Meisterrecht und Streitigkeiten

Läßt die ganze Behandlung und Auffassung der Erlangung des Meisterrechts erkennen, daß mit dem Ende des 16. Jahrhunderts auch die Blüthezeit des Zunftwesens ihr Ende erreicht hat, so tritt bei einer anderen Erscheinung gleichfalls hervor, daß es mit demselben bergab geht, nämlich bei den Streitigkeiten um die Arbeitsgrenzen. In weiterschreitender Arbeitstheilung waren Handwerker, die ursprünglich zu einem Amt gehört hatten, von einander getrennt worden und bildeten selbständige Korporationen. Diesen mußten nun von Obrigkeitswegen die Grenzen ihrer Thätigkeit genau gezogen werden. Was dem einen Amte erlaubt war, mußte dem andern verboten sein. Dies hatte von vornherein, wie leicht erklärlich, Anlaß zu Unzufriedenheit unter den Betheiligten gegeben. Bis ins 14. Jahrhundert reichen die Nachrichten über derartige Zunfthändel zurück. In dem Maaße nun, als die Erwerbsgelegenheit stockte, als es den Mitgliedern der einzelnen Aemter schwer wurde, den nöthigen Lebensunterhalt zu verdienen, mehrten sich die Uebergriffe und die Klagen darüber. Man fragte nicht mehr, ob die Leistung, die verlangt wurde, zu liefern in der Rolle erlaubt war, oder ob sie eigentlich in einen andern Arbeitsbezirk fiel, man griff zu und war froh, überhaupt Beschäftigung zu finden. Bei den zur Vornahme der betreffenden Arbeit privilegirten Meistern erregte solches Vorgehen selbstverständlich böses Blut und nicht immer konnten sie sich dadurch helfen, daß sie ihrerseits Eingriffe in die Vorrechte anderer Aemter sich gestatteten. Die Beschwerden über Beeinträchtigung des Arbeitsgebietes rissen im vorigen Jahrhundert nicht ab und als erst die Fabriken in größerer Zahl entstanden, wurde der Jammer noch stärker. Die Handwerker kämpften einen aussichtslosen Kampf, wenn sie auf die Einhaltung des ihnen zugewiesenen Arbeitskreises pochten; aber sie waren unermüdlich darin und wurden es selbst nicht gewahr, daß sie damit eigenhändig einen Nagel mehr in den Sarg, der die alte Amtsherrlichkeit aufzunehmen bestimmt war, schlugen.

Die Kannen- und Grapengießer geriethen, wie bereits erwähnt, nur zu leicht in Konflict mit den Rothgießern. Unseren Rostockern wird daher in der Rolle von 1482 zugesichert, daß kein Apengeter oder Ketelböter (Kesselflicker) irgend eines ihrer Fabrikate stückweise verkaufen oder in das Fenster seines Hauses, d. h. zum Verkauf anbieten, setzen dürfe „deme vorgescreven ampte to vorfange“. Aber nicht nur gegen andere Gewerbetreibende, auch gegen andere Bürger, d. h. offenbar gegen Kaufleute, die mit den Erzeugnissen der Grapen- und Kannengießer Handel zu treiben wünschten, wurden die letzteren in Schutz genommen. Mehrere Artikel (§§. 15 - 18) schreiben vor, daß Bürger mit rothen und weißen Kesseln, mit Becken, selbst mit dem Rohstoff, Stahl und Eisen, keinen Detailhandel treiben sollten.


Wie diese Bestimmungen während des 16. Jahrhunderts gehandhabt wurden, ist nicht bekannt. Aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts haben wir ein sicheres Anzeichen, daß die Handwerker ängstlich auf ihre Ausführung gewacht haben werden. Wenigstens lassen sich die Zinngießer im Jahre 1625 von einem Kupferschmied dafür, daß er während des Pfingstmarktes seine Verkaufsstätte unter den ihrigen aufschlagen darf, eine Entschädigung von einem Gulden bezahlen. Der Pfingstmarkt war unseren Gewerbetreibenden überhaupt nicht angenehm. Für die Dauer desselben waren alle Privilegien aufgehoben und auf diese Weise erwuchs ihnen eine empfindliche Concurrenz. Diese abzuschwächen, erwirkten sie im Jahre 1718 das Verbot für die Löffelgießer, mit ihren Waaren während des Pfingstmarktes in der Stadt zu hausieren. Dieselben durften mit ihren Erzeugnissen nur ausstehen. Später, in den Jahren 1767 und 1768 suchten sie darum nach, daß der Verkauf von auswärts zubereitetem und verarbeitetem Zinn auf dem Pfingstmarkte nicht erlaubt sein sollte. Doch dürfte der Rath hierauf kaum eingegangen sein. Eine Antwort auf diese Eingabe ist in den Akten nicht vorhanden.

