Bildnis und Bildnismalerei

Bildnisse gelten im großen Publikum heute für Kunstwerke weniger anziehenden Charakters. Unter den großen Schöpfungen alter Kunst pflegen sie am seltensten populär zu sein. Und die große Beliebtheit einiger älterer Bildnisse, die nicht einmal immer durch künstlerischen Wert hervorragen, klärt uns über die Ursachen auf. Populär im eigentlichen Sinne pflegen gewisse leicht ansprechende Schönheitstypen zu sein, wie die „Gräfin Potocka“, die „Vestalin“, „Rubens im Federhut“.

Dass das Bildnis auch künstlerisch zu der höchsten Gattung von Kunstwerken gehört, dass es dem Andachtsbild, dem Historienbild an künstlerischem Gehalt durchaus gleichberechtigt ist, spürt man nicht an der Art, wie der Durchschnittsbesucher durch die Galerien geht. Kommt er an ein Porträt, so gleiten seine Augen zum nächsten Bilde. Porträts und Stillleben pflegen der breiten Masse der Gebildeten gleichermaßen nichtssagend vorzukommen. Sie gelten beide als Kunstwerke niederer Klasse.


Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Masse im Bilde nicht Kunst, sondern nur den sachlichen Inhalt zu genießen vermag.

In Wirklichkeit gehört das Bildnis zu den wichtigsten der Stoffe, die der Künstler finden kann.

Es zählt unter die Hauptwerke der größten Meister aller Zeiten, und oft kommt es vor, dass die Nachwelt nach den religiösen, historischen und mythologischen Bildern eines Künstlers nicht fragt oder sie gar gering schätzt, während sie seine Porträts als großen Schatz hütet.

Diese Erscheinung erklärt sich aus dem Wesen des Bildnisses.

Wenn eine Epoche den sogenannten idealen Stoffen zugewandt ist, so sind die Bildnisse der feste reale Boden, auf dem die Kunst ruhen kann. Von den Niederländern des sechzehnten Jahrhunderts, deren große mythologische oder religiöse Darstellungen nach Art der Italiener uns heute trotz aller Geschicklichkeit langweilen, haben wir Bildnisse hohen Ranges, die sich neben dem Besten aller Epochen behaupten und über die ursprüngliche Begabung ihrer in der Nachahmung fremder Vorbilder abgelenkten Urheber mehr und günstiger aussagen, als alle ihre historischen Kompositionen. Und wenn wir ein Beispiel aus einer uns näher liegenden Zeit verlangen, so haben wir den großen französischen Akademiker David, der in seinen Bildern antiker Bürgertugend seine besten Eigenschaften aufzugeben scheint, während er in seinen Bildnissen so viel Ernst und Hingebung, so viel Unbefangenheit und so viele malerische Qualitäten entfaltet, wie man ihm auf jene anderen Werke hin nicht zutrauen würde. Ähnliches gilt von den Hamburger Nazarenern.

C. FRITSCH 1762
BILDNIS EINES KAUFMANNS
KUPFERSTICH

Auf der anderen Seite ist das Bildnis in Zeiten realistischer Gesinnung die höchste Aufgabe, die der Maler sich stellen kann. Bei den Holländern im siebzehnten Jahrhundert spielt es durchaus die führende Rolle. Die ganze Entwicklung der holländischen Kunst dreht sich um das Bildnis. In den großen Schützen- und Regentenstücken, die zahlreiche Figuren in Lebensgröße auf einem Bilde vereinigen, findet sie die einzigen Aufgaben monumentalen Charakters. Das Bildnis war für die Holländer die hohe Schule der Kunst. Von allen Gattungen wurde es zuerst zur Vollkommenheit entwickelt, und es wurde der Mutterstock, von dem sich die Landschafts-, Architektur-, Interieur- und die Stilllebenmalerei abzweigten. Im Regenten- oder Doelenstück finden sie sich alle noch vereinigt. Bei den Holländern tritt zuerst ein großer, allseitig begabter Meister wie Frans Hals ausschliesslich als Bildnismaler auf. Freilich hätte er seine Kraft nicht entwickeln können, wenn es bloß Brustbilder zu malen gegeben hätte.

Die Beobachtung des Bildnisses, die Erkenntnis seiner fundamentalen Wichtigkeit für die weitere Entwicklung der lebenden Kunst, das Gefühl für sein künstlerisches Wesen müsste einen der Ausgangspunkte unserer künstlerischen Erziehung, vor allem der Selbsterziehung bilden.

Wir müssen deshalb alle Gesichtspunkte aufsuchen, von denen man das Bildnis betrachten kann; nicht nur die in erster Linie künstlerischen.

Im vergangenen Geschlecht pflegte der Gebildete die Kunst

mit den Augen des Historikers anzusehen. Er studierte sie, er wollte sie begreifen, ihr Wesen historisch ergründen, statt sie mit den Sinnen und der Kraft seines Herzens zu genießen. Naturgemäss erfolgt gegen die Einseitigkeit bei unserm Geschlecht ein Rückschlag. Man will nicht mehr mit dem Auge des Historikers, sondern mit dem des Künstlers Kunst sehen.

THEODOR FRIEDRICH STEIN
DER KAUFMANN PIERRE HIS
GESTOCHEN VON CHR. FRITSCH 1763

Es liegt gewiss ein Fortschritt darin. Aber wir sind nun schon wieder soweit, dass wir uns vor Übertreibung zu hüten haben. Der Standpunkt des Künstlers ist überaus fruchtbar, kann aber ebenso leicht zu einer einseitigen Auffassung führen wie der historische. Denn der einzelne Künstler pflegt die Kunst, die er nicht selber erzeugt hat, doch mit dem Masse zu messen, das seiner Neigung und seinem Schaffen entspricht. Ebenso geht es einer Epoche, die ausschließlich vom Standpunkte ihrer Kunst urteilt.

Wie der Historiker Gefahr läuft, den Maßstab für die Qualität zu verlieren und alles interessant zu finden, so liegt bei der Betrachtung des Kunstwerks nach der Art der Künstler eine Fehlerquelle in der Einseitigkeit der Sympathie. Künstler haben selten das, was die Sprache der französischen Sammler den eklektischen Geschmack nennt. Je energischer ihre eigene Persönlichkeit ist, desto schroffer stehen sie andern energisch ausgeprägten künstlerischen Individualitäten gegenüber.

Bei einer Übersicht des Bildnisses in Hamburg würde der künstlerische Standpunkt zu einseitig sein. Er muss überall durch den historischen, in engerem Sinne den kulturhistorischen ergänzt werden.

Für den Laien, der sich in dem neuen Stoff erst zurechtfinden will, ist es geraten, die Bildnismalerei als historische Erscheinung und das einzelne Bildnis zunächst auf den Sachinhalt anzusehen.

Die Bildnisse gehören zu den wichtigsten kulturhistorischen Dokumenten, denn sie lehren unmittelbar durch die Anschauung, was jedes einzelne der aufeinanderfolgenden Geschlechter war, oder was es zu scheinen sich Mühe gab.

Zum Verständnis des Bildnisses als besonderer Gattung der Malerei gehört die eingehende Beachtung der kulturhistorischen Momente, des sachlichen Inhalts, des Kostüms, der Farbe und der Auffassung.

Von einer Entwicklung der Bildnismalerei darf nur unter scharf betonter Einschränkung gesprochen werden.

c. F. LOHR
DER KAUFMANN BEREND ROOSEN
GESTOCHEN VON J. C. G. FRITSCH 1790

Als Gattung schreitet die Bildnismalerei nicht etwa in stetiger Steigerung der Leistungen durch die Jahrhunderte. In jeder Generation wird die Entwicklung abgebrochen, in jeder macht das Bildnis eine neue Entwicklungsphase durch. Im letzten Grunde kann ja überhaupt nur bei dem einzelnen künstlerischen Individuum von einer Entwicklung gesprochen werden. Es pflegt sich in den Erstlingswerken dem Bestehenden anzuschließen, um von diesem festen Punkte aus seinen eigenen Weg zu gehen. Nur beim Genie, das mehr Einfluss übt als empfängt, kommt es vor, dass schon die ersten Schritte auf eine neue und eigene Bahn führen. In Hamburg können wir dies fast nur bei Ph. O. Runge und vielleicht noch bei den Nazarenern beobachten.

Das typische Bildnis des neunzehnten Jahrhunderts ist nicht besser und nicht schlechter als das des siebzehnten. „Die Kunst ist überall am Ziel.“

Freilich gehört das Bildnis zu den Gattungen, die nicht von Anbeginn der Malerei als selbständige Kategorie vorhanden sind. Erst im fünfzehnten Jahrhundert, als das Individuum, das im Mittelalter nur als Mitglied eines Standes oder einer Korporation seinen Wirkungskreis fand, sich zur Geltung gebracht hatte, beginnt bei den europäischen Kulturvölkern die eigentliche Bildniskunst.

Im Norden wird es zunächst als Grabmonument gepflegt. Die Zeichnungen zu den Grabplatten aus Messing, die immer als Malerarbeit aufzufassen sind, gehören zu den frühesten Erzeugnissen der Bildnismalerei. Hier bedurfte sie keiner Motivierung. Aber sie war durch die Bestimmung in die festen Schranken der feierlichen symmetrischen Haltung und der betend erhobenen Hände gebunden.

Erheblich später erst trat das Bildnis des Lebenden auf, zunächst als eine Abart des Andachtsbildes. Man wagte noch nicht, allein zu stehen, und Hess sich im Gebet vor der Jungfrau oder dem Schutzpatron darstellen, vielleicht auch mit dem Schutzpatron hinter sich, der den Knienden der heiligen Jungfrau empfahl. Dieser Typus des Bildnisses hat sich in katholischen Ländern bis in das siebzehnte Jahrhundert erhalten.

David Kindt
Frau Elisabeth Amsinck, geb. de Hertoghe
Sammlung Amsinck

Als sich das Bildnis vom Andachtsbilde gelöst hatte, behielt es noch längere Zeit das Unfreie und Gebundene der Haltung. Erst im sechzehnten Jahrhundert geschahen die ersten Schritte zu einer natürlichen, individuellen Bewegung des Körpers, die im fünfzehnten Jahrhundert nur als Ausnahme auftritt, wie bei dem Arnolfini von Jan van Eyck im Berliner Museum.

Sowie es nun aber diese Freiheit und Selbständigkeit erlangt hat, stirbt das Bildnis als Gattung nicht wieder aus und wird aus einem Vorrecht der höchsten Stände allmählich zu einem täglichen Bedürfnis des ganzen Volkes. In unsern Tagen ist die Bildnisphotographie ein Erwerbszweig, der in den kleinsten Flecken seinen Vertreter hat und auf Jahrmärkten ausgeübt wird.

Wo das Bildnis nicht gepflegt wird, oder wo es leichtsinnig, oberflächlich oder in niederem Sinne liebedienerisch ist, da dürfen wir auf ein mangelhaft entwickeltes Selbstbewusstsein des Staates und des Individuums schliessen. Es ist kein gutes Zeichen für das politische Leben des deutschen Bürgertums in unserm Jahrhundert, dass die Kunst, die auf ihm ruhte, ihre Schwäche im Bildnis hat.

Ein Blick auf England zeigt uns andere Zustände. Seit Jahrhunderten ist dort die Bildnismalerei der feste Pol der heimischen Kunst. In den Epochen, wo die politischen, kommerziellen, wissenschaftlichen und literarischen Interessen derart überwogen, dass eine englische Malerei großen Stils sich nicht entwickelte, zog man vom Kontinent die großen Porträtisten herüber. Holbein, Moro, Rubens, Van Dyck, Lely, Kneller bis auf die Hamburger Denner und van der Smissen bilden eine lange Kette, an die sich schließlich vom vergangenen Jahrhundert ab die großen einheimischen Bildnismaler anreihen. In der Geschichte der Malerei in England trat der Import fremder Kräfte, der auf musikalischem Gebiet ein Seitenstück hat, überall ein, wo die eigene Produktion eine Lücke Hess. Aber es waren in der Malerei wie in der Musik in erster Linie Künstler der stammverwandten germanischen Nationen, die dort hochkamen, und es ist ein Zeichen von der Kraft des Bodens, dass die zugewanderten Künstler nicht allein nicht nachließen, sondern ihre Kräfte so frei und groß entwickelten, wie es ihnen in ihrer Heimat nicht in jedem Falle möglich gewesen wäre. Man könnte geneigt sein, diese aufsteigende Entwicklung zugewanderter Talente in erster Linie auf die günstigen materiellen Umstände zu schieben. Weit wichtiger ist aber der große Zug des öffentlichen wie des Privatlebens und — im Bildnisfach — das starke, nie aufhörende Bedürfnis nach der Darstellung nicht nur der hervorragenden Persönlichkeiten. Es ist ein schöner Zug im englischen Volkscharakter, dass der Träger einer großen Leistung, einerlei, welchem Gebiet sie angehört, von allen Ständen hochgehalten wird. Mag uns die Kehrseite der Medaille, das „Lionizing“, auch gelegentlich komisch vorkommen: wir müssen uns beschämt gestehen, dass im deutschen Charakter, der zu lange in den Banden der Kleinstädterei und Kleinstaaterei geschmachtet hat, der große Zug, sich einer Persönlichkeit, die das nationale Wesen ausprägt, freudig hinzugeben, bei weitem nicht so stark entwickelt ist.

