Balthasar Denner 1685—1749

Seit fast einem Jahrhundert wird von Balthasar Denner mit überlegenem Lächeln oder gar mit Achselzucken gesprochen. Aber er gehört doch zu den sehr wenigen Künstlern, deren Name jedem Gebildeten geläufig ist, während so viele größere als er kaum von der Kunstgeschichte noch registriert werden. Worin liegt die Ursache dieser auffallenden Erscheinung?

Nicht in der großen Anzahl und der gleichmäßigen Bedeutung seiner erhaltenen Werke. Der weitaus größte Teil ist in schwer zugänglichen Schlössern und im Familienbesitz dem Blick des Publikums entrückt. Auch nicht in der Eigenart der Mehrheit seiner Bilder, die in den berühmten Galerien Mittel- und Nordeuropas ausgestellt sind. Die meisten würden ohne den Namen heute kaum Beachtung finden.


Sein Ruhm schreibt sich vielmehr von einem knappen Dutzend Studienköpfe her, die in Wien, München, Dresden, Schwerin und Paris noch heute das Staunen der Galeriebesucher erwecken. Diese Studienköpfe haben seiner Zeit einen neuen Typus aufgestellt, wurden maßlos bewundert, um nachher ebenso maßlos verurteilt zu werden.

Es sind Bravourstücke der intimsten Detailbeobachtung und der subtilsten Technik. Denner hat in ihnen die Methode der holländischen Blumenmaler des Typus van Huysum und Rachel Ruysch auf die Wiedergabe des menschlichen Antlitzes übertragen. Wie es das höchste Ziel dieser Blumen- und Fruchtmaler war, die grünen angegilbten und angefressenen Blätter mit den Raupen, Käfern und Tautropfen darauf, die Petalen der Rosen, des Mohns und der Nelken mit den Fliegen und Schmetterlingen nach der Form, Materie und Farbe so absolut getreu wiederzugeben, dass dem bloßen Auge die äußersten Finessen der Bildungen so deutlich wahrnehmbar erschienen

BALTHASAR DENNER
DREI KINDER VON BROCKES
ÖLGEMÄLDE KUNSTHALLE ZU HAMBURG

wie in der Natur, und dass es sich bei der Vertiefung in das Detail — wie vor der Natur selbst — nach einer Lupe sehnen musste, so hatte Denner den Kopf eines alten Mannes oder einer alten Frau mit tausend Runzeln, Fältchen und Stoppeln wie eine große Frucht gemalt, wie ein Stilleben von Haut und Haaren. Das Wort, mit dem diese Kunststücke im Jargon des Hamburger Kunsthandels seit alter Zeit unterschieden werden, trifft die Sache: man nennt sie Porendenner, um sie von der Unzahl breiter behandelter Studienköpfe des Künstlers zu unterscheiden. Die Porendenner sind selten. Einen besitzt die Kunsthalle aus der Sammlung Wesselhoeft. Aber er ist nicht so bedeutend wie die beiden Wiener. Auch in Dresden, München, Schwerin finden sich Beispiele. Die hervorragendsten sind freilich wohl die Wiener.

Diese Studienköpfe stehen im Mittelpunkt der künstlerischen Tätigkeit Denners. In ihnen gipfelt seine Leistung als Techniker, und, soweit geduldige Technik in Betracht kommt, auch ein Zweig der Malerei überhaupt, und sie werden wohl auch die innerste Neigung der Seele Denners offenbaren. Seine Bildnisse sind nicht nach demselben Prinzip behandelt. Sie haben mit den Studienköpfen eigentlich nur das gemein, dass sie wesentlich nur Gesichter sind. Alles andere scheint ihm gleichgültig zu sein, aber die Intensität der materiellen Wirkung dieser Gesichter ist doch hin und wieder so stark, dass alles Beiwerk an Perücken, Halskrausen und Gewändern daneben versinkt, und man den Eindruck erhält, als hätte ein wirklicher Mensch sein Antlitz durch einen Ausschnitt der bemalten Leinwand gesteckt. Aber es wirkt doch nicht nur die frappante Wiedergabe der materiellen Erscheinung.