Einen Goldschmied verklagte das Zinngießer-Amt im Jahre 1728 vor dem Wettgericht, weil derselbe zinnerne Arbeit mache „in Zieraht, in Schildern, an Särgen und sonsten“. Insbesondere die Anfertigung von Zinnsärgen, die er wiederholt vorgenommen hatte, zuletzt für einen verstorbenen Schwedischen Bürgermeister, verdroß, wohl wegen des ansehnlichen Gewinnes, der hierbei erzielt worden war. Der Goldschmied erwiderte, daß kein Zinngießer so wohlfeil arbeite, wie er, daß keiner an Geschicklichkeit es ihm gleich thue und solche verlangte feine Arbeit zu liefern im Stande sei, endlich daß durch seine Thätigkeit verschiedene Einwohner in der Stadt Vortheile zögen. Ob der Rath sich durch diese Argumentation bewegen ließ, dem Goldschmied die Fortsetzung seiner Arbeit zu gestatten oder den Zinngießern Recht gab, ist unbekannt.

Mit einigen angesehenen Kaufleuten kamen die Zinngießer im Jahre 1768 aneinander. Diese nämlich ließen englische Zinnfabrikate kommen und kündigten den Verkauf derselben in den öffentlichen Blättern an. Einer von ihnen verkaufte auch irdene Krüge mit zinnernen Deckeln und Füßen. Auch ein Gelbgießer gab Veranlassung zur Beschwerde, weil er zinnerne Patronen zu Sargbeschlägen angefertigt hatte. Mit dem Hinweis auf die Verfügung in der Rolle von 1482, daß kein Rothgießer oder Kesselflicker Zinnwerk Stückweise verkaufen oder ins Schaufenster setzen dürfe, glaubten sie eine Eingabe an den Rath, in welcher sie baten jenen solchen Handel zu verbieten, stützen zu können. Die Kaufleute vertheidigten sich damit, daß die Rostocker Meister, weil sie keine messingene Formen besäßen, nicht so gute Erzeugnisse wie die englischen liefern könnten. Im Uebrigen dürfte ein Kaufmann mit allen Waaren so lange Handlung treiben „biß daß derjenige, welcher ihm in Ansehung einer gewissen Species, Contradiction machet, ein ihm dieserhalb zustehendes jus prohibendi dargethan und erwiesen habe“. Dieses „jus prohibendi“ könnte das Amt aus seiner Rolle augenscheinlich nicht erweisen.

Hierbei wird es sein Bewenden gehabt haben und den Kaufleuten der Handel unverwehrt geblieben sein, denn in den „Gravamina“ der Zinngießer vom Jahre 1773 spielt die Klage über Beeinträchtigung durch die Kaufmannschaft noch immer eine große Rolle. Dieselbe begnügte sich nicht damit, die englischen Erzeugnisse in ihren Läden zu verkaufen, einzelne Mitglieder derselben schickten - horribile dictu - selbst alte Weiber mit Löffeln hausieren. Es kann damals, nach dieser Beschwerde zu urtheilen, mit den Rostocker Zinngießern nicht zum Besten ausgesehen haben. Die Einheimischen ließen aus nicht näher bekannten Ursachen viel in Wismar und in Lübeck arbeiten. Selbst die Hagel-Fabrikation, mit der die Zinngießer sich gleichfalls befaßten, war eingegangen. „Wo hierin nicht baldt ein. Wandel geschicht“, so schließen die „Gravamina“, „dass entweder eine schwere Accise darauf geleget oder durch sonstige Mittel uns geholffen werde, so wirdt unser Ampt in kurtzen ausgehen müssen.“

Man darf diese Bestrebungen, sich den bisherigen Absatzkreis ungeschmälert zu erhalten, den Zinngießern nicht übel deuten. Seit Anfang des Jahrhunderts ging es augenscheinlich mit dem Gewerbe rückwärts. Der Absatz stockte und speculirende Köpfe waren bereits auf den Gedanken gekommen, auf den Jahrmärkten das sonst unverkäufliche Zinngeschirr mit Würfeln ausspielen zu lassen. Das Verbot, für Kaufleute zu arbeiten, die mit Neu-Zinn handeln, hatte der Receß von 1710 schon ausgesprochen, sowie damals auch daran festgehalten wurde, daß man den herumziehenden Kesselträgern keine Zinnsachen verkaufen sollte, um die Absatzmöglichkeit nicht noch mehr einzuschränken. Bei derartigen Zuständen werden die Kämpfe unserer Rostocker Zinngießer erklärlich.

An einen Verzicht auf ihre Privilegien dachten die Zinngießer weniger als je und noch im Jahre 1854, nachdem kurz vorher ein Klempner, der verschiedene Gußwaaren, wie zinnerne Knöpfe, Senkblei u. dgl. m. angefertigt hatte, verklagt worden war, mußte das Gewett auf Antrag des Zinngießer-Amts bekannt machen, daß „demselben das ausschließliche Recht auf die Anfertigung und den Verkauf zinnerner und bleierner Gußwaaren, soweit nicht in der Amtsrolle Beschränkungen enthalten und andere Innungen oder Concessionisten gleichberechtigt sind, zusteht.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Amt der Zinngießer in Rostock