In London gehört die National Portrait Gallery zu den aus allen Kreisen am stärksten besuchten Museen.

Es ist besser, dass die Frage, was Deutschland im neunzehnten Jahrhundert auf diesem Gebiete England an die Seite zu stellen hat, nicht beantwortet wird.

Nur auf eins möge hier hingewiesen werden, auf die falsche Bescheidenheit, die den Bürger unseres Jahrhunderts auf allen Gebieten davon zurückhält, mit seiner Person vorzutreten. Hierin liegt einer der stärksten Gründe für die schwächliche Entwicklung des Bildnis-Faches in Deutschland.

Dominicus von der Smissen
Selbstbildnis
Kunsthalle

Immer wieder wird aufs Neue die Erfahrung gemacht, dass, wenn nach dem Tode eines bedeutenden Menschen eine Büste, ein Relief, eine Medaille geschaffen werden soll, das Andenken an seine Züge festzuhalten, keinerlei Dokument existiert, und immer wieder holen die Verwandten und Freunde die selbe Formel: „Wir besitzen gar nichts. — Der Verstorbene wollte sich nie malen oder photographieren lassen. Wenn man ihn darum bat, wurde er ungehalten, so hat es noch an seinem siebzigsten Geburtstag eine Szene gesetzt. Es soll eine Daguerreotypie aus seiner Universitätszeit existiert haben, aber sie ist abhanden gekommen.“

Wo es einen Fürsten gibt, bleibt die ganze Vergangenheit bis in ferne Jahrhunderte zurück am Leben. Noch immer haben die Fürsten etwas Götterhaftes. Ihr Bild wird bewahrt, wenn sie längst gestorben sind, was sie besaßen, was sie nur berührt haben, wird ihrer Unsterblichkeit teilhaftig. Wie sie empfanden, was für Bedürfnisse sie hatten, welche Anforderungen sie ans Leben stellten, das lässt sich nach Jahrhunderten noch unmittelbar mit dem Auge erkennen. Und derselbe Ahnenkultus, den ihnen Staat und Nachkommen widmen, wird in den Familien derer gepflegt, die den Fürsten umgeben. Das erzeugt eine Macht der Überlieferung, die das Leben des Individuums durch tausend Fäden umspinnt, es mit aller Vergangenheit verbindet und ihm die großen Gedanken und Empfindungen langer Ahnenreihen unbewusst übermittelt, ihm freilich auch wohl, wenn sie zu dicht werden, das lebendige Leben, verkümmert.

In Hamburg gibt es kein Zentrum für den Ahnenkultus. Der Staat hat ihm keine Stätte bereitet. Er ist älter als fast alle Regentenhäuser Europas, aber mit Erinnerungen gibt er sich nicht ab. Er kümmert sich als solcher noch viel zu wenig um seine eigene Geschichte. Er hat keine Erinnerung, das Gedächtnis erlischt mit seinen lebenden Trägern. Seit ganz kurzer Zeit erst hat er nach dem Vorbild monarchischer Staaten angeordnet, dass die Jugend in den Schulen seine Geschichte kennen lernt.

Und wie der Staat nur in der Gegenwart lebt, weiß auch das Individuum in der Regel nur von sich und von den Vorfahren, die es mit eigenen Augen gesehen hat. Es giebt keine Tradition. Was ein Geschlecht erwirbt, besitzt es allein. Man lebt im Staat und in der Familie von der Hand in den Mund. Das Einzelwesen ist durch nichts an die Vergangenheit gekettet. Es ist ganz frei und auf sich gestellt. Alles dies gilt für unser Jahrhundert, namentlich für dessen zweite Hälfte noch mehr als für die früheren Epochen.

Die bürgerliche Umgestaltung des Volkes hat seit einem Jahrhundert in steigendem Masse auflösend auf die Familie gewirkt. Überall sind neue Menschen emporgekommen, die keine Familientradition mitbrachten. Verhältnismäßig selten haben diese neuen Schichten die Tendenz gezeigt, eine neue Familientradition zu begründen. Es lässt sich sogar beobachten, dass der aus eigener Kraft Emporgestiegene sich mit starkem Selbstbewusstsein zu allem, was Tradition heißt, in Gegensatz stellt und Besitz und Macht für das Individuum als das allein Ausschlaggebende ansieht.

Im Kontakt mit den neuen Menschen und neuen Ideen haben dann auch die alten Familien mehr und mehr verlernt, sich als solche zu fühlen und die ererbten Kulturgüter zu hüten.

Ein äußeres Zeichen für die Geringschätzung der Idee der Familie ist die überall nachweisbare gewissenlose Verschleuderung aller dem Kunst-Antiquitätenhandel begehrenswerten Erbstücke, wertvolle Familienbildnisse, in letzter Zeit namentlich Miniaturen, eingeschlossen. Es ist furchtbar zu beobachten, wie sich die Familie ohne Not des edelsten Besitzes entblößt hat, an dem so viele Erinnerungen hingen, der ein Gefäß für alle Überlieferung bildete. Sie hat damit mehr verloren, als sich abschätzen lässt, vor allem ein Stück Selbstbewusstsein.

So sind wir dahin gekommen, dass die Mehrzahl der wohlhabenden Familien im alten Sinne nicht mehr Familie ist. Es fehlt die Pietät für die Vergangenheit; es mangelt an Fürsorge für den Fortbestand der Familie. Wo ist heute die Ehrfurcht geblieben, mit der frühere Geschlechter selbst auf die ersten, ringenden Begründer zurücksahen, geschweige des Stolzes, mit dem man edler Vorfahren gedachte?

Unsere Familien führen deshalb zu oft ein Eintagsdasein. Plötzlich tauchen sie aus vergessener Vergangenheit auf, eine Generation sonnt sich auf den Gipfeln des Daseins, die nächste sinkt, die übernächste ist wiederum in Dunkel gehüllt.

Dabei können sich in breiteren Schichten die Eigenschaften nicht entwickeln, die sich von einer einzigen Generation, selbst von zwei Generationen noch nicht erwerben lassen, und die unter den modernen Kulturvölkern dem deutschen am meisten abgehen. Die Mehrzahl unserer gebildeten und wohlhabenden Landsleute trägt, ohne es zu wissen, die Merkmale der Familienlosigkeit an sich.

Eins der Mittel, die wohlhabende Familie wieder zum vollen Bewusstsein ihrer selbst zu bringen, ist die Pflege des Bildnisses. Aber es muss dabei die Absicht vorhanden sein, es als Kunstwerk aufzufassen. Sonst erlangt es keine wirksamere Kraft als die Photographie, ja es wird das Gegenteil der erwünschten Wirkung hervorbringen, wenn ein künstlerisch empfindender Enkel vor dem banalen Bildnis des Gründers der Familie steht.

Auch der Staat hat in demselben Sinne wie die Familie ein Interesse an der Pflege des Bildnisses. Es ist in ähnlichen Städtestaaten wie Hamburg auch stets als eine Angelegenheit von politischer Wichtigkeit aufgefasst worden — bis in unser Jahrhundert hinein.

In Hamburg hat freilich niemals die Sitte bestanden, die Bildnisse auch nur der regierenden Bürgermeister von Staatswegen herstellen zu lassen. Nur einen schwachen Ansatz zu einer Reihe von Senatorenbildnissen giebt es in den bekannten Miniaturen, die im Rathause aufbewahrt werden.

Auch sonst pflegt an das Dasein der Männer, die für die Weiterbildung unseres Staates und seiner Institutionen gewirkt haben, nur ganz ausnahmsweise und mehr zufällig ein Bildnis oder eine Büste zu erinnern.

Und was für Aufgaben fände bei uns die Kunst, wenn der Staat sich ihrer bedienen wollte. Hamburg bietet der Entwicklung des Bildnisses im monumentalen Sinne mehr Möglichkeiten als die meisten anderen Städte. Wir haben den Senat mit seinem feierlichen, vornehmen Ornat, wir haben die Prediger in ihrer ehrwürdigen Amtstracht, wir haben die Deputationen und die Verwaltungen von Stiftungen und Institutionen aller Art, in denen der Bürger selbstlos sich für das allgemeine Wohl einsetzt, und immer treten aufs Neue Männer und Frauen auf, die selbstlos ihre Kraft an die Förderung des Gemeinwesens setzen.

Dass selbst von hervorragenden Männern in Hamburg so wenig Bildnisse existieren, liegt im letzten Grunde an der Eigenart unseres politischen Lebens, dessen Tradition das Zurücktreten des Individuums mit sich bringt. Selbst die einschneidendsten Veränderungen bleiben nur selten mit dem Namen des Trägers der Idee im Gedächtnis der Nachwelt verbunden.

Aber trotz der durchgehenden Gleichgültigkeit gibt es an vielen Stellen in Hamburg Ansätze zu Bildnisgalerien, nur dass sie nirgends folgerichtig ausgebildet sind.

In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entstand die Sammlung der Ratsherrenbildnisse, Miniaturen in Ölfarben, die im Rathaus aufbewahrt werden. Maria Eggebecken und Balthasar Denner sind die Urheber. Es muss die Absicht bestanden haben, eine möglichst vollständige Galerie anzulegen, denn es wurden ältere Bildnisse des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts für diesen Zweck kopiert. Aber der Anlauf führte zu keinem Ziel. Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts schlief die Sache wieder ein. Der Senat besitzt keine irgendwie vollständige Sammlung von Ratsherrenporträts. Die Bildnissammlung des Archivs wurde erst unter dem jetzigen Staatsarchivar angelegt. Die Bürgerschaft hat beim Einzug in das neue Rathaus von einem Mitglied eine photographische Gesamtaufnahme zum Geschenk erhalten.

Jurian Jacobs
Der Astronom Voigt
Kunsthalle

Andere Bildnisgalerien finden sich in den Pastorenporträts der alten Stadtkirchen, namentlich in St. Jacobi und St. Catharinen, die vom Feuer verschont blieben, und in St. Petri, dessen Bilderschatz zum Teil gerettet ward. Aber mit Ausnahme der beiden Bildnisse von Aepinus, die aus dem sechzehnten Jahrhundert stammen, sind nur das siebzehnte, achtzehnte und neunzehnte Jahrhundert vertreten — und auch nur sehr lückenhaft.

Nicht unbedeutend ist die Zahl und Bedeutung der Bildnisse, die auf der Stadtbibliothek aufbewahrt werden und in der kleinen Aula der Oberschulbehörde hängen. Darunter sind manche in reichgeschmückten Rahmen, die schönsten die von Richey und der Gebrüder Wolff, das von Richey in marmorner Wandplatte, die der Wolff in einer Umrahmung aus Holz, einander gegenüber im Vestibül der Stadtbibliothek. Beide sind denkmalartig monumental und würden für spätere Ehrungen ein prächtiges Vorbild abgeben.

Auch die Direktoren des Johanneums sind in diesem Jahrhundert porträtiert worden. Die Bildnisse schmücken das Konferenzzimmer der Anstalt; und das Beispiel hat in den andern höheren Schulen Nachahmung gefunden. Eine der vollständigsten Bildnisreihen besitzt seit mehr als einem Jahrhundert die Vereinigung der Assekuranzmakler in der Börse.

Ebenso besaß die alte Bank Bildnisse verdienter Bankbürger.

Auch der Künstlerverein muss an dieser Stelle genannt werden, der in seinem Album einige wertvolle Zeichnungen und Aquarelle und in seinem Vereinslokal u. a. das köstliche Bildnis Soltaus von Steinfurth besitzt.

Mit rechter Konsequenz ist freilich, von den Bildnissen der Assekuranzmakler abgesehen, nirgends verfahren. Doch zeigt sich seit einer Generation hier und da das Bestreben, die Folgen lückenlos zu schliessen.

Reicher ist die Kunsthalle, die seit einem Jahrzehnt hamburgische Bildnisse von künstlerischem Werte sammelt. Sie bildet freilich im Gegensatz zu den eben aufgeführten Zentren nur eine sekundäre Fundstätte. Aber für die Zukunft ist hier der Ort, wo die Bildnisse besonders verdienter Männer und Frauen in Einzelporträts oder in Gruppenbildern den Zeitgenossen und den kommenden Geschlechtern vor Augen geführt werden können. Der Anfang ist bereits gemacht. Die Sammlung von Bildern aus Hamburg hat den besondern Zweck, das Bildnis in monumentalem Sinne zu pflegen.

Liebermanns Bildnis von Bürgermeister Petersen, Vogels Bildnis von Bürgermeister Versmann, Tuxens Bildnis von Generalkonsul Pontoppidan und Hans Oldes Bildnis von Elise Averdieck sind die ersten Versuche, das Bildnis monumentalen Charakters in der öffentlichen Galerie unseres Staates zu pflegen.

In der Kunsthalle wird vor allem die politische Funktion des Bildnisses sich fühlbar machen. Hier geht die ganze Bevölkerung ungehindert aus und ein. Und wenn der Vater seine Kinder in die Galerie führt, werden die Bildnisse hervorragender hamburgischer Persönlichkeiten, deren Namen jedem Ohr vertraut sind, um so eingehender betrachtet werden und um so nachhaltiger wirken, je bedeutender der Künstler ist, der ihr Wesen ausgedrückt hat. —

DAS KENOTAPHIUM
MICHAEL RICHEYS
IM VESTIBÜL DBR STADTBIBLIOTHEK

Sammlungen von Bildnissen in den reproduzierenden Techniken gibt es sehr wenige in Hamburg, und keine hat es bisher zu irgend welcher Abrundung, geschweige denn Vollständigkeit gebracht.

