Die Silhouette

Es kommt uns kaum begreiflich vor, dass sich die Menschheit einmal ohne das Wort Silhouette beholfen hat. Nachdem die Kunst, die es einst bezeichnete, beinahe ausgestorben ist, dient das Wort zur Bezeichnung einer Vorstellung oder eines Eindrucks, den die deutsche Übersetzung Schattenriss doch nicht so deutlich bezeichnet.

Die Bezeichnung Silhouette hat mit der Sache ursprünglich nichts zu tun. Es ist der Familienname eines französischen Ministers, der unter Ludwig XV. im Jahre 1759 die französischen Finanzen reformieren wollte. Während seiner kurzen Amtsdauer kam die Silhouette auf. Dass sie seinen Namen erhielt, wird auf einen Vergleich ihrer Leerheit mit der Leere der Staatskassen zurückgeführt. Nach einer andern Version erhielten allerlei Modeartikel, die die Sparsamkeit des neuen Regiments zu verspotten erdacht waren, als grobe hölzerne Tabaksdosen statt goldener mit Edelsteinen und Miniaturen geschmückter, den Namen des unglücklichen Ministers.


Von Paris aus verbreitete sich die Mode, Bildnisse statt in Miniatur in schwarzem Schattenriss auszuführen, über ganz Europa.

Auf einmal tauchte überall eine Gattung von Talenten auf, für die es vorher keine Verwendung gab. Mit besonders scharfem Auffassungsvermögen für Umrisse und Massenverhältnisse begabt, vermochten sie nach der Natur mit der Schere Profile und ganze Figuren anzuschneiden.

UMRAHMUNG IN KUPFERSTICH MIT FREIEM
MITTELFELD ZUM EINKLEBEN DER SILHOUETTE

Doch sind wohl die meisten Silhouetten nicht auf diesem Wege entstanden, sondern durch einen mechanischen Prozess. Das Profil wurde als Schatten auf einen Rahmen geworfen, in dem auf einer Glasscheibe ein Stück geölten Papiers befestigt war. Auf diesem wurde der Umriss nachgezogen. Die professionellen Silhouettisten bedienten sich des sogen. Sesselrahmens, eines verstellbaren Rahmens, der an einer Bank befestigt war. Auf der einen Seite sass der zu Porträtierende, auf der andern der Silhouettist. Der auf diesem Wege gewonnene Umriss wurde durch einen Storchschnabel verkleinert und dann mit der Hand ausgetuscht. Zur Beliebtheit dieser neuen Technik hat möglicherweise die erste genauere Bekanntschaft mit der griechischen Vasenmalerei gegeben, die erst seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts über die Kreise der Gelehrten hinaus Beachtung gefunden hatte. Man glaubte, in den Gefäßen des älteren Typus, der schwarze Figuren als Silhouetten auf rotem Grunde zeigt, eine Bestätigung der griechischen Sage von der Erfindung der Malerei zu haben, die von einer korinthischen Jungfrau erzählt, sie habe den Schatten ihres abschiednehmenden Geliebten umrissen.

Auch in Deutschland wurde die Silhouette sehr schnell beliebt und hat ihre Popularität, nachdem die Mode aufgehört hatte, in einigen Kreisen bis zum Aufkommen der Photographie bewahrt, so in den studentischen Verbindungen.

In Hamburg scheint sie namentlich in den beiden letzten Jahrzehnten des achtzehnten Jahrhunderts geherrscht zu haben. Aus dieser Zeit giebt es Umrahmungen in Kupferstich, auf deren leeres Mittelfeld die Silhouette geklebt wurde. Eine der hübschesten dieser Umrahmungen mit Rosen und Schleifen rührt von Stöttrup her. Umrahmungen in Rokokoformen gesehen zu haben, erinnere ich mich nicht.

Das Bereich der Silhouette war keineswegs auf das Brustbild beschränkt. Es finden sich häufig ganze Figuren, ja ganze Gruppen, namentlich Familien bei Tisch oder im Garten, und dann pflegt der Hintergrund wohl durch Zeichnung angegeben zu sein. Auch allerlei Kompromisse kommen vor. So finden sich gelegentlich Silhouetten mit eingezogenen weißen Linien, weiß gehöhter Wäsche und dergl. mehr.

Von den Silhouettisten aus natürlicher Begabung ist Philipp Otto Runge der bedeutendste. Er hat freilich, soviel mir bekannt geworden, keine Bildnisse ausgeschnitten, aber dafür Landschaften, Tiere und in späterer Zeit Blumen.

Lange Zeit, ehe er zu zeichnen angefangen, hatte er sich schon eine große Fertigkeit im Silhouettenschneiden erworben. Dass er mit der Beobachtung der Silhouette angefangen hat, macht einen Hauptzug seiner späteren Malerei, die klare Entwickelung des Aufbaues, erst recht verständlich.

Seine kleineren Silhouetten, Blumenstudien nach der Natur mit Schere und Papier, hat die Gesellschaft hamburgischer Kunstfreunde in ihrer Liebhaberbibliothek herausgegeben.

Runge, der Silhouettist, hat länger gewirkt als Runge, der Maler. Es lässt sich die Spur von ihm zu Paul Konewka verfolgen, dessen graziöse und launige Erfindungen ein schlagendes Beispiel von der einseitigen Stärke abgeben, in der die Fähigkeit, Silhouette zu sehen, auftreten kann.

Ausgestorben ist die Bildnissilhouette immer noch nicht. Aber sie wird heute kaum anders als von wandernden Professionellen in Wirtshäusern und von Dilettanten ausgeübt. Wenn nicht alles täuscht, dürfte in Zukunft mit der Silhouette als einem Ausdrucksmittel künstlerischer Auffassung im Bildnisse kaum zu rechnen sein. Ihre plötzliche Popularität im vergangenen Jahrhundert ist immer noch ein Rätsel. Sie lässt sich nur als eine Rückschlagserscheinung gegen die üppigen Mittel des Rokokozeitalters verstehen. Eine Zeitstimmung ähnlicher Art, die der Silhouette günstig wäre, ist kaum vorauszusehen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Bildnis in Hamburg. Band 1
070 Umrahmung in Kupferstich mit freiem Mittelfeld zum Einkleben der Silhouette

070 Umrahmung in Kupferstich mit freiem Mittelfeld zum Einkleben der Silhouette

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