Einleitung

Mit der Zusammenstellung einer Reihe der wichtigsten der in Hamburg entstandenen Bildnisse sucht der Kunstverein einem praktischen Zweck zu dienen.

Zwar wäre das wissenschaftliche Interesse an einer Publikation über das Bildnis in Hamburg keineswegs gering anzuschlagen, denn wir sind über die lokale Entwicklung der Kunst in Deutschland — und unter allen seinen Kulturzentren besonders in Hamburg — außerordentlich unvollkommen unterrichtet. Viele und starke Vorurteile stehen der unbefangenen Würdigung der heimischen Kunst überall im Wege. Während die Vertiefung in die italienische Kunst der deutschen Kunst der vergangenen Jahrhunderte die Gemüter entfremdete, schadete der eigenen Zeit das Vorurteil, dass nur in gewissen Blütezeitaltern Kunst geschaffen werden könnte, alle andern aber als Epochen des Verfalls zu gelten hätten.


Am längsten wurde eine sympathische Wertschätzung der nationalen Kunst überall verhindert durch die Blendung der auf die Kunst des Auslandes gerichteten Augen. Unsere Kunstforschung hat sich, nachdem der Bann der Verehrung der Antike als der absoluten und einzig großen Kunst gebrochen war, zu lange und mit zu starker Vorliebe der italienischen Kunst zugewandt. Wir sind infolge dieser Einseitigkeit der Wissenschaft noch heute nicht so weit, dass selbst die größten Meister der germanischen Kunst dem gebildeten Deutschen innerlich vertraut geworden wären. Er hat vielleicht einen Aufsatz, im besten Falle ein Buch über sie gelesen, aber ihre Werke sind ihm nicht zum selbsterworbenen Besitz geworden, er kennt sie durch die Urteile Anderer, nicht aus eigener Anschauung und Vertiefung, und er glaubt deshalb auch nicht recht an sie. In jedem Falle stellt er sie den Italienern nach.

Wenn dies für die Großmeister des Renaissancezeitalters und für Rembrandt und seine Zeitgenossen gilt, so haben die deutschen Künstler des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts ernsthafte Beachtung noch viel seltener erfahren. Gewiss sind sie durchweg nur von lokaler Bedeutung. Aber gerade deshalb sollten sie zum mindesten an den Orten ihrer Wirksamkeit, soweit sie es verdienen, gewürdigt werden.

Das neunzehnte Jahrhundert, dessen Ende wir nahe vor uns sehen, wurde noch einseitiger betrachtet und noch weniger ernst genommen, und es bedarf infolgedessen überall einer gründlichen Berichtigung der Urteile. Schon heute kann es nicht zweifelhaft sein, dass vom Standpunkt der kommenden Geschlechter manches, das uns groß erschien, weil es an die Kunst des Auslandes erinnerte und uns deshalb als etwas besonders Wertvolles beständig vor die Augen gerückt wurde, am Horizont verschwinden wird, und anderes, das uns, weil es nationaler war, ferner stand, in kräftiger Silhouette aufragen wird.

Überall werden wir seltene und hohe Begabungen erkennen, denen die Ungunst der Verhältnisse die freie Entwicklung oder doch die rechtzeitige Anerkennung versagt hat. Denn von den Völkern, die die moderne Kultur tragen, ist wohl keines so befangen und so ungerecht gegen seine Tüchtigsten gewesen wie das deutsche, und es waren bei uns nur zu oft nicht die großen Eigenschaften, die zu Ansehen und Volkstümlichkeit führten.

BALTHASAR DENNER
DER DICHTER BROCKES
GESTOCHEN VON BERNIGEROTH IN LEIPZIG

Auch hier muss die lokalgeschichtliche Forschung, müssen lokalgeschichtliche Sammlungen das Material erst ordnen und sichten, ehe eine Zusammenfassung des Besten durch die allgemeine deutsche Kulturgeschichte stattfinden kann.

Durch eine wissenschaftlich angelegte Publikation über das Bildnis in Hamburg könnte der Kunstverein in Hamburg allgemein verbreitete Vorurteile aus dem Wege zu räumen versuchen und für eine gerechtere Würdigung der heimischen Künstler eintreten. Doch ist die Zeit dafür noch nicht gekommen, da fast alle die unumgänglichen Vorarbeiten fehlen. Es muss ihm genügen, das wichtigste Material zusammenzustellen und dadurch die Lokalforschung auf dieses so gut wie unbestellte Gebiet hinzuweisen. Nur soweit sie diese Aufgabe der Anregung löst, kann die vorliegende Publikation wissenschaftliches Interesse beanspruchen.

Die eigentliche Aufgabe des Kunstvereins ist ja die Pflege der lebenden Kunst, und historische Arbeiten gehören nur so weit in seinen Bereich, wie sie geeignet sind, der Produktion den Boden zu bereiten.