Die umfangreichsten sind die des Vereins für Hamburgische Geschichte und der Stadtbibliothek. Jüngeren Datums ist die ihnen nahe kommende der Kunsthalle, die durch die vorzügliche Sammlung von Frau Marie Zacharias bereichert wurde, und die oben erwähnte des Archivs. Auf diesen vier Sammlungen ruht diese Arbeit im wesentlichen.

Im Kunsthandel tauchen noch beständig bisher unbekannte Bildnisse auf, die die Lückenhaftigkeit selbst der großen Sammlungen immer wieder fühlbar machen. —

Eine einigermaßen geschlossene Ahnengalerie, die bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückreicht, besitzt nur die Familie Amsinck. Sie hat sogar noch Bildnisse ihrer holländischen Vorfahren bewahrt. Ein bedeutendes Bildnis holländischer Ahnen besitzt noch die Familie Willinck in dem Gruppenbildnis von B. Graat. Häufiger schon sind Bildnisreihen vom achtzehnten Jahrhundert ab. Es kommt hingegen nicht selten vor, dass in einer Familie die gestochenen und lithographierten Bildnisse der Vorfahren gesammelt werden.

DAS KENOTAPHIUM
DER GEBRÜDER WOLFF
IM VESTIBÜL
DER STADTBIBLIOTHEK

HOLLÄNDISCHER MEISTER
RUDOLPH AMSINCK
ZWOLLE 1582

Sammlungen von Bildnisstichen und Lithographien im Privatbesitz sind sehr selten und kommen gegen die im Besitz des Staates und des Vereins für Hamburgische Geschichte nicht auf.

Technik und Stoffkreis des Bildnisses hängen sehr eng zusammen. Das für die Wand berechnete Öl- und Pastellbild, dem sich die Miniatur anschließt, bewegen sich auf anderem Gebiet als der Kupferstich und die Lithographie.

Von den zum Kreis der Denkmäler gehörenden Bildnissen in Rathaus, Kirche und Gymnasium abgesehen, ist das Ölbild für die Familie bestimmt und stellt Familienmitglieder dar. Hier spielt von vornherein die Frau als verehrte Hausmutter fast dieselbe Rolle wie der Hausvater, und hier hat auch das Kinderbildnis zu allen Zeiten seinen gegebenen Platz. Die umfangreichen Darstellungen ganzer Familien sind naturgemäss im Ölbild seltener, treten aber bei uns nachweislich schon im siebzehnten Jahrhundert auf.

Da die Sitte, öffentliche Gebäude mit Bildnissen zu schmücken, nur schwach entwickelt war, kommen als Ölbild bis in unser Jahrhundert hinein — von Familienbildern abgesehen — Gruppendarstellungen kaum vor. Das wichtigste Beispiel dieser Art monumentaler Malerei ist das Reiterbildnis Bennigsens und seines Stabes, von Tischbein im Auftrage des Senats gemalt. In Aquarell führte Milde zwei Jahrzehnte später eine Senatssitzung aus, die dem englischen Ministerresidenten Colquhoun verehrt wurde. Magnussens große Darstellung des letzten Senats der alten Verfassung verdankte ihren Ursprung nicht einem Auftrag, sondern der Initiative des Künstlers. Sie fand, nicht ganz vollendet, nach dem Tode des Künstlers im neuen Rathaus ihren Platz.

HOLLÄNDISCHER MEISTER
ANNA AMSINCK
ZWOLLE 1583

Die reproduzierenden Techniken des Kupferstichs und der Radierung arbeiten nicht für die engere, sondern für die weitere Familie, den Freundeskreis und schließlich für die breite Öffentlichkeit.

Sie sind deshalb bis in unser Jahrhundert hinein fast ausschließlich auf die Darstellung des Mannes beschränkt.

Bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts wurden in Hamburg regelmäßig nur zwei Stände durch den Kupferstich porträtiert, der Ratsherr und der Prediger oder eigentlich der Prediger und der Ratsherr, denn von keinem einzigen Senator giebt es so zahlreiche Bildnisse wie von den hervorragenden Predigern. Seltener sind die Bildnisse beliebter Schullehrer, und nur ausnahmsweise Hess sich ein Kaufmann für seine Freunde stechen. Dass sich von Dichtern und Schauspielern zahlreiche Bildnisse unter den Kupferstichen finden, versteht sich bei den der Öffentlichkeit angehörenden Männern von selbst.

Erst gegen Ende des vergangenen und zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts mehren sich in Kupferstich die Bildnisse der Kaufleute. Es ist eine Übergangszeit.

Vom achtzehnten Jahrhundert gilt auch im Bildnis, dass es selbst in der Republik Hamburg aristokratisch fühlte. Die Lithographie des neunzehnten Jahrhunderts zeigt ein anderes Gesicht. Sie ist durchaus demokratisch. Schichten, die im achtzehnten Jahrhundert an eine Reproduktion ihrer Bildnisse nicht dachten, drängen sich vor, und während im Kupferstich durchweg nur die ältere Generation, die es zu Rang und Würden gebracht hat, zu erblicken ist, tritt in der Lithographie auch der Jüngling auf. Freilich erst von den dreißiger Jahren ab. Aldenrath und Gröger porträtieren in den zwanziger Jahren fast nur noch alte Damen und Herren.

Das Kinderbildnis geht im Ölgemälde sehr weit zurück. Wir finden es im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert allein und im Familienbild. In Hamburg fallen die Bildnisse der Kinder des Dichters Brockes auf, und im Besitz des Museums für Hamburgische Geschichte findet sich in trümmerhaftem Zustande die Darstellung einer hamburgischen Familie aus der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Auch unter den Miniaturen der Wende des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts kommen Kinderbildnisse häufig vor.

Sehr selten sind sie dagegen in den reproduzierenden Künsten. Im Kupferstich des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts ist mir keins erinnerlich, in der Lithographie des neunzehnten bilden Beispiele im Werk Otto Speckters und Graupensteins eine Ausnahme. Das Kind hat eben nur für die engste Familie Interesse, eine Reproduktion, die auch nur einige Dutzend Exemplare erzeugt, findet keine Verwendung. Erst in der Photographie tritt das Kinderbildnis als besondere Gattung auf, und es giebt unter den Photographen Spezialisten für dies Gebiet.

Mit dem Bildnis der Frau liegt es etwas anders. Als Ölgemälde ist es nicht viel seltener als das des Mannes. Zum Bildnis der Hausvaters gehört als Seitenstück das der Frau. Ausnahmsweise lässt im vergangenen Jahrhundert ein Ehemann das Bildnis seiner verstorbenen Gattin für die weitere Familie und die Freunde des Hauses stechen und versieht es mit einer Erinnerungsschrift in Versen. Nur das Bildnis beliebter Schauspielerinnen am Ende des vergangenen Jahrhunderts macht eine Ausnahme, die sich selbst erklärt.

Anders wird es zur Zeit der Lithographie. Unter den Bildnissen Grögers, Speckters, Hornemanns und Graupensteins spielt das der Frau eine große Rolle. Es war Sitte geworden, ganze Wände mit gerahmten Lithographien zu schmücken, und hier fand die Frau einen Platz neben dem Manne. Die Kupferstiche des vergangenen Jahrhunderts scheinen seltener eingerahmt worden zu sein. Sie dürften nach ihrem durchweg geringen Format mehr für die Mappe und das Buch bestimmt gewesen sein. Ist doch die Sitte der Aufbewahrung des Kupferstichs unter Glas und Rahmen ziemlich spät erst aufgekommen. Noch zur Zeit des Rokoko pflegte man Stiche in ähnlicher Aufmachung an die Wand zu hängen wie heute die Landkarten, nur dass die heute schmucklosen Rundstäbe mit reicher Schnitzerei ausgestattet waren. Beispiele sind freilich wenige auf uns gekommen. Eins kenne ich im Schloss zu Bamberg.

Bei dieser großen Vermehrung der Zahl der Reproduktionen und namentlich bei der durchgreifenden Sitte des Einrahmens darf es nicht Wunder nehmen, dass unter der Herrschaft der Lithographie die Zahl der Frauenbildnisse stetig wächst. Die gerahmte Reproduktion erbt etwas vom Wesen des Ölbildes. Auch die neue Stellung der Frau, die im neunzehnten Jahrhundert mehr als früher aus dem engeren Kreise der Familie in die Öffentlichkeit tritt und auf dem Gebiete der Lehrtätigkeit, der Krankenpflege, der Organisation der Wohltätigkeit eine Rolle spielt, drückt sich in der Vermehrung und Verbreitung der reproduzierten Bildnisse aus.

In der Lithographie treten dann als neue Gebilde die Gruppenbildnisse von Vereinen und Korporationen auf.

Bezug auf die Motive herrscht ein fühlbarer Unterschied zwischen der Zeit des Kupferstichs und der Lithographie.

Der Kupferstich charakterisiert den Ratsherrn durch eine vornehme fürstliche Haltung. Oft wird sein Bildnis, auf einer ovalen Tafel dargestellt, durch einen mächtigen Vorhang mit Quasten und Franzen geziert und imposant gemacht. Der Prediger hält die Bibel in der Hand, legt den Finger auf einen Spruch des aufgeschlagen neben ihm auf dem Tisch liegenden Buches oder erhebt die Rechte in beteuerndem Gestus. Den Hintergrund bildet ein Bücherbort mit gelehrten Folianten. Der Kaufmann pflegt an seinem Schreibtisch zu sitzen, ein Regal mit der nach den Städten geordneten Korrespondenz hinter sich, durch das Fenster bietet sich ein Blick auf seine Schiffe oder seine Werft. Der Mathematiker, Physiker oder Astronom demonstriert an einem Globus oder Astrolabium, der Sammler sitzt in seinem Kabinett bei der Bestimmung einer seltenen Muschel. Aber alle sind sie dem Beschauer zugewandt. Sie repräsentieren. Nur ganz ausnahmsweise kommt es vor, dass der Maler oder Stecher sein Urbild in einem Momente des Alleinseins beobachtet.

In der Lithographie ändert sich die Auffassung von Grund aus. Die ersten Arbeiten, unter denen Grögers und Aldenraths Bildnisse die bedeutendsten sind, bilden freilich noch einen Nachklang des achtzehnten Jahrhunderts, sowohl was die Dargestellten, wie was die künstlerische Auffassung und die Ausdrucksmittel anlangt.

Es sind ältere Damen und Herren, die ihre Jugend noch im achtzehnten Jahrhundert verlebt haben. Sie gehören den höchsten Schichten der Gesellschaft an. Ihre Kleidung und Haltung sind durchaus aristokratisch. Es sind hochkultivierte Menschen, denen man die vornehmen Formen des Verkehrs, die ihnen zur zweiten Natur geworden sind, auf den ersten Blick ansieht. Man fühlt, dass sie in palastartigen, künstlerisch ausgestatteten Häusern leben und auf die Pflege ihrer äußeren Erscheinung peinlich bedacht sind. Es würde nicht auffallen, wenn unter ihren Bildnissen statt der bürgerlichen Namen Martens, Rentzel, Abendroth die Titel von Fürsten und Gesandten zu lesen ständen.

Noch fehlen bis 1830 die Ehepaare, die Familien, der Klub.

Von 1830 wird das Bild ein gänzlich verschiedenes.

Die vornehme Generation, die die hohe äußere Kultur des achtzehnten Jahrhunderts ausstrahlte, stirbt aus. Eine äußere Kultur ähnlichen Ranges entsteht nicht wieder. Das Niveau der Erscheinung sinkt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Der Patrizier unterscheidet sich nicht mehr vom Bürger ohne Vergangenheit. Die Bourgeoisie ist da, die in Hamburg so gut wie an allen Fürstenhöfen Europas ihre Gleich- und Niedrigmacherei ausübt. Nur dass der vornehme Bürger Hamburgs sich nicht, wie der Fürst, in die Uniform flüchten konnte.

ANSELMUS VON HÜLLE
SYNDICUS BRODERUS PAULI
GESTOCHEN VON PETRUS DE JODE 1657

In der Lithographie prägt sich dieser neue Zustand etwa von 1830 ab augenfällig aus.

Die Vornehmheit ist wie ausgelöscht. Eine sorgfältige Pflege der äußeren Erscheinung schwindet mehr und mehr. Haar, Bart und Kleidertracht werden immer unkünstlerischer. Niemand repräsentiert mehr. Die Motive werden banaler mit den Menschen. Alle Welt lässt sich porträtieren, alle Geschlechter, alle Lebensalter treten in der Lithographie auf. Und zu den Einzelbildnissen gesellen sich die Bildnisgruppen, die dem früheren Geschlecht unbekannt waren. Ehepaare in Hochzeitstracht, bei der silbernen und goldenen Hochzeit, und als Zeichen einer neuen Zeit treten die Gesamtbildnisse der Klubs auf, dieser neuen Gesellschaftsorganismen, die die frühere Zeit als seltene Ausnahmen gekannt hatte, die aber erst in unserm Jahrhundert für das gesellschaftliche Leben aller Kreise charakteristisch geworden sind.