BALTHASAR DENNER
DIE KARSCHIN
ÖLGEMÄLDE KUNSTHALLE ZU HAMBURG

Diese Antlitze sind so gut ein Produkt seiner Epoche wie Denners Malerei. Die bartlosen Männergesichter mit weichem, fettem Fleisch und doppeltem Kinn haben die Blässe des Zimmerbewohners. Ihre Träger waren in ihrer kostbaren Toilette zu allen möglichen Rücksichten gezwungen gegen Wind und Wetter. Im Wagen, in der Sänfte bewegten sie sich über die schattigen Strassen, begaben sie sich in ihre kühlen Landhäuser.

Sie lebten ein Dasein, das an ihre physische Kraft keine Anforderungen stellte. Die Wälle wurden von Söldnern bewacht, in den Kampf zogen die Söldner. Jagd und Sport waren im siebzehnten Jahrhundert mehr und mehr eingeschlafen. Die Berührung mit der Natur wurde kaum anders als durch die Blumenpflege gesucht, die allerdings in hoher Gunst und Blüte stand. Bei solchem Leben entstanden die blassen fetten Masken, und wo die Neigung zur Beleibtheit dem Körper nicht innewohnte, da gab es welke zarte Gesichter, die etwas Altjüngferliches annahmen. Wenn man Denner als Bildnismaler begreifen will, so muss man sich vor Augen stellen, was das für Menschen waren, die er vor sich sah. Er, der sanfte Mennonit, war geschaffen, gerade dieser Generation gerecht zu werden. Vor einer Schützenkompanie von Frans Hals mit der Wildheit und Energie der Männer, die Pulver gerochen, Blut fließen gesehen und im Felde übernachtet hatten, wäre Denner nicht am Platze gewesen.

BALTHASAR DENNER
KNABENBILDNIS
ÖLGEMÄLDE KUNSTHALLE ZU HAMBURG

In der Sammlung der Kunsthalle gehören die drei Ratsherrenbildnisse zufällig drei Typen an. Bürgermeister Weyse ist ein sehr beleibter vollblütiger Herr mit blühender Gesichtsfarbe und energischem Blick und Mund; Paridom Coldorf ein magerer zarter Mensch, dessen vergrämtes Diplomatengesicht etwas effeminiertes hat; aus dem dritten Bildnis blickt ein blasses, wie gepudert wirkendes Antlitz mit leichtem, wie festgewachsenen oder im Fett erstickten Lächeln und etwas wie einem Schimmer von verhaltenem Humor im Blick.

Vor diesen drei Köpfen lässt sich der alte Vorwurf, dass Denner sich um die Seele nicht gekümmert habe, doch nicht aufrecht erhalten. Was die Züge der Menschen seiner Epoche unter der gleichmäßigen Maske des vornehmen Selbstbewusstseins und der beständigen Repräsentation an individuellem Leben besaßen, ist ihm nicht entgangen. Man fühlt in diesen Augen, die eigentlich nur als Dunkelheit im Gesicht angegeben sind, eine sinnende Seele. Manche Bildnisse Denners haben geradezu etwas Träumerisches.

Aber er geht mit der Charakteristik in der Regel nicht über das Gesicht hinaus. Haltung und Bewegung individualisiert er nicht. Alle seine Modelle tragen den Kopf aufrecht, wie es die Zeit verlangte. Man darf auch hier von ihm nicht fordern, was innerhalb unseres Bürgertums zu seiner Zeit nicht zu leisten war, und um ihm gerecht zu werden, braucht man sich nur vorzustellen, dass Bürgermeister Weyse, Senator Coldorf oder der behagliche Herr mit dem blassen Gesicht uns in irgend einer nachlässigen oder nur bequemen Haltung vorgeführt werden, mit gestütztem Kopf (die Perücke!), in einen Lehnstuhl versunken, auf eine Brüstung gelehnt.

