macht vom Strome und vom gegenüberliegenden Ufer aus einen wahrhaft imposanten Eindruck. Es gibt in ganz Russland nur vier eigentliche Börsen, nämlich in St. Petersburg, in Moskau, in Odessa und in Rjibinnsk. Ähnliche Institute, doch nicht eigentliche Börsen, existieren noch in Riga, in Nischnei-Nowzorod und in Kjächta, an beiden letzteren Orten jedoch nur zur Zeit der Messen.

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Die Petersburger Börse unterscheidet sich wesentlich von anderen Börsen west- und südeuropäischer Großstädte. Sie steht unter der Überwachung des Finanz- und des Handelsministers und dient wesentlich nur der Bereinigung der rein kaufmännischen Geschäfte. Da in Russland der Handel mit ausländischen Staatspapieren sehr unbedeutend ist, so ist das verderbliche Börsenspiel, welches bei der Spielwut der Russen doppelt verheerend wirken würde, noch nicht eingeführt, und anstatt des Geschreies und Durcheinanders an den übrigen europäischen Börsen, anstatt des lebhaften Gestikulierens, des Brüllens und Tumultuierens, werden hier die äußerst
bedeutenden kaufmännischen, Schifffahrts-, Lombards-, Assekuranz- und sonstigen Geschäfte mit der musterhaftesten Decenz, Ruhe und Würde abgemacht. Jenes gleichsam militärische Reglement, welches die gesamte russische Verwaltung kennzeichnet, macht sich auch hier geltend; man überwacht die Geschäfte und beugt der Verbreitung falscher politischer Nachrichten vor, deren Erfinder und Verbreiter der Ahndung der Gesetze verfallen, obschon die Börse das Vorrecht genießt, dass innerhalb ihrer Räume Jemand nur wegen eines Kriminalvergehens, nicht aber wegen Wechsel- und anderer Schulden verhaftet werden darf; und man sucht so viel wie möglich auch das Börsenspiel unmöglich zu machen oder wenigstens aus der Börse selbst in die „Kulisse“ zu verbannen. O. M.

Das Börsengebäude in St. Petersburg

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