Auch in den Motiven tritt ein Wandel ein. Was früher die Regel war, das repräsentative Bildnis, tritt zurück. Die Dargestellten pflegen sich nicht mehr in Positur zu setzen, sie sehen den Beschauer nicht mehr an, sie sind oft wie mit sich allein. In den besten Werken erscheint als ein neues Prinzip das der Intimität. Dabei verschwindet die äußerliche Charakterisierung des Standes und Berufes mehr und mehr. Keine fürstliche Würde bei den Senatoren, keine feierlichen Geberden bei den Predigern. Alles wird gleichmäßig schlicht und einfach. Sogar die Rasse scheint eine andere geworden zu sein mit dem ungehinderten Emporsteigen niederer Stände, die sich so schnell nicht kultivieren können. An die Stelle der langen Schädel und feinen vornehmen Züge der alten Aristokratie, die zum letzten Mal bei uns in den Bildnissen Grögers und Aldenraths auftritt, erscheint ein Geschlecht mit derberem Knochenbau und weniger durchgearbeiteten, unverfeinerten Zügen. Wenn man die vornehmen Typen der Grögerschen Bildnisse neben eine Auswahl der besonders charakteristischen Lithographien Graupensteins legt, so erscheinen diese durch den Kontrast beinahe wie von einem Scheine der Karikatur gestreift.

Aber in dieser letzten Phase der Lithographie steckt doch ein Element von Wahrheit und Aufrichtigkeit, das weder der auf Vornehmheit und Würde ausgehende Kupferstich, noch die heutige Photographie kennt, die durch Pose und Retusche der Charakteristik aus dem Wege geht. Wir dürfen annehmen, dass eine künftige Zeit, wenn nicht mit künstlerischem, so doch mit sehr starkem kulturhistorischen Interesse die Bildnisse Graupensteins zur Hand nehmen wird.

Es liegt auf der Hand, dass das Kostüm im Bildnis mit größerer Treue aufbewahrt wird, als in irgend einer andern Kunstgattung. Dass es der Wirklichkeit entspricht, ist durchaus die Regel, denn es gehört zum Dargestellten fast wie ein Teil seines Körpers. Eine konventionelle Tracht, die in Wirklichkeit nie existiert hat oder doch der Epoche des Künstlers nicht angehört, bildet eine Ausnahme. Die antike Rüstung' auf fürstlichen Denkmälern des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, die in selteneren Fällen auch im gemalten Bildnis auftritt, gehört in diese Kategorie. Ebenso die Darstellung fürstlicher Frauen, die mit den Attributen der Diana, Aurora oder der Venus in leichter Bekleidung von Wolken getragen werden.

Dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert ist das Spiel mit der Schäfertracht eigen. Noch Goethes ernster Vater hat sich mit seiner Familie in solcher Mummerei verewigen lassen. Die Pilgertracht, die wohl einmal vorkommt, gehört einem verwandten Ideengange an, der in Watteaus Einschiffung nach Cythere gipfelt. Im engeren Sinne historische Kostüme gehören bis in dieses Jahrhundert wohl meist der Amtsund Ordenstracht an. Als spielender Zug treten sie wohl zuerst in Anlehnung an Bildnisse von Rubens und van Dyck in englischen Kinderbildnissen des achtzehnten Jahrhunderts auf. Erst das rückwärts gewandte neunzehnte Jahrhundert mit seinen historischen Kostümfesten ersetzt die Tagesmode im Bildnis, namentlich im Frauenbildnis, durch die Nachahmung eines historischen Kostüms.

Für Hamburg kommen alle diese Kategorien so gut wie gar nicht in Betracht, denn wir haben weder eine Epoche fürstlicher Hofkultur durchgemacht, noch hat das romantische Interesse für Geschichte sich bei uns so lebhaft geregt wie in den Kunststädten, wo die Historienmalerei zu Hause war und ihren Abglanz in den zur Institution gewordenen Kostümfesten fand, wie sie beispielsweise unter Makarts Regiment in Wien Mode waren. Mir ist kein Beispiel bekannt, dass sich eine Hamburgerin in der Tracht der Philippine Welser oder ihr Mann in der ihres fürstlichen Gemahls hätte malen lassen. Das Kostüm auf unseren Bildnissen entspricht stets den Tatsachen der Wirklichkeit.

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Die Tracht ist der deutlichste Ausdruck der Lebensauffassung eines Geschlechts. In einer Welt ohne künstlerische Bedürfnisse wird sie schlicht und einfach bis zur Unscheinbarkeit und Unansehnlichkeit, wie wir das um die Mitte unseres Jahrhunderts namentlich in der Kleidung des Mannes erlebt haben. Auf der anderen Seite steigert sich der künstlerische Charakter der Tracht bei ästhetisch hochentwickelter Kultur bis zum Raffinement. Die Zeit der van Eyck und ihrer Schüler, das ausgehende sechzehnte Jahrhundert und die Periode des Rokoko bezeichnen solche Höhepunkte, auf denen die Tracht des Mannes sich — wie unter den Valois — bis auf die Zulassung von Ohrgehängen oder bis auf die Einfügung reichen Spitzenschmucks effeminiert.

In leisen Uebergängen oder in weiten Sprüngen nach einem Kontrast zu ändert sich die Kleidung geradezu mit der Stunde. Denn an den Orten, wo die neuen Formen und Farben erdacht werden, sind die Erfinder ohne Unterbrechung im Ersinnen neuer oder im Wiederbeleben und Umformen alter Gedanken tätig.

Zwei Faktoren bilden die Grundmotive der stetigen Veränderung.

Der eine ist rein ästhetischer Art und geht auf die Ermüdung durch gleichartige Reize zurück. Hierher gehören die großen Pendelschwingungen von einem Extrem zum andern. Hat eine Epoche die vertikale Anordnung der Massen und Linien bis zum Äußersten getrieben, so sucht und findet das ermüdete Auge der nächsten Zeit Erquickung in einer Ausbildung im Sinne des Horizontalen und umgekehrt. In der Jugend Ludwigs XIV. trugen die Frauen glattes Haar mit Locken an der Schläfe, breit ausgeschnittene Kleider mit horizontalem Spitzenschmuck.

Die folgende Epoche führte die Frisur auf der Mitte des Kopfes in lockigem Aufbau hoch und setzte eine hohe, steife, wie ein zusammengeklappter Fächer gebaute Schleife darauf, womit der den Hals verlängernde schmale Ausschnitt des hochschultrigen Kleides und der erst vom Ellbogen ab beginnende Schmuck der engen Ärmel harmonierte. Ähnliche Kontraste — in umgekehrter Folge — unterscheiden die Tracht der Kaiserin Josephine von der der Königin Amelie, der Gemahlin Louis Philipps. Bei der Farbe wird das Gesetz der Kontraste vielfach durch die Bewegung auf dem Gebiete der Malerei modifiziert.

F. STURHELD 1650
CANONICUS EBERHARD MÖLLER
KUPFERSTICH
UMRAHMUNG AUS BLUMEN

Der andere Faktor, der die Tracht bestimmt, liegt in den Lebensgewohnheiten. Das arbeitende Geschlecht der Holländer um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts kleidet sich anders als das der Hofleute unter Ludwig XV. um 1740, das nicht in der Arbeit, sondern in der Kunst des Genusses seinen Lebensinhalt sucht. Eine Epoche, in der die Lebenskraft des Volkes zu erstarren beginnt, wie die des Sonnenkönigs, greift nach der Perücke, das Heroentum der holländischen Seestaaten trägt Haare und Bart kurz und bequem, das Heroentum der napoleonischen Epoche wagt vorübergehend neben dem — nicht ohne den Einfluss antiker Vorbilder — zu einer Art künstlerischer Wildheit gepflegten Haar für die Soldatentracht einen Ansatz des durch ein Jahrhundert verpönten Bartes wieder einzuführen, der in der Zeit der Restauration wieder aufgegeben wird.

Haar und Barttracht sind seit dem Mittelalter die eigentlichen Gradmesser der Gesinnung. Fühlt sich das Individuum frei und seiner selbst sicher, tritt der Bart auf und wird das Haupthaar kurz gehalten. Je stärker die Macht der Autorität, desto länger pflegt das Haar, desto kürzer der Bart zu werden. Bei dem künstlichen Kopfschmuck der Perücke pflegt der Bart bis auf einen Rest des Schnurrbartes auf der Oberlippe unter der Nase einzuschrumpfen und dann ganz zu verschwinden. Langes Haar bei langem Bart war einst ein Vorrecht der Einsiedler, die sich dem Leben gegenübergestellt hatten, ist in unserm Jahrhundert aus verwandten Ursachen das Abzeichen der extremen Revolutionäre und ward kurze Zeit auch in ruhigen Bürgerkreisen Mode, als die revolutionäre Stimmung breitere Schichten erfüllt hatte, wie um 1848. Es ist charakteristisch, dass auch die Maler, Musiker und Dichter, namentlich aber erstere in unserm Jahrhundert oft die Neigung verraten, sich nach Art der Einsiedler und Revolutionäre durch auffallende Länge des Haares zu der Tagesmode in Gegensatz zu bringen. Psychologisch wird der Grund derselbe sein. Sie fühlen sich in unserm Jahrhundert mehr als früher in einem Gegensatz zum Laientum. Wenn der ältere Hans Holbein und Dürer ähnliche Allüren annahmen, so bedeutet das, dass sie sich der Zunft entwachsen und gegenübergestellt fühlten. Alle diese leichteren oder stärkeren Schwankungen und Veränderungen des Äußern hält das Bildnis fest. Wer das Bildnis nach seinem gesamten — nicht bloß nach seinem künstlerischen — Inhalt betrachten will, muss bis in seine kleinsten Details das Kostüm beobachten und sein stummes und auch ausschlaggebendes Zeugnis verstehen lernen.

Zum Kostüm gehört auch der ornamentale Schmuck des Bildnisses, die Toilette, in der es sich präsentiert.

Für das Ölgemälde kommt nur der isolierende Rahmen in Betracht. Einfach und schlicht im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, nach dem Vorbild der Holländer meist aus schwarzem Holz, beginnt er in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts mit dem wachsendenden Glanz der Tracht üppiger und prunkender zu werden. Reiche Schnitzformen und Vergoldung, Auflösung der festen Masse in lose Ornamentik kommen auf, die das siebzehnte Jahrhundert noch selten verwandt hatte. An die Stelle der Vergoldung tritt gelegentlich im Zusammenhange mit einem dekorativen Ensemble das Silber. Das neunzehnte Jahrhundert schafft auch hier zunächst nichts Neues mehr, sondern ahmt nacheinander alle vorhandenen älteren Vorbilder in billigem Material nach. Nur für die neue Aufgabe der Einrahmung von Stichen und Lithographien schuf das erste Drittel des neunzehnten Jahrhunderts in den zierlichen Mahagonirahmen einen neuen Typus.

Beim Kupferstich, der bis gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts nicht unter Glas und Rahmen kam, glaubte man in der Regel, eine ornamentale Umrahmung im Stich selber geben zu müssen.

Es war auch nötig, wenn es sich nicht um ein Kunstwerk höchsten Ranges handelte. Rembrandt hat seine radierten Bildnisse nie mit einer ornamentalen Umrahmung versehen, der Gedanke daran wäre unerträglich. Ebenso wenig hat van Dyck bei seiner Ikonographie ornamentale Einfassungen nötig gefunden, obgleich sie Mode waren. Die brillanten Stecher unter Ludwig XIV. konnten sie schon nicht entbehren, und sie halten sich bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, wo sie verschwinden mit dem Aufkommen des Empire. Die Lithographie verwendet sie dann nur äußerst selten.

Auch in Hamburg machte die gestochene Umrahmung des Bildnisses alle Stilwandlungen mit. Die ältesten haben noch Grotesken und Rollwerk, wie sie gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts Mode waren. Dann folgt der Ohrmuschelstil, von der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts ab kommt bei der wachsenden Leidenschaft für die Blume eine Umrahmung in Gestalt eines Blumenkranzes auf. Dann wird auch bei uns der Steinrahmen einfacher strenger Form nachgeahmt, der von der französischen Stecherschule als Umrahmung verwandt wurde. Im achtzehnten Jahrhundert wird das Bildnis in eine Dekoration von Säulen und Vorhängen auf seinem Blendrahmen lose hineingestellt. Später erhält es den gestochenen Rahmen in Rokokoschnörkeln oder mit den Blumengehängen des Louis XVI.

Kupferstich und Lithographie des neunzehnten Jahrhunderts verzichten grundsätzlich auf eine ornamentale Einfassung, der Sinn hat sich dem Schmuck abgewandt. Wenn einmal eine Einfassung vorkommt, so soll sie nicht bloß schmücken, sondern etwas ausdrücken. Bei Geschäftsjubiläen werden wohl die Fabriken und Wohnhäuser innerhalb eines aus den Produkten der Fabrik gebildeten Ornaments dargestellt.

* * *

J. Luhn
Bildnis eines Astronomen
Museum zu Braunschweig

Über die Gesetze — wenn sie überhaupt unserer Erkenntnis zugänglich sind — , die den Wechsel des Farbengeschmackes beherrschen, sind wir noch durch keine eingehenden Beobachtungen unterrichtet. Ja, nicht einmal das Tatsachenmaterial, das die letzten Jahrhunderte liefern, ist im Zusammenhange hinlänglich untersucht.

