Das sechzehnte Jahrhundert

Es ist auffallend, dass wir gegenüber der Reihe von Gemälden, die uns aus dem fünfzehnten Jahrhundert immerhin noch erhalten sind, so wenige Werke des sechzehnten besitzen. Künstlernamen sind uns bekannt. Schon kamen fremde Meister nach dem aufstrebenden Hamburg, aber ihre Werke sind verschwunden. Ein ganzes Jahrhundert erscheint aus unserer heimischen Kunstgeschichte ausgelöscht.

Die Hauptursache liegt wohl in dem profanen Charakter, den die Kunst unter dem Protestantismus annahm.


Alle profane Kunst ist von jeher in weit höherem Masse der Vernichtung ausgesetzt gewesen als die sakrale. Was sich im Wohnhause befand, wurde gering geachtet, wenn die Mode wechselte und die ersten Besitzer gestorben waren. Es hätte in den engen Städten an Raum gefehlt, wenn die Kunstwerke im Privatbesitz von Geschlecht zu Geschlecht pietätvoll behütet und aufbewahrt worden wären. So haben denn die Bilder des sechzehnten Jahrhunderts ihren Platz an der Wand der Wohn- und Festräume denen des siebzehnten räumen müssen, die des siebzehnten denen des achtzehnten, und so fort, bis die Photographie aller Kunst des Bildnisses im Hause ein Ende machte. Erst wanderten die aus der Mode gekommenen Bilder in die Schlafräume, dann auf die Vorplätze, dann auf die Rumpelkammern, die bekanntlich jedem Werk von Menschenhand den schleunigsten Untergang bereiten. Wie schnell diese Verschiebung sich vollzieht, können wir an der Erfahrung des neunzehnten Jahrhunderts beobachten. Bildnisse aus den ersten Jahrzehnten, die wir heute nicht nur als historische Dokumente schätzen, waren bisher dem Trödel verfallen. Viele der von ihren Zeitgenossen hochgefeierten Meister von 1850 gelten schon heute für altmodisch und wenig anziehend, und es kommt vor, dass die Bildnisse von der Hand europäischer Berühmtheiten dieser Epoche auf Möbelauktionen von Althändlern ersteigert werden.

Nur wenn wir diese täglichen Erfahrungen als Ausgangspunkt nehmen, können wir die Vernichtung der künstlerischen Arbeit zahlloser Geschlechter begreifen.

Im Grunde wäre sie kaum zu beklagen, nur dass soviel wirklich große Kunst mit der gleichgültigen zusammen vernichtet wird. Wohin kämen wir, wenn alles aufbewahrt würde? Die Zerstörung erfolgt mit Notwendigkeit, damit für das neue Leben Raum wird.

Das erhaltene Material ist so unzulänglich, dass wir uns von dem Charakter der hamburgischen Kunst des sechzehnten Jahrhunderts keine Vorstellung machen können. Wir wissen nicht, wie weit eine heimische Tradition sich bildete, wie weit Einflüsse von außen reichten.

Es ist dies um so mehr zu bedauern, da wir sehr bemerkenswerte Spuren staatlicher Kunstpflege finden.

Im Jahre 1539 schickte der Senat einen jungen Bürgerssohn Namens Franz Timmermann, der bereits Proben seiner Begabung abgelegt hatte, mit Empfehlungen zu Lucas Cranach nach Wittenberg. In den folgenden fünf Jahren werden in den städtischen Ausgaben zusammen etwas über hundert Thaler für seine Ausbildung verrechnet. Es war dem jungen Künstler dabei zur Bedingung gemacht, dass er sich nach vollendetem Studium nirgends als in seiner Vaterstadt niederlassen dürfe. Für ein Bild, dass Timmermann dem Senat 1543 einsandte, erhielt er 36 Thaler ausgezahlt und wurde bei dieser Gelegenheit Ratsmaler genannt. Ein Jahr nachher hatte Lucas Cranach für eine Darstellung der Eroberung des Schlosses Wolfenbüttel 24 Thaler bezogen. Es ist bei der geringfügigen Summe nicht unmöglich, dass es sich um eine unter Cranachs Aufsicht oder nach seinen Angaben ausgeführte Gesellenarbeit Timmermanns handelt.

B. Graat
Herren aus der Familie Willinck
Besitzer Herr Theodor Willinck

Es hat für uns etwas Beschämendes, dass es um 1550 einen hamburgischen Ratsmaler (Senatus pictor) gegeben hat, und dass man damals schon die Einsicht besaß, dass die Stipendien nicht dazu dienen dürften, die besonders hervorragenden künstlerischen Talente aus der Stadt zu weisen, wie es die Auffassung oder wenigstens die Praxis unseres Jahrhunderts gewesen ist.

Die Kunsthalle besitzt von Timmermann seit einigen Jahren ein bezeichnetes Bild, das in der Weise Cranachs alle Momente der Heilsgeschichte vom Sündenfall bis zum jüngsten Gericht vereinigt, ein typisches Beispiel der in primitive Darstellungsmittel zurückfallenden allegorisierenden Kunst unter dem ersten Einfluss der Reformation. Timmermann war auch als Bildnismaler tätig. Vielleicht tauchen einmal noch andere Bilder seiner Hand auf.

UNBEKANNTER MEISTER
BILDNIS DES AEPINUS
NACH DER MITTE DES XVI. JAHRHUNDERTS
ORIGINAL IN DER ST. JACOBIKIRCHE

Unter den sehr wenigen Bildnissen, die wir aus dem sechzehnten Jahrhundert besitzen, ist das in zwei Exemplaren auf uns gekommene Bildnis des Äpinus das bedeutendste. Das bessere wird in der Petrikirche aufbewahrt.

Gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts scheint eine ganz tüchtige einheimische Schule der Bildnismalerei in Hamburg geblüht zu haben. —

Es ist ein sehr ernstes Bildnis. Der Künstler hat sich offenbar die Aufgabe gestellt, den Prediger der ersten Zeit des Protestantismus auszudrücken, und er hat sie gelöst. Mit ruhigem Blick, in dem man etwas wie Zuversicht und Hoffnung lesen möchte, blickt der Dargestellte wie auf ein hohes fernes Ziel. Seine Hände halten mit festem Griff ein Buch umklammert: das wiedergewonnene Evangelium. Blick und Griff der Hand gehören zusammen.

Leider lässt die Erhaltung zu wünschen. Es mag um 1550 entstanden sein. Die Petrikirche, in deren Sakristei das Porträt hängt, besitzt es erst seit fünfzig Jahren als Geschenk des Herrn O. C. Gaedechens. Man hat es früher Hans Holbein zugeschrieben. Möglicherweise ist es mit Timmermann in Verbindung zu bringen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Bildnis in Hamburg. Band 1
030 Herren aus der Familie Willinck (?) Hamburger Reeder und Kaufleute (B. Graat)

030 Herren aus der Familie Willinck (?) Hamburger Reeder und Kaufleute (B. Graat)

031 Aepinus, Johannes (1499-1553) Hamburger Theologe und Reformator

031 Aepinus, Johannes (1499-1553) Hamburger Theologe und Reformator

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