Das fünfzehnte Jahrhundert

Wir kennen nur sehr wenige Reste der hamburgischen Malerei des fünfzehnten Jahrhunderts, und doch waren einst auch bei uns zahlreiche Kirchen und Kapellen mit Altären geschmückt, und in den Häusern der Wohlhabenden werden Andachtsbilder — und vielleicht Bildnisse — nicht gefehlt haben.

Das Alles ist vernichtet bis auf sehr wenige weitzerstreute Überreste. Kirchenzerstörung zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, als das Gefühl der Pietät und das Interesse an der eigenen Vergangenheit in Hamburg besonders niedrig standen, später der große Brand haben mit den Denkmälern der Vergangenheit furchtbar aufgeräumt.


Es ist kaum noch möglich, ein Bild der künstlerischen Entwickelung im fünfzehnten Jahrhundert zu gewinnen. Aber was uns erhalten ist, erlaubt den Schluss auf eine nicht unbedeutende Produktion. Einiges gehört zweifellos zu dem Bedeutendsten, was die gesamte deutsche Kunst der Epoche hervorgebracht hat.

Vielleicht ist es nicht allzu gewagt, für die erste Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts die Existenz einer Lokalschule niedersächsischen Charakters anzunehmen, der kölnischen Schule verwandt und in ihren besten Werken ebenbürtig. Die von Schlie zusammengestellten Werke des Meisters, der den Christus als Schmerzensmann in der Kunsthalle und den Thomasaltar im Schweriner Museum gemalt hat, verraten noch keinerlei Einfluss der Kunst der van Eyck, der sie zeitlich nahe stehen. Es wäre auch wunderlich gewesen, wenn die neue Kunstweise so schnell zu uns gedrungen wäre.

ADOLPH VON SCHAUENBURG
IDEALBILDNIS
HAMBURGISCHER MEISTER VON 1440

Gegen Ende des Jahrhunderts finden sich Spuren vlämischer und süddeutscher Einflüsse, letztere wohl am wahrscheinlichsten durch Kupferstiche vermittelt. So bedeutende Werke wie die des uns mit Namen noch nicht bekannten großen Meisters aus der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts scheinen nicht mehr bei uns entstanden zu sein.

* * *

Wir wissen nicht, wann in Hamburg die ersten Versuche gemacht sind, eines Menschen Bildnis festzuhalten.

Die ersten Spuren weisen auf die erste Hälfte des XV. Jahrhunderts, wenn uns auch, soviel mir bekannt, das Bildnis eines Hamburgers aus diesem Zeitalter nicht erhalten geblieben ist, man müsste denn die bildnisartigen Köpfe auf dem Thomasaltar dafür gelten lassen.

Und doch hat es wirkliche Bildnisse gegeben. In der Kirche des von Adolph von Schauenburg gegründeten Maria Magdalenenklosters, das dem alternden Fürsten schließlich die letzte Zuflucht gewährte, befanden sich bis zur Zerstörung zwei überlebensgroße Bildnisse, die seinen Namen trugen. Einmal war er stehend in voller Rüstung dargestellt, das Antlitz vom Bart umrahmt, auf dem Haupt ein reichgeschmücktes Barett. Einmal mit der Mönchskutte angetan, im offenen Sarge, das Antlitz rasiert, auf dem Scheitel die Tonsur.

Dass es sich nicht um gleichzeitige Bildnisse handelte, hat die Forschung in unserm Jahrhundert früh erkannt. Man setzte sie als Idealbildnisse an das Ende des vierzehnten Jahrhunderts, wohl fünfzig Jahre zu früh, um dies vorweg zu nehmen. Beide Kunstwerke sind auf uns gekommen, wenn auch in sehr zerstörtem Zustande und vielfach übermalt. Doch sind die Konturen und viele Einzelheiten bewahrt.

Bei diesen beiden Idealbildnissen frappieren mancherlei Umstände.

Zunächst die Tatsache ihrer Existenz. Dass den Gründern der Kirchen und Klöster von den dankbaren Geschlechtern, die ihre Segnungen genossen, noch Jahrhunderte nach ihrem Tode Denkmäler gesetzt wurden, ist kein seltenes Vorkommnis. Es sei nur an das Grabmal Kaiser Heinrichs des Heiligen und seiner Gemahlin in dem Dom zu Bamberg erinnert. Auch die doppelte Darstellung des Lebenden und des Toten gehört zum allgemeinen Bestande des Gräberschmuckes.

Aber auffallend ist es, dass statt der Grabplatte aus Messing mit der eingravierten Darstellung, der steinernen Grabplatte mit dem Relief, der liegenden Gestalt aus Erz oder Stein das Gemälde auftritt.

Dann überrascht als eine große Seltenheit der Maßstab, der über die Lebensgröße hinausgeht.