A. Paulsen
Senator Joachim Coldorf
Kunsthalle

Denner war offenbar so sehr entwöhnt, den Körper zur Charakteristik mitzuverwenden, dass er es auch da unterließ, wo die dreifache Tellerkrause, die Perücke und das feierliche Habit ihn nicht beengten. Auch auf unserm Bildnis des Knaben mit dem rot abgefütterten Strohhut und dem türkisfarbenen, mit silbernen Schnüren besetzten Rock enthalten Auge und Mund die — ebenfalls schon verhalten sich äußernden — Züge eines freundlichen Temperaments, und bei dem Bildnis der Karschin, ebenfalls in unserer Sammlung, möchte man in der stolzen Haltung des Kopfes und dem festen Blick des Auges etwas von dem Selbstbewusstsein der Dichterin zu lesen. Aber der Körper fehlt ganz.

Als sein Ruhm wuchs und damit die Zahl seiner Aufträge, scheint sich Denner mehr und mehr damit begnügt zu haben, nur das Gesicht selber zu malen, den Rest aber mit fremder Hülfe, in der spätesten Zeit wohl meist von seinem Sohn und seinen Töchtern ausführen zu lassen. Im Schweriner Museum finden sich sechsundvierzig Bildnisse, auf denen bei seinem Tode nur der Kopf fertig geworden war, und Schlies Vermutung, dass er den Rest ohne Zurateziehung der Natur habe vollenden oder vollenden lassen wollen, drängt sich unabweisbar auf.

Es muss sogar schon Denners Zeitgenossen diese Vernachlässigung des Körpers, an die sich der Künstler gewöhnt zu haben scheint, aufgefallen sein. Zwar beginnt er seine große Laufbahn mit einem Gemälde, auf dem er den Holstein-Gottorpschen Hof, einundzwanzig Personen, sein eigenes Bildnis eingerechnet, dargestellt hatte. — Es wäre interessant, über dieses Bildnis näheres zu erfahren. — Aber als unser Ratsherr Brockes seine neun Kinder von Denner malen ließ, machte er zur Bedingung, dass Denner nur die Köpfe malen sollte. Für alles übrige hatte Brockes andere Künstler bestimmt, Jacob van Schuppen für die Körper, Tamm für die Blumen, Franz de Paula Ferg für die Landschaft. In dieser Form wurde das wichtigste der drei Gemälde auch ausgeführt, das auf der Rückseite in einem derben Spaß — so wirkt die Inschrift wenigstens auf uns — alle Nachrichten über die Kinder und die Künstler enthält. Die übrigen beiden sind offenbar ganz von Denner vollendet. Der Unterschied ist denn auch sehr groß, sowohl in der koloristischen Haltung wie in der Zeichnung. Die Proportionen und die Form der Hände auf den beiden rein Dennerschen Bildern zeugen von großer Unsicherheit und wenigstens Gefühllosigkeit.

Die drei Bilder sind wichtige Dokumente. Ihre Datierung bleibt freilich unsicher. Wir wissen nicht, ob sie in demselben Jahre entstanden sind. Nur durch das Datum von Tamms Tod 1724 lässt sich der äußerste Termin bestimmen. Es ist nicht wahrscheinlich, dass Tamm, van Schuppen und Ferg sich in Hamburg befunden haben, um ihren Anteil auszuführen. Ferg aus Wien war seit 1724 in London tätig, mag aber auch in Hamburg sich aufgehalten haben, da er vorher in Dresden und Braunschweig lebte. Jacob van Schuppen lebte in Wien, wo er von 1726 ab die Akademien reorganisierte. Tamm ist unser Hamburger Blumenmaler, der nach Wien berufen wurde. Die Verbindung ging sicher über Tamm, den „großen Tamm“, den Brockes als Blumenmaler besungen hat. Vielleicht wurde die Leinwand mit Denners Köpfen nach Wien gesandt und dort von den drei übrigen vollendet. Das dürfte zwischen 1715 und 1720 stattgefunden haben, was auch mit dem Alter der Kinder stimmen möchte. Das Kostüm auf dem gemeinschaftlichen Bilde scheint mir für die Entstehung in Wien zu sprechen, denn der Kragen am Rock kommt auf hamburgischen Bildnissen derzeit, soviel mir bekannt, nicht vor.

