Das Achtzehnte Jahrhundert

Anfang und Ende des achtzehnten Jahrhunderts liegen weit auseinander und bilden einen starken Kontrast. Der Anfang gehört dem Zeitalter der Verfürstlichung auch des bürgerlichen Lebens, gegen das Ende tritt die Verbürgerlichung auch der fürstlichen Sphäre ein.

So ist das Bildnis des Bürgers ein anderes, ob es von Paulsen und Denner oder ob es von Graff gemalt wird.


Bis gegen 1750 besaß Hamburg an Balthasar Denner, seinem Schüler van der Smissen und der Eggebecken einheimische Bildnismaler, die nicht allein den Bedarf deckten, sondern von Hamburg aus über ganz Nordund Osteuropa in hohem Ansehen standen. Es waren die letzten deutschen Bildnismaler von europäischer Bedeutung. Um die Mitte des Jahrhunderts ändert sich der Zustand. England entwickelt zum ersten Mal eine eigene große Schule der Bildnismalerei. Im ganzen übrigen Europa herrscht französische Kunst vor Graff und Chodowiecki haben nur mehr ein deutsches Publikum.

In Hamburg gibt es von 1750 ab eine größere Anzahl einheimischer Bildnismaler, die den Tagesbedarf decken. Aber keiner nimmt mehr die Stellung ein, die sich Denner in der ersten Hälfte errungen hatte. Die Mitglieder der vornehmen Stände lassen sich auf Reisen von europäischen Berühmtheiten malen, und aus der Ferne kommen Bildnismaler nach Hamburg, um auf der Durchreise oder bei längerem Aufenthalt dem mit der zunehmenden Wohlhabenheit wachsenden Bedürfnis zu genügen.

Es ist dies mit eine Folge der mangelnden Kunstpflege auf hamburgischem Boden. Solange die Verbindungen beschwerlich waren und das Reisen nicht ohne Lebensgefahr vor sich ging, blieb der Austausch der Kräfte immerhin beschränkt. Wo ein etwas abgelegener Ort, wie Hamburg, eine wohlhabende, gebildete Bevölkerung besaß, musste notgedrungen der Hauptbedarf mit einheimischen Kräften gedeckt werden, die im freien Wettbewerb den Sporn zur Entwicklung fanden.

Aber von der Mitte des Jahrhunderts ab offenbaren sich die Ergebnisse der Kunstpflege an den deutschen Fürstenhöfen, wo, wie in Berlin, Dresden, München, die Akademien dafür sorgten, dass ein gewisses Niveau der Leistungen erhalten blieb. Die Rückwirkung hob in Hamburg die bis dahin immer noch gewahrte Selbständigkeit auf, und es beginnt damit die Epoche, wo es von der Kraft und dem Glück des Einzelnen abhängt, wie weit er sich gegen den Zufluss von außen zu halten vermag. Seine Aussichten waren dabei um so geringer, da der Deutsche bekanntlich nicht zu schätzen geneigt ist, was „nicht weit her“ ist.

Der unmittelbare holländische Einfluss beginnt im achtzehnten Jahrhundert bei uns mehr und mehr aufzuhören. Von etwa 1750 wenden sich die Talente nach den deutschen Akademiestädten, namentlich nach Dresden und, wie es scheint, erst in zweiter Linie nach Berlin. Neben 'ihnen erhebt sich allmählich Kopenhagen, das durch Jens Juel, der in Hamburg seine ersten Studien gemacht hatte, einer neuen Zeit entgegengeführt wurde.

In Hamburg, dessen wirtschaftlicher und geistiger Einfluss bis zum Ende des Jahrhunderts im Wachsen begriffen war, dessen Privatsammlungen allmählich die reichsten ihrer Art in Deutschland geworden waren, konnte der Künstler für seine Ausbildung den festen Halt nicht finden.

Nach einer unverhofften Epoche der Selbständigkeit in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts unter Runge, Aldenrath und Gröger, später den Gensler, Speckter, Kauffmann, die sich in klarem Bewusstsein ihrer hamburgischen Art zusammengeschlossen hatten, sind wir in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wieder in das alte Chaos zurückgefallen. Und durch die Vermehrung der Zahl der Akademien, durch die Entwicklung des Ausstellungswesens und des Kunsthandels, lauter Faktoren, die in Hamburg bisher wenig oder gar nicht in Betracht kommen, treten wir bei starker materieller Entwicklung in das kommende Jahrhundert ohne die Gewähr, dass wir den Begabungen, die nach dem Naturgesetz auf unsern Anteil fallen, in der Heimat die Möglichkeit einer gediegenen Ausbildung und einer ersprießlichen Tätigkeit zu bieten im stände sein werden.

