Das siebzehnte Jahrhundert

Bei der größeren Beweglichkeit, die für die Menschheit im siebzehnten Jahrhundert beginnt, fällt es nicht auf, dass auch bei uns die heimischen Talente ihre Ausbildung mehr und mehr im Auslande suchen. Der Einfluss Hollands und der vlämischen Provinzen macht sich wie in der gesamten Kultur auch in der Malerei fühlbar, und gegen Ende des Jahrhunderts wandern junge Hamburger auch schon nach Italien. Das erhaltene Material ist bedeutend reicher als das des sechzehnten Jahrhunderts. Einmal liegt uns die Zeit näher, dann war auch wohl der Umfang der Produktion der schnell wachsenden Bedeutung der Stadt entsprechend weit bedeutender als im vorhergehenden Jahrhundert, und es kommen neue erhaltende Momente auf. Zunächst die Bildung von fürstlichen Galerien und von Privatsammlungen, die mit dem siebzehnten Jahrhundert im Norden anheben. Noch heute finden sich die bedeutendsten hamburgischen Bildnisse im Besitz der braunschweigischen Galerie. Unser Rabbinerbildnis von Scheits stammt aus der Galerie zu Kassel. Dann beginnen die protestantischen Kirchen dem Predigerbildnis und dem Kenotaphium breiteren Raum zu gewähren. Ebenso dient die Stadtbibliothek als Aufbewahrungsort für Bildnisse aller Art. Schließlich werden in den Familien die Ahnenbildnisse pietätvoll aufbewahrt. Diese schöne Sitte scheint jedoch nicht eigentlich bodenwüchsig, sondern von den gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts eingewanderten holländischen Familien eingeführt zu sein. Es ist bezeichnend, dass noch heute die aus Holland stammenden Amsinck, von Berenberg-Gossler und Willink fast allein noch Familienbilder besitzen, die ins siebzehnte oder gar ins sechzehnte Jahrhundert zurückgehen.

Aber so reich das Material an Bildnissen im Verhältnis zu dem aus dem sechzehnten Jahrhundert erscheint, ist es doch sehr lückenhaft und lässt nur einige wenige Künstlerphysiognomien deutlicher erkennen. Von den meisten Bildnismalern ist uns kaum mehr als ein einzelnes Werk im Original erhalten. Einer Geschichte der Malerei oder auch nur der Bildnismalerei in Hamburg fehlt auch noch im siebzehnten Jahrhundert die Grundlage. Wir können nicht einmal die Entwickelung eines einzigen der Hauptmeister übersehen. Das Material besteht aus einzelnen Werken von einzelnen bekannten Künstlern, aus einzelnen Bildern, deren Urheber wir nicht kennen, und aus der literarischen Überlieferung von Namen einzelner Künstler, deren Werke vollständig untergegangen scheinen.


* * *

Es lässt sich freilich erkennen, dass der ganz außerordentliche Aufschwung der Stadt auch in der Malerei ihren Ausdruck fand.

Hamburg hatte sich bekanntlich zu Anfang des dreißigjährigen Krieges mit einer Befestigung versehen, die es uneinnehmbar machte. Und diese Riesenwälle waren nicht wie die ebenfalls höchst stattlichen Wälle von Lübeck und Bremen dem Körper der Stadt auf den Leib geschnitten, sondern sie umgaben ihn wie ein weites loses Gewand, das auf Wachstum Rücksicht nimmt. Diese weiträumige Befestigung der Stadt ist eins der größten politischen Ereignisse nicht nur in der hamburgischen, sondern in der deutschen Geschichte.

Die Wälle gaben der aufstrebenden Stadt eine relative Sicherheit des Daseins und die Möglichkeit freier Entwicklung. Noch im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts trat Hamburg an die Spitze der deutschen Städte nicht nur. als wirtschaftliche Potenz, sondern als Kulturträgerin.

Und in dieser letzten Funktion bildete sie einen schroffen Gegensatz zu den deutschen Fürstenstädten.

Die Fürsten waren im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts der ausländischen Bildung verfallen. Als die deutsche bürgerliche Kultur der Städte zu erstarren begann und schließlich durch die ungeheure Katastrophe des Krieges fast vernichtet wurde, drang italienisches, spanisches, später französisches Wesen an die Höfe, die aus dem eigenen Lande keine Kultur von gleicher Qualität aufnehmen konnten. Weder die äußeren Lebensformen des Bürgertums, noch seine Architektur, seine dekorative Kunst, noch seine Malerei und Plastik waren geeignet, die Lebensbedürfnisse des Fürsten und seines Hofes auszudrücken. Eigene Kultur hatten Fürst und Adel des späteren Mittelalters und der Renaissance in Deutschland nicht hervorgebracht. So kam es, dass die Höfe und Residenzen in Deutschland Hochburgen fremder Sitte, Anschauung, schließlich sogar fremder Sprache wurden. Im achtzehnten Jahrhundert gehört Friedrich der Große zu den hervorragenden französischen Schriftstellern.