Schon die oberflächliche Betrachtung genügt, um zu erkennen, dass der Mensch nicht nur in jeder Generation andere Farben, andere Nuancen bevorzugt, sondern jedes künstlerisch begabte Individuum ein eigenes Verhältnis zur Farbe hat und dass Alle, die unter seinen Bann geraten, mit seinen Augen empfinden lernen, seine Neigungen in Bezug auf den Umfang und den Charakter der Farbigkeit annehmen.

Im Kunstgewerbe heben sich beispielsweise die Gruppen der frühen Majoliken von Gubbio mit ihrer Vorliebe für sehr starke Farben und Kontraste in Blau, Grün und Gelb scharf gegen die des ausgehenden siebzehnten Jahrhunderts ab, die das Rot verschmähen und an die Stelle der Kontraste eine zarte Harmonie von mattem Gelb, zartem Blau, erloschenem Grün und Grau in vielen Abschattungen setzen. Man hat diesen Gegensatz wohl ganz äußerlich auf den Verlust der Werkstattrezepte zurückzuführen versucht. Die spätere Fabrikation habe es nicht vermocht, so kräftige Wirkungen zu erreichen. Das ist ein Irrtum. Sie hat es einfach nicht gewollt und ihre Befriedigung in einer sanften Harmonie gesucht.

Ähnlich liegt es auf dem Gebiet der höheren Kunst mit dem Kontrast zwischen Erscheinungen wie Rubens, der überall auf ein starkes Kolorit ausgeht, und Rembrandt, der die Harmonie unendlich mannigfaltiger Töne sucht, sie um ein leuchtendes Rot gruppiert und dem Blau aus dem Wege geht. In der Kunst wiederholt sich hier, was sich im farbigen Kleide der Vögel und Insekten beobachten lässt, wo die aus dem zartesten Grau und Braun aufgebauten Tonharmonien der Dämmerungsvögel und Falter mit dem aus starken Farben gebildeten Kolorismus der Tagvögel und Tagfalter kontrastieren.

Bei der Beobachtung des ewigen Wechsels im Farbengeschmack müssen die Bewegungen auf dem Gebiet der allgemeinen Mode in Tracht und Dekor als mächtige Unterströmung von den gipfelnden Erscheinungen in der Malerei zunächst getrennt werden. Im allgemeinen dürfte jedoch auch die Mode der Gewöhnung folgen, die durch die führenden Genien der Malerei begründet wurde, also im letzten Grunde auf Neigung und Begabung eines einzelnen Individuums zurückgeht.

Über den Gang der Bewegung lässt sich heute nur ganz allgemein aussagen, dass am Anfang überall die Vorliebe für starke, direkte Farbe steht, und dass die Empfindung allmählich für zartere Töne empfänglich wird. Eine Erscheinung wie Rembrandt ist im fünfzehnten Jahrhundert nirgends bekannt. Es dürfte auch hier die Geschichte der Gattung der des Individuums entsprechen. Soweit Beobachtungen vorliegen, empfindet das Kind zuerst die hellen und kräftigen Farben. Jeder kann aus eigener Erfahrung bestätigen, wie spät sich ihm das Gefühl für die Qualität des Grau und Braun entwickelt hat.

Es wäre wichtig, einmal die großen koloristischen Gruppen der einzelnen Schulen durch die Jahrhunderte zu verfolgen. Wir können erkennen, dass, wenn man von dem für uns noch chaotischen neunzehnten Jahrhundert absieht, im Großen und Ganzen eine stetige Bewegung auf helle, lichte Töne stattfindet, bis von der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts im europäischen Geschmack eine Neigung für seegrün, hellrosa, hellilas, bleumourant und schließlich für graugrün, graurot, graublau, graugelb etwas wie einen Ausklang bildet. Doch darf dabei nicht übersehen werden, dass auf beschränkterem Gebiete ähnliche Neigungen schon früher auftreten. Der Gegensatz der auf Harmonien ausgehenden Kunst der Holländer des siebzehnten Jahrhunderts und der koloristischen Tendenz der nur wenig altern Blütezeit der vlämischen Kunst unter Rubens gehört hierher. Bei solchen Beobachtungen — die vorläufig jeder für sich anstellen muss — ist zunächst alle Kunst auszuscheiden, die die Natur durch die Brille einer vergangenen Zeit sieht, der sogenannte Akademismus. Man darf wohl als Gesetz ansehen, dass jede Art von akademischer Kunst ihrem Wesen nach unkoloristisch ist. Sie nimmt aus der Natur nicht naiv, was sie selber empfindet, sondern sucht ihre farbige Erscheinung nach Vorbildern umzumodeln. Es ist dabei einerlei, ob das Vorbild die Präraffaeliten sind, wie bei den deutschen Nazarenern, Rembrandt, wie bei Dietrich, die Venezianer, wie bei Makart.

SIMON DE PASSE
BILDNIS DES KAUFMANNS JOHANNES BRAEM
KUPFERSTICH
UMRAHMUNG IM OHRMUSCHELSTIL

Man könnte nach einem andern System die einzelnen Farben durch die Jahrhunderte verfolgen. Dann wird sich herausstellen, dass jede Zeit ihr Rot, ihr Blau, ihr Grün, ihr Gelb und Orange hat. Und stellt man die Werke einzelner koloristisch begabter Künstler einander gegenüber, so ergibt sich, dass jedes Talent sein Rot oder Blau besitzt, wie man seine Augenfarbe oder den Ton seines Haares hat. Natürlich kann man nicht sagen, dass der Mensch in demselben Sinne mit dem Rot, das ihm eigen sein wird, auf die Welt gekommen ist. Die charakteristische Nuance wird durch den Zeitgeschmack mitbestimmt. Sie macht bei dem Individuum auch wohl erkennbare Wandlungen durch. Aber die Grundlage gehört zu den angeborenen Qualitäten. Die Farbe ist eine Empfindung unseres Auges, nicht etwas in der Natur Vorhandenes. Deshalb ist sie durchaus subjektiv, und nicht zwei Menschen, ja kaum die beiden Augen des Individuums haben für die Farbe eine identische Empfindung.

Nun ist aber die Farbe in Kunst und Kostüm nicht nur durch die Auslösung der Reize historisch und als Empfindung des Auges individuell bedingt, sie unterliegt überdies sehr starken lokalen Einflüssen.

Farbe ist in Paris nicht dasselbe wie in London, in Venedig nicht dasselbe wie in Florenz, in Nürnberg etwas Anderes als in Amsterdam.

Ihre Intensität hängt zunächst von dem Feuchtigkeitsgrade der Luft ab. Bei uns in Hamburg hat die Natur ein sehr verschiedenes Farbenkleid, jenachdem der Wind von Osten oder aus dem Westen kommt. Einmal sind alle Farben klar und hart, einmal weich und tonig.

Nicht so stark, aber immerhin fühlbar genug, machen sich andere Einflüsse des Lokals geltend. Der feinste Staub, der sich von der Oberfläche aller Körper löst, ist ein anderer in einem Lande mit Kalk- und Kreidefelsen, ein anderer im Bereich der Dolomiten oder in der Marsch. Diese unsichtbaren, unmerkbaren kleinsten Stoffteilchen, die die Luft füllen, verändern die Erscheinung des zerstreuten Lichtes und damit auch den Charakter der farbigen Dinge.

Auch diese Grundlage ist im letzten Grunde nicht ohne Einfluss bei der Bildung der lokalen Tendenzen, die wir in Venedig, Florenz, Amsterdam und Paris beobachten.

* * *

Schlagwörter leiten irre, aber um große Epochen nach ihren wesentlichen Tendenzen zu unterscheiden, kann man sie nicht entbehren. Wenn man die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts gelbkoloristisch nennen kann, so muss das achtzehnte blaukoloristisch heißen. In Zeiten, wo Gelb und Braun die Basis der Farbengebung bilden, pflegt man sehr hart gegen die blaukoloristischen Epochen zu sein. Ich erinnere mich, dass ich zur Zeit, als Makart herrschte — ein Brauner — , die absprechendsten Urteile über die Farbengebung großer Künstler des vergangenen Jahrhunderts gehört habe. Der zierliche Detroy aus Sanssouci z. B. erregte damals durch sein Blau förmlich Abscheu.

Dies können nur Andeutungen sein, die zur Beobachtung und zur übersichtlichen Zusammenfassung der Thatsachen anregen. Es würde sich lohnen, einmal eine eingehende Studie über die Bewegung des Farbengeschmacks der Zeitalter zu unternehmen, die uns genügend Dokumente nachgelassen haben, und die koloristisch besonders begabten Individuen — Rembrandt beispielsweise — in der Entwickelung ihres Farbengefühls zu verfolgen. Die Lösung dieser Aufgaben würde großen Wert für die gegenwärtige Bewegung haben, die auf eine gründliche Erziehung des Farbensinnes hindrängt.

Für die Geschichte der Farbenbewegung giebt das Bildnis ein besonders wichtiges Dokument ab. Denn beim Sittenbild, beim Historienbild ist der Künstler innerhalb der Grenzen, die ihm der Geschmack seiner Zeit steckt, im Ausdruck seines persönlichen Verhältnisses zur Farbe ganz frei. Beim Bildnis wird ihm nur ausnahmsweise gestattet, seiner persönlichen Neigung zu folgen. Wohl in der Mehrzahl der Fälle wird ihm treue Wiedergabe eines bevorzugten Kleidungsstückes zur Pflicht gemacht. Kommt es doch oft genug vor, dass mehr eine Toilette als ein Antlitz portraitiert wird.

Somit enthalten die Bildnisse als Niederschlag der im Volk herrschenden Neigungen eine wichtige Ergänzung der Dokumente, die die höhere Kunst bietet.

In den ersten beiden Jahrhunderten sind die Zeugnisse bei uns rar. Von den großen Idealporträts Adolphs von Schauenburg haben die vielen Restaurationen kaum das Tatsächliche der Farbengebung übrig gelassen. Wir können noch zur Not erkennen, wo das Rot, wo das Grün saß, aber es ist nicht mehr möglich, die Nuancen und die Qualität zu beurteilen. Nach den Stichen bei Staphorst müssen die beiden Bildnisse in ihrer koloristischen Haltung dem Schweriner Altar aus der Johanniskirche zu Hamburg nahe gestanden haben. Der Hintergrund war nicht golden, sondern rot mit goldenen Sternen. In unserer Galerie gibt der Christus als Schmerzensmann aus der Zeit um 1440 eine Vorstellung vom Kolorit, das diese Zeit in Hamburg anstrebte.

Was wir aus der Verwandtschaft mit gleichzeitig in Hamburg entstandenen — wenn nicht, wie zu vermuten steht, von demselben Künstler herrührenden — Kunstwerken zu schliessen berechtigt sind, wird durch den Vergleich der niederdeutschen und niederländischen Kunst jener Epoche bestätigt; eine ganz ungemeine Farbenpracht der Gewänder. Es giebt kaum eine Farbe, die nicht vorkommt. Selten ist der Geschmack so vielseitig. Grün, Rot, Blau, Gelb treten in allen starken Nuancen auf. Nur dem Zarten, Duftigen geht man aus dem Wege.

Aus dem sechzehnten Jahrhundert besitzen wir in Hamburg keine ausreichenden Dokumente, um uns einen Begriff von der Art zu machen, wie unsere Künstler die Farbe aufgefasst haben.

Ein wichtiges kleines Bild von Franz Timmermann, den der Senat um 1540 mit einem Stipendium zu Cranach geschickt hatte, steht mit seiner starken, emailartig wirkenden Farbe ganz im Banne der Schule. Es ist nichts darin, das nicht von Cranach stammte.

Das erste Dokument, das auf die Bildnisse Adolphs von Schauenburg folgt, das Portrait der Hamburger Patrizierin Gertrud Möller, steht uns fast um zwei Jahrhunderte näher.

Es bezeichnet den Geschmack von 1600.

Man scheint an dem anderen Pol des Kolorismus angelangt. Statt der starken Farbigkeit tritt eine sanfte Harmonie in Schwarz, Braun, Grau und Gold auf, ein roter Fleck auf dem Bilde gehört nicht der Toilette an, sondern der Architektur. Es ist eine rotgestrichene Säulenbasis. Grün und Blau fehlen überhaupt. Aber dafür welch' eine Noblesse der Töne. Der ärmellose Rock ist schwarz, die Ärmel des Unterkleides sind grau mit goldenen Blumen — als Silberbrokat mit goldenem Ornament zu verstehen. Silberne Ketten, dicht aneinandergedrängt, bedecken das Mieder wie ein Panzer. Eine gefaltete und gesteifte Schürze ist in die Quere abwechselnd gelb und weiß gestreift. Im weißen Streifen und am Bund ein schmälerer Streifen Rot. Das Gelb herrscht vor. Die Haube ist mit Goldstickerei und Perlen bedeckt.

THEODOR FRIEDRICH STEIN
HERM. SAMUEL REIMARUS
GESTOCHEN VON CHR. FRITSCH 1751

Den Hintergrund bildet ein reicher seidener Vorhang von dunklem, kräftigem Braun. Dieser Vorhang ist ein wichtiges Dokument, er beweist, dass wir es nicht mit einer zufälligen, sondern mit einer in der Absicht des Künstlers liegenden Harmonie zu tun haben.