Die andern beiden Bildnisse werden dann wohl etwas später anzusetzen sein. Auf dem Hauptbilde ist durch einen überhängenden Felsen links oben eine Grotte als Aufenthaltsort der Kinder angedeutet. Die Wölbung der Grotte bildet nun auf den beiden andern den Hintergrund; wo die Erfindung des Motivs zu suchen ist, scheint nicht fraglich.

BALTHASAR DENNER
BILDNIS EINES HERRN
KÖNIGLICHE GEMÄLDEGALERIE BERLIN

Auf allen drei Bildern sind die Knaben kleine Herren und die Mädchen kleine Damen. Sie sind schon durch ihre kostbare Kleidung und ihr gepudertes Haar dem wilden Kinderleben entrückt. Ihre Geberden sind zierlich und elegant und haben nichts von der Unbewusstheit des Kindes. Sogar das Jüngste im langen Tragekleid macht eine weisende Bewegung. Die Ältesten haben schon etwas von der studierten Grazie, wie sie das Menuett verlangt. Ein einziges freundliches und kindliches Motiv kommt in den Bewegungen vor — zweimal sogar — : dass ein älterer Bruder seine Hand schützend um den Hals einer kleinen Schwester legt. Aber mit völliger Abwesenheit einer naiven Regung auf dem Hauptbilde wenigstens. Auch das gibt sich als Repräsentation.

Die Zeit sah übrigens weit mehr Natur, als sie im Bildnis wiederzugeben für gut fand. Brockes hat uns selber viel lebendigere und anmutige Bildnisse seiner Kinder hinterlassen in seinem Gedicht vom umgewehten Kirschbaum, in dem von der geschorenen Allee, durch deren Lichtung sie vor ihm vorüberlaufen, ohne ihn zu sehen, der im Dunkeln sitzt, und namentlich in den rührenden Versen, die das Schlafzimmer der Kinder schildern, in das er am Sommermorgen eintritt. Hier sieht er ganz genau, wie jedes Kind selbst im Schlaf seine eigene Haltung hat. Wie weit ist diese dichterische Anschauung an Fülle von Natur der künstlerischen Gesamtauffassung auf den Bildnissen überlegen. Auf den Bildern ist nur das Detail wahr, die Gesamthaltung konventionell.

Nur die Gesichter enthalten, wenn man durch die Hülle der Konvention blickt, ein erhebliches Maß von Individualisierung, namentlich auf den beiden rein Dennerschen Bildern, wo sie freilich auch ganz aus dem Rest der Malerei herausfallen.

Als Kinder des Dichters, der uns das „Irdische Vergnügen in Gott“ beschert hat, sind sie mit Blumen und Früchten geschmückt oder beschäftigt. Die Arbeit Tamms mit der auf den Bildern aus Denners Werkstatt zu vergleichen, gibt wichtige Aufschlüsse. Die Blumen und Früchte der beiden rein Dennerschen Bilder dürften übrigens nicht von Denner selbst herrühren, sondern von seiner Tochter Maria. Es gibt freilich Stilleben von Balthasar Denner. Das beste mir bekannte, ein Fruchtstück, befindet sich bei Herrn Hauptmann Gaedechens in Hamburg. Zwei weniger bedeutende besitzt die Kunsthalle. Hier wie in den Blumen, mit denen das Haar der Bräute geschmückt ist, deren Bildnisse eine Spezialität Denners ausmachten, offenbart sich ein viel feineres Gefühl für Farbe und Stoff, als die Früchte und Blumen der beiden Kinderbildnisse verraten.

Soweit lässt sich aus den Sammlungen der Kunsthalle ein Bild des Meisters gewinnen, der überall als der Hamburger Meister an sich gilt.

Was in öffentlichen Galerien zu Schwerin, Braunschweig, Gotha, Berlin, Dresden, Nürnberg, München, Wien, Kopenhagen, Stockholm und Paris von Denner ausgestellt ist, fügt kaum noch wesentliche Züge zu seiner Charakteristik hinzu. Die fünf Denner der Eremitage in St. Petersburg sind mir leider nicht bekannt.