Mir ist aus Hamburg nur ein einziges Kunstwerk des fünfzehnten Jahrhunderts bekannt, das mit diesen beiden Bildnissen verglichen werden könnte. Es ist der Beischlagpfosten im Museum für Hamburgische Geschichte mit der Gestalt des Ritters St. Georg als Drachentöter.

Rüstung und Gewand — die gezottelten langen Ärmel — weisen auf dieselbe Zeit der Entstehung, also etwa auf die Jahre um 1440. Soweit sich ein Vergleich anstellen lässt, sind auch Zeichnung und Auffassung verwandt, und sehr auffallend ist für jene Zeit der gemeinsame überlebensgroße Maßstab.

Dass der Beischlagpfosten nicht wohl als das Werk eines Steinmetzen angesehen werden darf, lehrt ein Blick. Es ist eine auffallend tüchtige, reine Zeichnung, etwa von der Bedeutung hervorragender Grabplatten aus Messing, denen auch die Technik entspricht. Der ernste großartige Kopf trägt den Charakter eines Bildnisses. Wie bei den Grabplatten aus Messing handelt es sich um die Zeichnung eines Malers. Der Steinmetz hat sicher nur den mechanischen Teil der Ausführung geleistet.

Wenn die Vermutung, dass diese drei Kunstwerke von demselben Meister herrühren, vielleicht gewagt erscheinen mag, darf man doch der Frage nicht ausweichen, ob es aus derselben Zeit in Hamburg noch andere Kunstwerke verwandten Charakters gäbe.

Die Entstehung der Bildnisse und des Beischlagpfostens fällt in die Jahrzehnte vor 1450. Zu derselben Zeit wurde für die Kapelle der Englandfahrer und der Johanniskirche der Altar gemalt, der bei der Zerstörung der Kirche 1828 nach Schwerin wanderte und dem dortigen Museum angehört. Er schildert das Leben des heiligen Thomas a Becket, des Schutzpatrons der Englandfahrer, und Szenen aus der Passion.

Eine Reihe äußerer Merkmale rücken die beiden Idealbildnisse mit diesem Altar eng zusammen.

Auf beiden heben sich die Figuren von einem roten, mit goldenen Sternen besäeten Grunde ab. Beim Bildnis des lebenden Adolph von Schauenburg ist er erst durch die letzte Restauration beseitigt, die den üblichen Goldgrund an die Stelle setzte. Alte Abbildungen zeigen noch die Sterne.

Das Kostüm der Ritter auf dem Thomasaltar hat eine verwandte Zotteltracht.

Am auffallendsten ist jedoch die Übereinstimmung der Engel über der Leiche Adolphs mit den Engeln auf dem Schweriner Altar. Selbst bei dem heutigen Zustande der Übermalung springt die nahe Verwandtschaft in die Augen.

Auch Rüstung und Tracht des St. Georg erinnern an das Kostüm auf den Schweriner Bildern. Doch könnte dies aus der Gleichzeitigkeit und dem gemeinsamen lokalen Ursprünge hinlänglich erklärt werden. Aber auffallend ist die innere Verwandtschaft des durchaus bildnismäßigen schurrbärtigen Gesichts mit den ebenfalls schnurrbärtigen Kriegern des Thomasaltars.

Wenn es beanstandet werden sollte, aus diesen Zeichen auf die Identität des Urhebers zu schließen, so weisen sie wenigstens auf eine ausgesprochene Verwandtschaft. Übrigens hat sich bereits einer der besten Kenner der niederdeutschen Malerei dieser Epoche, Dr. A. Goldschmidt, meiner Vermutung angeschlossen. Auf dem Schweriner Altar fallen zahlreiche lebendige Physiognomien auf, die in ihrer durchaus individuellen Bildung schwerlich der Phantasie des Künstlers entstammen, sondern als Bildnisse unserer Vorfahren aus dieser fernen Epoche gelten dürfen.

ST. GEORG
ALS DRACHENTÖTER
BEISCHLAGPFOSTEN
HAMBURGISCHER MEISTER
UM 1440
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Bildnis in Hamburg. Band 1
027 Schauenburg, Adolph von (Idealbild) Edler Herr v. Schauenburg, Graf von Holstein 1440

027 Schauenburg, Adolph von (Idealbild) Edler Herr v. Schauenburg, Graf von Holstein 1440

028 Schauenburg, Adolph von (Idealbild) als Mönch im Sarge 1440

028 Schauenburg, Adolph von (Idealbild) als Mönch im Sarge 1440

029 St. Georg als Drachentöter, Beischlagposten (Hamburgischer Meister) um 1440

029 St. Georg als Drachentöter, Beischlagposten (Hamburgischer Meister) um 1440

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