Wir pflegen die langsame Überwindung der Schäden des dreißigjährigen Krieges zu beklagen. Weit später wurde die Ausländerei der Höfe überwunden, ja, sie ist noch heute in ihren Folgen zu spüren. Mehr als dreihundert Jahre mussten vergehen, ehe die großen deutschen Meister der Renaissance, Dürer und Holbein, den Gebildeten ihres Volkes durch gründliche Bearbeitung ihres Lebenswerkes wieder zugänglich gemacht wurden. Noch heute gehört die Vertrautheit mit ihren Werken und ihrem Wesen nicht zu den Erfordernissen der allgemeinen Bildung bei ihrem eigenen Volke, das Raffael, Michel Angelo, Lionardo und Tizian viel besser kennt. Von Schongauer weiß man noch heute kaum den Namen, und Rembrandt, der doch schließlich der allgemeinen deutschen Kultursphäre .angehört, beginnt erst eben über die Kreise der Fachgelehrten hinaus zur lebendigen Wirkung zu kommen.

Das sind untrügliche Zeichen, dass durch Jahrhunderte hindurch die Nation ihrem besseren Selbst entfremdet war. Wenn wir nichts als diese Thatsachen kennten, würden wir auf eine gewaltige und lang dauernde geistige Unterjochung unseres Volkes schließen müssen.

Innerhalb dieser von ausländischer Kunst, Sitte und Sprache überschwemmten deutschen Welt bildete Hamburg eine der einsamen Inseln deutscher Kultur. Was hier in Literatur, Musik, bildender Kunst und Gesittung geschaffen wurde, ist ein Ausdruck deutschen Wesens. In Hamburg nahm die nationale Oper, die sich an das Vorhandensein des 1677 gegründeten ersten bürgerlichen deutschen Opernhauses knüpft, ihren Ausgangspunkt, und im achtzehnten Jahrhundert erhielt, während Berlin zu einer Provinz der französischen Literatur gemacht wurde, die deutsche Literatur von Hamburg aus die nachhaltigsten Anregungen.

Auch die hamburgische Malerei des siebzehnten Jahrhunderts trägt deutschen Charakter.

Freilich konnte die einsam dastehende Stadt keine autochthone Kunst entwickeln, die mit den großen Leistungen der aufstrebenden holländischen Kultur zu wetteifern vermochte. Es fehlte der Hintergrund der nationalen Taten, die Holland groß gemacht und seinem geistigen Leben den großen Zug verliehen hatten.

Nach Holland vor allem war das geistige Antlitz Hamburgs gewandt. Seine jungen Künstler zogen nach Amsterdam und Harlem, wie sie im neunzehnten Jahrhundert nach München wanderten, seine Baumeister holten ihre Gedanken aus Holland. Nur in Musik und Literatur war das Leben selbständiger.

Aber auch die Maler, vor allem der vielseitigste und begabteste, Matthias Scheits, waren doch nicht bloß Nachahmer. Sie haben innerhalb der allgemeinen holländischen Art ihrer Kunst ganz besondere und hamburgische Züge.

In der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts scheint das Bildnis den Hauptinhalt unserer Malerei auszumachen.

Die zweite trägt dagegen einen universellen Charakter.

Den Schmuck der palastartigen Wohnhäuser und der großen Säle des Rathauses bilden große mythologische Gemälde, deren Vorhandensein freilich fast nur literarisch überliefert ist. Wir besitzen kaum noch andere Beispiele als die Deckengemälde der beiden Säle aus dem Bostelmannschen Hause, die seit kurzer Zeit im Museum für Kunst und Gewerbe ihre Aufstellung gefunden haben.

Daneben wurden religiöse Stoffe behandelt, und die Bildnismalerei und der Bildnisstich wachsen außerordentlich ins Breite. Das Gefühl der Erlösung und des Aufatmens nach Schluss des dreißigjährigen Krieges erzeugt in den Bildern von M. Scheits eine Nachblüte der holländischen Gesellschaftsschilderung, die in Deutschland ganz einzig in ihrer Art zu sein scheint. Ebenso giebt es eine anziehende und eigenartige Bauernmalerei. Es wird das Volksleben auf dem Eise geschildert, Straßenbilder, Architekturstücke oft riesigen Formates haben uns ein Bild der Stadt aufbewahrt, die Seemalerei ist populär — namentlich die Schilderung des Walfischfanges — ideale Stadtbilder und Porträtansichten südlicher Seehäfen werden entworfen, das Tierstück, das Blumenstück, das Fruchtstück, das Stillleben jeglicher Art finden ihre Spezialisten.