In Hamburg befinden sich außerhalb der Kunsthalle nicht sehr viele Werke des Künstlers mehr. Das Rathaus bewahrt seine Ratsherrnbildnisse, Miniaturen in Öl, die Galerie Weber besitzt interessante Miniaturen, Pastor Rosen einen „Porendenner“, den Kopf einer alten Frau, Herr Dr. A. H. Kellinghusen das sehr schöne Miniaturbildnis eines Vorfahren, Herr Hauptmann Gaedechens eins der liebenswürdigsten der berühmten Brautbildnisse Denners, wie sie in verschlossenen Kasten gegen Luft und Licht geschützt und mit großer Sorgfalt aufbewahrt wurden.

Obgleich Denner kein Italiener ist und obgleich er dem achtzehnten Jahrhundert angehört, dürfte es sich lohnen, dass ein Hamburger Kunsthistoriker einmal seinen Spuren nachginge. Soweit mir seine Werke bekannt sind, dürfte Denners Name aus einer sorgfältigen Abrechnung nicht mit vermindertem Glänze hervorgehen.

Sein Leben verfloss in steter Arbeit. — Er wurde 1685 in Hamburg geboren. Sein Vater war Mennonitenprediger.

Nachdem er in Altona bei Amama den ersten Unterricht erhalten hatte, machte er in Danzig und später in Berlin seine Studien. Kaum vierundzwanzig Jahre alt, erhielt er schon den Auftrag, das Gruppenbild des Holstein-Gottorpschen Hofes auszuführen. Von da ab wuchs sein Ruhm mit jedem Jahre, und er begann seine großen Kunstreisen anzutreten, von denen er immer wieder nach Hamburg zurückkehrte. Die holsteinischen Verbindungen führten ihn nach Kopenhagen, die hannoverschen nach England, auf der Reise dahin war er in Holland tätig. Nach England nahm er 1721 den ersten Kopf einer alten Frau mit, den er nach Herzenslust ausgeführt hatte, und in Holland sowie in London strömte alle Welt zu ihm, das Wunderwerk zu sehen. Man soll ihm in London 500 Guineen dafür geboten haben. Es ist dasselbe, das später Kaiser Karl VI. kaufte, der den Schlüssel zu dem Kasten, in dem es aufbewahrt wurde, beständig in der Tasche trug und sich später von Denner das Pendant, den Kopf eines alten Mannes, malen ließ; beide jetzt in der Kaiserlichen Galerie zu Wien. Von Hamburg aus machte er dann bis an sein Ende unzählige Reisen an die benachbarten Höfe, und auf der letzten, einer Reise an den Mecklenburger Hof, ist er in Rostock 1749 gestorben.

In Hamburg scheint er ein großes Haus gemacht zu haben. Seine Familie war in allen Künsten zu Hause. Wenn vornehme Besucher ihm für ein Bildnis saßen, so pflegten Denners Kinder sie durch Vokal- und Instrumentalmusik zu unterhalten. Der Reisende Uffenbach hat im Jahre 1710 den damals fünfundzwanzigjährigen Denner in seinem Hause in Altona aufgesucht. Wir erfahren in dem Reisebericht, dass sein Vater, der „berüchtigte Quäker“ — berüchtigt sicherlich ohne den üblen Nebensinn zu verstehen — alle Sonntag unter großem Zulauf (auch von Hamburgern) predigte, dass er von Profession ein Blaufärber sei, und dass alle Denner gar feine und fromme Leute zu sein schienen. — Auch eine Nachricht über die Preise, die Denner erhielt, danken wir Uffenbach. Ein Bildnis in Öl malte er für fünfzehn Reichstaler, in Miniatur für zwanzig, in Miniatur mit Händen für fünfundzwanzig Reichstaler. Doch galt das nur für die frühe Zeit. Die Kaiserin Elisabeth von Russland ließ ihn 1742 nach Petersburg einladen, ihr Bild in ganzer Figur zu malen, bot ihm tausend Dukaten, Ersatz der Kosten für Reisen und Aufenthalt, sowie alle Bequemlichkeiten und Freiheiten. Denner lehnte jedoch ab.