Einer kräftigen Entwicklung der heimischen Kunst in der zweiten Stadt des Reiches, die durch ihre Unabhängigkeit und durch die Eigenart und Wohlhabenheit ihrer Bewohner vor den meisten anderen deutschen Städten den Beruf haben sollte, eine kräftige Lokalkunst zu tragen, steht an Ort und Stelle die vorgefasste Meinung gegenüber, dass es in Hamburg keine bildende Kunst gegeben habe.

Dies Vorurteil gilt es zu zerstreuen, um den Begabungen, die in Hamburg ebenso reichlich erzeugt werden wie irgendwo, die Wege zu bahnen.

Mit einem Versuch, in großen Zügen das künstlerische Leben der Heimat zu umschreiben, soweit das neunzehnte Jahrhundert in Betracht kommt, hat der Kunst-Verein 1892 in der Publikation über Hermann Kauffmann den Anfang gemacht. Es hätte nun nahe gelegen, die hamburgischen Künstler vom Mittelalter her in ähnlicher Form zu behandeln. Die Grundlagen sind durch die neubegründete Sammlung zur Geschichte der Malerei in Hamburg gegeben, soweit sie nicht in dem Künstler-Lexikon des Vereins für Hamburgische Geschichte literarisch bereits vorhanden waren. Und das Material an Gemälden und Handzeichnungen hätte zu einer stattlichen Publikation schon heute ausgereicht.

C. A. WAGNER
SENATOR JACOB LANGERMANN
GESTOCHEN VON CHR. FRITSCH 1740

Dass trotzdem die Wahl auf das engere Gebiet des Bildnisses fiel, hat seine Ursache in praktischen Erwägungen.

Die Teilnahme an künstlerischen Dingen ist in Hamburg, wie überall in Deutschland, zweifellos im Wachsen. Es hat sich die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass jeder, der an der Entwicklung des künstlerischen Geschmacks an sich selber und an anderen mitarbeitet, für die nationale Wohlfahrt tätig ist. Denn im industriellen Wettkampf der Völker wird auf die Dauer die Nation am besten fahren, über deren Produkte zu Hause die größte Anzahl erzogener Augen richtet. Unter diesem Gesichtspunkt bedeutet jedes Individuum von ausgebildetem künstlerischen Geschmack für die Nation ein lebendiges Kapital.

Dass es in Deutschland an solchem Kapital mehr als bei unseren heftigsten Konkurrenten auf dem Weltmarkte fehlt, hat uns die Erfahrung unwiderleglich bewiesen. Wäre es anders, warum holen wir uns die Parole für unsere Tracht aus Frankreich und England, warum ist der Einfluss der kunstgewerblichen Bewegung in England und Amerika so außerordentlich stark bei uns geworden?

Ein Volk, das eigenen Geschmack nicht ausbildet, unterliegt dem eines energischer entwickelten Nachbar-Volkes und wird diesem damit auch materiell tributpflichtig.

Wir haben die künstlerische Selbsterziehung als eine nationale Pflicht und Schuldigkeit, als einen Teil der allgemeinen Wehrpflicht ansehen gelernt. Zu lange hat sich der Einzelne auf den Staat verlassen, zu lange hat er die Tendenz gehabt, die Andern machen zu lassen.

Bei der praktischen Pflege der künstlerischen Erziehung, für die in Hamburg eine Reihe von Vereinen und Gesellschaften tätig sind — es sind ihrer mehr und sie sind straffer organisiert als in anderen deutschen Städten — , ist es notwendig, auf allen Gebieten die Punkte zu bezeichnen, wo mit Aussicht auf Erfolg einzusetzen ist.

Dahin gehört vor allem das Bildnis, das so lange vernachlässigt worden ist, und das unter allen Gattungen der hohen Kunst berufen ist, den festen unverrückbaren Grundstein der Produktion zu bilden. Die Bildnismalerei ist das einzige Gebiet der hohen Kunst, dessen Bebauung in allen Epochen möglich und notwendig ist.

J. DIRKSEN 1613
PASTOR JACOBUS RENECCIUS
KUPFERSTICH

Vielleicht wird man für unsere Zeit das Bedürfnis nach einer Bildniskunst ableugnen. Es lässt sich ja nicht bestreiten, dass die Bildnismalerei im Grunde aufgehört hat zu existieren, wenn in einem sehr wohlhabenden Gemeinwesen von gegen siebenmalhunderttausend Seelen, wie Hamburg, nicht einmal ein Bildnismaler und vielleicht nicht zwei Bildnismalerinnen namhaft zu machen sind, die von der Ausübung ihrer Kunst leben können.