Dass dies alles als ein Zeichen umfassenden Interesses an der Welt bedeutet, ergibt sich durch einen Vergleich mit dem Inhalt der hamburgischen Malerei um 1720. Von all' den mannigfaltigen Stoffen sind fast nur das Bildnis und das Blumenstück noch übrig.

Hoffentlich gelingt es der späteren Forschung noch, die auf fremde Namen getauften Werke unserer hamburgischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts zu bestimmen und die in Privatsammlungen vergrabenen Werke ans Licht zu fördern. Was wir bisher kennen gelernt haben, giebt uns die Überzeugung, dass diese Episode unserer heimischen Kunst nicht nur der lokalen, sondern der deutschen Kunstgeschichte angehört. Das Beste, was sie uns hinterlassen, würde, wenn es französisch und im Besitz des französischen Staates wäre, im Louvre hängen.

Dass uns so wenig Bildnisse im Original erhalten sind und auch in Stichen nur eine verhältnismäßig geringe Anzahl, ist bei der Tüchtigkeit einzelner Leistungen sehr zu bedauern. Es lassen sich kaum ein paar Dutzend Ölgemälde in Hamburgischen und auswärtigen Sammlungen aufzählen.

Kindt, Dittmer, Luhn, Jacobsen, Scheits müssen als Hauptvertreter der einheimischen Bildnismalerei gelten.

Sie stehen, soweit sie nicht, wie es beim älteren Luhn der Fall zu sein scheint, aus Holland stammen, unter niederländischem Einfluss. Eine im engeren Sinne hamburgische Schule lässt sich nicht erkennen.

Neben den Männern, die im öffentlichen Leben stehen, dem Prediger, dem Ratsherrn, dem Professor am akademischen Gymnasium, das im siebzehnten Jahrhundert den Rang einer Universität und sehr großes Ansehen weit über Hamburg hinaus genoss, fehlen die für das Haus berechneten Familienbildnisse intimeren Charakters nicht.

Die Menge des Untergegangenen muss sehr groß sein. Von Luhn und Scheits sind nur zwei oder drei Bildnisse im Original erhalten, von Jacobsen kenne ich nur eins.

Balthasar Denner
Senator Paridom Coldorf
Kunsthalle

Es ist gewagt, aus den spärlichen Resten allgemeine Charakterzüge der hamburgischen Bildnismalerei im siebzehnten Jahrhundert rekonstruieren zu wollen.

Doch lässt sich aus dem Kontrast mit den Werken der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts ein geringeres Maß von äußerlich repräsentativer Würde und eine kräftigere Dosis schlichter Menschlichkeit überall erkennen. Erst die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts nimmt diese Tradition langsam wieder auf.

Auch die malerischen Probleme sind tiefer und werden energischer angefasst als im achtzehnten Jahrhundert, das viel zu viel Respekt vor der Vornehmheit der dargestellten Persönlichkeit hatte, um einen Schritt in das freie Gebiet der Intimität oder der malerischen Ausdrucksmittel, namentlich einer energischen Beleuchtung zu wagen. Lichtwirkungen, wie sie Luhn in seinen Bildnissen anstrebt, liebt das achtzehnte Jahrhundert nicht. Dagegen geht es im dekorativen Arrangement mit Vorhängen und Säulen über das Maß des siebzehnten Jahrhunderts weit hinaus. Dieses sieht das künstlerische Ziel in der schlichten oder dramatischen Darstellung des menschlichen Charakters. Das achtzehnte Jahrhundert suchte auch im Bildnis ein Mittel, die Persönlichkeit durch Würde und Vornehmheit zu erhöhen.

Werke von einem Reichtum poetischer und philosophischer Assoziationen wie Luhns Familienbildnis, oder von so dramatischer Kraft wie sein Astronom in der Braunschweiger Galerie, sind auf dem Boden des achtzehnten Jahrhunderts nicht denkbar.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Bildnis in Hamburg. Band 1
032 Coldorf, Paridom (?) Hamburger Senator (B. Denner)

032 Coldorf, Paridom (?) Hamburger Senator (B. Denner)

alle Kapitel sehen