In Balthasar Denners nächster Familie wurde die Malerei von mehreren Mitgliedern ausgeübt. Jacob Denner, sein 1720 geborener Sohn, hat Vater und Mutter gemalt, wie sie am Kaffeetisch sitzen, während hinter ihnen die erwachsenen Kinder stehen: Catharina, die als Miniaturmalerin, Klavierspielerin und Sängerin einen Namen hinterlassen hat, aber, wie es scheint, kein einziges Werk, das bis auf unsere Tage gekommen [sie starb 1744 eines frühen Todes, allgemein betrauert und in Gedichten verherrlicht]; dann Esther oder Maria und, mit noch knabenhaften Zügen, Jacob Denner selber.

Das Gemälde hat etwas sehr Dilettantisches. Die Gestalten stimmen in den Verhältnissen schlecht zu einander, die Zeichnung der Hände zeigt alle Mängel, die an den eigenhändigen Werken Denners auffallen, nur noch in höherem Maße. Aber die Schilderung dieses Familienkreises hat für uns sehr großen historischen Wert.

Jacob Denner starb in jungen Jahren. Er mag das Familienbild als Jüngling von sechzehn bis. achtzehn Jahren gemalt haben.

Der eigentliche Künstler in Denners Familienkreise ist jedoch Dominicus van der Smissen geworden. Seine Eltern waren, wie Denners Familie, Mennoniten. Van der Smissen war als Schüler zu Denner ins Haus gekommen und heiratete im Jahre 1730 die Schwester des Meisters.

JACOB DENNER
BALTHASAR DENNER UND SEINE FAMILIE
ÖLGEMÄLDE
IM BESITZ VON HERRN HAUPTMANN GAEDECHENS

Über sein Leben ist sonst nicht viel bekannt. Er hat in Dresden und Amsterdam Bildnisse gemalt und sich auch in London als Bildnismaler längere Zeit aufgehalten. Nach der Rückkehr von London, wo ihn die Gicht befallen hatte, starb van der Smissen im Jahre 1760. Vor einem Menschenalter gab es noch viele Werke des Künstlers im Hamburger Besitze, Landschaften, die heute ganz unauffindbar zu sein scheinen, Stillleben, die sehr selten geworden sind, und Bildnisse, die ebenfalls nicht häufig mehr vorkommen. Die Kunsthalle besitzt nur Bildnisse. Nach den mir bekannt gewordenen Werken ist van der Smissen seinem Lehrer in der Regel sehr nahe geblieben. Doch geht er in der Charakteristik gelegentlich viel intimer auf die Haltung des Körpers ein, als Denner es für nötig zu halten pflegte, und gibt dann auch wohl das Schauspiel einer sehr energisch einfallenden Beleuchtung, wie auf dem Selbstbildnis (Gaedechens-Stiftung) in unserer Galerie. Nach der Haltung und der Farbe zu rechnen, dürfte das bisher als Denner bezeichnete Bildnis Hagedorns in der Kunsthalle von van der Smissen herrühren. Sein Selbstbildnis in Braunschweig sieht aus wie ein Seitenstück dazu. Von Denner ist mir kein Bildnis in ähnlicher bezeichnender und ungezwungener Haltung bekannt. Auch ist mir nicht erinnerlich, von Denner ein Bildnis mit Neglige gesehen zu haben, ein Motiv, das in seiner Generation der Kunst noch ferner lag, und das nachher eine zeitlang so beliebt wurde. Auf den wenigen mir bekannten Bildnissen von van der Smissen kommt es dreimal vor. Auch koloristisch stimmt der Hagedorn besser zur Gruppe der van der Smissenschen Bilder als zu der Dennerschen. Die Farben sind einen Grad blasser und stumpfer als bei Denner. van der Smissen sucht eine kühle graue Stimmung. Das beste der Selbstbildnisse besitzt Herr Hauptmann Gaedechens. Während der Körper im Profil nach rechts gewandt ist, dreht sich der Kopf beinahe en face nach dem Beschauer. Solche energische Bewegungen sind selten bei Denner. Auch dass van der Smissen auf diesem Bilde den Dreispitz trägt, fällt neben Denners Männerbildnissen auf. Die Bemerkung im Hamburger Künstlerlexikon, dass manche Kenner van der Smissens Bildnisse wegen des geistvolleren Ausdrucks und der ungezwungeneren Zeichnung vorziehen, wird danach wohl verständlich. Zahlreiche Bildnisse van der Smissens sind von den Stechern seiner Zeit vervielfältigt worden.