Die Braunschweiger Bildnisse des Hamburgers Luhn, die der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts angehören, sind zwar ebenfalls nicht auf Farbe, sondern auf Harmonie gestellt, aber sie offenbaren einen neuen Farbengeschmack. Zwischen ihnen und dem Bildnis der Gertrud Moller liegen zwei Epochen der Tracht, eine koloristische, die in den dreissiger und vierziger Jahren dem Schwarz Platz gemacht hatte. Vater und Mutter Luhn auf dem Familienbilde tragen noch Schwarz, Sohn und Tochter haben das Schwarz schon aufgegeben, aber sie sind zur vollen Farbigkeit noch nicht zurückgekehrt. Der Sohn ist in Braun gekleidet, die Tochter trägt ein Kleid aus orangefarbenem Brokat mit großen goldenen Blumen. Luhns Astronom der Braunschweiger Galerie, der sich mit so lebhaftem, fast heftigem Ausdruck umsieht, trägt einen graubraunen Rock mit silbernen Streifen und einem Schulterstück aus Bändern in Orange.

Auf beiden Bildern sind die Hauptfarben Orange und Braun. Rot, Blau, ein ausgesprochenes Grün fehlen.

Unter den Bildnissen des Matthias Scheits, der dem folgenden Abschnitt angehört, ist keins mit ausgesprochener Farbe bekannt. Seine Bilder aus dem Gesellschaftsleben, von denen die Kunsthalle drei besitzt, enthalten Gewänder, die uns für die bei uns jetzt noch mangelnden Bildnisse Auskunft geben müssen. Es ist die Zeit des Überganges vom Schwarz zur farbigen Tracht. Alle älteren Leute tragen noch schwarze Gewänder. Die Jugend ist über mausefarben, Altgold und Graubraun schon wieder bei der Farbe der Pfirsichblüte, bei einem hellen Krapprot und bei einer Art von russischem Grün angelangt. Das Blau fehlt auf unseren Gesellschaftsbildern von Scheits. Die Farbe stimmt also im ganzen mit den Daten bei Luhn, nur ist sie besonders auf dem Gesellschaftsstück „Wein, Weib und Gesang“ nach der Seite des Blau, das zwar selbst noch nicht auftritt, etwas weiter vorgeschoben. Das Grün ist schon wieder da.

Für die Zeit um 1730 sind die drei Bildnisse der Kinder unseres Dichters Brockes wichtig. Das Hauptbild, eine gemeinsame Arbeit von Denner, der die Köpfe, van der Schuppen, der die Figuren, Franz de Paula Ferg, der die Landschaft, und F. W. Tamms, der die Blumen und Früchte malte, erzählt von einer überaus farbenfrohen Zeit. Blau, Rot und Grün geben den Accord. Das Blau in der Mitte am Kleide des kleinen Mädchens ist sehr stark, aber dabei nobel und ungemein charakteristisch für die Nuance des hellen Kobaltblau, die die Zeit liebte. Das Grün ist sehr diskret und steht mit seinem Apfelton sehr gut zu dem Gold der Tressen. Das Rot, ebenfalls mit Gold verbrämt, in dessen Fläche grüne Ornamente zu erkennen sind, neigt, wie das Grün, nach der Seite des Gelb, aber nicht so stark. Auf den beiden anderen Bildern, die ganz von der Hand Denners herrühren, sind die Farben der Gewänder weit weniger stark ausgesprochen und repräsentieren die gemäßigten Nuancen, die Denner liebte, ein tiefes Moosgrün, ein Blau, das stark nach Grün neigt, ein Rot im Ton der Pfirsichblüte, ein Kanariengelb ohne Leben. Denners Farbengefühl erscheint stumpf und wenig kultiviert.

Aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts fehlt es in unserer Galerie an einem schlagenden Werk. Die Empfindung war ganz ungemein kultiviert. In der Literatur findet die Freude an der Farbe einen klassischen Ausdruck in den Gedichten unseres Brockes. Noch mehr als in der vorhergehenden Epoche nähert sich die Tracht des Mannes der Toilette der Frau. Samt, Seide in allen Nuancen, Spitzen als Halsschmuck und als Manschetten, Stickereien in Gold, Silber und Seide, goldene Spangen, goldene, mit Edelsteinen besetzte Knöpfe schmückten schon seit der Zeit Ludwigs XIV. den Mann. Aber alles wird zur Zeit des Rokoko zarter, zierlicher, effeminierter. Und während heute bei uns die Gesellschaftstracht des Mannes aus der Uniform des Fracks besteht, die, auf Schwarz und Weiß gestellt, koloristisch überhaupt keinen Spielraum bietet, und deren leise Veränderungen sofort für alle Gesetz sind, war die Tracht des achtzehnten Jahrhunderts im Prinzip individualisiert. Bei uns strebt jeder darnach, auszusehen wie jeder andere, damals trachtete jeder, sich von jedem anderen zu unterscheiden.

Selbst als gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts in die Fracktracht des Mannes das Tuch einzudringen begann, ein Vorbote des neunzehnten Jahrhunderts, wo alle unter dem Gesetz der Arbeit stehen und keiner mehr so viel Zeit zur Verfügung hat, wie zur Pflege der Toilette des Rokokozeitalters gehört, ist der Rock noch farbig und verträgt sich mit bunten, seidenen Westen.

Ein klassisches Beispiel für den Farbengeschmack der neunziger Jahre des achtzehnten Jahrhunderts bietet Quadals Familienbild im Besitz von Herrn Pastor Roosen. Das Bildnis eines Kaufmanns von Quadal in der Kunsthalle (1796) gibt eine etwas einseitigere Vorstellung. Der Rock ist apfelgrün, das Beinkleid zitronengelb, die Weste weiß mit zarten grünen Ranken, in denen bei genauerem Zusehen kleine blaue und rote Blumen zu erkennen sind.

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ausgegeben hat, den jungen Künstlern nicht unbekannt geblieben ist. Es finden sich in Erwin Speckters Briefen aus Italien Anklänge, die auf mehr als zufälligen, in der Zeit begründeten Zusammenhang hinweisen. Und seine Bilder fanden sich zum größten Teil noch in Hamburg bei seinen Freunden und Nachkommen.

GRUGEN 1819
PHYSICUS JACOB MUMSEN
LITHOGRAPHIE

Von einem koloristischen Einfluss auf die ersten Bildnisse Oldachs, die der beiden Tanten in der Kunsthalle, und die im Besitz der Familie Otto Speckters befindlichen Bildnisse der Eltern von Erwin, ist nun aber keine Spur wahrzunehmen. Sie haben weit mehr Zusammenhang mit den kleinen Bildnissen Jacob Tischbeins und gehen, wie diese, jeder starken Farbe aus dem Wege.

Wie leicht die beiden jungen Künstler einem koloristischen Vorbild folgten, beweist dagegen Erwins Bildnis der Schwestern von 1825 in der Kunsthalle, wo die nazarenische Farbengebung Overbecks ganz unvermittelt und unverhüllt auftritt.

Die jüngere Schwester rechts trägt Grün, die mittlere Rot, die links stehende Orange mit stumpfviolettem Halstuch. Aber die Farben sind im Sinne Overbecks gesehen.

An diesen beiden hochbegabten Künstlern lässt sich wie an einem absichtlich vorgenommenen Experiment nachweisen, wie zerstörend der Einfluss einer Richtung wirkt, die erst an alter Kunst und dann vor der Natur studiert, die, solange sie überhaupt Naturstudien treibt, die Menschen und Dinge nicht mit dem Auge ihrer eigenen Zeit ansehen will, sondern nach der Weise einer verflossenen Epoche. Man pflegt den Begriff des Akademismus auf die Zeichnung zu beschränken. Mit Unrecht. Es gibt ebensogut einen koloristischen Akademismus.

Ein anderes Beispiel von der lahmlegenden Macht der Vorbilder bietet Günther Gensler.

Er hatte naiv angefangen, wie alle seine hamburgischen Zeitgenossen. Zwar erlag er später nicht dem Einflüsse einer Akademie, aber er suchte eingestandenermaßen in Rembrandt sein höchstes koloristisches Vorbild — in Deutschland wohl einer der ersten in diesem Jahrhundert — , und auf dem 1840 nach seiner niederländischen Reise entstandenen „Regentenstück“, dem Künstlerverein, ist die koloristische Abhängigkeit deutlich ausgesprochen.

Dass eine ursprünglich starke koloristische Begabung nicht zur selbständigen Entwickelung gekommen ist, lässt sich überall an Einzelheiten auf seinen Bildnissen verfolgen. So auf dem eben angeführten Werk, auf dem Bildnisse Bülaus, vor allem auf dem der Familie Möring. Hier war er an die Realität der Tracht gebunden und fand sich damit ab.

Bei Schneider spielt die Farbe keine positive Rolle. Er unterdrückte sie soviel wie möglich.

Steinfurth ist feiner begabt, aber koloristische Probleme lagen ihm seiner Düsseldorfer Erziehung nach fern. Doch ist ein sehr ausgeprägter Gegensatz vorhanden zwischen seinen Historienbildern und seinen Porträts. Diese haben oft sehr ansprechende koloristische Qualitäten, während die Historienbilder — wie die Diana im Bade in unserer Galerie — koloristisch absolut akademisch ist.

Ein sehr feiner und naiver Kolorist scheint von Haus aus A. Kindermann gewesen zu sein, wenigstens sagt das Lübecker Bild es aus.

Wer sich gewöhnt, die Bildnisse unserer Sammlungen als Dokumente für eine Geschichte der Farbenempfindung und des Farbengeschmackes anzusehen, der wird dadurch den Schlüssel zum Verständnis der Farbe als historische Erscheinung erhalten. Diese Fähigkeit ist wichtig bei der Betrachtung der altern wie der lebenden Kunst, aber besonders nötig für den, der die um ihn her vor sich gehende Entwickelung verstehen will. Wenn er sich aus eigener Beobachtung die Einsicht erworben hat, dass, soweit wir zurückschauen können, jede Generation ihre besonderen Neigungen und Ausdrucksmittel hatte, dass die Farbe um 1650 etwas ganz anderes ist als um 1750, dass die Jahre um 1790 sich ganz anders ausdrücken als die um 1800 oder um 1810, dann wird er es auch ganz natürlich finden, dass jede neue Generation von Künstlern neue Farbe zu schaffen versucht, wird darin nicht die Äußerung abgeschmackter Gelüste, sondern eines natürlichen unhemmbaren Triebes sehen, eines historischen Gesetzes, das nicht bekämpft werden kann, dem gegenüber für den Nichtkünstler, der sich auf das Miterleben beschränken muss, sympathische Beobachtung den höchsten Genuss verspricht.

* * *

Die Betrachtung der in Hamburg entstandenen Bildnisse darf uns aber nicht nur eine historische Ergötzung sein, sie sollte uns zur Beobachtung der Entwicklung der eigenen Zeit und zur Förderung ihrer gesunden Bestrebungen anspornen, indem sie das Gefühl der Verpflichtung in uns erweckt.

Denn es muss, wenn künftig bei uns von einer Kunstpflege die Rede sein soll, in erster Linie an das Bildnis gedacht werden. Staat und Familie haben ein sehr starkes Interesse an der rationellen Bebauung dieses lange Zeit vernachlässigten Gebietes.

Der hamburgische Staat, der keine Orden und Ehrentitel verleiht, würde im Bildnis das edelste Mittel besitzen, jegliche Art großen Verdienstes anzuerkennen. Er nimmt von unzähligen Männern und Frauen freiwillig dargebrachte Opfer an Zeit und Kraft entgegen, und außerhalb der eigentlich staatlichen Einrichtungen finden in milden Stiftungen, Privathospitälern, Schulen u. s. w. andere Kräfte ein Feld fruchtbringender Tätigkeit. Eine Generation dieser uneigennützig der Sache Dienenden rückt nach der andern dahin, ohne dass außerhalb der Akten in den Anstalten, die sie begründet oder gepflegt haben, eine Spur ihres selbstlosen Wirkens erhalten bleibt: In einem Menschenalter pflegen sie dann vergessen zu sein.

Würde in den Anstalten, für die sie gewirkt haben, ihr Bildnis aufbewahrt mit einer Inschrifttafel, auf der der Staat seine Dankbarkeit ausspricht, so wäre damit nicht nur eine Schuld zu tilgen versucht, es würde auch das Gefühl der Pietät gepflegt.

WILHELM GRAUPENSTEIN 1863
BILDNIS DER FRAU KIRCHNER
LITHOGRAPHIE

Und nun erst die Männer, die im Senat oder in der Bürgerschaft sich durch hervorragende Verdienste um die innere und äußere Entwickelung des Staatswesens auszeichnen — wo bleibt ihr Andenken? Jede Generation scheint für sich zu leben ohne Erinnerung an die Männer, die vor ihr gewirkt, die ihr den Boden bereitet haben, ohne viel Nachdenken über das, was das kommende Geschlecht brauchen wird. Wie viele Menschen giebt .es wohl in Hamburg, die auch nur über die Bürgermeister und Senatoren, deren Wirken die Entwickelung der Dinge im letzten Jahrhundert wesentlich mitbestimmt hat, Auskunft zu geben vermöchten? An ihre Existenz und ihr Wirken pflegt nur ganz ausnahmsweise ein Denkmal oder ein Bildnis zu erinnern.

