Handwerker in Notlage

Die Landesregierung hatte für die Nothlage unserer Handwerker stets ein williges Ohr. Im Jahre 1710 hatte Herzog Friedrich Wilhelm alle fremden Zinngießer, die im Lande herum vagiren und mit Gieß- und Verfertigung allerhand Zinnengeschirres den Einheimischen ihr Brod und Nahrung entwenden, aus dem Lande entfernt. Herzog Friedrich begünstigte die Zinngießer, indem er ihnen durch Decret vom 3. Octbr. 1776 zugestand, altes Zinn accisefrei in Rostock einzuführen. Auf diese Weise konnten die Rostocker Meister altes Zinn auf dem Lande aufkaufen oder sich alte Stücke zum Umguß auf Bestellung schicken lassen, sahen also ihren Kundenkreis erweitert. Später scheint diese Verfügung in Vergessenheit gerathen zu sein. Aber es bedurfte nur einer Beschwerde des Amts, um Herzog Friedrich Franz I. zu veranlassen, durch Decret vom 31. August 1791 die Accise-Freiheit für altes Zinn, aber wohlverstanden nur für die Zinngießer, aufrecht zu erhalten.

Achteten die Amtsgenossen darauf, daß ihre Privilegien nach außen hin keine Beschneidung erfuhren, so wachten sie gleichzeitig nicht minder über die Aufrechterhaltung der Statuten im Innern. Uebertretungen derselben wurden verfolgt und wenn hierbei mitunter Neid und Mißgunst im Spiel zu sein schienen, so hatte diese Strenge nach einer anderen Richtung wieder etwas unleugbar Gutes. Einige Beispiele mögen das zum Schluß erweisen. So wurde im Jahre 1597 ein Meister zur Verantwortung gezogen, weil er auf einem „Junckerhofe“ statt in seiner Werkstätte gearbeitet hatte, d. h. daß er statt die Bestellung des Adeligen zu Hause zu erledigen, auf dessen Gut sich begeben hatte, was sich wohl mit der Meisterwürde nicht vertrug. Viel Verdruß hatten unsere Kannengießer im Jahre 1672. Ein angehender Meister, der allen Anforderungen sonst zu entsprechen in der Lage war, weigerte sich, die ihm herkömmlich zugedachte Meisterstochter zu heirathen. Das Amt wollte ihn deshalb nicht zur Meisterwürde zulassen, Michel Voß - so hieß der Mann - wußte aber den Rath für sich zu gewinnen und dieser machte dem Sträuben der Handwerker gegenüber kurzen Prozeß. Er nahm dem Amte seine Lade, sein Petschaft und seine Rolle weg. Trotzdem gab dieses zunächst nicht nach und es vergingen einige Jahre, bis es einem Amtsgenossen, der den Widerspruch des Michel Voß für völlig angemessen hielt, gelang, das Amt zum Nachgeben zu bewegen. Michel Voß erklärte sich bereit, die mittlerweile in der Streitsache aufgelaufenen Gerichtskosten zu tragen. Ins Protokollbuch aber, in welchem der Fall ausführlich beschrieben wurde, trug man ein, daß dasselbe nicht als Präjudiz für die Zukunft angesehen werden solle. Den Meisterstöchtern blieben ihre Aussichten ungeschmälert!


Einen besseren Eindruck machen zwei andere Klagesachen, die eine aus dem 17., die andere aus dem 18. Jahrhundert, weil sie Zeugniß davon ablegen, daß der Begriff der alten Handwerksehre, die auf untadelige sorgfältige Arbeit achtete, in unsern Zinngießern nie unterging. Es handelte sich in beiden Fällen um nicht probemäßiges Zinn. Im Jahre 1611 klagten die Aelterleute gegen Hans Meyer vor dem Gewette, weil er kein probehaltiges Zinn verarbeite. So oft sie bei ihm Umschau hielten, weise er nur gutes Zinn auf; wenn sie aber weg wären, fertige er nur „geringes guth“ an. Schon vor 5 bis 6 Jahren deshalb zur Rede gestellt, entschuldigte sich Meyer damit, daß er längere Zeit außerhalb des Hauses beschäftigt gewesen sei und seine Werkstätte nicht habe beaufsichtigen können. Er versprach, daß schlechte Arbeit aus derselben nicht mehr hervorgehen sollte. Aber er hielt das Versprechen nicht und bald lagen neue Stücke vor, die ihn abermals der Fälschung ziehen. Da man das entdeckte, änderte man seinen Stempel und setzte dem „r“ „zwei Punctlein dabey, auff dass sie dasjenige guth, so darunter gemacht, van vorigen seinem gemachten Zeuge unterscheiden möchten“. Der hartnäckige Meyer aber feilte das eine „Tüttelken“ flugs wieder ab, wurde natürlich bald darüber ertappt und nun vor das Gewett gebracht. Hier vertheidigte er sich abermals damit, daß das nicht probemäßige Zinn ohne sein Wissen in seiner Werkstätte gegossen sei. Das „ein pünctlein bey seiner marcke“ aber habe er abgeschafft „weil es ihm ein gross schimpff und verkleinerung gewesen“. Das Gericht ließ sich durch diese Einwände nicht irre machen, sondern verurtheilte ihn zu einer Geldstrafe. Im Stempel aber behielt das „r“ allerdings nur den einen Punkt.

Ein ähnlicher Fall spielte mehr als 100 Jahre später. Im Jahre 1718 wurde Meister Jochim Voß belangt, weil er viele Stücke angefertigt hatte die nicht mit der rechten Probe übereinstimmten. Auch er mußte seinen Stempel ändern und zu seinem Namen die Zahl 18 setzen, damit man unterscheiden könnte, was er vorher und nachher gemacht habe. Fände man ein mit dem neuen Stempel gezeichnetes Stück, das nicht die richtige Probe hielte, so drohte ihm Ausschluß aus dem Amte. Außerdem mußte sich Jochim Voss zur Deckung aller Gerichtskosten verstehen und verpflichten, alle seine schlechten Stücke, falls sie ihm präsentirt würden, unentgeltlich umzugießen, ja sogar 40 Gulden in der Amtskasse deponiren, damit auch nach seinem Tode das aus seiner Werkstatt stammende falsche Zinn verbessert werden könnte. Trotz dieser harten, wenn auch gerechten Strafe, verfiel Meister Voß nicht lange in den gleichen Fehler. Im Jahre 1723 steht er unter derselben Anklage vor dem Gewett. Seine Strafe bestand u. a. in einer neuen Veränderung seines Stempels, in dem man in der Mitte „zum Andenken einen großen Punkt“ machte. Kannen mit diesem Stempel sind noch mehrfach in Rostock anzutreffen, z. B. in der Sammlung von Zinngeschirren des Museums Rostocker Alterthümer und auch im Privatbesitz.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Amt der Zinngießer in Rostock