DOMINICUS VAN DER SMISSEN
SELBSTBILDNIS
ÖLGEMÄLDE
IM BESITZ VON HERRN HAUPTMANN GAEDECHENS

DOMINICUS VAN DER SMISSEN
SELBSTBILDNIS
HERZOGLICHES MUSEUM ZU BRAUNSCHWEIG

DOMINICUS VAN DER SMISSEN
META MOLLER KLOPSTOCKS ERSTE GEMAHLIN

Besonderes Ansehen scheint zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts die Bildnismalerin M. F. Eggebecken genossen zu haben, die dem Dennerschen Kreise nahe steht. Der Name ist vielleicht die weibliche Form von Eggebeck. Eine ältere Eggebeck mit dem Vornamen Maria Eva, Gattin eines fürstlich schleswig-holsteinischen Leibchirurgen, wird ebenfalls als tüchtige Bildnismalerin erwähnt. Das hamburgische Künstlerlexikon spricht die Vermutung aus, sie sei die Mutter der obigen gewesen. In der Sammlung von Miniaturbildnissen hamburgischer Ratsherren, die ehemals auf der Stadtbibliothek aufbewahrt wurden und jetzt wieder im Rathaus hangen, sind von ihr gemalt die Bildnisse von J. Andersen, Rütger Ruland, J. A. Winkler, J. Schlüter und Matthias Mutzenbecher, die von C. Fritzsch gestochen wurden. Es scheint, als ob außerdem fast alle ihre Arbeiten untergegangen seien. Nach dem Bildnisse des Syndikus Schlüter zu rechnen, das Fritzsch gestochen hat, muss sie eine energisch zupackende Natur gewesen sein. In Auffassung und Technik stand sie Denner sehr nahe. Ihre Miniaturen der Ratsherrenbildnisse sind den seinen zum Verwechseln ähnlich.

MARIA EGGEBECKEN
SYNDICUS JOHANNES SCHLÜTER
GESTOCHEN VON FRITZSCH 1728
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Bildnis in Hamburg. Band 1
043 Drei Kinder von Brockes (Denner)

043 Drei Kinder von Brockes (Denner)

044 Die Karschin (Denner)

044 Die Karschin (Denner)

045 Knabenbildnis (Denner)

045 Knabenbildnis (Denner)

046 Coldorf, Joachim (1656-1749) Hamburger Senator (Paulsen)

046 Coldorf, Joachim (1656-1749) Hamburger Senator (Paulsen)

047 Bildnis eines Herrn (Denner)

047 Bildnis eines Herrn (Denner)

048 Balthasar Denner und seine Familie (Jakob Denner)

048 Balthasar Denner und seine Familie (Jakob Denner)

049 Smissen, Dominicus van der (1704-1760) deutscher Maler (Selbstbildnis)

049 Smissen, Dominicus van der (1704-1760) deutscher Maler (Selbstbildnis)

049B Smissen, Dominicus van der (1704-1760) deutscher Maler (Selbstbildnis)

049B Smissen, Dominicus van der (1704-1760) deutscher Maler (Selbstbildnis)

050 Moller, Meta (1728-1758) Hamburger Schriftstellerin, Klopstocks erste Frau (Smissen)

050 Moller, Meta (1728-1758) Hamburger Schriftstellerin, Klopstocks erste Frau (Smissen)

051 Schlüter, Johannes (1616-1686) Hamburger Syndikus und Bürgermeister (M. Eggebecken)

051 Schlüter, Johannes (1616-1686) Hamburger Syndikus und Bürgermeister (M. Eggebecken)

alle Kapitel sehen