Es ist eine politische Angelegenheit für den Staat, sich auf eine vornehme Art der schaffenden Persönlichkeit dankbar zu erweisen. Gewiss werden wie bisher uns auch in Zukunft die Männer nicht fehlen, die ohne äußere Anerkennung aus dem Trieb zum Schaffen und dem Gefühl der Verpflichtung sich für die Förderung des gemeinen Wohls einzusetzen bereit sind. Aber warum sollte ihnen auch in Zukunft die unmittelbare Anerkennung versagt bleiben? Die sprichwörtliche Undankbarkeit der Republiken, die ja auch für Hamburg gilt, gehört doch nicht zu den Einrichtungen, die für den Bestand des Staatswesens unentbehrlich sind. Es Hesse sich sehr wohl denken, dass die Kraft und die Freudigkeit des wirkenden Individuums durch den äußeren Ausdruck der Achtung und Liebe gehoben würden, und dass dadurch das heranwachsende Geschlecht den Vorteil hätte, auf große, anregende Vorbilder blicken zu können, während ihm heute schon die schaffenden Männer der nächstvorhergehenden Generation nur in nebelhaft verschwimmenden Umrissen und nicht mehr in sinnlicher Klarheit vor Augen stehen.

Der Gedanke der Kontinuität, die bei uns so mangelhaft entwickelt ist, würde seinen sichersten und sinnfälligsten Ausdruck in der staatlichen Pflege des Bildnisses finden.

Dass damit bei uns im letzten Grunde nichts Neues eingeführt würde, dass es sich dabei nur um die Entwickelung vorhandener Keime handeln würde, lässt sich durch -einen Blick auf die bereits erwähnten Ansätze zu Bildnisgalerien in den Kirchen, den höheren Schulen, der Stadtbibliothek, der Norddeutschen Assekuranzgesellschaft erkennen.

Der Familie bringt die Pflege des Bildnisses ihre Existenz eigentlich erst zum Bewusstsein. Es ist bezeichnend, dass die wenigen alten Familien, die bei uns noch blühen, meist auch im Besitz weit zurückreichender Ahnenbildnisse sind. Eins ohne das andere scheint nicht denkbar. Die Stimmung des neunzehnten Jahrhunderts, das überall von vorn anfangen musste, war der Pflege der Tradition auf keinem Gebiete günstig. Es scheint, als ob auch darin ein Wechsel bevorstände.

Aber die Pflege des Bildnisses bleibt auf die Photographie beschränkt. So ungeheure Summen hat keines der Geschlechter, die in früheren Epochen große Kunst getragen hat, für das Bildnis ausgegeben, wie unsere Zeit für die Photographie. In so tiefe Schichten ist die Gewohnheit, sich abbilden zu lassen, nie herabgestiegen. Könnte der Wille auf die Kunst geleitet und der Geschmack einer ehrlichen Auffassung des Lebens wieder zugeführt werden, so würde es an Mitteln nirgends fehlen.

Soll eine neue Blüte der Bildnismalerei in Hamburg entstehen, so kann sie nur auf der Entwickelung heimischer Begabungen beruhen. Wandernde Bildnismaler würden selbst bei hoher Begabung die Hauptsache nicht fühlen, das hamburgische Wesen der Menschen, die sie darstellen. Man kann im Grunde nur seine nächsten Verwandten und Freunde porträtieren, hat ein großer französischer Meister des Bildnisses, der Bildhauer Chapu, einmal gesagt. Und wenn wir uns nach den besten Bildnissen umsehen, die in Hamburg entstanden sind, so finden wir sie bei Stöttrup, der „aus Freundschaft“ seine Zeitgenossen verewigte, bei Runge, der seine Eltern, seine Frau, seine Kinder und die seiner Freunde malte, bei Erwin Speckter und Oldach, die sich ebenso an ihre nächste Familie hielten, bei Milde, von dem wir nur Bildnisse aus seinem nächsten Freundeskreise besitzen, bei Otto Speckter, in dessen reichem Bildniswerk ebenfalls die Gestalten aus seiner nächsten Umgebung am tiefsten erfasst sind.

Wenn das Bildnis seine hohe politische und ethische Funktion ausüben soll, dann muss es den intimen Charakter tragen, der es bei unseren eigenartigsten Künstlern erfüllt. Eine noch so freundliche glatte Behandlung, die des tieferen Eindringens entbehrt, wird schon der nächstfolgenden Generation gleichgültig.

Die großen Schwierigkeiten, die bei uns einer energischen Pflege des Bildnisses entgegenstehen, liegen nur zum geringsten Teil auf der Seite der Künstler. Dass das Bildnis den meisten unserer Künstler nicht sympathisch ist, das liegt nur zum geringsten Teil an der ungenügenden Schulung, die den deutschen Künstlern in so vielen Fällen zu teil wurde. Sie können ihre Kunst nicht kommandieren. Auch galt die Bildnismalerei bekanntlich einer ganzen Epoche nicht für voll.

An Talenten fehlt es keiner Generation. Talent ist immer da.

Die eigentliche Schwierigkeit liegt im Publikum, das die Aufgabe stellen soll. Es ist dafür gar nicht erzogen. Es hat nur ausnahmsweise eine Vorstellung davon, dass es in künstlerischen Dingen mitzuarbeiten, in gewissem Sinne mitzuschaffen hat, wenn eine wirkliche nationale Kunst zur Entfaltung kommen soll.

Noch ist die Kluft zwischen Künstler und Publikum zu weit. In vielen Fällen, ja, fast in der Regel, ist der Abstand so groß, dass in dieser Entfernung eine Verständigung nicht mehr möglich ist. Die Stimme trägt nicht so weit. Und selbst wo die Worte noch vernehmbar, wird die Meinung nicht erfasst. Der Künstler pflegt sich im Publikum wie ein Sehender unter Blinden zu fühlen, wie ein Redner, der tauben Ohren predigt, oder wie ein Ausländer, dessen Sprache nicht verstanden wird. Das Publikum pflegt keine Ahnung zu haben, wie sich unter uns ein Künstler isoliert fühlt. Er erlebt es alle Tage, wie seine reinsten Absichten und Bestrebungen mit Hohngelächter aufgenommen werden, er muss es erfahren, wie in der Gesellschaft gegen ihn mobil gemacht wird. Die Menzel, Böcklin, Thoma, Liebermann, Uhde, um nur einige große Namen zu nennen, wissen ein Lied davon zu singen.

So ist es schließlich nicht zu verwundern, wenn sie ihre innere und äußere Vereinsamung als das notwendige Martyrium des Künstlertums auffassen und zu dem Schluss gelangen, die Kunst sei eigentlich nur für die Künstler, wenn sie mit zorniger Verachtung auf ihre Genossen hinabsehen, die sich auf das niedrige Niveau des Publikums hinablassen, um für ihre Werke den Markt zu haben, wenn sie sich in einsamer Höhe über ihrer Zeit fühlen, die nicht fähig ist, zu verstehen, was sie wollen.

HERMANN STEINFURTH
ERNST HARZEN
KUNSTHALLE

Das Publikum rächt sich durch Gleichgültigkeit, oder es sieht den Künstler, der einsam seines Weges wandelt, als einen Ausgestoßenen oder Verrückten an, auch wohl als einen Umstürzler, gegen den man mit Feuer und Schwert vorzugehen hat. Jede Härte, jede Rücksichtslosigkeit, ja jede Rohheit im Urteil erscheint ihm zulässig oder gar geboten, und der Gedanke, eine Fehlerquelle in der eigenen Unzulänglichkeit zu suchen, liegt ihm meilenfern.

Ich habe es erlebt, dass ein bedeutender Forscher, der in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit peinlicher Ehrlichkeit und Sorgfalt umgeht, der es für eine Sünde halten würde, ein Urteil zu fällen, ehe er alle denkbaren Fehlerquellen untersucht hat, auch die in dem geistigen und sinnlichen Apparat seiner Individualität liegenden, dass dieser in seinem Fach gerechte und vorsichtige Mann, dem ich in einem heftigen Disput über ein Kunstwerk, das er verurteilte, ohne es gesehen zu haben, nahe legte, es doch einmal selber zu betrachten, mir entgegnete: er würde sich hüten, seine Meinung stehe fest.

Wie auf allen anderen Gebieten unserer künstlerischen Produktion, stehen wir jetzt auch mit dem Bildnis vor der Notwendigkeit, dem heranwachsenden Geschlecht die Elemente einer auf der Anschauung von Kunst und Natur beruhenden künstlerischen Bildung zu erteilen.

Diese Bildung muss einen nationalen, und wenn es, wie in Hamburg, möglich ist, einen lokalen Charakter tragen, wenn sie fruchtbar werden soll.

Möge die Publikation über das Bildnis in Hamburg nach dieser Richtung hin wirken, indem sie an der Anschauung der künstlerischen Leistungen der Vergangenheit — und namentlich der halbvergessenen Meister des neunzehnten Jahrhunderts — die Freude am Bildnis, das nicht nur Dokument sondern auch Kunstwerk ist, neu belebt und dadurch künftigen Leistungen verwandter Art den Boden bereitet.

Ottomar Elliger
Damenbildnis
Kunsthalle

Möge sie die Erkenntnis verbreiten helfen, dass jede Generation ihre eigene Kunst schafft, dass wohl einzelne Epochen für die Entfaltung künstlerischer Begabungen günstiger sind als andere, dass aber in keiner die Möglichkeit tüchtiger Leistungen bisher abgeschnitten war, und dass mithin auch mit Zuversicht auf die künftige Entwicklung gebaut werden kann. Dies Letztere ist das Wichtigste von Allem.

Den Künstlern, denen das Bildnis weniger sympathisch war, möge sie in Erinnerung bringen, dass von allen Kunstwerken, die in unserer heutigen Gesellschaft möglich sind, das Bildnis das Vornehmste bleibt.

Unter den Stätten, wo das Bildnis zu pflegen ist, steht in erster Reihe das Rathaus. Hier sind Bildnisleistungen höchsten Ranges möglich, Sitzungen des Senats und der Deputationen, Aufzüge des Senats in seiner vornehmen Amtstracht, feierliche Empfänge, wie der des Kaisers und der deutschen Fürsten vor der Einweihung des Nordostseekanals.

Dergleichen Anlässe wird jede Generation bieten.

Diesen Senatorenbildnissen hätten sich die der hervorragenden Mitglieder der Bürgerschaft anzureihen.

In den Kirchen wird die Aufstellung der Predigerbildnisse weiter zu führen sein. Nur wäre es wünschenswert, dass man nicht bis nach dem Tode wartet, sondern bei immer passender Gelegenheit einem bedeutenden Künstler die Möglichkeit giebt, den Lebenden zu studieren.

Dasselbe gilt für die wissenschaftlichen Institute und die höheren Schulen.

Wenn erst das historische Museum aus der Verbannung erlöst ist und in geeigneten Räumen seine wichtigen Funktionen ausüben kann, wird damit ein neuer Ansatzpunkt für die Pflege des Bildnisses gewonnen sein.

In der Kunsthalle, der öffentlichen Galerie der Stadt, ist in letzter Zeit das Bildnis tunlichst berücksichtigt. Die Bildnisse der Stifter sind in einem eigenen Saal vereinigt worden; in den neugegründeten Sammlungen hamburgischer Meister finden sich bereits zahlreiche hervorragende Bildnisse hamburgischer Persönlichkeiten, und in der Sammlung von Bildern aus Hamburg sind die ersten Schritte getan, die Erscheinung bedeutender Männer in denkmalartigen Bildnissen zu verewigen.

Diese Abteilung der öffentlichen Sammlungen Hesse sich künftig über den lokalen Rahmen hinausführen. Es wäre sicherlich für weite Kreise von hohem Interesse, wenn die Stadt Hamburg für ihre Sammlung von großen Künstlern die Bildnisse der größten Männer unseres Volkes ausführen Hesse. Mit den Bildnissen Kaiser Wilhelms I., Bismarcks und Moltkes ist der Anfang bereits gemacht, und die Beobachtung lehrt, wie gerade diese Kunstwerke volkstümlich geworden sind. Hier bietet sich zugleich eine Möglichkeit, auch von Hamburg aus das höchste Verdienst um unsere Nation zu ehren, dem wir auf andere Weise unsere Wertschätzung nicht zu bezeugen vermögen.

* * *

Auch das Bildnis in Stich, Radierung oder Lithographie findet in Zukunft bei uns eine Reihe von Anknüpfungspunkten.

Der vornehmste ist das Senatorenbildnis. Aus der letzten Generation existieren nur ausnahmsweise einmal Bildnisse in Öl, und gestochene oder radierte Bildnisse sind noch viel seltener. Es lässt sich eigentlich nichts anführen außer dem Bildnisse Bürgermeister Petersens, das Krüger nach Liebermanns Ölgemälde radiert hat. Nichts wirft ein so scharfes Licht auf den trostlosen Zustand des Bildnisses in unserer Zeit als der Umstand, dass nicht einmal an Bildnissen der Mitglieder des Senats etwas anderes vorhanden ist als Photographien. Es ließe sich denken, dass eine Ikonographie des Senats angestrebt würde, der die Bildnisse der Mitglieder unmittelbar nach ihrer Wahl einverleibt würden. Für die Praxis ist ein anderes Gebiet von derselben Wichtigkeit, das Pastorenbildnis.