So wenig dieser Einwurf an sich widerlegt werden kann, wird dabei doch eine wichtige Erscheinung gänzlich übersehen. Wenn auch die Bildnismalerei auf ein Minimum zurückgegangen ist, hat doch das Bedürfnis nach dem Portrait nicht allein nicht abgenommen, sondern einen Umfang erreicht, der früheren Zeiten unbekannt war, und es werden ihm materielle Opfer gebracht, die in keiner früheren Epoche der Kunst zur Verfügung gestanden haben. Nach der Zusammenstellung des Adressbuches werden in Hamburg rund hundert Photographen gezählt, von denen die meisten in guten, nicht wenige in glänzenden Verhältnissen leben. Ihre Existenz setzt ein sehr starkes und allgemein verbreitetes Bedürfnis nach dem Portrait voraus. Einige von ihnen haben es durch ihre Leistungen zu einem Grade von Wohlhabenheit gebracht, dessen sich in Deutschland nur sehr wenige Künstler erfreuen. Die Gesamtsumme, die jährlich und ganz regelmäßig in Hamburg für die Bildnis-Photographie ausgegeben wird, lässt sich kaum berechnen. Wäre die Photographie nicht vorhanden, so würden hundert Maler, Radierer, Kupferstecher, Lithographen nicht genügen, den Bedarf zu decken, wo jetzt nicht einmal zwei oder drei ihr Auskommen haben. Rechnet man die Photographen Altonas, Wandsbeks und der umliegenden Ortschaften hinzu, so ergeben sich noch ganz andere Ziffern. Das Bedürfnis nach dem Porträt ist mithin so stark wie nur je und reicht in weit tiefere Schichten hinab. Nur dass es auf absolut unkünstlerische, wo nicht antikünstlerische Art befriedigt wird.

Neben der Photographie und durch sie ist die Bildnismalerei, sind alle Techniken der Vervielfältigung des Bildnisses, wie Radierung, Kupferstich und Lithographie, fast gänzlich ausgestorben.

Es wird nun niemandem einfallen, die Photographie abschaffen zu wollen.

Aber für die gesunde Entwicklung der heimischen Kunst ist es unbedingt erforderlich, dass den Künstlern die Möglichkeit der Menschendarstellung im künstlerisch aufgefassten Bildnis nicht länger entzogen wird.

David Kindt
Senator Rudolph Amsinck
Sammlung Amsinck

Auf diese Sachlage hinzuweisen, an einer Übersicht der Erscheinungen vergangener Epochen das lebende Geschlecht anzuregen, ist der nächste Grund, der den Kunstverein bewogen hat, schon jetzt die Publikation über das Bildnis in Hamburg seinen Mitgliedern als Vereinsgabe zu bieten. Es kommt hinzu, dass es wünschenswert erschien, auf die künstlerische Bedeutung des Bildnisses als eigene Gattung der Kunst aufs neue hinzuweisen. Denn in breiten Schichten scheint vergessen zu sein, dass das Bildnis eine der vornehmsten Gattungen der Kunst von jeher gewesen ist und heute noch sein kann.

So mag denn diese Zusammenstellung charakteristischer Bildnisse, die seit einem halben Jahrtausend in Hamburg entstanden sind, dazu beitragen, das Bedürfnis nach einer künstlerischen Erneuerung des Faches zu beleben. Eine Beobachtung dürfte schon dem flüchtigen Betrachter sich aufdrängen, dass es an Talenten in Hamburg nie gemangelt hat.

Diese Behauptung wird wohl manchem Hamburger gewagt erscheinen. Denn es herrscht bei uns ein beklagenswertes Misstrauen gegen das eigene Schaffensvermögen, und man steht noch immer unter der von den Romantikern zuerst genährten Verachtung der eigenen Zeit. Dass in alten Zeiten auch bei uns einmal Großes geschehen sei, lässt man wohl als möglich zu. Dass aber Leistungen sehr hohen Ranges auch in der Kunst des neunzehnten Jahrhunderts in Hamburg entstanden seien, wird mit dem Lächeln des Unglaubens vernommen, und dass in der Kunst jeden Tag Zeichen und Wunder möglich sind und auch wirklich geschehen, wird unserm Geschlecht noch schwerer zu glauben. Es ist nicht gewohnt, mit freudiger Sympathie zu genießen, was rund umher wächst und blüht, und noch viel weniger steht es hoffend und wartend vor der Ernte, die in der Zukunft reifen wird. Wer hat sich in Gedanken schon darauf gefreut, die Kunst von 1910 zu erleben?
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Bildnis in Hamburg. Band 1
000 Brockes, Barthold Heinrich (1680-1747) Schriftsteller, Dichter (Baltasar Denner)

000 Brockes, Barthold Heinrich (1680-1747) Schriftsteller, Dichter (Baltasar Denner)

001 Langermann, Jacob (1700-1762) Hamburger Senator (C. A. Wagner) 1740

001 Langermann, Jacob (1700-1762) Hamburger Senator (C. A. Wagner) 1740

002 Jacobus Reineccius (1572-1613) evangelischer Theologe, Pastor, Pädagoge in Hamburg (Dirksen) 1613

002 Jacobus Reineccius (1572-1613) evangelischer Theologe, Pastor, Pädagoge in Hamburg (Dirksen) 1613

003 Amsink, Rudolph (1577-1636) Hamburger Kaufmann und Senator (David Kindt)

003 Amsink, Rudolph (1577-1636) Hamburger Kaufmann und Senator (David Kindt)

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