Die Zustände der zweiten Hälfte des achtzehnten und der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts sollten uns ein Memento sein, mit aller Kraft auf die Schaffung einer festen Grundlage hinzuarbeiten.

Die deutsche Malerei des achtzehnten Jahrhunderts hat noch wenig Beachtung gefunden. Über einige hervorragende Künstler wie Graff, Oeser und Chodowiecki gibt es Monographien. Aber das Material an Detailuntersuchungen, das Karl Woermann für die ausgezeichnete und vorurteilsfreie erste Übersicht in seiner Geschichte der Malerei zur Verfügung stand, war doch nur sehr lückenhaft.

Wir haben unter dem Banne fremder Kunst gestanden, das lässt sich nicht leugnen, und deshalb sind fast ein ganzes Jahrhundert hindurch die meisten der zahllosen Begabungen, die uns zu teil geworden waren, von ihrem Selbst abgelenkt oder in ihrer Entwicklung geknickt worden.

Aber das letzte Urteil über den tatsächlichen Wert der Leistungen dieser verachteten Epoche ist noch nicht gesprochen, weil wir noch nicht genau genug kennen, was sie uns hinterlassen hat.

Schon Woermann weist darauf hin, dass das uns vom achtzehnten Jahrhundert hinterlassene Material sich noch meist im Besitz der Nachkommen der ersten Besteller befinde. Es ist weder von Museen noch von Privatleuten bisher ernsthaft gesammelt worden, und die Kritik hat deshalb noch nicht einsetzen können, wie bei der Kunst der vorhergehenden Jahrhunderte, die in Kirchen, Schlössern und Museen längst und leicht zugänglich ist.

Nicht einmal die überall gegründeten historischen Lokalmuseen haben sich entschlossen, systematisch zu retten, was noch zu erlangen ist.

Wo bisher der Versuch einer unbefangenen Würdigung gemacht wurde, hat sich herausgestellt, dass die ersten Epochen, die ein Urteil gefällt haben, die des Klassizismus und der Romantik, hart und ungerecht verfahren sind, weil sie in dem Bestreben, ihre eigenen Anschauungen zu rechtfertigen, die Mängel (oder was ihnen als Mängel erschien) hervorhoben und die Qualitäten entweder nicht empfanden oder ignorierten.

Und wie immer und überall, haben auch hier die ersten Urteile eine zähe Lebenskraft bewiesen. Ihre Herrschaft besteht für die Praxis eigentlich heute noch.

Es wird aber auch für das achtzehnte Jahrhundert die Zeit kommen, wo man zuerst nach der Wertseite ausschauen wird. Am letzten Ende wird die ausgleichende Gerechtigkeit des geschichtlichen Urteils in jedem Kunstwerk zuerst die Qualitäten betonen, das, was es in seiner Epoche Neues und Tüchtiges brachte.

Aber es ist noch viel Widerstand zu überwinden, für die Malerei noch mehr als für die Architektur.

Die Abkehr von den Erzeugnissen einer jüngst verflossenen Epoche ist eine Erscheinung, der man in der Musik und der Literatur ebenfalls begegnet, und deren letzte Ursache in einer partiellen Ermüdung der Kollektivseele liegen wird. Aber weder in der Musik noch in der Dichtkunst scheint die Reaktion eine so fanatische Heftigkeit anzunehmen wie in . der Malerei, Plastik und Architektur, wo sie sich bis zum Vandalismus steigert. Liegt es daran, dass bei dem Gemälde, der Bildsäule, dem Bauwerk die Möglichkeit der Zerstörung gegeben ist, der die gedruckte Partitur und das Buch nicht unterworfen sind? Liegt es daran, dass der Unlustreiz bei dem Werk der bildenden Kunst, das körperhaft stets vor Augen bleibt, stärker ist als beim Gedicht und der Partitur, die in der Wüste der Bibliotheken Niemand belästigen, der es nicht darauf anlegt, Ärgernis zu nehmen?
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Bildnis in Hamburg. Band 1