Bei der großen Popularität der hervorragenden Prediger herrscht ein starkes Bedürfnis nach ihren Bildnissen heute wie in den vergangenen Jahrhunderten. Zur Osterzeit liegen ihre Bildnisse in allen Buch- und Kunsthandlungen aus. Auch hier gibt es jedoch nichts anderes als Photographien. In dem Moment, wo Radierungen vorhanden wären, würden sie zweifellos die Gunst breiter Schichten finden, ohne dass der Verbrauch von Photographien darunter wesentlich zu leiden braucht. Die Radierungen oder Originallithographien würden den Vorteil haben, dass man sie einrahmen und als Wandschmuck verwenden könnte.

OTTO SPECKTER
CHRISTINE WESTPHALEN ALS GREISIN
LITHOGRAPHIE

Vom Senatoren- und Predigerbildnis als den gegebenen festen Punkten aus müsste das ganze übrige Gebiet sich wieder bestellen lassen.

Die Grundbedingung bleibt jedoch, dass in jedem einzelnen Falle ein Kunstwerk angestrebt wird. Nur dann werden diese Bildnisse auch die Kraft haben, Sammler zu erziehen.

Und das ist eine der wichtigsten Aufgaben der Kunstpflege. Der Trieb zum Sammeln ist stets vorhanden, aber in unserer bürgerlichen Gesellschaft ist er eingeschlafen oder auf unproduktive Gebiete, wie Liebigbilder und Briefmarken, geleitet. Das Sammeln wirklicher Kunstwerke gehört zu den wirksamsten Mitteln der künstlerischen Erziehung weiter Kreise. Wenn erst wieder Bildnisse radiert, gestochen oder lithographiert werden, die den Sammler locken, so ist damit ein sehr wichtiges Mittel für die künstlerische Erziehung des Auges gewonnen.

Wir brauchen sodann für mancherlei Zwecke ein sorgfältig und umsichtig angelegtes Werk über hamburgische Bildnisse in Kupferstich und Lithographie, das alle Blätter nach den Dargestellten alphabetisch geordnet kurz beschrieben unter Angabe der Masse, des Stechers und des Malers. Erst auf Grundlage einer solchen Arbeit werden wir Sammler Hamburgischer Bildnisse aufkommen sehen.

Diese wären für unsere Geschichte und Kulturgeschichte überaus erwünscht. Denn bisher sind hamburgische Bildnisse, soweit ich sehen kann, von Privatleuten systematisch noch nicht gesammelt. Eine Ausnahme macht die Rappsche Sammlung und die Sammlung Zacharias, die von der Besitzerin, Frau Marie Zacharias, der Kunsthalle gestiftet wurde.

Neben den aus historischen Gründen das gesamte Gebiet pflegenden Sammlern könnten andere sich darauf beschränken, lediglich vom künstlerischen Standpunkt zu sammeln. Auch daran hat es bisher noch gefehlt.

Auch die Reproduktion der Bildnisse der bedeutendsten Männer und Frauen, die in Hamburg gewirkt haben, ein hamburgisches Porträtwerk, wäre an der Zeit.

Versuche dazu sind in weiterem und engerem Umfange bereits im vergangenen Jahrhundert gemacht worden. Hierher gehören die Bildnisse hamburgischer Prediger von Fritsch mit Biographien und desselben Stechers Bildnisse Hamburgischer Ratsherren bei Schütz.

Aber diese Versuche sind in den Anfängen stecken geblieben.

Auch die hamburgischen Porträtwerke des neunzehnten Jahrhunderts sind, wie das von Fuchs, bisher nicht über die Anfänge hinaus gediehen.

Vom heutigen Standpunkte aus lassen sich durch alle Jahrhunderte hindurch in jeder Generation eigenartige und tüchtige einheimische Bildnismaler erkennen, in keiner aber fehlt es so sehr daran wie in der unsern. Grund genug, die Frage zu stellen, wie das zu erklären und wie dem abzuhelfen sei.

Auch in der Geschichte unserer Hamburger Bildnismalerei gewahren wir die Wirkungen der beiden großen Übel, an denen so oft die Kulturbestrebungen in Hamburg zu Grunde gegangen sind, die mangelnde Tradition und die mangelnde Fürsorge für die Entwickelung der Talente.

Im fünfzehnten Jahrhundert besaßen wir allem Anscheine nach eine große und selbständige Lokalschule, die Werke wie den Christus in unserer Kunsthalle hervorgebracht hat.

Aber seit um 1540 der Senat Franz Timmermann mit einem Stipendium zu Kranach schickte, hat eine Generation von Talenten nach der andern sich auf die Wanderschaft zu fremden Akademien begeben müssen, um die Grundlagen der Technik zu erlernen. Wenn sie zurückkamen, brachten sie beständig neue Weisen mit, die hier nur ein künstliches Leben fristen konnten. Dieselbe unorganische Buntscheckigkeit, die der Hamburgischen Architektur des neunzehnten Jahrhunderts den exotischen Charakter gibt, herrscht auch in unserer Malerei. Antwerpen, Amsterdam, Dresden, Kopenhagen, München, Berlin, Düsseldorf, Weimar und Paris haben uns nacheinander mit Ideen gespeist, wo wir eigenes Brot genießen konnten. Unter diesen fremden Einflüssen erstickten die heimischen Keime.

Wir waren überdies abhängig von dem Stand der Bildung, den der Einzelne zufällig erreicht hatte, und mussten uns immer wieder mit der Verwendung halbausgebildeter Talente begnügen, die im besten Falle stehen blieben, sehr viel häufiger jedoch in den ungünstigen Verhältnissen, die keine Forderungen stellten, zurückgingen oder gar versumpften. Man hat vor einem Menschenalter in England und Amerika erfahren, dass tüchtige Pariser Zeichner für das Kunstgewerbe, die man mit großen Opfern herübergezogen hatte, in kurzer Zeit zurückgingen, weil ihnen die Anregung fehlte, und schließlich nicht mehr zu leisten vermochten als die heimischen Kräfte. Diese Erfahrung haben wir in Hamburg längst an den heimischen, in der Fremde ausgebildeten Begabungen gemacht, und wir erleben es noch alle Tage.

Es kommt dann hinzu, dass wir an der Hand der uns erhaltenen Werke einen schädlichen Einfluss der fremden Akademien auf die Entwickelung des Einzelnen nachweisen können. Was die Oldach, Speckter und Gensler, um nur einige Namen zu nennen, als junge Leute in der ersten Entfaltung zu Hause geleistet haben, steht künstlerisch sehr viel höher als alles, was sie unter dem Einfluss der akademischen Lehrer hervorbrachten. Es ist nicht zu viel behauptet, dass sie im akademischen Studium zunächst zurückgingen, in der Regel ganz aus der ihnen durch ihre Begabung vorgeschriebenen Bahn abgelenkt wurden.

Die Sammlung Hamburgischer Meister des neunzehnten Jahrhunderts enthält in dieser Beziehung ein höchst lehrreiches Material. Man vergleiche nur das entzückend frische feine Aquarell, das Martin Gensler in seinem 17. Jahre vom Magdalenenkloster aufgenommen hat, mit seinen braunen, trüben Ölbildern der späteren Zeit, wo er Düsseldorfer Einflüsse erfahren hatte. Er hat die Stufe, die er mit siebzehn Jahren schon erreicht hatte, nachher nie wieder erreicht. Auch Erwin Speckter, ein sehr großes Talent, hat die Bildnisse seiner Eltern, seinen ersten großen Wurf, in vielen Jahren des Studiums unter Cornelius und in Italien nicht überboten und ist sogar fast immer erheblich darunter geblieben.

Und diese Erscheinung wiederholt sich an allen Ecken und Enden in Deutschland. Unser akademisches Studium ist der große bethlehemitische Kindermord der Talente geworden. Es ist bezeichnend, dass die ganz großen und selbständigen Begabungen wie Menzel und Böcklin gar keine oder nur sehr lose Beziehungen zur Akademie hatten.

Wir sollten daraus lernen, dass eine so große und selbstständige Stadt wie Hamburg die Erziehung ihrer Begabungen selber in die Hand nehmen muss. Soll bei uns die Kunst eine Zukunft haben, so brauchen wir für die Maler und Bildhauer so gut wie für das Kunstgewerbe eine heimische Schule, in der gelehrt wird, was sich lernen lässt, nicht Bilder anfertigen, sondern das strenge, unnachsichtige Studium der Natur, und das heißt des menschlichen Körpers. Alles andere muss das Talent — das Genie hilft sich überhaupt selber — aus Eigenem hinzutun.

Die Kunstgewerbeschule hat seit einigen Jahren bereits begonnen, den jungen Künstlern das Aktstudium zu ermöglichen. Möge sich aus diesem Ansatz die Schule entwickeln, die wir zur Erziehung der jährlich uns zuwachsenden Begabungen so notwendig brauchen wie die Gymnasien, Realschulen, Volksschulen und Gewerbeschulen. Eine Akademie mit kompliziertem Apparat darf es nicht sein. Eine gut geleitete Aktklasse und eine Malschule, die nicht auf billige und bequeme Weise mit den fabrikmäßig hergestellten Farben arbeiten lehrt, sondern in das Wesen der Technik einführt, das im selbständigen Experiment liegt, genügen. Erst der Meister soll reisen, wenn er fremden Einflüssen schon die gekräftigte eigene Individualität entgegenzusetzen hat.

Das ist auch der Weg, eine heimische Tradition zu bilden, die dahin führt, dass fortlaufend die höchsten Anforderungen gestellt werden, dass die künstlerischen Begabungen im Wetteifer miteinander den Maßstab nicht sinken lassen, mit dem sie ihre und anderer Leistungen messen, und dann werden wir Zustände, wie sie heute herrschen, wo wir für jede besondere Aufgabe die Kräfte von außen holen müssen, wo wir Generationen von Talenten den Zufallseinflüssen der Akademien zu überlassen gezwungen sind, als eine Unehre empfinden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Bildnis in Hamburg. Band 1
004 Bildnis eines Kaufmanns (?) unbekannt (C. Fritsch) 1762

004 Bildnis eines Kaufmanns (?) unbekannt (C. Fritsch) 1762

005 His, Pierre (?) Hamburger Kaufmann (Th. Fr. Stein) 1763

005 His, Pierre (?) Hamburger Kaufmann (Th. Fr. Stein) 1763

006 Roosen, Berend (1705-1788) Hamburger Reeder, Kaufmann, Diakon (C. F. Löhr)

006 Roosen, Berend (1705-1788) Hamburger Reeder, Kaufmann, Diakon (C. F. Löhr)

007 Amsinck, Elisabeth geb. de Hertoghe (1690-1748) (David Kindt)

007 Amsinck, Elisabeth geb. de Hertoghe (1690-1748) (David Kindt)

008 Dominicus van der Smissen (1704-1760) deutscher Maler

008 Dominicus van der Smissen (1704-1760) deutscher Maler

010 Voigt, Johann Henrich (1613-1691) deutscher Mathematiker und Astronom (J. Jacobs)

010 Voigt, Johann Henrich (1613-1691) deutscher Mathematiker und Astronom (J. Jacobs)

011 Das Kenotaphium Michael Richeys im Vestibul der Hamburger Stadtbibliothek

011 Das Kenotaphium Michael Richeys im Vestibul der Hamburger Stadtbibliothek

012 Das Kenotaphium der Gebrüder Wolff im Vestibul der Hamburger Stadtbibliothek

012 Das Kenotaphium der Gebrüder Wolff im Vestibul der Hamburger Stadtbibliothek

013 Amsinck, Rudolph (1518-1590) Bürgermeister zu Zwolle (Holländ. Meister)

013 Amsinck, Rudolph (1518-1590) Bürgermeister zu Zwolle (Holländ. Meister)

014 Amsinck, Anna geb. Kamferbeke (1520-1583)

014 Amsinck, Anna geb. Kamferbeke (1520-1583)

015 Pauli, Broderus (1598-1679) Hamburger Syndikus und Bürgermeister (A. v. Hulle)

015 Pauli, Broderus (1598-1679) Hamburger Syndikus und Bürgermeister (A. v. Hulle)

016 Möller, Eberhard (1606-1657) Hamburger Domherr, Canonicus, Senior (Sturheld)

016 Möller, Eberhard (1606-1657) Hamburger Domherr, Canonicus, Senior (Sturheld)

017 Bildnis eines Astronomen (J. Luhn)

017 Bildnis eines Astronomen (J. Luhn)

018 Braem, Johannes (?) Hamburger Kaufmann (Simon de Passe)

018 Braem, Johannes (?) Hamburger Kaufmann (Simon de Passe)

019 Reimarus, Hermann Samuel (1694-1768) Gymnasialprofessor für orientalische Sprachen in Hamburg (Th. Fr. Stein) 1751

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020 Die Familie des Malers J. Luhn

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021 Mumssen, Jacob (1737-1819) Hamburger Arzt und Schriftsteller (Gröger) 1819

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022 Bildnis einer Dame (Matthias Scheits)

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023 Bildnis der Frau Kirchner (Wilhelm Graupenstein) 1863

023 Bildnis der Frau Kirchner (Wilhelm Graupenstein) 1863

024 Harzen, Ernst Georg (1790-1863) Hamburger Kunsthändler (H. Steinfurth)

024 Harzen, Ernst Georg (1790-1863) Hamburger Kunsthändler (H. Steinfurth)

025 Damenbildnis (Ottomar Elliger)

025 Damenbildnis (Ottomar Elliger)

026 Westphalen, Engel Christine (1758-1840) Hamburger Schriftstellerin (O. Speckter)

026 Westphalen, Engel Christine (1758-1840) Hamburger Schriftstellerin (O. Speckter)

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